Offenes Herz

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Das Hilfswerk Offenes Herz (englisch: Heart’s Home;[1] spanisch: Punto Corazón;[2] französisch: Points Cœur;[3] italienisch: Punto Cuore[4]) ist eine internationale NGO. Das Hilfswerk entsendet Freiwillige in Elendsviertel zum Trost der Leidenden und ganz besonders der Kinder und tritt für eine Kultur des Mitgefühls („Compassion“) ein.[5][6] Im Jahr 2018 war das Hilfswerk mit 188 Freiwilligen weltweit in 26 Ländern präsent und hat zwischen 1990 und 2023 insgesamt über 1300 Freiwillige aus 32 Nationen entsendet.[7][8]

Die Vereinigung wurde 1990 in Frankreich gegründet, die verschiedenen Zweige wurden aber in den Jahren 2017, 2018 und 2020 kirchenrechtlich aufgelöst.[9][10][11] Die Organisation ist damit nicht mehr Teil der römisch-katholischen Kirche und darf sich nicht mehr "katholisch" nennen.[12]

Offenes Herz hat seit 2005 einen Beraterstatus für die Belange der Menschenrechte beim Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen.[5][13]

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Hilfswerkes wurde am 4. Januar 1990 von Pater Thierry de Roucy (* 1957) gegründet. Seine Idee war es, Straßenkinder in Gruppen von vier bis fünf Jugendlichen in Städten unterzubringen und diese zu betreuen. Die ersten zwei Häuser, die 1990 als „Points-Cœur“ benannt wurden, entstanden in Brasilien und Argentinien, sie wurden von elf freiwilligen Helfern geleitet. In den Jahren 1992 bis 1999 entstanden weitere 24 Häuser in 15 Ländern. Im Jahr 1997 wurde das erste Haus in Frankreich eröffnet. 1999 waren 150 Freiwillige aus 15 Ländern in 20 Ländern im Einsatz.

Weitere Einrichtungen des Werkes sind die an die Universitäten in Lwiw (Ukraine) und São Paulo (Brasilien) gebundenen Häuser. 2007 erfolgte die Einweihung eines Internationalen Zentrums für eine „Kultur des Mitgefühls“[14] (ICCC) in Woodbourne (New York) (Vereinigte Staaten). Zwischen 2009 und 2012 wurden Häuser in Chile, Deutschland, Österreich und den USA gegründet.

Gründung, Missbrauch und Auflösung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im Jahr 1990 wurde Offenes Herz als Vereinigung von Gläubigen durch Estanislao Esteban Karlic, dem Erzbischof von Paraná kirchenrechtlich anerkannt und erhielt im Jahr 2000 das Anerkennungsdekret vom Päpstlichen Rat für die Laien.

Am 21. Juni 2011 wird der Gründer, Thierry de Roucy, vom Kirchengericht in Lyon für die Delikte "Machtmissbrauch, sexuellen Missbrauch und Absolution des Komplizen" verurteilt.[15][16] Anfang 2016 verhängt der für ihn zuständige Bischof von Toulon, Dominique Rey, gegen ihn die kirchenrechtliche Strafe suspens a divinis und verbietet ihm jeglichen Kontakt mit den Mitgliedern von Points-Coeur.[17] Am 22. Juni 2018 verliert er den Klerikerstand (auch Laisierung genannt).[18][10] Der offizielle Missbrauchsbericht des Hilfswerkes Arche internationale erklärt, dass Thierry de Roucy auch unter dem Einfluss von Thomas Philippe stand, der zusammen mit Jean Vanier die Arche gegründet hat und mehrfach für sexuellen Missbrauch verurteilt wurde.[19]

Im Jahr 2014 wird Offenes Herz nach einer kanonischen Untersuchung "Selbstbezogenheit", "Misstrauen gegenüber der Kirche" und "Mängel [in] der Ausbildung der Mitglieder" vorgeworfen.[20][17] Im Jahr 2017 löst der zuständige Bischof die Priesterbruderschaft Molokai auf; seine "durch den Ungehorsam und den Mangel an Vertrauen und kirchlichen Sinnes dieser Vereinigung begründete Entscheidung" wird 2018 von der römischen Konkregation für das geweihte Leben bestätigt.[10] Im Jahr 2020 löst der Bischof die Schwesterngemeinschaft der Dienerinnen der Gegenwart Gottes ebenfalls auf.[9] Die Diözese Fréjus-Toulon erklärt dazu in einem Communiqué vom 18. März 2021, dass "der eingetragene Verein Offenes Herz e.V. damit eine unabhängige NGO geworden ist, über den die Kirche keine Macht mehr hat und also weder Begleitung noch Kontrolle gewähren kann."[11]

Die französische Bischofskonferenz macht aufmerksam auf "das Risiko, dass die Strukturen der Organisation unter anderer Form und an anderen Orten weitermachen und sich so dem von ihnen geforderten Neuaufbau und den notwendigen Reformen entziehen".[9]

Organisation und Ausweitung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Nach eigenen Angaben unterhielt die Gemeinschaft 2023 19 Häuser in Armenvierteln über 16 Länder verteilt von denen wöchentlich 4000 Familien von den Freiwilligen besucht werden. Ebenso gehen sie gezielt in Gefängnisse, Krankenhäuser, Waisenheime, Obdachlosenhäuser, Müllhalden, Zentren für Behinderte, Frauenhäuser und Häuser für Drogenabhängige. Weiterhin besitzt das Werk über 8 Länder verteilt insgesamt 10 Häuser für ehemalige Freiwillige, die studieren oder bereits arbeiten. Ebenso betreuen sie 2 Empfangs-Dörfer, in Brasilien und Indien, sowie 2 Ausbildungszentren für die Freiwilligen.[5] Eines davon ist das „Mutterhaus“ in Vieux Moulin (Frankreich), das 1996 eröffnet wurde.

