„Multitasking (Psychologie)“ – Versionsunterschied

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Unter '''Multitasking''' (seltener '''menschliches Multitasking''') versteht man die Fähigkeit eines Menschen, mehrere Tätigkeiten zur gleichen Zeit oder abwechselnd in kurzen Zeitabschnitten durchzuführen, so z. B. eine E-Mail zu verfassen und gleichzeitig einem Bericht zuzuhören.
Unter '''Multitasking''' oder '''Mehrfachaufgabenperformanz''' (seltener '''menschliches Multitasking''') versteht man die die Ausführung zweier oder mehrerer Aufgaben zur selben Zeit oder abwechselnd in kurzen Zeitabschnitten. Die Aufgaben sind voneinander unabhängig, das Ziel einer Aufgabe ist also nicht von den Resultaten der anderen Aufgabe abhängig. So wird beispielsweise eine E-Mail verfasst und gleichzeitig einem Bericht zugehört.


Diese Bedeutung des Begriffs ist höchstwahrscheinlich von der technischen Bedeutung (siehe [[Multitasking]]) abgeleitet.<ref>Microsoft hat bei [[Windows 95]] (präemptives) Multitasking als technische Neuerung beworben. Eine große Werbekampagne und die damals hohe Verbreitung des Betriebssystems haben maßgeblich dazu beigetragen, dass der Begriff bei der breiten Masse Kenntnis erlangte.</ref> In den letzten Jahren hat sich der Begriff Multitasking sowohl im angelsächsischen als auch deutschen Sprachraum verstärkt als (zunächst vermutlich eher umgangssprachliche) Beschreibung der menschlichen Fähigkeit durchgesetzt.
Die Bedeutung des Begriffs ist höchstwahrscheinlich von der technischen Bedeutung (siehe [[Multitasking]]) abgeleitet.<ref>Microsoft hat bei [[Windows 95]] (präemptives) Multitasking als technische Neuerung beworben. Eine große Werbekampagne und die damals hohe Verbreitung des Betriebssystems haben maßgeblich dazu beigetragen, dass der Begriff bei der breiten Masse Kenntnis erlangte.</ref> In den letzten Jahren hat sich der Begriff Multitasking sowohl im angelsächsischen als auch deutschen Sprachraum verstärkt als (zunächst vermutlich eher umgangssprachliche) Beschreibung der menschlichen Fähigkeit durchgesetzt. , während der Begriff Mehrfachaufgabenperformanz als deutsche Umschreibung hierfür gilt und vor allem in Fachliteratur verwendet wird. Im Englischen bezeichnet man Aufgabenkombinationen sonst auch unter den Begriffen dual/multiple task performance.


Der Begriff ist wissenschaftlich noch nicht exakt definiert; Lee und Taatgen<ref>Lee, F.J. & Taatgen, N.A., Multi-tasking as Skill Acquisition. ''Proceedings of the twenty-fourth annual conference of the cognitive science society'', 2002, Mahwah, NJ: Erlbaum. Fairfax, VA, pp. 572-577, ([http://act-r.psy.cmu.edu/papers/372/fjl_nat_2002_a.pdf PDF; 109&nbsp;KB])</ref> beschreiben es als die „Fähigkeit, die Anforderungen mehrerer Aufgaben gleichzeitig zu bewältigen“. Salvucci<ref>Salvucci, D. D., ''A multitasking general executive for compound continuous tasks. Cognitive Science'', 2005, S. 457–492, ([http://viscog.cs.drexel.edu/publications/CS05.pdf PDF; 1,1&nbsp;MB])</ref> beschreibt als Multitasking, „wie Personen mehrere (Unter-)Aufgaben in den Kontext einer größeren, komplexen Aufgabe integrieren und durchführen“.
Der Begriff ist wissenschaftlich noch nicht exakt definiert; Lee und Taatgen<ref>Lee, F.J. & Taatgen, N.A., Multi-tasking as Skill Acquisition. ''Proceedings of the twenty-fourth annual conference of the cognitive science society'', 2002, Mahwah, NJ: Erlbaum. Fairfax, VA, pp. 572-577, ([http://act-r.psy.cmu.edu/papers/372/fjl_nat_2002_a.pdf PDF; 109&nbsp;KB])</ref> beschreiben es als die „Fähigkeit, die Anforderungen mehrerer Aufgaben gleichzeitig zu bewältigen“. Salvucci<ref>Salvucci, D. D., ''A multitasking general executive for compound continuous tasks. Cognitive Science'', 2005, S. 457–492, ([http://viscog.cs.drexel.edu/publications/CS05.pdf PDF; 1,1&nbsp;MB])</ref> beschreibt als Multitasking, „wie Personen mehrere (Unter-)Aufgaben in den Kontext einer größeren, komplexen Aufgabe integrieren und durchführen“.
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== Grenzen und Gefahren ==
== Grenzen und Gefahren ==


