„Akzeleration (Biologie)“ – Versionsunterschied

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen
[gesichtete Version][gesichtete Version]
Inhalt gelöscht Inhalt hinzugefügt
K Überschrift
Markierung: 2017-Quelltext-Bearbeitung
Überarbeitet und bebildert, Markierung "Überarbeiten" gelöscht
Markierung: 2017-Quelltext-Bearbeitung
Zeile 1: Zeile 1:
[[Datei:Die Wirkung der Akzeleration auf die Körperlänge.jpg|mimi|Die Wirkung der säkularen Akzeleration auf die Körpergröße]]
Als '''Akzeleration''' bezeichnet man in der Biologie eine Entwicklungsbeschleunigung im Generationenvergleich. Beschrieben wurde sie erstmals von dem Schularzt E. W. Koch, der sie als "Säkulare Akzeleration" bezeichnete. Heute ist auch der Begriff: "Psychophysische Akzeleration" gebräuchlich (engl. ''secular trend''). Als Beginn wird die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts angenommen. Inzwischen scheinen die Veränderungen zum Stillstand gekommen zu sein.
Als '''Akzeleration''' bezeichnet man in der Biologie zum Einen eine Verstärkung der Entwicklung im Generationenvergleich. Beschrieben wurde sie erstmals von dem Schularzt E. W. Koch, der sie als "Säkulare Akzeleration" bezeichnete.<ref>Ernst Walther Koch: ''Über die Veränderung menschlichen Wachstums im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts''. In: Barth (Hrsg.): ''Aus d. Gesundheitsamt d. Stadt Leipzig: Ausmaß, Ursache und Folgen für den Einzelnen und für den Staat'', 1935.</ref> Zum Zweiten kann man im Bereich der Physiologie und Psychologie unter Akzeleration eine individuelle Entwicklungsakzeleration verstehen. Außerdem wird der Begriff in der Sportmedizin noch anders verstanden.


== Wachstumsakzeleration ==
== Säkulare Akzeleration ==
Unter „säkularer Akzeleration“ werden zusammengefasst:<ref Name="Warkentin" />
# eine Zunahme der Körpergröße
# die Verschiebung der [[Menarche]] und der [[Menopause]] der Frau in ein höheres Lebensalter
# der Anstieg der Lebenserwartung<ref>H. D. Röseler: ''Zur säkularen Akzeleration der psychischen und somatischen Entwicklung''. In: ''Ärztl Jugendheilkd.'', Band 8l, 1990, S. 76–85.</ref>
Als Beginn wird die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts angenommen. Inzwischen scheinen die Veränderungen zum Stillstand gekommen zu sein.

=== Zunahme der Körpergröße ===
Im Mittelalter besaßen viele Menschen in Mitteleuropa eine geringere [[Körpergröße]], als in der Neuzeit, was an Ritterrüstungen, Türstockhöhen Bettenlängen und Skelettteilen belegbar ist.
Im Mittelalter besaßen viele Menschen in Mitteleuropa eine geringere [[Körpergröße]], als in der Neuzeit, was an Ritterrüstungen, Türstockhöhen Bettenlängen und Skelettteilen belegbar ist.


