Neue Kanzlei (Heilbronn)

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Neue Kanzlei, Zeichnung von Conrad v. Dollinger, 19. Jahrhundert

Die Neue Kanzlei in Heilbronn geht auf das Haus Marktplatz 7 in Heilbronn zurück, das in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts das Haus der Patrizierfamilie Erer war. 1589 von der Stadt erworben, ließ die Stadt das Haus abbrechen und im Jahre 1600 an dieser Stelle die Neue Kanzlei, als östlicher Anbau an das alte historische Rathaus erbauen. Er war insbesondere für seine aufwändige Innenarchitektur bekannt. So befand sich im Erdgeschoss das Trauzimmer im Stil des Jugendstils dekoriert durch Adolph Amberg, das erste Obergeschoss war bekannt als historischer Versammlungsraum für die Konvente der Protestantischen Union, dessen Renaissanceausstattung von Eduard Paulus in Kunst- und Altertumsdenkmäler beschrieben wird. Der städtische Wappenadler vom Giebel wurde geborgen und befindet sich heute im Großen Ratsaal des Heilbronner Rathauses.

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Vorgängerbau: Patrizierhaus Erer[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der östliche Bau neben dem Rathaus gehörte in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts nachweislich einem Zweig der Patrizierfamilie Erer. 1559 ging das Haus in bürgerliche Hände über. 1589 kaufte es die Reichsstadt Heilbronn, um das Rathaus zu erweitern, und ließ das alte Patrizierhaus abbrechen. An seiner Stelle erbaute die Stadt die Neue Kanzlei als vollrepräsentatives, drei Stockwerke hohes Gebäude.[1][2][3][4][5][6][7][8][9]

Neue Kanzlei[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Außenarchitektur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Neue Kanzlei, Zwerchgiebel

Am 4. März 1593 erhielt Hans Kurz den Auftrag östlich an das Rathaus einen Giebelbau zu planen; dafür wurden ihm 314 Gulden Honorar zugesprochen. Bis 1596 erbaute er einen dreistöckigen Flügelbau.

Zwerchgiebel[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Den oberen Abschluss des Renaissance-Gebäudes bildete ein Zwerchgiebel nach Süden, der mit Voluten, korinthischen Dreiviertelsäulen, aufgesetzten Obelisken geschmückt war[10] – „ein Spiel der Formen“.[11] Weiter befanden sich im Giebelfeld Büsten und ein reichsstädtischer Adler, der von vier Figuren umrahmt wurde. Der Adler mit den vier Figuren konnte geborgen werden und ziert heute den Ostgiebel des Großen Ratsaals.[12] Die Figurengruppe hat großen symbolischen Wert – „Der alte Adler, den ich … wieder zusammengesetzt habe und der hier oben … als Symbol im Giebel eingesetzt ist, sollte uns erinnern und mahnen, dass wir nicht für heute und morgen, sondern über Generationen hinweg planen, und dass wir heute die Heimat für morgen schaffen.“[13] Dieser „hält … die stete Verbindung vom alten zum neuen Heilbronn aufrecht“.[14]

Rundbogenportal[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Portal der Neuen Kanzlei

Die Neue Kanzlei erhielt seinen „besonderen Akzent“[15] durch das Rundbogenportal, dessen Pilaster in Quadern aufgelöst waren. Die Pilaster stützten einen Architrav. Darüber befand sich eine Wappenkartusche mit dem reichsstädtischen Wappentier, den Adler. Die Zwickel zeigten Rundschilde mit flachen Reliefköpfen.[15]

Innenarchitektur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Trauzimmer[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Signatur Amberg
[19]05.

Das Traulokal des alten, historischen Rathauses befand sich in der Neuen Kanzlei und bestand aus einem Vorraum und dem eigentlichen Trauzimmer. Beide erhielten eine Dekoration, die von Adolph Amberg gemalt wurde.

Wandgemälde „Werbung im Rosenhag“[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Im Vorraum befand sich das Wandgemälde „Werbung im Rosenhag“.

Im Vorraum befand sich das Wandgemälde „Werbung im Rosenhag“[16]. Eine „anheimelnde zarte Stimmung“[16] ging von diesem Gemälde aus. Ein „anmutiger Rosenfries“[16] zog sich die Wand entlang, darüber „husch[t]en Schmetterlinge hin und beleb[t]en das fein abgetönte Graugrün des Wandgrundes.“[16]

Wandgemälde „Das Liebespaar“[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Wandgemälde im Trauzimmer in Kobaltblau verbreitete im Gegensatz dazu eine tragische Stimmung. Ein nacktes Paar stand hier im Mittelpunkt, sie an den Mann gepresst, der sie schützend umarmte. Die Farben reichten von „duftigen und diskreten Fleischtönen“[16] zum „mattem Gold“[16] bis hin zum Blutrot:

„Dagegen umfängt uns im Trauzimmer selbst ein feierlich traumhaftes Kobaltblau, das auf die lyrische Stimmung im Vorraum wie Tragik des Menschloses wirkt. Losgelöst von allem irdischen Beiwerk erblicken wir an der Mittelwand ein wunderschönes Gedicht, Mann und Weib in unverhüllter, herrlicher Nacktheit. Das Weib, ganz Hingebung, birgt ihr Antlitz an der breiten Brust des Gatten, der frei und männnlich sein höchstes Gut bewahren und beschützen wird. Um dieses ernste ergreifende Mittelbild mit seinen eigenartig duftigen und diskreten Fleischtönen reihten sich dramatisch verschlungene Menschengruppen in mattem Gold gemalt, durch deren Gewühl sich blutrote Girlanden von oben nach unten, vom Himmel zur Erde hernieder winden, eine wuchtige empfundene Hymne auf das in Freud und Leid wechselvolle Schicksal der Menschen und ihr immer unstillbares Streben nach den sonnengoldigen Höhen, wo die ewig heiteren Himmlischen thronen; eine keusch empfundene Kunst, nicht geeignet anstössig zu wirken, wenn man ihr mit anständiger Gesinnung begegnet“[16]

Hallenzimmer[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Stadtkasse, geschmückte Säule

Im ersten Obergeschoss befand sich das Hallenzimmer, das aus einer großen Halle mit rippenlosem Kreuzgewölbe bestand und den gesamten Mittelstock der Neuen Kanzlei einnahm.[17] Das gesamte Gewölbe ruhte auf zwei fein kannelierten Säulen, deren Sockel mit Engelsköpfen und Ornamenten verziert waren. Nach der OBA von 1904 befanden sich seinerzeit dort die lebensgroßen Ölgemälde, die den Kaiser Franz I und seine Gemahlin Maria Theresia zeigten, die auf der Rückreise vom Krönungstage in Frankfurt am 17. Oktober 1745 nach Heilbronn kamen, wo dem Kaiserlichen Paar ein festlicher Empfang bereitet wurde. Die Gemälde wurden 1774 gemalt. Der zu diesem Zimmer gehörende Kamin (außen) war in Renaissanceformen gestaltet und zeigte einen langbärtigen Kopf.[18][19] Der Renaissancekamin, sowie das „reiche Getäfer der Wände, namentlich aber die prächtigen Türverkleidungen“ zählten zu den „sehr beachtenswerte[n] Kunstleistungen“.[20] Hier wurden in den Jahren 1620–21 die Convente der Protestantischen Union abgehalten, wogegen das unter dem Namen Heilbronner Vertrag bekannte Bündnis der Evangelischen mit den Schweden vom 23. April 1633 im Deutschhof gehalten wurde. Nach der Restaurierung unter Jassoy u. Vollmer diente der Raum der Stadtpflege und Stadtkasse.

Die zwei Zimmer des oberen Stocks zeigten „schön getäferte und kassettierte Decken“[21] Die hintere kassettierte Holzdecke zeigt die Jahreszahl 1596, je eine Zahl auf einer Konsole in der Mitte jeder Seite.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Neue Kanzlei – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. „Patrizierhaus Erer I/Neue Kanzlei, abgegangen, Marktplatz 7 (UKP Nrn. 458d und 458 c) Das östliche Gebäude neben dem Rathaus (HT 43) befand sich in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts nachweislich im Besitz eines Zweiges der Patrizierfamilie Erer und ging 1559 in bürgerliche Hände über. 1589 erwarb die Stadt das Gebäude zur Erweiterung des Rathauses. Um 1600 ließ die Stadt an dieser Stelle die Neue Kanzlei als vollrepräsentatives, drei Stockwerke hohes Gebäude erstellen. Um 1900 renoviert, wurde es 1944 zerstört. Eine zu Beginn des 18. Jahrhunderts entstandene kolorierte Zeichnung zeigt das Rathaus und die östlich angebaute Neue Kanzlei mit einer nicht realiserten Bemalung.“