Da die Aufmerksamkeit auf verschiedene Prozesse aufgeteilt werden muss, stellt dies hohe Anforderungen an die Aufmerksamkeit. Wissenschaftliche Untersuchungen belegen, dass die Effizienz beim Bearbeiten verschiedener Aufgaben abwechselnd in kurzen Zeitabschnitten im Vergleich zur seriellen Bearbeitung sinkt und somit mit Fehlern<ref>{{Literatur|Autor=van der Linden, D., Keijsers, G. P. J., Eling, P., & van Schaijk, R.|Titel=Work stress and attentional difficulties: an initial study on burnout and cognitive failures|Hrsg=|Sammelwerk=Work & Stress|Band=|Nummer=19|Auflage=|Verlag=|Ort=|Datum=|Seiten=23-36|ISBN=}}</ref>, einem erhöhten Unfallrisiko<ref>{{Literatur|Autor=D. L. Strayer, D. L., F. A. Drews|Titel=Cell-phone-induced driver distraction|Sammelwerk=Psychological Science|Band=|Auflage=16|Verlag=|Ort=|Datum=2007|Seiten=128-131|ISBN=}}</ref> und einer Minderung der Leistung<ref>{{Literatur|Autor=Koch, W. Prinz|Titel=II. Process interference and code overlap in dual-task performance.|Hrsg=III. Journal of Experimental Psychology: Human Perception and Performance|Sammelwerk=|Band=|Nummer=28|Auflage=|Verlag=|Ort=|Datum=2002|Seiten=192-201|ISBN=}}</ref> in Verbindung gebracht werden kann.
Wissenschaftliche Untersuchungen belegen, dass die Effizienz beim Bearbeiten verschiedener Aufgaben abwechselnd in kurzen Zeitabschnitten im Vergleich zur seriellen Bearbeitung sinkt. Besonders deutlich werden die Grenzen der gleichzeitigen Informationsverarbeitung angesichts der [[Reizüberflutung]] unserer Umwelt. Das Gehirn filtert Informationen automatisch auf eine vom Menschen wahrnehmbare Menge. So kann bei einem Telefongespräch im Auto der Sehsinn auf den sogenannten „[[Tunnelblick]]“ reduziert werden, diese Einschränkung kann sogar nach dem Telefonieren noch für einige Minuten bestehen bleiben.<ref>BR-Dokumentation ''Die Welt der Sinne'' (Folge ''Der Sehsinn'', Bayerischer Rundfunk, 2004, 44 Min.)</ref> Die Reaktionsfähigkeit ist bei gleichzeitigen Tätigkeiten verringert, verstärkter [[Stress]] kann ebenfalls die Folge sein.


So zeigte eine Laborstudie, in denen Personen in einem Fahrsimulator die Bremse betätigen sollten, dass die parallele Kommunikation über ein Handy die Leistungsfähigkeit beeinflusste. Die Probanden übersahen in der Einzelaufgabe (Bremsen bei roter Ampel) lediglich 3% der roten Ampeln, während sie bei der Doppelaufgabe (Telefongespräch, Bremsen bei roter Ampel) bereits 7% der roten Ampeln übersahen und sich die Reaktionsgeschwindigkeit zum Betätigen des Bremspedals um 50ms verringerte.<ref>{{Literatur|Autor=D.L. Strayer, W.A. Johnston|Titel=Driven to distraction: dual-task studies of simulated driving and conversing on a cellular telephone|Hrsg=Psychological Science|Sammelwerk=|Band=|Nummer=12|Auflage=|Verlag=|Ort=|Datum=2001|Seiten=462-466|ISBN=}}</ref>