In den Industrienationen nimmt die Körpergröße der Menschen in Mitteleuropa von Generation zu Generation zu<ref>Dieter E. Zimmer: ''Immer größer, immer schneller groß''. In: Dieter E. Zimmer: ''Experimente des Lebens'', Haffmans, Zürich 1989.</ref>. So war z.&nbsp;B. ein großer Mann (95. [[Empirisches Quantil|Perzentil]], d.&nbsp;h. 95 % aller Männer sind kleiner) im Jahr 1975 noch 184,1 cm groß, im Jahr 2000 jedoch schon 191,0 cm. Nach Untersuchungen bei der Musterung ist die durchschnittliche Körpergröße von 174 cm (Geburtsjahrgang 1938) kontinuierlich auf fast 180 cm angestiegen. Seither ist keine eindeutige Zunahme mehr feststellbar. Bei Frauen ist die Körpergröße von 156 cm im Jahr 1956 auf 166 cm in 1975 angestiegen. Auch hier ist seither keine eindeutige Zunahme feststellbar. Auch die Neugeborenengröße hat zugenommen: Der Anteil der Kinder mit einer Körperlänge über 55 cm ist von 3,4 % 1986 auf 10,1 % 2001 angewachsen.
In den Industrienationen nimmt die Körpergröße der Menschen in Mitteleuropa von Generation zu Generation zu<ref>[[Dieter E. Zimmer]]: ''Immer größer, immer schneller groß.'' In: Dieter E. Zimmer: ''Experimente des Lebens.'' Haffmans, Zürich 1989.</ref><ref>Meike Küster: ''Theoretische und empirische Untersuchungen zum motorischen Leistungsvermögen 12- bis 14jähriger Schulkinder''. Dissertation, Technische Universität München, April 2002 [https://mediatum.ub.tum.de/doc/603154/603154.pdf (PDF)].</ref><ref>T. J. Hatton: ''How have Europeans grown so tall?'' In: ''Oxf. Econ. Pap.'', 2013, S. 112–138, {{doi|10.1093/oep/gpt030}}.</ref>. So war z.&nbsp;B. ein großer Mann (95. [[Empirisches Quantil|Perzentil]], d.&nbsp;h. 95 % aller Männer sind kleiner) im Jahr 1975 noch 184,1 cm groß, im Jahr 2000 jedoch schon 191,0 cm. Nach Untersuchungen bei der Musterung ist die durchschnittliche Körpergröße von 174 cm (Geburtsjahrgang 1938) kontinuierlich auf fast 180 cm angestiegen. Seither ist keine eindeutige Zunahme mehr feststellbar. Bei Frauen ist die Körpergröße von 156 cm im Jahr 1956 auf 166 cm in 1975 angestiegen. Auch hier ist seither keine eindeutige Zunahme feststellbar. Auch die Neugeborenengröße hat zugenommen: Der Anteil der Kinder mit einer Körperlänge über 55 cm ist von 3,4 % 1986 auf 10,1 % 2001 angewachsen.


==== Folgen der Größenzunahme ====
=== Beeinflussende Faktoren ===
Aus dem Vergleich der mittelalterlichen Situation mit der der Neuzeit resultierte die Idee, dass die Wachstumsakzeleration bereits über viele Jahrhunderte wirke, ob [[Epigenetik|epigenetisch]] oder aufgrund eines gleichbleibenden [[Selektionsdruck]]s oder aus anderem Grund. Dieser Eindruck ist jedoch falsch, wie zahlreiche [[steinzeit]]liche Knochenfunde zeigen: in der [[Altsteinzeit]] war die durchschnittliche Körpergröße des [[Mensch|''Homo sapiens'']] seit etwa 150.000 Jahren mit der heutigen vergleichbar.<ref>Christopher Ruff: ''Variation in human body size and shape''. In: ''Annual Review of Anthropology'', Bd. 31, Nr. 1, Oktober 2002, S. 211–232, {{doi|10.1146/annurev.anthro.31.040402.085407}} [https://www.annualreviews.org/doi/pdf/10.1146/annurev.anthro.31.040402.085407 (PDF)].</ref> Mit dem [[Jungsteinzeit|Neolithikum]] und der [[Neolithische Revolution|Einführung der Agrikultur]] in Mitteleuropa sank die Körpergröße vor etwa 6000 Jahren auf ein Minimum, um dann wieder zuzunehmen. Vor 2000 Jahren besaßen Bürger des Römischen Reiches Staturen, die geringfügig kleiner waren, als heutige Bewohner der Regionen. Im Mittelalter nahm die Durschnittsgröße in Mitteleuropa ab, allerdings nicht kontinuierlich, sondern weitgehend entsprechend der Ernährungslage. Die durchschnittliche Körpergröße spiegelt also die Ernährungssituation während der Wachstumsperiode wider, das betrifft die vorgeburtliche Zeit und die ersten 18 Lebensjahre. Diese Erklärung wurde als Ernährungstheorie bezeichnet, die der Humangenetiker [[Widukind Lenz]] 1949 formulierte.<ref>F. Vogel: ''Widukind Lenz''. In: ''European Journal of Human Genetics'', Band 3, November 1995, S. 384–387 [https://www.nature.com/articles/000472329.pdf (PDF)].</ref><ref>[[Widukind Lenz|W. Lenz]]: ''Ernährung und Konstitution''. Berlin, Urban & Schwarzenberg, 1949.</ref><ref>Widukind Lenz: ''Ursachen des gesteigerten Wachstums der heutigen Jugend.'' In: K. Lang (Hrsg.) ''Akzeleration und Ernährung'', Steinkopf, Darmstadt 1959, S. 33.</ref>