Zum internationalen Hilfswerk „Herzpunkt“[21] zählen insgesamt etwa 290 Mitglieder. Hierzu zählen 175[22] Freiwillige.

Durch die kirchenrechtliche Auflösung der Vereinigung gibt es keine unterschiedlichen Zweige bzw. Lebensstände (Priester, Schwestern, geweihte Laien) innerhalb der Organisation mehr.[9]

Die französische Bischofskonferenz erklärt in einem Communiqué vom 17. Juli 2018, dass "die Freiwilligen über die [...] Risiken der Selbstbezogenheit, die die Vereinigung birgt, informiert werden müssen. Sie müssen auch vor der Situation des Gründers gewarnt werden, dessen spirituelle Lehre in manchen Punkten den Mitgliedern von Points-Coeur großen Schaden zugefügt hat. [...] Die Freiwilligenmission kann nur dann zugelassen werden, wenn es sich nicht um einen Weg zu einer geistlichen Berufung (Priester, geweihtes Leben) handelt."[10]

Selbstverständnis[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Unter dem Leitmotto „Es geht darum, auf einen Schrei zu antworten, den Schrei der Männer und Frauen, denen ein Freund fehlt“ möchte die Gemeinschaft Mitgefühl (Compassion) und Trost in die Welt tragen und die Verantwortung für einsame und leidende Jugendliche und Kinder übernehmen. Die Pädagogik beruht auf drei Säulen: dem Gebetsleben, dem Gemeinschaftsleben und der apostolischen Aktivität.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Andreas Martin: Die geistlichen Gemeinschaften der Katholischen Kirche: Kompendium. St.-Benno-Verlag, Leipzig 2006, ISBN 3-7462-1995-7, S. 291–292.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise/Anmerkungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Heart's Home USA. In: civicrm.org. Abgerufen am 4. April 2023 (englisch).
  2. Puntos Corazón: Misión Al Extranjero. Abgerufen am 4. April 2023 (spanisch).
  3. Qui sommes-nous. Points-Coeur France, abgerufen am 4. April 2023 (französisch).
  4. Le nostre azioni. Punto Cuore, abgerufen am 4. April 2023 (italienisch).
  5. a b c Über uns. Offenes Herz e.V., abgerufen am 4. April 2023.
  6. Der Begriff Compassion wird als „Mitleidenschaft“ und auch als „Mitgefühl“ verstanden.
  7. Points-Coeur en quelques chiffres. In: Terre de Compassion. 4. Januar 2018, abgerufen am 9. März 2019 (französisch).
  8. Freiwilligendienst. Offenes Herz e.V., abgerufen am 4. April 2023.
  9. a b c d Au sujet de l'ONG Points-Cœur. In: Conférence des évêques de France. 22. März 2021, abgerufen am 11. September 2023 (französisch).
  10. a b c d Œuvre Points-Coeur. In: Conférence des évêques de France. 17. Juli 2018, abgerufen am 11. September 2023 (französisch).
  11. a b Le diocèse de Fréjus-Toulon s’inquiète de « dérives » au sein de Points-Coeur. In: La Croix. 21. März 2021, ISSN 0242-6056 (la-croix.com [abgerufen am 11. September 2023]).
  12. Codex Iuris Canonici: can. 300. Abgerufen am 11. September 2023.
  13. Association Points-Coeur. In: un.org. Abgerufen am 4. April 2023 (englisch).
  14. „Wir brauchen eine Kultur des Mitgefühls“, in: ethik heute – Magazin für achtsames Leben, S.H. dem Dalai Lama, 2013 [1], aufgerufen am 26. Februar 2015
  15. Le fondateur de Points Cœur reconnu coupable d’abus sexuel. In: La Croix. 9. April 2013, ISSN 0242-6056 (la-croix.com [abgerufen am 11. September 2023]).
  16. Bernadette Sauvaget: Thierry de Roucy, le prêtre intenable que l’Eglise menace d’excommunier. Abgerufen am 11. September 2023 (französisch).
  17. a b Toulon : l'ONG catholique Points-Cœur placée sous surveillance. 16. Februar 2016, abgerufen am 11. September 2023 (französisch).
  18. P. Thierry de Roucy, fondateur de Points Cœur, renvoyé de l’état clérical. In: La Croix. 27. Juni 2018, ISSN 0242-6056 (la-croix.com [abgerufen am 11. September 2023]).
  19. Commission d'Etude indépendante: S. 705. Missbrauchsbericht der Commission d'Etude im Auftrag von Arche international. 30. Januar 2023, abgerufen am 11. September 2023 (französisch).
  20. Le Saint-Siège demande un audit sur Points-Cœur. In: La Croix. 14. Januar 2014, ISSN 0242-6056 (la-croix.com [abgerufen am 11. September 2023]).
  21. Dieses wäre die wörtliche Übersetzung ins Deutsche
  22. Dieses ist auf Grund der Fluktuation der Freiwilligen (ein oder zwei Jahre) eine bewegliche Zahl. Mehr als 1300 Freiwillige waren seit 1990 im Einsatz