Dies zeigt also die Grenzen der gleichzeitigen Informationsverarbeitung angesichts der [[Reizüberflutung]] unserer Umwelt. Das Gehirn filtert Informationen automatisch auf eine vom Menschen wahrnehmbare Menge. So kann bei einem Telefongespräch im Auto der Sehsinn auf den sogenannten „[[Tunnelblick]]“ reduziert werden, diese Einschränkung kann sogar nach dem Telefonieren noch für einige Minuten bestehen bleiben.<ref>BR-Dokumentation ''Die Welt der Sinne'' (Folge ''Der Sehsinn'', Bayerischer Rundfunk, 2004, 44 Min.)</ref> Neben der verringerten Reaktionsfähigkeit kann auch [[Stress]] eine Folge sein.

=== Determinanten ===
Die Leistung bei der Mehrfachaufgabenperformanz wird von '''drei Determinanten''' bestimmt: '''Aufgabenähnlichkeit, Übung und Aufgabenschwierigkeit.'''

==== Aufgabenähnlichkeit ====
Wenn zwei oder mehr Aufgaben sich in ihren Stimuli stark ähneln (z.B. beide Darbietungen auditiv sind), sie dieselben Verarbeitungsstadien beanspruchen (z.B. beides frühe Prozesse) oder auf gleiche Gedächtniskodes zugreifen (z.B. beides verbal) ist die Wahrscheinlichkeit einer Interferenz in der Bearbeitung deutlich höher.<ref>{{Literatur|Autor=Joseph Krummenacher, Hermann J. Müller|Titel=Aufmerksamkeit und Performanz|Hrsg=Jochen Müsseler, Martina Rieger|Sammelwerk=Allgemeine Psychologie|Band=|Nummer=|Auflage=3|Verlag=Springer|Ort=Berlin/Heidelberg|Datum=|Seiten=133|ISBN=978-3-642-53898-8}}</ref>

In einem Versuch wurde Probanden eine auditive Nachricht vorgespielt, die sie beschatten sollten. Gleichzeitig wurden ihnen weitere Begriffe entweder auditiv in Form  von Wörtern oder visuell in Form von gezeigten Bildern präsentiert. Beim Abrufen im Anschluss zeigte sich, dass die Leistung bei einer visuellen Bildpräsentation bei 90% lag, bei der auditiven Wortpräsentation die Leistung hingegen sehr gering war.<ref>{{Literatur|Autor=D. A. Allport, B. Antonis, P. Reynolds|Titel=On the division of attention: A disproof of the single channel hypothesis|Hrsg=The Quarterly Journal of Experimental Psychology|Sammelwerk=|Band=|Nummer=24|Auflage=|Verlag=|Ort=|Datum=|Seiten=225–235|ISBN=}}</ref>

==== Übung ====
Wie gut mehrere Aufgaben gleichzeitig ausgeführt werden können, hängt auch davon ab, wie erfahren man damit ist. So kann ein geübter Autofahrer in der Regel leichter gleichzeitig ein Gespräch führen, als ein Fahrschüler.

Dass Übung tatsächlich den Meister machen kann, zeigte eine Studie mit studentischen Versuchspersonen über vier Monate. In fünf wöchentlichen Trainingsstunden lasen sie eine Kurzgeschichte, die es zu verstehen galt und schrieben gleichzeitig ein Wortdiktat. Zu Beginn waren sowohl Lesegeschwindigkeit, Verständnis und Handschrift beeinträchtigt, nach Abschluss der viermonatigen Trainingsphase konnte die Kurzgeschichte nahezu gleichschnell als bei alleinigem Lesen gelesen werden und sowohl die Handschrift als auch das Verständnis der Wortkategorien verbesserte sich.<ref>{{Literatur|Autor=E. Spelke, W. Hirst, U. Neisser|Titel=Skills of divided attention|Hrsg=Cognition|Sammelwerk=|Band=|Nummer=4|Auflage=|Verlag=|Ort=|Datum=1976|Seiten=215-230|ISBN=}}</ref>

Übung fördert also die Doppelaufgabenperformanz durch Entwicklung von Strategien zur Ausführung um mit weniger Ressourcen auszukommen und ist ein Hinweis darauf, dass ein Teil der Aufgabe „automatisiert“ wurde, also weniger Anforderungen an die kognitive Kapazität stellt und somit eine Geschwindigkeitserhöhung zulässt.