<!--"Statistische Erhebungen im Rahmen von [[Musterung]]en zeigen eine Abhängigkeit der Körpergröße von sozialer und regionaler Herkunft. Demnach sind norddeutsche Männer größer als süddeutsche. Der Nachwuchs der [[Soziale Schichtung|sozialen Oberschicht]] überragt in Bezug auf die Körpergröße den der Grundschicht signifikant." <--dieser unbelegte Abschnitt wurde ausgeklammert.
-->
Bei Einwanderern nach Deutschland wurde festgestellt, dass die in Deutschland geborenen durchschnittlich größer wurden, als die im Herkunftsland geborenen. Im Vergleich mit der deutschen Bevölkerung fiel aber auf, dass die eingewanderten Personen durchschnittlich kleiner waren. Ihre in Deutschland geborenen Nachkommen wurden größer, sie erreichten etwa die Durchschnittsgröße der deutschen Bevölkerung.<ref>Barry Bogin, Michael Hermanussen, Christiane Scheffler: ''As tall as my peers – similarity in body height between migrants and hosts''. In: ''J. Biol. Clin. Anthropol.'', Band 74, Nr. 5 Supplement, 2018, S. 363–374 [https://pdfs.semanticscholar.org/e6b1/9bf2f6a297c9c1fe0c4e3b98615786bc8e99.pdf (PDF)].</ref> Auch diese Daten unterstreichen, dass Wachstumsakzeleration ein Ergebnis der Umgebungsbedingungen darstellt.

=== Folgen der Akzeleration ===
Die Größenzunahme ist aus medizinischer Sicht insofern problematisch, da die verstärkte Wachstumstendenz über eine Verlängerung des Augapfels zu einer Häufigkeitszunahme der Kurzsichtigkeit geführt hat.
Die Größenzunahme ist aus medizinischer Sicht insofern problematisch, da die verstärkte Wachstumstendenz über eine Verlängerung des Augapfels zu einer Häufigkeitszunahme der Kurzsichtigkeit geführt hat.


Zeile 19: Zeile 20:


Als problematisch erweist sich die Akzeleration in Fragen der [[Ergonomie|ergonomischen]] [[Konstruktion (Technik)|Gestaltung]] beispielsweise von [[Kraftfahrzeug]]en. Bei der Fahrzeugauslegung werden in der Regel Personengrößen von der 5-Perzentil-Frau (nur 5 % aller Frauen sind kleiner) bis zum 95-Perzentil-Mann berücksichtigt. Die Akzeleration liegt zwischen 1,4 mm bei der 5-Perzentil-Frau und 2,3 mm pro Jahr beim 95-Perzentil-Mann. Deren Körperlängendifferenz stieg dadurch von 331 mm im Jahr 1974 auf 350 mm im Jahr 1995. Dies macht es immer schwieriger, Fahrzeuge so zu konstruieren, dass alle Menschen gleichermaßen günstig im Fahrzeug untergebracht werden können.
Als problematisch erweist sich die Akzeleration in Fragen der [[Ergonomie|ergonomischen]] [[Konstruktion (Technik)|Gestaltung]] beispielsweise von [[Kraftfahrzeug]]en. Bei der Fahrzeugauslegung werden in der Regel Personengrößen von der 5-Perzentil-Frau (nur 5 % aller Frauen sind kleiner) bis zum 95-Perzentil-Mann berücksichtigt. Die Akzeleration liegt zwischen 1,4 mm bei der 5-Perzentil-Frau und 2,3 mm pro Jahr beim 95-Perzentil-Mann. Deren Körperlängendifferenz stieg dadurch von 331 mm im Jahr 1974 auf 350 mm im Jahr 1995. Dies macht es immer schwieriger, Fahrzeuge so zu konstruieren, dass alle Menschen gleichermaßen günstig im Fahrzeug untergebracht werden können.
[[Datei:Acceleration1.jpg|mini|Säkularer Trend zur Abnahme des Alters bei Eintritt der Menarche westeuropäischer und nordamerikanischer Mädchen<ref Name="Boaz" />]]
=== Verschiebung der Menarche und der Menopause ===
In den Industrienationen wurde eine Verschiebung des Eintritts der Menarche wie der Menopause in ein höheres Lebensalter der Frauen in Industrieländern berichtet.<ref Name="Boaz" /><ref>A. M. Bau, A. Ernert, L. Schenk, S. Wiegand, P. Martus, A. Grüters, H. Krude: ''Is there a further acceleration in the age at onset of menarche? A cross-sectional study in 1840 school children focusing on age and bodyweight at the onset of menarche''. In: ''European Journal of Endocrinology'', Band 160, Nr. 1, 2009, S. 107–113 [https://citeseerx.ist.psu.edu/viewdoc/download?doi=10.1.1.520.5607&rep=rep1&type=pdf (PDF)].</ref> Bei der Geburtshilfe stellt sich die Entwicklung problembehaftet dar, wenn ältere Frauen zunehmend gebären.<ref NAME="Warkentin" />

