Rheinkrise
Die Rheinkrise 1840 war eine diplomatische Krise zwischen dem Königreich Frankreich und dem Deutschen Bund, die auf die Forderung Frankreichs nach dem Rhein als seiner Ostgrenze folgte, was etwa 32.000 km² deutsches, damals vor allem preußisches, Territorium erneut unter französische Herrschaft gebracht hätte. Die von französischen Truppen um 1795 eroberten linksrheinischen Gebiete waren bei den territorialen Neuordnungen des Wiener Kongresses 1814 wieder unter deutsche, beziehungsweise preußische Verwaltung gekommen (Rheinprovinz). Nach einer diplomatischen Niederlage Frankreichs in der Orientkrise 1839–1841 richtete sich das nationale Interesse Frankreichs auf den Rhein. Die französische Regierung unter Adolphe Thiers erhob nun wieder Anspruch auf die linksrheinischen Gebiete und wollte den Rhein als „natürliche Grenze“ zwischen Frankreich und Deutschland etablieren. Als Reaktion kam es in den deutschen Gebieten zu Ressentiments gegenüber den Franzosen. Es gab erste Anzeichen für die Entstehung eines verstärkten Nationalismus auf beiden Seiten. Auf beiden Seiten des Rheins entstanden in der Folgezeit nationalistische Gedichte und Lieder, von denen die heute bekanntesten „Die Wacht am Rhein“ und das „Lied der Deutschen“ sind, dessen dritte Strophe seit 1991 die deutsche Nationalhymne ist.
Vorgeschichte
Durch den Griechischen Unabhängigkeitskrieg und den russisch-türkischen Krieg 1828/29 war das Osmanische Reich weiter geschwächt worden. Nachdem sich der osmanische Sultan Mahmud II. geweigert hatte, Muhammad Ali Pascha, den Vizekönig des zum osmanischen Reich gehörenden Ägypten, auch als Statthalter in Syrien einzusetzen, besetzten ägyptische Truppen 1831 Palästina und Syrien und stießen 1832 bis nach Anatolien vor.
Frankreich hatte die türkische Niederlage im griechischen Unabhängigkeitskrieg dazu genutzt, 1830 Algerien zu besetzen. Es sah in Mohammed Ali Pascha einen idealen Verbündeten und unterstützte den ägyptischen Vizekönig, sich endgültig aus der Oberhoheit des Sultans Mahmud II. zu lösen. Ziel der französischen Politik war es, das an das Mittelmeer grenzende Afrika über Sues hinaus zu französischem Einflussgebiet zu machen.
Als 1839 der ägyptische Vizekönig einen weiteren Krieg mit dem Sultan für sich entscheiden konnte, führte dies zur Orientkrise von 1839–1841. Die Großmächte Großbritannien, Russland, Preußen und Österreich, die im Erhalt des labilen Osmanischen Reiches eine bessere Garantie ihrer Interessen sahen als im Zerfall der türkischen Herrschaft, der unkalkulierbare Risiken mit sich gebracht hätte, schlossen am 15. Juli 1840 in London den Viermächtevertrag zur Befriedung der Levante und nötigten Frankreich, die Unterstützung Ägyptens aufzugeben. Gleichzeitig erhielt das Osmanische Reich britische Militärhilfe gegen Ägypten. So war Mohammed Ali Pascha 1841 gezwungen, Syrien und Palästina wieder zu räumen und seine Herrschaft auf Ägypten zu beschränken, das unter osmanischer Oberhoheit blieb. Ihm wurde aber das Recht zugestanden, die Herrschaft an seine Nachkommen weiterzugeben.