Automatisierte Prozesse laufen rasch ab, reduzieren nicht die Kapazität, sind unvermeidbar (werden immer ausgelöst) und sind dem Bewusstsein nicht zugänglich. Ein  Beispiel hierfür ist der [[Stroop-Effekt]]: ein geübter Leser hat Schwierigkeiten, die Farbe eines Wortes zu nennen sondern gibt automatisch das verschriftlicht dargebotene Wort wieder, während ein Leseanfänger deutlich weniger Probleme damit hat die Farbe zu nennen, da der Prozess des Wortlesens noch nicht automatisiert ist.

Dennoch lässt sich die Interferenz durch Übung lediglich minimieren, nicht aber vollständig eliminieren.<ref>{{Literatur|Autor=W. Hirst, E. S. Spelke,C. Reeves, G. Caharack, U. Neisser|Titel=Dividing attention without alternation or automaticity|Hrsg=Journal of Experimental Psychology:General|Sammelwerk=|Band=|Nummer=109|Auflage=|Verlag=|Ort=|Datum=1980|Seiten=98-117|ISBN=}}</ref>

==== Aufgabenschwierigkeit ====
Ein wichtiger Faktor ist auch die Aufgabenkomplexität. Je schwieriger eine Einzelaufgabe ist, desto mehr Aufmerksamkeitsressourcen benötigt sie. Wird also eine schwierige Aufgabe in einer Doppelaufgabensituation bearbeitet, sinkt die Leistung in beiden Teilaufgaben.
Nicht determinierende Einflüsse bei Mehrfachaufgabenperformanz sind entgegen kommuner Anahmen Alter oder Geschlecht.

=== Alter und Geschlecht ===
Das Alter scheint keinen nennenswerten Einfluss auf die Multitasking-Fähigkeiten zu haben.<ref>[http://www.focus.de/gesundheit/news/multitasking-frauen-koennen-es-auch-nicht-besser_aid_522335.html ''Multitasking: Frauen können es auch nicht besser''], in: Focus vom 22. Juni 2010</ref>
Das Alter scheint keinen nennenswerten Einfluss auf die Multitasking-Fähigkeiten zu haben.<ref>[http://www.focus.de/gesundheit/news/multitasking-frauen-koennen-es-auch-nicht-besser_aid_522335.html ''Multitasking: Frauen können es auch nicht besser''], in: Focus vom 22. Juni 2010</ref>
Der Einfluss des Geschlechts ist wissenschaftlich bislang noch kaum untersucht. Entgegen landläufiger Meinung zeigen die meisten Untersuchungen keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern.<ref>{{Literatur | Autor=Bankole K. Fasanya, Maranda E. McBride, Regina Pope-Ford, Celestine Ntuen | Titel=Gender differences in auditory perception and computational divided attention tasks | Sammelwerk=Proceedings of the 41st International Conference on Computers & Industrial Engineering | Band= | Nummer= | Jahr=2011 | Seiten= | DOI =}}</ref><ref>{{Literatur | Autor=Hiltraut M. Paridon, Marlen Kaufmann | Titel=Multitasking in work-related situations and its relevance for occupational health and safety: Effects on performance, subjective strain and physiological parameters | Sammelwerk=Europe’s Journal of Psychology | Band=6 | Nummer=4 | Jahr=2010 | Seiten=110-124 | DOI=}}</ref><ref>{{Literatur | Autor=Neil M. Alperstein | Titel=Living in an age of distraction: Multitasking and simultaneous media use and the implications for advertisers | Jahr=2005 | DOI=10.2139/ssrn.1473864}}</ref><ref>{{Literatur | Autor=Thomas Buser, Noemi Peter | Titel=Multitasking: productivity effects and gender differences | Jahr=2011 }}</ref>
Der Einfluss des Geschlechts ist wissenschaftlich bislang noch kaum untersucht. Entgegen landläufiger Meinung zeigen die meisten Untersuchungen keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern.<ref>{{Literatur | Autor=Bankole K. Fasanya, Maranda E. McBride, Regina Pope-Ford, Celestine Ntuen | Titel=Gender differences in auditory perception and computational divided attention tasks | Sammelwerk=Proceedings of the 41st International Conference on Computers & Industrial Engineering | Band= | Nummer= | Jahr=2011 | Seiten= | DOI =}}</ref><ref>{{Literatur | Autor=Hiltraut M. Paridon, Marlen Kaufmann | Titel=Multitasking in work-related situations and its relevance for occupational health and safety: Effects on performance, subjective strain and physiological parameters | Sammelwerk=Europe’s Journal of Psychology | Band=6 | Nummer=4 | Jahr=2010 | Seiten=110-124 | DOI=}}</ref><ref>{{Literatur | Autor=Neil M. Alperstein | Titel=Living in an age of distraction: Multitasking and simultaneous media use and the implications for advertisers | Jahr=2005 | DOI=10.2139/ssrn.1473864}}</ref><ref>{{Literatur | Autor=Thomas Buser, Noemi Peter | Titel=Multitasking: productivity effects and gender differences | Jahr=2011 }}</ref>
Einzelne Studien deuten auf einen Unterschied zwischen den Geschlechtern in bestimmten Situationen hin.<ref>{{Literatur | Autor=Dongning Ren, Haotian Zhou, Xiaolan Fu | Titel=A Deeper Look at Gender Difference in Multitasking: Gender-Specific Mechanism of Cognitive Control | Sammelwerk=Fifth International Conference on Natural Computation | Jahr=2009}}</ref>
Einzelne Studien deuten auf einen Unterschied zwischen den Geschlechtern in bestimmten Situationen hin.<ref>{{Literatur | Autor=Dongning Ren, Haotian Zhou, Xiaolan Fu | Titel=A Deeper Look at Gender Difference in Multitasking: Gender-Specific Mechanism of Cognitive Control | Sammelwerk=Fifth International Conference on Natural Computation | Jahr=2009}}</ref>