=== Steigende Lebenserwartung ===
Die Lebenserwartung steigt weltweit.<ref>Statistisches Bundesamt: ''[https://www.destatis.de/DE/Themen/Querschnitt/Demografischer-Wandel/Aspekte/demografie-lebenserwartung.html Grafik Lebenserwartung und Sterblichkeit]'', eingesehen 15. September 2021.</ref> Die Folgen sind weitreichend und vielschichtig: Ein Teil des globalen Bevölkerungswachstums resultiert daher, dass Menschen längere Zeit auf der Erde leben. Außerdem verändert demoskopische Wandel die soziologische Bevölkerungsstruktur, das Verhältnis von Arbeitsfähigen zu Senioren wird erheblich verändert und erfordert quantitative Anpassungen bei Rentensystemen und Pflegeaufwendungen.<ref>taz: ''[https://taz.de/Folgen-steigender-Lebenserwartung/!5383451/ Ende gut, alles gut]'', 22. Februar 2017, eingesehen 15. September 2021.</ref>

=== Beeinflussende Faktoren ===
Aus dem Vergleich der mittelalterlichen Situation mit der der Neuzeit resultierte die Idee, dass die Wachstumsakzeleration bereits über viele Jahrhunderte wirke, ob [[Epigenetik|epigenetisch]] oder aufgrund eines gleichbleibenden [[Selektionsdruck]]s oder aus anderem Grund. Dieser Eindruck ist jedoch falsch, wie zahlreiche [[steinzeit]]liche Knochenfunde zeigen: in der [[Altsteinzeit]] war die durchschnittliche Körpergröße des [[Mensch|''Homo sapiens'']] seit etwa 150.000 Jahren mit der heutigen vergleichbar.<ref>Christopher Ruff: ''Variation in human body size and shape''. In: ''Annual Review of Anthropology'', Bd. 31, Nr. 1, Oktober 2002, S. 211–232, {{doi|10.1146/annurev.anthro.31.040402.085407}} [https://www.annualreviews.org/doi/pdf/10.1146/annurev.anthro.31.040402.085407 (PDF)].</ref> Mit dem [[Jungsteinzeit|Neolithikum]] und der [[Neolithische Revolution|Einführung der Agrikultur]] in Mitteleuropa sank die Körpergröße vor etwa 6000 Jahren auf ein Minimum, um dann wieder zuzunehmen. Vor 2000 Jahren besaßen Bürger des Römischen Reiches Staturen, die geringfügig kleiner waren, als heutige Bewohner der Regionen. Im Mittelalter nahm die Durschnittsgröße in Mitteleuropa ab, allerdings nicht kontinuierlich, sondern weitgehend entsprechend der Ernährungslage. Die durchschnittliche Körpergröße spiegelt also die Ernährungssituation während der Wachstumsperiode wider, das betrifft die vorgeburtliche Zeit und die ersten 18 Lebensjahre. Diese Erklärung wurde als Ernährungstheorie bezeichnet, die der Humangenetiker [[Widukind Lenz]] 1949 formulierte.<ref>F. Vogel: ''Widukind Lenz''. In: ''European Journal of Human Genetics'', Band 3, November 1995, S. 384–387 [https://www.nature.com/articles/000472329.pdf (PDF)].</ref><ref>[[Widukind Lenz|W. Lenz]]: ''Ernährung und Konstitution''. Berlin, Urban & Schwarzenberg, 1949.</ref><ref>Widukind Lenz: ''Ursachen des gesteigerten Wachstums der heutigen Jugend.'' In: K. Lang (Hrsg.) ''Akzeleration und Ernährung'', Steinkopf, Darmstadt 1959, S. 33.</ref>

