Gnesiolutheraner

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Als Gnesiolutheraner wird eine Gruppe von Theologen bezeichnet, die sich im 16. Jahrhundert aus internen protestantischen Lehrstreitigkeiten herausbildete. Ihre zeitgenössische Bezeichnung war, ihrem bekanntesten Vertreter Matthias Flacius nach, „Flacianer“. Im 17. Jahrhundert erhielten die Gnesiolutheraner, die sich selbst nur als Lutheraner bezeichneten (was sie ihren Gegnern absprachen zu sein), ihrem Namen das griechische Adjektiv γνήσιος (= gnesios = echt) vorangestellt.

Allgemeines

Nach den kriegerischen Auseinandersetzungen im Schmalkaldischen Krieg 1546/47 und dem Tod Martin Luthers 1546 bot der Augsburger Religionsfrieden 1555 erstmals die Möglichkeit einer theologischen Bestandsaufnahme. In diesem sogenannten Konfessionellen Zeitalter konkurrierten im Luthertum zwei Parteien um die theologische Deutungshoheit: Die „Philippisten“ – Schüler Melanchthons – und die genuinen Lutherschüler – „Gnesiolutheraner“. Infolgedessen brach unter den evangelischen Theologen eine Disputation über sechs Streitpunkte aus:

Aus jener nicht auf Kompromisse bedachten Strategie zur Sicherung des Überlebens der protestantischen Religion erwuchs die Lutherische Orthodoxie.

Vertreter

Vertreter der Gnesiolutheraner waren vor allem Matthias Flacius, Nikolaus von Amsdorf, Nikolaus Gallus, Johann Wigand, Matthäus Judex, Kaspar Aquila, Joachim Mörlin, Timotheus Kirchner, Joachim Westphal, Georg List und Tilemann Hesshus. Zu weiteren Vertretern und Bekenntnisschriften aus diesem Kreis siehe auch den Abschnitt „Schüler“ im Artikel zu Matthias Flacius.

Diese Theologen standen den sogenannten Philippisten gegenüber, d. h. den Anhängern Philipp Melanchthons, der besonders nach dem Tode Martin Luthers die Linie der kirchenpolitischen Reformation in Deutschland prägte. Erst mit der Einigung auf die Konkordienformel kam es 1577 zu einem gewissen Ausgleich der Lehrstreitigkeiten.

Da sie das Ende der Welt fürchteten, waren die Gnesiolutheraner nicht kompromissbereit und versuchten eine möglichst große Breitenwirkung zu erzielen, weshalb sie viele polemische Flugschriften in deutscher Sprache verfassten. Die Gnesiolutheraner waren eher eine lose Gruppe von Theologen mit jeweils eigenen Vorstellungen. Eine gemeinsame Schule bildeten sie kaum. Der Begriff fasst also nachträglich ordnend eine Gruppe von einzelnen Denkern zusammen, die ein gemeinsames Interesse an der reinen Lehre einte, die im Einzelfall aber differierende Ansichten hatten. Ihre Ansichten prägten das Grundgerüst der lutherischen Orthodoxie.

Literatur

  • Rudolf Keller: Gnesiolutheraner. In: Theologische Realenzyklopädie. Band 13. (1984), S. 512–519 (Überblick mit weiterer Lit.).
  • Wolfgang Klose: Das Wittenberger Gelehrtenstammbuch. Das Stammbuch von Abraham und David Ulrich. Benutzt von 1549–1577 sowie 1580–1623. Mitteldeutscher Verlag, Halle 1999, ISBN 3-932776-76-3.