    Marianne Dumitrache, Simon M. Haag: Archäologischer Stadtkataster Baden-Württemberg. Band 8: Heilbronn. Landesdenkmalamt Baden-Württemberg, Stuttgart 2001, ISBN 3-927714-51-8, S. 159 Nr. 401 [Patrizierhaus Erer I/Neue Kanzlei, abgegangen, Marktplatz 7 (UKP Nrn. 458d und 458 c)].
  2. Moriz v. Rauch: Die Erer in Heilbronn. In: HVH 15, 1922–1925, S. 13–56, dazu S. 50
  3. Helmut Schmolz: Heilbronn. In: Historischer Atlas von Baden-Württemberg - Erläuterungen. Beiwort zur Karte IV, 8: Grundrisse mittelalterlicher Städte III, Stuttgart 1976, 10 Nr. 18
  4. Helmut Schmolz und Hubert Weckbach: Heilbronn. Geschichte und Leben einer Stadt in Bildern, Weißenhorn 1971, 66 Nr. 153, 104 Nr. 299
  5. Helmut Schmolz, Hubert Weckbach: Heilbronn mit Böckingen, Neckargartach, Sontheim. Die alte Stadt in Wort und Bild. Weißenhorn 1966 (Veröffentlichungen des Archivs der Stadt Heilbronn. Band 14). Nr. 17.
  6. Helmut Schmolz, Hubert Weckbach: Heilbronn: Die alte Stadt in Wort und Bild, Band 2, Weißenhorn 1967 (Veröffentlichungen des Archivs der Stadt Heilbronn. Band 15). Nr. 10
  7. Christhard Schrenk, Hubert Weckbach, Susanne Schlösser: Von Helibrunna nach Heilbronn. Eine Stadtgeschichte (= Veröffentlichungen des Archivs der Stadt Heilbronn. Band 36). Theiss, Stuttgart 1998, ISBN 3-8062-1333-X, S. 79.
  8. Hubert Weckbach: Das Stadtarchiv - die "Seele unseres Staates". Zur Geschichte des Stadtarchivs und der Schriftgutverwaltung in Heilbronn bis zur Zerstörung der Stadt 1944. In: Christhard Schrenk und Hubert Weckbach, Die Vergangenheit für die Zukunft bewahren. Das Stadtarchiv Heilbronn. Geschichte - Aufgabe - Bestände, Heilbronn 1993, S. 9–98, dazu S. 11.
  9. Beschreibung des Oberamts Heilbronn (Herausgegeben v. Statistisch-Topographischen Bureau), Stuttgart 1865, S. 178
  10. Helmut Schmolz, Hubert Weckbach: Heilbronn mit Böckingen, Neckargartach, Sontheim. Die alte Stadt in Wort und Bild. (Band 1.) Konrad, Weißenhorn, 1966 (Veröffentlichungen des Archivs der Stadt Heilbronn, 14), S. 17
  11. Helmut Schmolz, Hubert Weckbach: Heilbronn: Die alte Stadt in Wort und Bild, Band 2, Weißenhorn 1967 (Veröffentlichungen des Archivs der Stadt Heilbronn. Band 15). S. 10, Nr. 1 [Neue Kanzlei].
  12. Renz, Alexander/Schlösser, Susanne: Chronik der Stadt Heilbronn. Band VII: 1952–1957, Heilbronn 1996, S. 117
  13. Amtsblatt für den Stadt- und Landkreis Heilbronn vom 4. April 1963 Nr. 14 13 Jahre Mitarbeit am Wiederaufbau von Heilbronn.
  14. Helmut Schmolz und Hubert Weckbach: Heilbronn – Geschichte und Leben einer Stadt. 2. Auflage. Anton H. Konrad Verlag, Weißenhorn 1973. Nr. 153 [Reichsstädtischer Wappenadler im großen Sitzungssaal des Rathauses, Aufnahme 1971]
  15. a b Helmut Schmolz, Hubert Weckbach: Heilbronn: Die alte Stadt in Wort und Bild, Band 2, Weißenhorn 1967 (Veröffentlichungen des Archivs der Stadt Heilbronn. Band 15). S. 10, Nr. 1 [Neue Kanzlei].
  16. a b c d e f g Verein für Fremdenverkehr Heilbronn [Verkehrsverein] (Hrsg.): Führer durch das Rathaus und die Kilianskirche in Heilbronn, Schell’sche Buchdruckerei, Victor Kraemer Heilbronn, 1907–1910 [Stadtarchiv Heilbronn, Datenbank Heuss, Archivsignatur L006-Hc 2 Fue-1910], S. 18.
  17. Helmut Schmolz, Hubert Weckbach: Heilbronn: Die alte Stadt in Wort und Bild, Band 2, Weißenhorn 1967 (Veröffentlichungen des Archivs der Stadt Heilbronn. Band 15). S. 10, Nr. 1 [Neue Kanzlei].
  18. Eduard Paulus: Die Kunst- und Altertumsdenkmale im Königreich Württemberg. Inventar [Neckarkreis], Stuttgart 1889, S. 255 [großformatige Abbildung des Renaissancekamins mit langbärtigem Kopf des sog. Hallenzimmers der Neuen Kanzlei].
  19. Beschreibung des Oberamts Heilbronn. Kohlhammer, Stuttgart 1901/1903, S. 47.
  20. Verein für Fremdenverkehr Heilbronn [Verkehrsverein] (Hrsg.): Führer durch das Rathaus und die Kilianskirche in Heilbronn, Schell’sche Buchdruckerei, Victor Kraemer Heilbronn, 1907–1910 [Stadtarchiv Heilbronn, Datenbank Heuss, Archivsignatur L006-Hc 2 Fue-1910], S. 13.
  21. Beschreibung des Oberamts Heilbronn. Kohlhammer, Stuttgart 1901/1903, S. 47.

Koordinaten: 49° 8′ 33,3″ N, 9° 13′ 7,1″ O