Bei Einwanderern nach Deutschland wurde festgestellt, dass die in Deutschland geborenen durchschnittlich größer wurden, als die im Herkunftsland geborenen. Im Vergleich mit der deutschen Bevölkerung fiel aber auf, dass die eingewanderten Personen durchschnittlich kleiner waren. Ihre in Deutschland geborenen Nachkommen wurden größer, sie erreichten etwa die Durchschnittsgröße der deutschen Bevölkerung.<ref>Barry Bogin, Michael Hermanussen, Christiane Scheffler: ''As tall as my peers – similarity in body height between migrants and hosts''. In: ''J. Biol. Clin. Anthropol.'', Band 74, Nr. 5 Supplement, 2018, S. 363–374 [https://pdfs.semanticscholar.org/e6b1/9bf2f6a297c9c1fe0c4e3b98615786bc8e99.pdf (PDF)].</ref> Auch diese Daten unterstreichen, dass Wachstumsakzeleration ein Ergebnis der Umgebungsbedingungen darstellt.


[[Datei:Acceleration2.jpg|mini|Staturvergleich zwischen in Amerika geborenen Kindern europäischer Abstammung und früheren Generationen zeigt primär eine Entwicklungsakzeleration<ref>N. T. Boaz: ''Essentials of Biological Anthropology''. Prentice Hall, New Jersey 1999, ISBN|0-13-080793-1.</ref>]]
== Entwicklungsakzeleration ==
== Entwicklungsakzeleration ==
Akzeleration liegt vor, wenn:
Entwicklungsakzeleration liegt vor, wenn:
* die individuelle Entwicklung der Person im Vergleich mit der jeweiligen Altersgruppe in der sie sich befindet, bzw.
* die individuelle Entwicklung der Person im Vergleich mit der jeweiligen Altersgruppe in der sie sich befindet, bzw.
* die Entwicklung einer Generation im Vergleich mit früheren Generationen
* die Entwicklung einer Generation im Vergleich mit früheren Generationen
vorverlagert oder beschleunigt ist. Der Zahnwechsel setzt früher ein. Eine besonders bedeutsame Entwicklungsakzeleration ist die sexuelle Akzeleration, die dazu führt, dass die [[Pubertät]] früher einsetzt. <!-- Nach ROTH bewirkt die verfrühte hormonale Umstellung: // Zitat/Quelle für Roth fehlt!-->
vorverlagert oder beschleunigt ist. Der Zahnwechsel setzt früher ein. Eine besonders bedeutsame Entwicklungsakzeleration ist die sexuelle Akzeleration, die dazu führt, dass die [[Pubertät]] früher einsetzt. <!-- Nach ROTH bewirkt die verfrühte hormonale Umstellung: // Zitat/Quelle für Roth fehlt!-->
[[Datei:Acceleration2.jpg|mini|Staturvergleich zwischen in Amerika geborenen Kindern europäischer Abstammung und früheren Generationen zeigt primär eine Entwicklungsakzeleration<ref Name="Boaz" />]]
Der Begriff "Akzeleration" in Bezug auf die Körpergröße kann auch als Entwicklungsakzeleration, also als ein Wachstumsschub verstanden werden, ohne in einem wesentlichen Größenunterschied zwischen den Generationen zu resultieren.

Der Begriff: "Psychophysische Akzeleration" ([[Englische Sprache|engl.]] ''secular trend'') bezieht sich auf eine Vorverlagerung von Reifungsprozessen in der modernen Gesellschft, ebenfalls eine Form der Entwicklungsakzeleration.<ref>Walter Jaide: ''Die Akzeleration der bio-psychischen Entwicklung im Jugendalter''. In: ''Generationen eines Jahrhunderts'', VS Verlag für Sozialwissenschaften, 1988, S. 61–70.</ref>

== Begriff in anderem Zusammenhang ==
In der [[Sportmedizin]] wird unter „Akzeleration“ die Befähigung zur Beschleunigung aus der Ruheposition verstanden.<ref>Robert G. Lockie, Aron J. Murphy, Timothy J. Knight, Xanne A. K. Janse de Jonge: ''Factors that differentiate acceleration ability in field sport athletes''. In: ''The Journal of Strength & Conditioning Research'', Band 25, Nr. 10, 2011, S. 2704–2714, {{doi|10.1519/JSC.0b013e31820d9f17}}.</ref>


== Siehe auch ==
== Siehe auch ==
Zeile 44: Zeile 62:


== Einzelbelege ==
== Einzelbelege ==
<references>
<ref Name="Boaz">
N. T. Boaz: ''Essentials of Biological Anthropology''. Prentice Hall, New Jersey 1999, ISBN 0-13-080793-1.</ref>
<ref Name="Warkentin">
B. Warkentin: ''Die säkulare Akzeleration als Problem der Geburtshilfe''. In: H. G. Hillemanns (Hrsg.): ''Geburtshilfe — Geburtsmedizin''. Springer, Berlin, Heidelberg {{doi|10.1007/978-3-642-48048-5_76}}.</ref>
<references />
<references />



Version vom 15. September 2021, 15:22 Uhr

Die Wirkung der säkularen Akzeleration auf die Körpergröße Als Akzeleration bezeichnet man in der Biologie zum Einen eine Verstärkung der Entwicklung im Generationenvergleich. Beschrieben wurde sie erstmals von dem Schularzt E. W. Koch, der sie als "Säkulare Akzeleration" bezeichnete.[1] Zum Zweiten kann man im Bereich der Physiologie und Psychologie unter Akzeleration eine individuelle Entwicklungsakzeleration verstehen. Außerdem wird der Begriff in der Sportmedizin noch anders verstanden.

Säkulare Akzeleration

Unter „säkularer Akzeleration“ werden zusammengefasst:[2]

  1. eine Zunahme der Körpergröße
  2. die Verschiebung der Menarche und der Menopause der Frau in ein höheres Lebensalter
  3. der Anstieg der Lebenserwartung[3]

Als Beginn wird die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts angenommen. Inzwischen scheinen die Veränderungen zum Stillstand gekommen zu sein.

Zunahme der Körpergröße

Im Mittelalter besaßen viele Menschen in Mitteleuropa eine geringere Körpergröße, als in der Neuzeit, was an Ritterrüstungen, Türstockhöhen Bettenlängen und Skelettteilen belegbar ist.

In den Industrienationen nimmt die Körpergröße der Menschen in Mitteleuropa von Generation zu Generation zu[4][5][6]. So war z. B. ein großer Mann (95. Perzentil, d. h. 95 % aller Männer sind kleiner) im Jahr 1975 noch 184,1 cm groß, im Jahr 2000 jedoch schon 191,0 cm. Nach Untersuchungen bei der Musterung ist die durchschnittliche Körpergröße von 174 cm (Geburtsjahrgang 1938) kontinuierlich auf fast 180 cm angestiegen. Seither ist keine eindeutige Zunahme mehr feststellbar. Bei Frauen ist die Körpergröße von 156 cm im Jahr 1956 auf 166 cm in 1975 angestiegen. Auch hier ist seither keine eindeutige Zunahme feststellbar. Auch die Neugeborenengröße hat zugenommen: Der Anteil der Kinder mit einer Körperlänge über 55 cm ist von 3,4 % 1986 auf 10,1 % 2001 angewachsen.

Folgen der Größenzunahme

Die Größenzunahme ist aus medizinischer Sicht insofern problematisch, da die verstärkte Wachstumstendenz über eine Verlängerung des Augapfels zu einer Häufigkeitszunahme der Kurzsichtigkeit geführt hat.

Viele Normen blieben im 19. Jahrhundert unverändert, was zu ergonomischen Problemen und in der Folge beispielsweise zu Haltungsschäden führte. Im 20. Jahrhundert unterliegen die Normen des DIN und die EN ISO der Europäischen Union im Prozess ständiger Revision. Dementsprechend wurde beispielsweise 2014 die DIN EN 13402-3 Größenbezeichnung von Bekleidung[7] sowie 2017 die Standardnorm ISO 8559 für Kleidergrößen angepasst.[8]

Als problematisch erweist sich die Akzeleration in Fragen der ergonomischen Gestaltung beispielsweise von Kraftfahrzeugen. Bei der Fahrzeugauslegung werden in der Regel Personengrößen von der 5-Perzentil-Frau (nur 5 % aller Frauen sind kleiner) bis zum 95-Perzentil-Mann berücksichtigt. Die Akzeleration liegt zwischen 1,4 mm bei der 5-Perzentil-Frau und 2,3 mm pro Jahr beim 95-Perzentil-Mann. Deren Körperlängendifferenz stieg dadurch von 331 mm im Jahr 1974 auf 350 mm im Jahr 1995. Dies macht es immer schwieriger, Fahrzeuge so zu konstruieren, dass alle Menschen gleichermaßen günstig im Fahrzeug untergebracht werden können.

