Schöffenbarfrei

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Schöffenbarfrei (scepenbar vri) war im hohen Mittelalter eine Standesbezeichnung ähnlich wie semperfrei. Was damit gemeint ist, konnte nie restlos geklärt werden. Der Begriff spielt eine wichtige Rolle im Sachsenspiegel und taucht recht häufig in Urkunden des 12. und 13. Jahrhunderts in Nord- und Westdeutschland auf.

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die schöffenbarfreien Leute besetzten, wie ihr Name andeutet, die Schöffenbank im Gericht der Grafschaft (Die Schöffen sollen des Grafen Gericht alle achtzehn Wochen bei Königsbann suchen, Ssp. Ldr. I/2), sodass die gesamte Rechtsprechung in den wichtigeren Fällen in der Hand dieses Standes lag. Die Schöffenstühle wurden innerhalb bestimmter Familien vererbt (z. B. Ssp. Ldr. III/26,2), aber im Grunde nahm jeder schöffenbarfreie Mann an der Rechtsprechung des königlichen Gerichts teil, unabhängig davon, ob er einen Schöffenstuhl besaß oder nicht: Wer aber nicht zu den Bänken geboren ist, der soll den Stuhl erbitten mit Urteil, um ein anderes Urteil zu finden. So soll ihm jener den Stuhl räumen, der das erste Urteil fand (Ssp. Ldr. II/12,13).

Aus dem Sachsenspiegel geht hervor, dass Schöffenbarfreie über jeden im Reich zu Gericht sitzen durften, aber nur von Ihresgleichen gerichtet werden durften. Bauern oder Bürger hatten also keine gerichtliche Macht über diesen Stand. Selbst Fürsten durften sich nicht anmaßen, über einen Schöffenbarfreien zu richten.

Die schöffenbarfreien Leute spielten im Übrigen die typische Rolle eines sehr auf Ebenbürtigkeit bedachten Adels – sie galten zweifellos als ritterbürtig –, dabei scheinen sie aber oft viel zahlreicher gewesen zu sein und in viel bescheideneren Verhältnissen gelebt zu haben, als man das vom Adel allgemein annimmt. Laut einiger Urkunden wohnten schöffenbarfreie Leute mitunter in größerer Zahl in ein und demselben Dorf oder zumindest in nahen Nachbardörfern. Darin hätten die Schöffenbarfreien allerdings dem niederen polnischen Adel, der Szlachta, geähnelt. Dessen Angehörige formierten teils eigene Adelsdörfer und betrieben Landwirtschaft.

Die schöffenbarfreien Leute stützten offensichtlich das System der (unmittelbaren) Königsherrschaft, das der Entstehung der Territorialfürstentümer ab dem 14. Jahrhundert voranging. Sie huldigten nur dem König. Mit der Entstehung der Länder und der Mediatisierung der Grafschaften gingen offenbar die schöffenbarfreien Leute in der Ministerialität der Landesherren auf. Zahlreiche Urkunden des 13./14. Jahrhunderts belegen die Übernahme der freien Leute ganzer Landstriche in die Ministerialität der aufkommenden Landesherren.

Einige Rechtshistoriker wie Philipp Heck betrachten die Schöffenbarfreien jedoch als (nichtadlige) „Normalbürger“. Sie hätten keine Privilegien genossen, vielmehr seien „Nichtbürger“ unterprivilegiert gewesen. Demnach hätte ihre soziale Stellung derjenigen der Freien in der Antike geähnelt.

Diese Meinung widerspricht jedoch den Erläuterungen z. B. des Eike von Repgow, der selbst schöffenbarfrei war und den Sachsenspiegel verfasste und die Stände dort definierte. So waren Schöffenbarfreie Mitglieder des 5. Heerschildes und konnten Lehen an Mitglieder des 6. Heerschildes vergeben – an Dienstmannen der Ministeriale.

Gut nachvollziehbar ist die Stellung der Schöffenbarfreien in der Gesellschaft im Bereich Köln/Aachen, wo einige Familien (Rey, Zilliken, Borisch) jahrhundertelang die Schöffen stellten und auch Verwalter und Inhaber großer Ländereien und Rittergüter (Irreshain, Vettweiss, Köln, Ederen) waren. Viele der schöffenbaren waren durchaus begütert.

Sie waren häufig als sogenannte Halbwinner oder Halfe (wg. halber Gewinn) auf großen Höfen ansässig und erhielten für ihre Verwaltertätigkeit auf diesen Höfen die Hälfte aller Erträge aus dem Landgut und das Landgut selbst als vererbbares Lehen. Viele Urkunden über diese schöffenbaren Familien finden sich u. a. im Familienarchiv der Familie Rey (15.–19. Jahrhundert) im Bischöflichen Diözesanarchiv in Aachen.

Das hochmittelalterliche Schöffengericht bei Königsbann lebte im späten Mittelalter in den bäuerlichen (manchmal auch städtischen) Femegerichten und Freigerichten fort.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Philipp Heck: Beiträge zur Geschichte der Stände im Mittelalter. Band 2: Der Sachsenspiegel und die Stände der Freien. Mit sprachlichen Beiträgen von Albert Bürk. Niemeyer, Halle 1905.