„Virtuelles Teilchen“ – Versionsunterschied

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[[Datei:Feynmandiagramm.png|thumb|250px|Feynman-Diagramm der [[Coulomb-Streuung]] zweier Elektronen. Die vier geraden Linien symbolisieren die einlaufenden bzw. auslaufenden Elektronen, die diese verbindende Wellenlinie das virtuelle Photon, das die elektromagnetische Wechselwirkung vermittelt.]]
[[Datei:Feynmandiagramm.png|thumb|250px|Feynman-Diagramm der [[Coulomb-Streuung]] zweier Elektronen. Die vier geraden Linien symbolisieren die einlaufenden bzw. auslaufenden Elektronen in reellen Zuständen, die Wellenlinie das virtuelle Photon, das die elektromagnetische Wechselwirkung vermittelt.]]


'''Virtuelle''' oder '''intermediäre Teilchen''' sind ein Konzept aus der [[Quantenfeldtheorie]], das im Kontext von [[Feynman-Diagramm]]en auftritt, die oft zur Illustration von Teilchenwechselwirkungen herangezogen werden. Im Rahmen einer solchen Illustration kann man sich ein virtuelles Teilchen als einen kurzlebigen Zwischenzustand vorstellen, der während einer Wechselwirkung auftritt, sie damit auch beeinflusst, nach außen aber niemals sichtbar ([[Observable|observabel]]) wird. Ihr Nachweis ist indirekt: Mit ihrer Hilfe werden die Werte atomarer Parameter berechnet und im Experiment mit einer Genauigkeit von 1 : 10 Mrd. bestätigt.<ref>{{Literatur|Autor=Lawrence Krauss|Titel=A Universe From Nothing|Ort=London|Verlag=Simon & Schuster|Jahr=2012|ISBN=978-1-4711-1268-3|Kapitel=Chapter 4|Seiten=69}}</ref>
Ein '''virtuelles Teilchen''', '''intermediäres Teilchen''' oder '''Teilchen in einem virtuellen Zustand''' ist ein Konzept aus der [[Quantenfeldtheorie]], wo es zur theoretischen Beschreibung der [[fundamentale Wechselwirkung|fundamentalen Wechselwirkungen]] der [[Elementarteilchen]] benötigt wird. Man kann sich den virtuellen Zustand eines Teilchens als einen kurzlebigen Zwischenzustand vorstellen, der während einer Wechselwirkung zweier Teilchen auftritt, die sich in „normalen“, also '''reellen Zuständen''' befinden. Das virtuelle Teilchen stellt als [[Austauschteilchen]] diese Wechselwirkung eigentlich erst her, ist im virtuellen Zustand nach außen aber niemals sichtbar. So wird z.&nbsp;B. in der [[Quantenelektrodynamik]] die [[elektromagnetische Wechselwirkung]] zweier [[Elektron]]en durch den Austausch eines virtuellen [[Photon]]s vermittelt. Der Nachweis ist indirekt: Die mithilfe dieses Konzepts berechneten Werte werden im Experiment mit einer Genauigkeit von bis zu 1 : 10 Mrd. bestätigt. Prinzipiell kann jedes Teilchen reelle Zustände und virtuelle Zustände annehmen.


Virtuelle Teilchen treten bei jeder der drei Arten von Wechselwirkung auf, die durch die Quantenfeldtheorie beschrieben werden können. Virtuelle Teilchen sind Bestandteile der [[Feynman-Diagramm]]e, die in einer [[Störungstheorie (Quantenfeldtheorie)|quantenfeldtheoretischen Störungsrechnung]] jeweils einen bestimmten [[Term]] wiedergeben. Ein Feynman-Diagramm besteht aus verschiedenen Linien, die sich an Knotenpunkten, den [[Vertex|Vertices]], treffen. Man unterscheidet die ''äußeren'' Linien (solche, die ein freies Ende haben) für ein- bzw. auslaufende Teilchen in einem reellen Zustand, und die ''inneren'' Linien (solche, die zwei Vertices verbinden) für virtuelle Teilchen. Im Kontext der [[Vakuumfluktuation]]en werden auch Feynman-Diagramme ohne äußere Linien betrachtet, in denen also Teilchen aus dem [[Vakuum]] entstehen und wieder zerfallen und so zur [[Vakuumenergie]] beitragen. Hier treten ausschließlich virtuelle Teilchen auf.
== Definition ==

Virtuelle Teilchen treten bei jeder Art von Wechselwirkung zwischen Teilchen auf, zumindest in höherer Ordnung der [[Störungstheorie (Quantenfeldtheorie)|quantenfeldtheoretischen Störungsrechnung]]. Somit sind sie Bestandteile von Feynman-Diagrammen, die jeweils einem bestimmten [[Term]] der quantenfeldtheoretischen Störungsrechnung entsprechen. Ein solches Diagramm besteht aus verschiedenen Linien, die sich an Knotenpunkten, den [[Vertex|Vertices]], treffen. Die ''äußeren'' Linien (solche, die ein freies Ende haben) werden als ein- bzw. auslaufende Teilchen interpretiert, die ''inneren'' Linien (solche ohne freies Ende) als ''virtuelle Teilchen''.

