Scaphismus

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Als Scaphismus wird eine seit der Antike überlieferte Form der Hinrichtung bezeichnet, bei der das Opfer mit Ausnahme von Kopf, Händen und Füßen in einen Behälter eingeschlossen wird und ähnlich der Kreuzigung durch körperliche Auszehrung stirbt. Die Bezeichnung leitet sich vom griechischen Wort σκάφη (skaphe, pl. skaphai) her, das so viel wie „Wanne“, „Becken“, „Mulde“ oder „Trog“ heißt und auch die Bezeichnung eines kleinen Landungsboots war.

Historische Quellen

Plutarch berichtet in seiner Biographie zum Leben des persischen Königs Artaxerxes II. (4./5. Jh. v. Chr.), dass diese Todesstrafe über einen Perser namens Mithradates verhängt wurde, der von sich behauptet hatte, Kyros, den Bruder des Königs, getötet zu haben. Die Hinrichtung wird von Plutarch folgendermaßen beschrieben:

„Man nimmt zwei skaphai, die exakt aufeinander passen, und legt in der einen den zu bestrafenden Verbrecher auf den Rücken. Dann deckt man sie mit der anderen ab, wobei Kopf, Hände und Füße noch hinausschauen, der übrige Körper aber fest eingeschlossen ist. Man bietet dem Delinquenten Speisen an, und sollte er sich weigern zu essen, zwingt man ihn dazu, indem man ihm in die Augen sticht. Nach dem Essen wird er mit einer Mischung aus Milch und Honig überzogen, die nicht nur in seinen Mund, sondern auf das ganze Gesicht gegossen wird. Anschließend dreht man sein Gesicht ständig zur Sonne hin, das bald vollständig bedeckt wird von einer Unmenge an Fliegen, die sich dort niederlassen. Innerhalb der skaphai verrichtet er seine Notdurft, wie das alle tun müssen, die gegessen und getrunken haben. Ungeziefer und Würmer entstehen aus den verfaulenden Exkrementen, kriechen in seine Körperöffnungen, und so wird sein Körper von innen her aufgefressen. Sobald der Mann offensichtlich tot ist, wird die obere skaphe abgenommen, und man sieht das zersetzte Fleisch; Schwärme dieser ekelhaften Kreaturen tun sich daran gütlich und zwar allmählich bis in die Eingeweide hinein. Auf diese Weise verstarb Mithradates, nachdem er siebzehn Tage gelitten hatte.“

Plutarch stützte seine Texte auf frühere Autoren wie Xenophon, Dinon oder Ktesias ab, die im 4. Jahrhundert v. Chr. Persien beschrieben und dort gelebt hatten. Ob es den Scaphismus in Persien, wo auch die Kreuzigung als leidensverlängernde Todesstrafe bekannt war, wirklich gegeben hat, ist allerdings nicht sicher. Griechische Schriftsteller tendierten zu Behauptungen, die ihre Sichtweise der persischen Dynastien als grausamen und dekadenten Herrscherhäusern unterlegten. Die Darstellung der biologischen Vorgänge scheint zudem eher der antiken Theorie der Urzeugung als tatsächlichen Gegebenheiten zu folgen.[1] Das Ungeheuerliche, das sich mit dieser Hinrichtung verband, wird in dem antiken Roman Λούκιος ἢ Ὂνος (Lukios e Onos – Lukios oder Esel) des Pseudo-Lukian (der Vorlage zum Goldenen Esel des Apuleius) ins Groteske übersteigert, wo dem zum Esel verwandelten Protagonisten von Räubern angedroht wird, dass sie ihm den Bauch aufschlitzen und darin ein Mädchen bis zum Kopf einnähen, damit es von den Geiern und Würmern aufgefressen werde.[2]