=== Kritik ===
Auch der Philosoph [[Byung-Chul Han]] sieht in seinem medizinphilosophischen Buch „Müdigkeitsgesellschaft“ Multitasking kritisch. Er vergleicht Multitasking mit dem Verhalten von Tieren, die, um in freier Wildbahn zu überleben, jederzeit gezwungen sind, ihre Aufmerksamkeit zu verteilen. Han kommt zu einem negativen Urteil: „Die Zeit- und Aufmerksamkeitstechnik Multitasking stellt keinen zivilisatorischen Fortschritt dar.“ Er kritisiert die Verbreitung von Multitasking, weil die kulturellen Leistungen der Menschheit, wie die [[Philosophie]], eine „tiefe [[Kontemplation|kontemplative]] Aufmerksamkeit“ erfordern, die mit Multitasking nicht möglich sei.<ref>Byung-Chul, Han, ''Müdigkeitsgesellschaft'', 2010, Matthes & Seitz, Berlin, ISBN 978-3-88221-616-5, S. 24–26</ref>
Auch der Philosoph [[Byung-Chul Han]] sieht in seinem medizinphilosophischen Buch „Müdigkeitsgesellschaft“ Multitasking kritisch. Er vergleicht Multitasking mit dem Verhalten von Tieren, die, um in freier Wildbahn zu überleben, jederzeit gezwungen sind, ihre Aufmerksamkeit zu verteilen. Han kommt zu einem negativen Urteil: „Die Zeit- und Aufmerksamkeitstechnik Multitasking stellt keinen zivilisatorischen Fortschritt dar.“ Er kritisiert die Verbreitung von Multitasking, weil die kulturellen Leistungen der Menschheit, wie die [[Philosophie]], eine „tiefe [[Kontemplation|kontemplative]] Aufmerksamkeit“ erfordern, die mit Multitasking nicht möglich sei.<ref>Byung-Chul, Han, ''Müdigkeitsgesellschaft'', 2010, Matthes & Seitz, Berlin, ISBN 978-3-88221-616-5, S. 24–26</ref>


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* [[Eigenzeit (Soziologie)]]
* [[Eigenzeit (Soziologie)]]
* [[DFG Priority Program SPP 1772 zu menschlichem Multitasking|DFG Programm zu menschlichem Multitasking]]
* [[DFG Priority Program SPP 1772 zu menschlichem Multitasking|DFG Programm zu menschlichem Multitasking]]
* [[Aufmerksamkeit]]


== Quellen ==
== Quellen ==

Version vom 23. Februar 2017, 21:27 Uhr

Unter Multitasking oder Mehrfachaufgabenperformanz (seltener menschliches Multitasking) versteht man die die Ausführung zweier oder mehrerer Aufgaben zur selben Zeit oder abwechselnd in kurzen Zeitabschnitten. Die Aufgaben sind voneinander unabhängig, das Ziel einer Aufgabe ist also nicht von den Resultaten der anderen Aufgabe abhängig. So wird beispielsweise eine E-Mail verfasst und gleichzeitig einem Bericht zugehört.

