Senatsreserve

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Die Senatsreserve war eine gesetzlich verordnete Bevorratung des West-Berliner Senats für den Fall einer zweiten Blockade West-Berlins.

Nach der Berlin-Blockade 1948/49 beauftragten die drei Stadtkommandanten West-Berlins den Berliner Senat, Lager für Grundnahrungsmittel, Medikamente, Kohle, Treibstoffe, Rohstoffe für die Industrie und viele andere Dinge des täglichen Bedarfs anzulegen. Beabsichtigt war, dass bei einer eventuellen neuen Blockade Berlins, ein „normales“ Leben in dem Westteil der Stadt für mindestens 180 Tage, also ein halbes Jahr, gesichert wäre und eine Blockade somit nicht mehr sinnvoll wäre.

1953 wurde eine Vergrößerung der Senatsreserve beschlossen, zu diesem Anlass kam Eleanor Lansing Dulles (1895–1996) in die Stadt und wurde Zeugin der Unruhen vom 16./17. Juni 1953.

Jahrzehntelang wurden in der Senatsreserve etwa 4 Millionen Tonnen Güter gelagert. Zeitweise bestanden über 700 meist geheime Lager in West-Berlin und nur sehr wenige Menschen hatten detaillierte Kenntnisse darüber.

Mit dem Fall der Berliner Mauer 1989 und dem Ende des Kalten Krieges wurde die Senatsreserve aufgelöst. 90.000 Tonnen Lebensmittel, Medikamente und andere Güter wurden 1990/1991 der Sowjetunion kostenlos als humanitäre Hilfe überlassen.

Bestände

Der Wert der bevorrateten Güter betrug etwa 2 Milliarden DM, das permanente Auswechseln der Güter gegen frische Produkte, die so genannte „Wälzung“, kostete jährlich mehrere Millionen DM.

Die hohen Kosten der Lagerbestände und des ständigen Austausches wurden durch die Finanzhilfen der Bundesregierung beglichen.

Die Altbestände verkaufte der Senat preisgünstig an die Bevölkerung; in Kochbüchern fanden sich Rezepte, die in der Zutatenliste auf Waren aus Senatsreserven zurückgriffen, beispielsweise hieß Rindfleisch in Dosen „Senatsreserve“.

Bevorratung (Auswahl) für 2 Millionen West-Berliner:

  • 189.000 Tonnen Getreide
  • 44.000 Tonnen Fleisch
  • 19 lebende Rinder
  • 7.130 Tonnen Salz
  • 11.800 Tonnen Bratfett
  • 96 Tonnen Senf
  • 291.000 Paar Schuhe für Kinder/Jugendliche
  • 380 Tonnen Gummisohlen/Absätze für Schuhreparaturen
  • 20,9 Tonnen Leim
  • 18 Millionen Rollen Toilettenpapier
  • 10.000 Nachttöpfe
  • 35 Millionen Kunststoffbecher
  • 4 Millionen Glühbirnen
  • 5.000 Fahrräder
  • 25,8 Millionen Zigarren
  • 1.000 Tonnen Futterhafer für Tiere

Lebensmittelkarten/Bezugsausweise

Abb. 1: Säuglingskarte
der Berliner Senatsreserve
Abb. 2: Paketmarken
der Berliner Senatsreserve

Um im Notfall die Güter geordnet an die Bevölkerung abgeben zu können, wurden bei der Bundesdruckerei Bezugsausweise/Lebensmittelmarken hergestellt:

  • bis 1 Jahr: Säuglingskarte (Abbildung 1), Milchkarte A, Sonderbezugsausweis, Seifenkarte
  • 1–3 Jahre: Kinderkarte, Kartoffelkarte 200, Milchkarte B, Sonderbezugsausweis, Seifenkarte
  • 4–5 Jahre: Kinderkarte, Zulagekarte C, Kartoffelkarte 200, Milchkarte B, Sonderbezugsausweis, Seifenkarte
  • 6–8 Jahre: Kinderkarte, Zulagekarte D, Kartoffelkarte 300, Sonderbezugsausweis, Seifenkarte
  • 9–13 Jahre: Grundkarte, Zulagekarte B, Kartoffelkarte 500, Sonderbezugsausweis, Seifenkarte
  • 14–19 Jahre weiblich: Grundkarte, Zulagekarte B, Kartoffelkarte 500, Sonderbezugsausweis, Seifenkarte
  • 14–19 Jahre männlich: Grundkarte, Zulagekarte A, Kartoffelkarte 500, Sonderbezugsausweis, Seifenkarte
  • ab 20 Jahre: Grundkarte, Kartoffelkarte 500, Sonderbezugsausweis, Seifenkarte
  • Erwachsene und Jugendliche ab 16 Jahre: Raucherkarte
  • Erwachsene und Jugendliche ab 18 Jahre: Bezugsausweis A
  • Kinder, Jugendliche und Erwachsene: Versandberechtigung für Postpakete (12 Paketmarken) (Abbildung 2)

Lager der Senatsreserve (Auswahl)

  • Glaslager in der Alten Jakobstraße 123–128 (Gebäude entworfen von Horst Grützner (*1928,†2006), Fertigstellung 1968, heute Berlinische Galerie)
  • Insel Eiswerder – von Trockenzwiebeln bis Bekleidung
  • ehemaliges Außenlager des KZ Sachsenhausen in Berlin-Lichterfelde in der Wismarer Straße – Baustoffe
  • der Fichtebunker, ein 1940 von Albert Speer umgebauter Gasometer in Kreuzberg (bis 1990)
  • die sogenannten Speerplatte, eine ehemalige große Betonplatte am Friedrich-Olbricht-Damm (1993 entfernt) – ab 1955 Kohlenbevorratungslager
  • eine ursprünglich zum Borsig-Gelände gehörende Halle aus dem Jahr 1937 an der Sterkrader Straße in Berlin-Reinickendorf – Kaffee, Zucker, Getreide (evtl. auch Kohlevorräte)
  • ehemaliger Festsaal (heute: LabSaal) neben dem Alten Dorfkrug in Alt-Lübars – Düngemittellager (Kali)
  • Speichergebäude im Hafen Tempelhof
  • ehemaliger Bunker am Anhalter Bahnhof
  • Speichergebäude im Westhafen
  • Speichergebäude der "Victoria Mühlenwerke", Cuvrystrasse 3-4
  • Steinkohle auf einem brachliegenden Eisenbahngelände an der Staakener Straße in Spandau (Verlegung der Bestände nach Kladow im Sommer 1989)
  • ehemalige Löwenbrauerei (heute: Werkstatt der Kulturen) in der Wissmannstraße in Berlin-Neukölln - u. a. Toilettenpapier
  • Steinkohle auf Brachland am ehemaligen Töpchiner Weg (heute Gerlinger Straße) in Buckow (Berlin-Neukölln)