Säkularer Trend zur Abnahme des Alters bei Eintritt der Menarche westeuropäischer und nordamerikanischer Mädchen[9]

Verschiebung der Menarche und der Menopause

In den Industrienationen wurde eine Verschiebung des Eintritts der Menarche wie der Menopause in ein höheres Lebensalter der Frauen in Industrieländern berichtet.[9][10] Bei der Geburtshilfe stellt sich die Entwicklung problembehaftet dar, wenn ältere Frauen zunehmend gebären.[2]

Steigende Lebenserwartung

Die Lebenserwartung steigt weltweit.[11] Die Folgen sind weitreichend und vielschichtig: Ein Teil des globalen Bevölkerungswachstums resultiert daher, dass Menschen längere Zeit auf der Erde leben. Außerdem verändert demoskopische Wandel die soziologische Bevölkerungsstruktur, das Verhältnis von Arbeitsfähigen zu Senioren wird erheblich verändert und erfordert quantitative Anpassungen bei Rentensystemen und Pflegeaufwendungen.[12]

Beeinflussende Faktoren

Aus dem Vergleich der mittelalterlichen Situation mit der der Neuzeit resultierte die Idee, dass die Wachstumsakzeleration bereits über viele Jahrhunderte wirke, ob epigenetisch oder aufgrund eines gleichbleibenden Selektionsdrucks oder aus anderem Grund. Dieser Eindruck ist jedoch falsch, wie zahlreiche steinzeitliche Knochenfunde zeigen: in der Altsteinzeit war die durchschnittliche Körpergröße des Homo sapiens seit etwa 150.000 Jahren mit der heutigen vergleichbar.[13] Mit dem Neolithikum und der Einführung der Agrikultur in Mitteleuropa sank die Körpergröße vor etwa 6000 Jahren auf ein Minimum, um dann wieder zuzunehmen. Vor 2000 Jahren besaßen Bürger des Römischen Reiches Staturen, die geringfügig kleiner waren, als heutige Bewohner der Regionen. Im Mittelalter nahm die Durschnittsgröße in Mitteleuropa ab, allerdings nicht kontinuierlich, sondern weitgehend entsprechend der Ernährungslage. Die durchschnittliche Körpergröße spiegelt also die Ernährungssituation während der Wachstumsperiode wider, das betrifft die vorgeburtliche Zeit und die ersten 18 Lebensjahre. Diese Erklärung wurde als Ernährungstheorie bezeichnet, die der Humangenetiker Widukind Lenz 1949 formulierte.[14][15][16]

Bei Einwanderern nach Deutschland wurde festgestellt, dass die in Deutschland geborenen durchschnittlich größer wurden, als die im Herkunftsland geborenen. Im Vergleich mit der deutschen Bevölkerung fiel aber auf, dass die eingewanderten Personen durchschnittlich kleiner waren. Ihre in Deutschland geborenen Nachkommen wurden größer, sie erreichten etwa die Durchschnittsgröße der deutschen Bevölkerung.[17] Auch diese Daten unterstreichen, dass Wachstumsakzeleration ein Ergebnis der Umgebungsbedingungen darstellt.

Entwicklungsakzeleration

Entwicklungsakzeleration liegt vor, wenn:

  • die individuelle Entwicklung der Person im Vergleich mit der jeweiligen Altersgruppe in der sie sich befindet, bzw.
  • die Entwicklung einer Generation im Vergleich mit früheren Generationen

vorverlagert oder beschleunigt ist. Der Zahnwechsel setzt früher ein. Eine besonders bedeutsame Entwicklungsakzeleration ist die sexuelle Akzeleration, die dazu führt, dass die Pubertät früher einsetzt.

Staturvergleich zwischen in Amerika geborenen Kindern europäischer Abstammung und früheren Generationen zeigt primär eine Entwicklungsakzeleration[9]

Der Begriff "Akzeleration" in Bezug auf die Körpergröße kann auch als Entwicklungsakzeleration, also als ein Wachstumsschub verstanden werden, ohne in einem wesentlichen Größenunterschied zwischen den Generationen zu resultieren.