Die Bedeutung des Begriffs ist höchstwahrscheinlich von der technischen Bedeutung (siehe Multitasking) abgeleitet.[1] In den letzten Jahren hat sich der Begriff Multitasking sowohl im angelsächsischen als auch deutschen Sprachraum verstärkt als (zunächst vermutlich eher umgangssprachliche) Beschreibung der menschlichen Fähigkeit durchgesetzt. , während der Begriff Mehrfachaufgabenperformanz als deutsche Umschreibung hierfür gilt und vor allem in Fachliteratur verwendet wird. Im Englischen bezeichnet man Aufgabenkombinationen sonst auch unter den Begriffen dual/multiple task performance.

Der Begriff ist wissenschaftlich noch nicht exakt definiert; Lee und Taatgen[2] beschreiben es als die „Fähigkeit, die Anforderungen mehrerer Aufgaben gleichzeitig zu bewältigen“. Salvucci[3] beschreibt als Multitasking, „wie Personen mehrere (Unter-)Aufgaben in den Kontext einer größeren, komplexen Aufgabe integrieren und durchführen“. In Ergänzung dazu ist in der englischsprachigen Fachliteratur auch noch von continuous partial attention („ununterbrochen teilweise Aufmerksamkeit“) die Rede, was die Aufnahmefähigkeit für gleichzeitige und möglicherweise verschiedenartige Reize beschreibt.

Grenzen und Gefahren

Da die Aufmerksamkeit auf verschiedene Prozesse aufgeteilt werden muss, stellt dies hohe Anforderungen an die Aufmerksamkeit. Wissenschaftliche Untersuchungen belegen, dass die Effizienz beim Bearbeiten verschiedener Aufgaben abwechselnd in kurzen Zeitabschnitten im Vergleich zur seriellen Bearbeitung sinkt und somit mit Fehlern[4], einem erhöhten Unfallrisiko[5] und einer Minderung der Leistung[6] in Verbindung gebracht werden kann.

So zeigte eine Laborstudie, in denen Personen in einem Fahrsimulator die Bremse betätigen sollten, dass die parallele Kommunikation über ein Handy die Leistungsfähigkeit beeinflusste. Die Probanden übersahen in der Einzelaufgabe (Bremsen bei roter Ampel) lediglich 3% der roten Ampeln, während sie bei der Doppelaufgabe (Telefongespräch, Bremsen bei roter Ampel) bereits 7% der roten Ampeln übersahen und sich die Reaktionsgeschwindigkeit zum Betätigen des Bremspedals um 50ms verringerte.[7]

Dies zeigt also die Grenzen der gleichzeitigen Informationsverarbeitung angesichts der Reizüberflutung unserer Umwelt. Das Gehirn filtert Informationen automatisch auf eine vom Menschen wahrnehmbare Menge. So kann bei einem Telefongespräch im Auto der Sehsinn auf den sogenannten „Tunnelblick“ reduziert werden, diese Einschränkung kann sogar nach dem Telefonieren noch für einige Minuten bestehen bleiben.[8] Neben der verringerten Reaktionsfähigkeit kann auch Stress eine Folge sein.

Determinanten

Die Leistung bei der Mehrfachaufgabenperformanz wird von drei Determinanten bestimmt: Aufgabenähnlichkeit, Übung und Aufgabenschwierigkeit.