Im Kontext der [[Vakuumfluktuation]]en werden Feynman-Diagramme ohne äußere Linien betrachtet, in denen also Teilchen aus dem [[Vakuum]] entstehen und wieder zerfallen und so zur [[Vakuumenergie]] beitragen. Hier treten ausschließlich virtuelle Teilchen auf.


== Eigenschaften ==
== Eigenschaften ==
Der wesentliche Unterschied zwischen den (real beobachtbaren) reellen Teilchen und den unbeobachtbaren virtuellen Teilchen ist, dass Energie <math>E</math> und Impuls <math>p</math> im virtuellen Zustand nicht die [[Energie-Impuls-Beziehung]] <math>E^2-p^2 c^2 = m^2 c^4</math> erfüllen, wenn <math>m</math> die wohlbestimmte Masse desselben Teilchens in reellem Zustand ist. Man kann daher sagen, dass virtuelle Teilchen keine definierte Masse besitzen, im Fachjargon: „sie sind nicht auf die [[Massenschale]] limitiert“ (oder sie sind nicht „on-shell“). Beispielsweise überträgt das virtuelle Photon bei der elastischen Streuung zweier Elektronen, im Schwerpunktsystem betrachtet, nur Impuls, aber keine Energie.


Diese Eigenschaft kann helfen, sich das Verhalten eines virtuellen Teilchens zu veranschaulichen: Sollte es mit gleichen Werten <math>E</math> und <math>p</math> in reellem Zustand entstehen, müsste der Energieerhaltungssatz verletzt werden. Nach der [[Energie-Zeit-Unschärferelation]] darf man sich dies für genügend kurze Zeiten vorstellen. Die Strecke, die das Teilchen in dieser Zeit mit Lichtgeschwindigkeit zurücklegen könnte, begrenzt den denkbaren Radius irgendwelcher Wirkungen. Bei niederenergetischen Vorgängen ist die Reichweite gerade die [[Compton-Wellenlänge]] des betreffenden Teilchens. So wird die endliche Reichweite der [[Kernkräfte]] oder der [[Schwache Wechselwirkung|Schwachen Wechselwirkung]] in etwa verständlich. Demnach ist z.&nbsp;B. der radioaktive [[Beta-Zerfall]] deshalb möglich, weil das betreffende Austauschteilchen (das [[W-Boson]]) als virtuelles Teilchen auch ohne Energiezufuhr entstehen kann. Aufgrund seiner großen Masse kann es sich aber nur im Bereich eines tausendstel Protonenradius auswirken, was die vergleichsweise geringe Übergangswahrscheinlichkeit erklärt und damit der Wechselwirkung das Beiwort „schwach“ eingetragen hat. In derselben Weise ist es auch möglich, dass Hinweise auf die Existenz sehr schwerer Teilchen bereits beobachtet werden, bevor die in [[Teilchenbeschleuniger]]n erreichte Kollisionsenergie ausreicht, sie auch in reellem Zustand zu produzieren.
Prinzipiell kann jedes Teilchen auch als virtuelles Teilchen in einem Feynmandiagramm auftreten, typische Beispiele sind [[Eichboson]]en als Vermittler von Wechselwirkungen, sogenannte ''Austauschteilchen''. So wird z.&nbsp;B. in der [[Quantenelektrodynamik]] die [[elektromagnetische Wechselwirkung]] zweier [[Elektron]]en durch den Austausch eines virtuellen [[Photon]]s vermittelt.