Rheinkrise
Orientkrise und Rheinkrise in Frankreich
Angesichts dieser Neuauflage der Siegerkoalition von 1814 schlug die außenpolitische Krise in eine nationale französische Stimmungskrise um. Die Wirkung auf die französische Öffentlichkeit war ungeheuer. Man fühlte sich übergangen und gedemütigt. Von einem „diplomatischen Waterloo“ war die Rede. Um die Empörung der Bevölkerung nicht zu einer Bedrohung der Monarchie anwachsen zu lassen, lenkte das Kabinett Adolphe Thiers die öffentliche Aufmerksamkeit vom diplomatischen Feld weg auf das militärische und territorialpolitische. Teile der Öffentlichkeit forderten Krieg gegen die Verträge von 1815, gegen Großbritannien, vor allem aber gegen die deutschen Staaten: An die Stelle der entschwindenden Ziele der orientalischen Frage trat als neues Ziel der Rhein. Man befestigte Paris, drohte dem Deutschen Bund offiziell und in der Presse monatelang mit Krieg und rüstete militärisch und geistig auf. Französische Geistesgrößen wie etwa Edgar Quinet und Victor Hugo schlossen sich der Forderung nach der Rheingrenze an.
Deutsche Reaktionen auf die Rheinkrise
Auf deutscher Seite antwortete man in gleicher national-patriotischer Erregung. Es kam zu einem regelrechten Dichterkrieg zwischen Franzosen und Deutschen. Literaturgeschichtlich entstand damals die „Rheinliedbewegung“ mit einer Fülle national begeisterter politischer Gelegenheitslyrik. Nikolaus Becker schrieb sein mehr als siebzig Mal vertontes Gedicht „Sie sollen ihn nicht haben, den freien deutschen Rhein“ und in dieser Zeit schrieb auch Max Schneckenburger ein Gedicht mit dem Titel „Die Wacht am Rhein“, einen nationalpatriotischen Aufruf zur Verteidigung des Rheinlandes gegen die Ansprüche Frankreichs. Auch das „Lied der Deutschen“ , dessen dritte Strophe die deutsche Nationalhymne ist, wurde unter dem Eindruck der französischen Forderungen gedichtet. Heinrich Hoffmann von Fallersleben schrieb es auf einer Helgolandreise am 26. August 1841. Sein Anliegen war der Aufruf der Deutschen zur Einigkeit, wodurch dann die Aggression Frankreichs ohne Zweifel abgeschlagen werden könne. Deutschlands Stärke werde unterschätzt. Dies ist die ursprüngliche Bedeutung des Anfangs:
"Deutschland, Deutschland über alles,
über alles in der Welt,
wenn es stets zum Schutz und Trutze
brüderlich zusammenhält."
Bevor allerdings die Orient- und Rheinkrise zu einem europäischen Krieg eskalieren konnte, wurde die Regierung Thiers abgelöst, deren Prestigepolitik die Krise verursacht hatte. Das neue Kabinett mit Außenminister Guizot war um eine versöhnliche Politik bemüht. Der Dardanellen-Vertrag von London (13. Juli 1841) beendete den Konflikt vorläufig, indem die Meerengen für alle Kriegsschiffe (außer den türkischen) geschlossen wurden, wodurch der bisherige starke russische Einfluss in der Region ebenfalls zurückgedrängt wurde.
Für Deutschland aber hatte die Rheinkrise eine wesentliche Bedeutung, die von Heinrich Heine so beschrieben wird, dass „damals Thiers unser Vaterland in die große Bewegung hineintrommelte, welche das politische Leben in Deutschland weckte; Thiers brachte uns wieder als Volk auf die Beine.“
Weitere folgenreiche Konsequenzen der Rheinkrise: Der Deutsche Bund in Frankfurt (Main) forcierte den Ausbau der Bundesfestungen Mainz, Ulm und Rastatt beträchtlich, das Königreich Bayern den Bau der Festung Germersheim.
Literatur
- Gruner, Wolf D.: Der Deutsche Bund, die deutschen Verfassungsstaaten und die Rheinkrise von 1840. Überlegungen zur deutschen Dimension einer europäischen Krise. In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte Nr. 53 (1990), S. 51-78.
- Püschner, Manfred: Die Rheinkrise von 1840/41 und die antifeudale Oppositionsbewegung. In: Schriften des Zentralinstituts für Geschichte Nr. 50 (1977), S. 102 - 133.
- Müller, Frank Lorenz: Der Traum von der Weltmacht. Imperialistische Ziele in der deutschen Nationalbewegung von der Rheinkrise bis zum Ende der Paulskirche’, Jahrbuch der Hambach Gesellschaft 6 (1996/97), 99-183.