Aufgabenähnlichkeit

Wenn zwei oder mehr Aufgaben sich in ihren Stimuli stark ähneln (z.B. beide Darbietungen auditiv sind), sie dieselben Verarbeitungsstadien beanspruchen (z.B. beides frühe Prozesse) oder auf gleiche Gedächtniskodes zugreifen (z.B. beides verbal) ist die Wahrscheinlichkeit einer Interferenz in der Bearbeitung deutlich höher.[9]

In einem Versuch wurde Probanden eine auditive Nachricht vorgespielt, die sie beschatten sollten. Gleichzeitig wurden ihnen weitere Begriffe entweder auditiv in Form  von Wörtern oder visuell in Form von gezeigten Bildern präsentiert. Beim Abrufen im Anschluss zeigte sich, dass die Leistung bei einer visuellen Bildpräsentation bei 90% lag, bei der auditiven Wortpräsentation die Leistung hingegen sehr gering war.[10]

Übung

Wie gut mehrere Aufgaben gleichzeitig ausgeführt werden können, hängt auch davon ab, wie erfahren man damit ist. So kann ein geübter Autofahrer in der Regel leichter gleichzeitig ein Gespräch führen, als ein Fahrschüler.

Dass Übung tatsächlich den Meister machen kann, zeigte eine Studie mit studentischen Versuchspersonen über vier Monate. In fünf wöchentlichen Trainingsstunden lasen sie eine Kurzgeschichte, die es zu verstehen galt und schrieben gleichzeitig ein Wortdiktat. Zu Beginn waren sowohl Lesegeschwindigkeit, Verständnis und Handschrift beeinträchtigt, nach Abschluss der viermonatigen Trainingsphase konnte die Kurzgeschichte nahezu gleichschnell als bei alleinigem Lesen gelesen werden und sowohl die Handschrift als auch das Verständnis der Wortkategorien verbesserte sich.[11]

Übung fördert also die Doppelaufgabenperformanz durch Entwicklung von Strategien zur Ausführung um mit weniger Ressourcen auszukommen und ist ein Hinweis darauf, dass ein Teil der Aufgabe „automatisiert“ wurde, also weniger Anforderungen an die kognitive Kapazität stellt und somit eine Geschwindigkeitserhöhung zulässt.

Automatisierte Prozesse laufen rasch ab, reduzieren nicht die Kapazität, sind unvermeidbar (werden immer ausgelöst) und sind dem Bewusstsein nicht zugänglich. Ein  Beispiel hierfür ist der Stroop-Effekt: ein geübter Leser hat Schwierigkeiten, die Farbe eines Wortes zu nennen sondern gibt automatisch das verschriftlicht dargebotene Wort wieder, während ein Leseanfänger deutlich weniger Probleme damit hat die Farbe zu nennen, da der Prozess des Wortlesens noch nicht automatisiert ist.

Dennoch lässt sich die Interferenz durch Übung lediglich minimieren, nicht aber vollständig eliminieren.[12]

Aufgabenschwierigkeit

Ein wichtiger Faktor ist auch die Aufgabenkomplexität. Je schwieriger eine Einzelaufgabe ist, desto mehr Aufmerksamkeitsressourcen benötigt sie. Wird also eine schwierige Aufgabe in einer Doppelaufgabensituation bearbeitet, sinkt die Leistung in beiden Teilaufgaben. Nicht determinierende Einflüsse bei Mehrfachaufgabenperformanz sind entgegen kommuner Anahmen Alter oder Geschlecht.

Alter und Geschlecht

Das Alter scheint keinen nennenswerten Einfluss auf die Multitasking-Fähigkeiten zu haben.[13] Der Einfluss des Geschlechts ist wissenschaftlich bislang noch kaum untersucht. Entgegen landläufiger Meinung zeigen die meisten Untersuchungen keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern.[14][15][16][17] Einzelne Studien deuten auf einen Unterschied zwischen den Geschlechtern in bestimmten Situationen hin.[18]

Kritik

Auch der Philosoph Byung-Chul Han sieht in seinem medizinphilosophischen Buch „Müdigkeitsgesellschaft“ Multitasking kritisch. Er vergleicht Multitasking mit dem Verhalten von Tieren, die, um in freier Wildbahn zu überleben, jederzeit gezwungen sind, ihre Aufmerksamkeit zu verteilen. Han kommt zu einem negativen Urteil: „Die Zeit- und Aufmerksamkeitstechnik Multitasking stellt keinen zivilisatorischen Fortschritt dar.“ Er kritisiert die Verbreitung von Multitasking, weil die kulturellen Leistungen der Menschheit, wie die Philosophie, eine „tiefe kontemplative Aufmerksamkeit“ erfordern, die mit Multitasking nicht möglich sei.[19]