Ein wesentlicher Unterschied zu den (real beobachtbaren) ein- oder auslaufenden Teilchen ist, dass virtuelle Teilchen keine definierte Masse besitzen, im Fachjargon: sie sind nicht auf die [[Massenschale]] limitiert (sie sind nicht „on-shell“), die Relation <math>E^2-p^2 c^2 = m^2 c^4</math> muss nicht erfüllt sein. Diese Tatsache steht im Zusammenhang mit der kurzen [[Lebensdauer (Physik)|Lebensdauer]] virtueller Teilchen und der daraus resultierenden [[Energie-Zeit-Unschärferelation|Unschärfe]] der Energie. Daher können z.&nbsp;B. [[W-Boson]]en als virtuelle Teilchen auch in Prozessen niedriger Energie auftreten, wie etwa beim radioaktiven [[Beta-Zerfall]], obwohl sie aufgrund ihrer großen Masse als reale Teilchen erst bei viel höherer Energie produziert werden können. In derselben Weise ist es auch möglich, dass Hinweise auf die Existenz sehr schwerer Teilchen bereits beobachtet werden, bevor die [[Teilchenbeschleuniger|Beschleunigertechnologie]] ausreicht, sie auch zu produzieren.


== Zitate ==
== Zitate ==
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== Einzelnachweise ==
== Einzelnachweise ==
<references />
<references />

== Literatur ==
*{{Literatur | Autor= B. Povh, K. Rith, Chr. Scholz, F. Zetsche| Titel= Teilchen und Kerne: eine Einführung in die physikalischen Konzepte| Auflage=8. | Verlag= Springer| Ort=Berlin | Jahr=2009 | ISBN= 9783540680758| Seiten |Online= [http://books.google.de/books?id=aSWr16XxDc8C&pg=PA57&dq=povh+zetsche&hl=de&sa=X&ei=vbEgUpjBJcjF7Aa4_4HgCQ&ved=0CDQQ6AEwAA#v=snippet&q=virtuelle&f=false]}}
*{{Literatur | Autor=H. Frauenfelder, E.M. Henley | Titel= Teilchen und Kerne| Auflage= 4.| Verlag=Oldenbourg | Ort= München| Jahr= 1999 | ISBN= 3-486-24417-5| Seiten=98ff, 318}}
*{{Literatur | Autor=W. Demtröder | Titel= Experimentalphysik 4| Auflage= 1.| Verlag=Springer | Ort= Berlin | Jahr= 1998| ISBN= 3-540-57-97-7| Seiten=109ff}}
*{{Literatur | Autor=J. Bleck-Neuhaus | Titel= Elementare Teilchen| Auflage= 2.| Verlag=Springer | Ort= Berlin| Jahr= 2013| ISBN=987-3-624-32578-6 | Seiten=482ff | DOI=10.1007/978-3-642-32579-3 |Online=[http://books.google.de/books?id=BYBnm9c69eYC&printsec=frontcover&dq=bleck-neuhaus&hl=de&sa=X&ei=3lIfUvGTA4rbtAa9kIFQ&sqi=2&ved=0CD0Q6AEwAA#v=snippet&q=virtueller&f=false]}}


[[Kategorie:Quantenfeldtheorie]]
[[Kategorie:Quantenfeldtheorie]]

Version vom 30. August 2013, 17:05 Uhr

Feynman-Diagramm der Coulomb-Streuung zweier Elektronen. Die vier geraden Linien symbolisieren die einlaufenden bzw. auslaufenden Elektronen in reellen Zuständen, die Wellenlinie das virtuelle Photon, das die elektromagnetische Wechselwirkung vermittelt.

Ein virtuelles Teilchen, intermediäres Teilchen oder Teilchen in einem virtuellen Zustand ist ein Konzept aus der Quantenfeldtheorie, wo es zur theoretischen Beschreibung der fundamentalen Wechselwirkungen der Elementarteilchen benötigt wird. Man kann sich den virtuellen Zustand eines Teilchens als einen kurzlebigen Zwischenzustand vorstellen, der während einer Wechselwirkung zweier Teilchen auftritt, die sich in „normalen“, also reellen Zuständen befinden. Das virtuelle Teilchen stellt als Austauschteilchen diese Wechselwirkung eigentlich erst her, ist im virtuellen Zustand nach außen aber niemals sichtbar. So wird z. B. in der Quantenelektrodynamik die elektromagnetische Wechselwirkung zweier Elektronen durch den Austausch eines virtuellen Photons vermittelt. Der Nachweis ist indirekt: Die mithilfe dieses Konzepts berechneten Werte werden im Experiment mit einer Genauigkeit von bis zu 1 : 10 Mrd. bestätigt. Prinzipiell kann jedes Teilchen reelle Zustände und virtuelle Zustände annehmen.