Der Begriff: "Psychophysische Akzeleration" (engl. secular trend) bezieht sich auf eine Vorverlagerung von Reifungsprozessen in der modernen Gesellschft, ebenfalls eine Form der Entwicklungsakzeleration.[18]

Begriff in anderem Zusammenhang

In der Sportmedizin wird unter „Akzeleration“ die Befähigung zur Beschleunigung aus der Ruheposition verstanden.[19]

Siehe auch

Literatur

  • Dieter E. Zimmer: Immer größer, immer schneller groß. In: Dieter E. Zimmer: Experimente des Lebens. Haffmans, Zürich 1989.
  • Brigitte Melzer, Bernward Meier: Die Bedeutung der Akzeleration für das Jugendmarketing. IJF Institut für Jugendforschung 1982.
  • B. Warkentin: Zur Frage der Beziehung zwischen Psycho-physischer Akzeleration und moderner Geburtshilfe. In: Geburtsh. u. Frauenheilk. Band 50, 1990, S. 822–824.

Einzelbelege

<references>

[9]
[2]
  1. Ernst Walther Koch: Über die Veränderung menschlichen Wachstums im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts. In: Barth (Hrsg.): Aus d. Gesundheitsamt d. Stadt Leipzig: Ausmaß, Ursache und Folgen für den Einzelnen und für den Staat, 1935.
  2. a b c B. Warkentin: Die säkulare Akzeleration als Problem der Geburtshilfe. In: H. G. Hillemanns (Hrsg.): Geburtshilfe — Geburtsmedizin. Springer, Berlin, Heidelberg doi:10.1007/978-3-642-48048-5_76.
  3. H. D. Röseler: Zur säkularen Akzeleration der psychischen und somatischen Entwicklung. In: Ärztl Jugendheilkd., Band 8l, 1990, S. 76–85.
  4. Dieter E. Zimmer: Immer größer, immer schneller groß. In: Dieter E. Zimmer: Experimente des Lebens. Haffmans, Zürich 1989.
  5. Meike Küster: Theoretische und empirische Untersuchungen zum motorischen Leistungsvermögen 12- bis 14jähriger Schulkinder. Dissertation, Technische Universität München, April 2002 (PDF).
  6. T. J. Hatton: How have Europeans grown so tall? In: Oxf. Econ. Pap., 2013, S. 112–138, doi:10.1093/oep/gpt030.
  7. DIN EN 13402-3 Größenbezeichnung von Bekleidung (PDF), März 2014.
  8. Anna Lenz: Standardnormen für Kleidergrößen überarbeitet. In: Textilwrtschaft, 29. März 2017.
  9. a b c d N. T. Boaz: Essentials of Biological Anthropology. Prentice Hall, New Jersey 1999, ISBN 0-13-080793-1.
  10. A. M. Bau, A. Ernert, L. Schenk, S. Wiegand, P. Martus, A. Grüters, H. Krude: Is there a further acceleration in the age at onset of menarche? A cross-sectional study in 1840 school children focusing on age and bodyweight at the onset of menarche. In: European Journal of Endocrinology, Band 160, Nr. 1, 2009, S. 107–113 (PDF).
  11. Statistisches Bundesamt: Grafik Lebenserwartung und Sterblichkeit, eingesehen 15. September 2021.
  12. taz: Ende gut, alles gut, 22. Februar 2017, eingesehen 15. September 2021.
  13. Christopher Ruff: Variation in human body size and shape. In: Annual Review of Anthropology, Bd. 31, Nr. 1, Oktober 2002, S. 211–232, doi:10.1146/annurev.anthro.31.040402.085407 (PDF).
  14. F. Vogel: Widukind Lenz. In: European Journal of Human Genetics, Band 3, November 1995, S. 384–387 (PDF).
  15. W. Lenz: Ernährung und Konstitution. Berlin, Urban & Schwarzenberg, 1949.
  16. Widukind Lenz: Ursachen des gesteigerten Wachstums der heutigen Jugend. In: K. Lang (Hrsg.) Akzeleration und Ernährung, Steinkopf, Darmstadt 1959, S. 33.
  17. Barry Bogin, Michael Hermanussen, Christiane Scheffler: As tall as my peers – similarity in body height between migrants and hosts. In: J. Biol. Clin. Anthropol., Band 74, Nr. 5 Supplement, 2018, S. 363–374 (PDF).
  18. Walter Jaide: Die Akzeleration der bio-psychischen Entwicklung im Jugendalter. In: Generationen eines Jahrhunderts, VS Verlag für Sozialwissenschaften, 1988, S. 61–70.
  19. Robert G. Lockie, Aron J. Murphy, Timothy J. Knight, Xanne A. K. Janse de Jonge: Factors that differentiate acceleration ability in field sport athletes. In: The Journal of Strength & Conditioning Research, Band 25, Nr. 10, 2011, S. 2704–2714, doi:10.1519/JSC.0b013e31820d9f17.