Siehe auch

Quellen

  1. Microsoft hat bei Windows 95 (präemptives) Multitasking als technische Neuerung beworben. Eine große Werbekampagne und die damals hohe Verbreitung des Betriebssystems haben maßgeblich dazu beigetragen, dass der Begriff bei der breiten Masse Kenntnis erlangte.
  2. Lee, F.J. & Taatgen, N.A., Multi-tasking as Skill Acquisition. Proceedings of the twenty-fourth annual conference of the cognitive science society, 2002, Mahwah, NJ: Erlbaum. Fairfax, VA, pp. 572-577, (PDF; 109 KB)
  3. Salvucci, D. D., A multitasking general executive for compound continuous tasks. Cognitive Science, 2005, S. 457–492, (PDF; 1,1 MB)
  4. van der Linden, D., Keijsers, G. P. J., Eling, P., & van Schaijk, R.: Work stress and attentional difficulties: an initial study on burnout and cognitive failures. In: Work & Stress. Nr. 19, S. 23–36.
  5. D. L. Strayer, D. L., F. A. Drews: Cell-phone-induced driver distraction. In: Psychological Science. 16. Auflage. 2007, S. 128–131.
  6. Koch, W. Prinz: II. Process interference and code overlap in dual-task performance. Hrsg.: III. Journal of Experimental Psychology: Human Perception and Performance. Nr. 28, 2002, S. 192–201.
  7. D.L. Strayer, W.A. Johnston: Driven to distraction: dual-task studies of simulated driving and conversing on a cellular telephone. Hrsg.: Psychological Science. Nr. 12, 2001, S. 462–466.
  8. BR-Dokumentation Die Welt der Sinne (Folge Der Sehsinn, Bayerischer Rundfunk, 2004, 44 Min.)
  9. Joseph Krummenacher, Hermann J. Müller: Aufmerksamkeit und Performanz. In: Jochen Müsseler, Martina Rieger (Hrsg.): Allgemeine Psychologie. 3. Auflage. Springer, Berlin/Heidelberg, ISBN 978-3-642-53898-8, S. 133.
  10. D. A. Allport, B. Antonis, P. Reynolds: On the division of attention: A disproof of the single channel hypothesis. Hrsg.: The Quarterly Journal of Experimental Psychology. Nr. 24, S. 225–235.
  11. E. Spelke, W. Hirst, U. Neisser: Skills of divided attention. Hrsg.: Cognition. Nr. 4, 1976, S. 215–230.
  12. W. Hirst, E. S. Spelke,C. Reeves, G. Caharack, U. Neisser: Dividing attention without alternation or automaticity. Hrsg.: Journal of Experimental Psychology:General. Nr. 109, 1980, S. 98–117.
  13. Multitasking: Frauen können es auch nicht besser, in: Focus vom 22. Juni 2010
  14. Bankole K. Fasanya, Maranda E. McBride, Regina Pope-Ford, Celestine Ntuen: Gender differences in auditory perception and computational divided attention tasks. In: Proceedings of the 41st International Conference on Computers & Industrial Engineering. 2011.
  15. Hiltraut M. Paridon, Marlen Kaufmann: Multitasking in work-related situations and its relevance for occupational health and safety: Effects on performance, subjective strain and physiological parameters. In: Europe’s Journal of Psychology. Band 6, Nr. 4, 2010, S. 110–124.
  16. Neil M. Alperstein: Living in an age of distraction: Multitasking and simultaneous media use and the implications for advertisers. 2005, doi:10.2139/ssrn.1473864.
  17. Thomas Buser, Noemi Peter: Multitasking: productivity effects and gender differences. 2011.
  18. Dongning Ren, Haotian Zhou, Xiaolan Fu: A Deeper Look at Gender Difference in Multitasking: Gender-Specific Mechanism of Cognitive Control. In: Fifth International Conference on Natural Computation. 2009.
  19. Byung-Chul, Han, Müdigkeitsgesellschaft, 2010, Matthes & Seitz, Berlin, ISBN 978-3-88221-616-5, S. 24–26

Weblinks