Virtuelle Teilchen treten bei jeder der drei Arten von Wechselwirkung auf, die durch die Quantenfeldtheorie beschrieben werden können. Virtuelle Teilchen sind Bestandteile der Feynman-Diagramme, die in einer quantenfeldtheoretischen Störungsrechnung jeweils einen bestimmten Term wiedergeben. Ein Feynman-Diagramm besteht aus verschiedenen Linien, die sich an Knotenpunkten, den Vertices, treffen. Man unterscheidet die äußeren Linien (solche, die ein freies Ende haben) für ein- bzw. auslaufende Teilchen in einem reellen Zustand, und die inneren Linien (solche, die zwei Vertices verbinden) für virtuelle Teilchen. Im Kontext der Vakuumfluktuationen werden auch Feynman-Diagramme ohne äußere Linien betrachtet, in denen also Teilchen aus dem Vakuum entstehen und wieder zerfallen und so zur Vakuumenergie beitragen. Hier treten ausschließlich virtuelle Teilchen auf.

Eigenschaften

Der wesentliche Unterschied zwischen den (real beobachtbaren) reellen Teilchen und den unbeobachtbaren virtuellen Teilchen ist, dass Energie und Impuls im virtuellen Zustand nicht die Energie-Impuls-Beziehung erfüllen, wenn die wohlbestimmte Masse desselben Teilchens in reellem Zustand ist. Man kann daher sagen, dass virtuelle Teilchen keine definierte Masse besitzen, im Fachjargon: „sie sind nicht auf die Massenschale limitiert“ (oder sie sind nicht „on-shell“). Beispielsweise überträgt das virtuelle Photon bei der elastischen Streuung zweier Elektronen, im Schwerpunktsystem betrachtet, nur Impuls, aber keine Energie.

Diese Eigenschaft kann helfen, sich das Verhalten eines virtuellen Teilchens zu veranschaulichen: Sollte es mit gleichen Werten und in reellem Zustand entstehen, müsste der Energieerhaltungssatz verletzt werden. Nach der Energie-Zeit-Unschärferelation darf man sich dies für genügend kurze Zeiten vorstellen. Die Strecke, die das Teilchen in dieser Zeit mit Lichtgeschwindigkeit zurücklegen könnte, begrenzt den denkbaren Radius irgendwelcher Wirkungen. Bei niederenergetischen Vorgängen ist die Reichweite gerade die Compton-Wellenlänge des betreffenden Teilchens. So wird die endliche Reichweite der Kernkräfte oder der Schwachen Wechselwirkung in etwa verständlich. Demnach ist z. B. der radioaktive Beta-Zerfall deshalb möglich, weil das betreffende Austauschteilchen (das W-Boson) als virtuelles Teilchen auch ohne Energiezufuhr entstehen kann. Aufgrund seiner großen Masse kann es sich aber nur im Bereich eines tausendstel Protonenradius auswirken, was die vergleichsweise geringe Übergangswahrscheinlichkeit erklärt und damit der Wechselwirkung das Beiwort „schwach“ eingetragen hat. In derselben Weise ist es auch möglich, dass Hinweise auf die Existenz sehr schwerer Teilchen bereits beobachtet werden, bevor die in Teilchenbeschleunigern erreichte Kollisionsenergie ausreicht, sie auch in reellem Zustand zu produzieren.

Zitate

„Virtuelle Teilchen sind spontane Fluktuationen eines Quantenfeldes. Reale Teilchen sind Anregungen eines Quantenfeldes mit einer für Beobachtung brauchbaren Beständigkeit. Virtuelle Teilchen sind Transienten, die in unseren Gleichungen erscheinen, nicht aber in Messgeräten. Durch Energiezufuhr können spontane Fluktuationen über einen Schwellwert verstärkt werden, was bewirkt, dass (eigentlich sonst) virtuelle Teilchen zu realen Teilchen werden.“

Frank Wilczek: The lightness of being: mass, ether, and the unification of forces[1]

Einzelnachweise

  1. Frank Wilczek: The lightness of being: mass, ether, and the unification of forces. Basic books, New York 2008, ISBN 978-0-465-00321-1, Glossary, S. 241.

Literatur

  • B. Povh, K. Rith, Chr. Scholz, F. Zetsche: Teilchen und Kerne: eine Einführung in die physikalischen Konzepte. 8. Auflage. Springer, Berlin 2009, ISBN 978-3-540-68075-8 ([1]).
  • H. Frauenfelder, E.M. Henley: Teilchen und Kerne. 4. Auflage. Oldenbourg, München 1999, ISBN 3-486-24417-5, S. 98 ff., 318.
  • W. Demtröder: Experimentalphysik 4. 1. Auflage. Springer, Berlin 1998, ISBN 3-540-57-97-7(?!), S. 109 ff.
  • J. Bleck-Neuhaus: Elementare Teilchen. 2. Auflage. Springer, Berlin 2013, ISBN 987-3-624-32578-6(?!), S. 482 ff., doi:10.1007/978-3-642-32579-3 ([2]).