Der Scaphismus – offensichtlich ein morbides Faszinosum und Träger für kulturelle Abgrenzungen – tauchte in den folgenden Jahrhunderten bei den verschiedensten Autoren immer wieder auf. Der Spätplatoniker Eunapios von Sardes rezipierte Plutarchs Bericht in seiner Schrift de vitis philosophorum zu Anfang des 5. Jh., der byzantinische Weltchronist Johannes Zonaras im 12. Jh. Weitere Fundstellen sind in lexikalischen Werken des 17. Jh., im Traité des instruments de martyre et des divers modes de supplice employés par les paiens contre les chrétiens; tortures et tourments des martyrs chrétiens des Antonio Gallonio von 1605 und im Lexicon Universale des Johann Jacob Hofmann von 1698. In diesen Schriften, die unter dem Eindruck der intensivierten Inquisition während der frühen Neuzeit entstanden sind, werden auch Vergleiche mit frühchristlichen Martyrien und Folterstrafen gezogen, wie im Fall des hl. Markus, Bischof von Arethusa in Syrien, den, gefesselt an einen Baum und mit Honig und einem Fischsud übergossen, Wespen und Mosquitos zu Tode stechen sollten. Der Antiquar Coelius Rhodiginus (1469–1525) erwähnte in den Lectiones antiquae eine ähnliche antike Strafe namens Cyphonismus, bei welcher der Verurteilte an einen Schandpfahl, das cyphon, gebunden, mit Honig eingeschmiert und den Insekten ausgesetzt wurde.[3]

Anmerkungen

  1. Gemäß Plutarch höhlen (σκάφφειν – skaphein) die Würmer das Opfer am Ende buchstäblich aus; die Wahl der Bezeichnung skaphe für die Exekutionsgerätschaft bzw. scaphismus für die Hinrichtung dürfte dadurch mitveranlasst gewesen sein. Möglicherweise könnte auch das Wort sarkophagus (eigentlich „Fleischverzehrer“) inhaltlich und lautlich angeklungen haben.
  2. Pseudo-Lukian: Lukios oder Esel, Kap. 25: „Endlich sagte einer: ‚Kameraden, ich weiß, ihr werdet meine Erfindung loben! Der Esel hat den Tod nicht weniger verdient, da er ein träger Taugenichts ist, sich nun noch obendrein lahm stellt und dem Mädchen zur Flucht behilflich und dienstlich gewesen ist. Wir wollen ihn also morgen schlachten, ausweiden und dieses wackere Fräulein in seinen Bauch hineinstecken, so daß sie bloß, um nicht bald zu ersticken, mit dem Kopfe hervorgucken, mit dem übrigen Leibe aber ganz in ihm begraben sein soll. Dann wollen wollen wir sie in den Esel tüchtig einnähen und beide den Geiern vorwerfen, die von diesem neuen Gericht einen trefflichen Schmaus halten werden. Nun bedenkt einmal, Brüder, was für eine höllische Qual das sein muß! Fürs erste, lebendig in einem toten Esel zu wohnen; dann in der heißesten Jahreszeit in dem gärenden Aase gekocht zu werden, überdies am langsam tötenden Hungertod zu sterben und kein Mittel zu haben, sich selbst das Leben zu nehmen. Ich übergehe die Marter, die sie zu alledem noch von dem Gestanke des faulenden Esels und von den Würmern, wovon er wimmeln wird, zu erleiden haben, und daß sie endlich von den Geiern, die sich an ihm weiden werden, mit ihm, vielleicht noch lebendig, aufgefressen werden wird.‘“ (Zitat nach: Apuleius: Der goldene Esel. Artemis Verlag, Zürich und München, 1989, S. 529 ISBN 3760815081)
  3. Im Handlexikon Webster von 1913 wurde diese Strafe – im Unterton des von antiken Schriftstellern entwickelten Zivilisationsunterschiedes zwischen Griechen und Persern – als „bei einigen orientalischen Völkern immer noch in Gebrauch“ (“It is still in use among some Oriental nations”) erklärt.