Sohlengänger
Sohlengänger sind Landwirbeltiere, die bei der Fortbewegung das gesamte Autopodium (anatomische Hand bzw. anatomischer Fuß), von der Handwurzel bis zu den Fingerspitzen bzw. von der Ferse bis zu den Zehen, auf den Boden aufsetzen. Dies wird auch als plantigrade Gangart (von lateinisch planta ‚[hier] Fußsohle‘ und lateinisch gradi ‚gehen‘)[1] oder Plantigradie bezeichnet.
Merkmale und Vertreter
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Sohlengänger verfügen zumeist über fünf funktionale Finger bzw. Zehen. Daneben ist zum einen das Autopodium im Verhältnis zum Zeugopodium (anatomischer Unterarm bzw. Unterschenkel) oft relativ kurz und zum anderen ist das Zeugopodium meist in etwa genauso lang wie das Stylopodium (anatomischer Oberarm bzw. Oberschenkel). Bei Säugetieren ist in der Regel die Haut an der Unterseite (plantaren Fläche) des gesamten anatomischen Fußes bzw. der gesamten anatomischen Hand unbehaart und verhornt („schwielig“).
Zu den Sohlengängern zählen unter anderem Bären (Ursidae), Kleinbären (Procyonidae) und Menschenaffen (Hominidae). Bei den Menschenaffen, einschließlich des Menschen, ist die Plantigradie allerdings auf die Hintergliedmaßen beschränkt: Die Vertreter außerhalb der Gattung Homo gehen auf dem Handrücken (u. a. im Knöchelgang), der Mensch (Homo) ist obligat biped. Auch viele Beuteltiere, darunter Wombats und Kängurus * sind prinzipiell plantigrad.[2]
Sohlengänger können, um optimal zu beschleunigen oder um zum Sprung anzusetzen, auf eine Art Zehengang (siehe unten) „umschalten“. Allerdings erreichen Sohlengänger in vollem Lauf im Schnitt geringere Höchstgeschwindigkeiten als obligate Spitzen- oder Zehengänger.
Abgrenzungen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Von den Sohlengängern werden die Zehengänger (Digitigradie) und die Spitzengänger (Unguligradie) unterschieden. Jedoch existieren Übergangsformen, die unter anderem mit den Bezeichnungen semi-plantigrad („Ferse“ berührt nicht den Boden), semi-digitigrad (Ferse + proximales Metapodium berührt nicht den Boden) und semi-unguligrad (Ferse + Metapodium + proximalste Phalangen berühren nicht den Boden) bezeichnet werden. So werden Primaten in einigen Lehrbüchern allgemein als plantigrad bezeichnet,[3] in spezielleren Abhandlungen werden hingegen nicht-hominide Primaten als semi-plantigrad eingestuft, weil bei ihnen die Fußwurzel („Ferse“) beim Gehen nicht den Boden ** berührt (engl. auch heel-up plantigrady genannt).[4][5]
Entwicklungsgeschichtliche Aspekte
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Der Sohlengang im weiteren Sinn (einschließlich Semi-Plantigradie) ist die ursprüngliche Gangart der Landwirbeltiere. Sie tritt bei vielen Landwirbeltieren mit konservativem Habitus auf, beispielsweise bei Schwanzlurchen und „Echsen“ (Lacertilia). Auch die frühen Archosaurier, von denen sich die noch heute plantigraden Krokodile ableiten, besaßen einen plantigraden bis semi-plantigraden Gang. Spurenfossilien wie Chirotherium belegen dies. In den beiden Hauptentwicklungslinien der Amnioten, Sauropsida und Synapsida, entwickelten sich Digitigradie und Unguligradie oder Semi-Unguligradie mehrfach unabhängig voneinander (konvergent).
Anmerkungen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- *Kängurus stellen hierbei einen Spezialfall dar: Sie bewegen sich nur über sehr kurze Strecken bei sehr niedriger Geschwindigkeit tatsächlich quadruped-plantigrad fort. Die normale Fortbewegungsweise ist bipedes Hüpfen (saltatorische Lokomotion), bei der nur die Zehen den Boden berühren (Digitigradie), wodurch das Fußskelett der Kängurus eher dem eines Zehengängers ähnelt als dem eines typischen Sohlengängers.
- **Viele nicht-hominide Primaten klettern allerdings bevorzugt in Bäumen. Dabei bewegen sie sich auf annähernd waagerechten Ästen fort, indem sie ihr Gewicht auf die Hand- und Fußgelenke und das proximale Ende des Metapodiums legen, während die Hand- und Fußflächen quer zum Rumpf auf dem Ast liegen oder diesen umgreifen. Diese Art der Fortbewegung, die auch von Menschenaffen in entsprechenden Situationen praktiziert wird, heißt Palmigradie.[6]
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Christopher McGowan: The Raptor and the Lamb – Predators and Prey in the Living World, Penguin Books, London 1998, ISBN 0-14-027264-X
- P. David Polly: Limbs in mammalian evolution. S. 245–268 in: Brian K. Hall (Hrsg.): Fins into Limbs: Evolution, Development, and Transformation. University of Chicago Press, Chicago 2007, ISBN 978-0-226-31336-8
- Wilfried Westheide, Reinhard Rieger (Hrsg.): Spezielle Zoologie. Teil 2: Wirbel- oder Schädeltiere. 2. Auflage. Spektrum Akademischer Verlag, Berlin/Heidelberg 2010, ISBN 978-3-8274-2039-8
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Karl Ernst Georges: Ausführliches lateinisch-deutsches Handwörterbuch. 8., verbesserte und vermehrte Auflage. Hahnsche Buchhandlung, Hannover 1918 (HTML-Version des Digitalisats bei zeno.org: planta, gradior – Bei „gradior“, wie im Lateinischen üblich, nicht Angabe des Infinitivs, sondern der Ersten Person Singular Indikativ Präsens Passiv, nicht Aktiv, da Deponens).
- ↑ Vera Weisbecker, Michael Archer: Parallel Evolution of Hand Anatomy in Kangaroos and Vombatiform Marsupials: Functional and Evolutionary Implications. Palaeontology. Bd. 51, Nr. 2, 2008, S. 321–338, doi:10.1111/j.1475-4983.2007.00750.x (Open Access)
- ↑ B. S. Tomar, S. B. Singh: Evolutionary Biology. 8. überarbeitete Auflage. Rastogi Publications, Meerut 2003, ISBN 81-7133-639-6, S. 145
- ↑ C. B. Cunningham, N. Schilling, C. Anders, D. R. Carrier: The influence of foot posture on the cost of transport in humans. The Journal of Experimental Biology. Bd. 213, 2010, S. 790–797, doi:10.1242/jeb.038984 (Open Access)
- ↑ Daniel L. Gebo: Locomotor Function across Primates (Including Humans). S. 530–544 in Clark Spencer Larsen (Hrsg.): A Companion to Biological Anthropology. Wiley-Blackwell, 2010, ISBN 978-1-4051-8900-2, S. 532
- ↑ Kevin D. Hunt, John G. H. Cant, Daniel L. Gebo, Michael D. Rose, Suzanne E. Walker, Dionisios Youlatos: Standardized Descriptions of Primate Locomotor and Postural Modes. Primates. Bd. 37, Nr. 4, 1996, S. 363–387, doi:10.1007/BF02381373 (alternativer Volltextzugriff: Indiana University PDF 3,9 MB)