„Wolfgang Dietrich (Politikwissenschaftler)“ – Versionsunterschied

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[[Datei:Wolfgang dietrich.jpg|mini|350px| Wolfgang Dietrich auf der REAL Tagung in Wien April 2006]]
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'''Wolfgang Dietrich''' (* [[13. September]] [[1956]] in [[Innsbruck]]<ref>[http://homepage.univie.ac.at/w.dietrich/php/cms/index.php?id=2 Wolfgang Dietrich Personal and Professional], Universität Wien, abgerufen am 17. November 2011</ref>) ist ein [[österreich]]ischer [[Friedensforschung|Friedensforscher]] und [[Politikwissenschaft]]ler.
'''Wolfgang Dietrich''' (* [[13. September]] [[1956]] in [[Innsbruck]]<ref>[https://www.uibk.ac.at/peacestudies/dietrich/index.html.en Wolfgang Dietrich Personal and Professional], Universität Innsbruck, abgerufen am 14.3.2022</ref>) ist ein [[österreich]]ischer [[Friedensforschung|Friedensforscher]] und [[Politikwissenschaft]]ler.


== Leben ==
== Leben ==
Er verbrachte seine Kinder- und Jugendjahre in [[Silz (Tirol)]] und wurde in Österreich und England ausgebildet. 1980 promovierte er an der Universität Innsbruck zum Doktor der Geschichte und Germanistik und 1984 zum Doktor der Rechtswissenschaft an derselben Universität. 1990 wurde er zum Universitätsdozenten in Politikwissenschaft nach dem österreichischen UOG ernannt. Er ist habilitiert an der Fakultät für Soziologie und Politikwissenschaft der Universität Innsbruck und ist Gastprofessor an zahlreichen Universitäten auf allen Kontinenten. 2015 ernannte ihn seine Heimatuniversität Innsbruck zum Honorarprofessor und die Arbeitsgemeinschaft der Alpenländer ARGE ALP zum Friedensbotschafter des Alpenraums. 2017 wurde er Leiter des Arbeitsbereichs Frieden und Konflikt und 2018 Co-Leiter des Forschungszentrums für Frieden und Konflikt an der Universität Innsbruck.
Er verbrachte seine Kinder- und Jugendjahre in [[Silz (Tirol)]] und wurde in Österreich und England ausgebildet. 1980 promovierte er an der Universität Innsbruck zum Doktor der Geschichte und Germanistik und 1984 zum Doktor der Rechtswissenschaft an derselben Universität. 1990 wurde er zum Universitätsdozenten in Politikwissenschaft nach dem österreichischen UOG ernannt. Er ist an der Fakultät für Soziologie und Politikwissenschaft der Universität Innsbruck habilitiert und war Gastprofessor an zahlreichen Universitäten auf allen Kontinenten.


Wolfgang Dietrich verbrachte den Großteil der 1980er Jahre in [[Zentralamerika]]. Von 1989 bis 1991 war er Vorstandssprecher der österreichischen Sektion von [[Amnesty International]]. Während der 1990er Jahre betrieb er Feldforschung in der [[Karibik]], [[Indien]], [[Ostafrika]] und [[Südostasien]]. Er war von 1995 bis 1998 Direktor der [[European University Center for Peace Studies|European Peace University]] und von 1995 bis 2007 akademischer Direktor des [[Lateinamerika-Institut (Wien)|Österreichischen Lateinamerika-Instituts]]. Gegenwärtig ist er wissenschaftlicher Direktor des Arbeitsbereichs, des Forschungszentrums, des [[Master|MA]]-Programms für Frieden, Entwicklung, Sicherheit und Internationale Konflikttransformation<ref>http://www.uibk.ac.at/peacestudies/</ref> sowie [[Chairholder]] des [[UNESCO]] Chair for Peace Studies<ref>http://www.uibk.ac.at/peacestudies/index</ref> an der Universität Innsbruck und Mitglied der Österreichischen UNESCO-Kommission<ref>[http://www.unesco.at/ Österreichische UNESCO-Kommission<!-- Bot generated title -->]</ref>.
Von 1989 bis 1991 war Wolfgang Dietrich Vorstandssprecher der österreichischen Sektion von [[Amnesty International]]. Er war von 1995 bis 1998 Direktor der [[European University Center for Peace Studies|European Peace University]] und von 1995 bis 2007 akademischer Direktor des [[Lateinamerika-Institut (Wien)|Österreichischen Lateinamerika-Instituts]]. Im Zuge seiner wissenschaftlichen Laufbahn als Friedensforscher und Praktiker lehrte und arbeitete er in Zentral- und Südamerika, Ostafrika, Indien, Südost-Asien und zuletzt verstärkt im Mittleren Osten.

2001 gründete er das Masterprogramm für Frieden, Entwicklung, Sicherheit und Internationale Konflikttransformation an der Universität Innsbruck und leitete dieses bis 2021.

2017 bis 2021 war er auch Leiter des Arbeitsbereichs Frieden und Konflikt, 2018 bis 2021 Co-Leiter des Forschungszentrums für Frieden und Konflikt an der Universität Innsbruck.

Seit 2008 ist er [[UNESCO]] Chairholder for Peace Studies<ref>http://www.uibk.ac.at/peacestudies/index</ref> an der Universität Innsbruck und Mitglied der Österreichischen UNESCO-Kommission<ref>[http://www.unesco.at/ Österreichische UNESCO-Kommission<!-- Bot generated title -->]</ref>.

2015 ernannte ihn seine Heimatuniversität Innsbruck zum Honorarprofessor und die Arbeitsgemeinschaft der Alpenländer ARGE ALP zum Friedensbotschafter des Alpenraums.


== Forschungsschwerpunkte ==
== Forschungsschwerpunkte ==
Wolfgang Dietrichs Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich Geschichte der Friedensforschung, Frieden und Entwicklung, Frieden und Postmoderne, Kulturen der vielen Frieden, Frieden und [[Weltsystemtheorie]], [[Friedenstheorie]], Musik und Frieden, sowie, in den neusten Arbeiten, auf dem Beitrag der [[Humanistischen Psychologie]] zur Friedensforschung und Konflikttransformation.
Wolfgang Dietrichs Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der [[Friedenstheorie]], der praktischen Konfliktarbeit und der Entwicklung von Curricula und Didaktik für Friedensforschung, wobei er neben der Politikwissenschaft auch Ansätze aus der Anthropologie, der Humanistischen Psychologie, der Systemtheorien und der Linguistik beachtet, was ihn seit den 1990er Jahren zum Ansatz der ''vielen Frieden'' geführt hat.

Ein häufig rezipierter Beitrag zur Friedensforschung aus seinem Frühwerk ist das [[1998]] veröffentlichte ''Plädoyer für die vielen Frieden''<ref>[http://www.uibk.ac.at/peacestudies/downloads/peacelibrary/vielefrieden.pdf Plädoyer für die vielen Frieden]</ref>. Darin löste Wolfgang Dietrich den Gedanken des einen, homogenen und universellen (liberalen) Friedens in einer Pluralität der vielen Frieden auf und begründet damit einen Ansatz, welcher im Respekt vor der Andersartigkeit fußt, auch wenn diese Andersartigkeit nicht in all ihren Nuancen verstanden oder gar geteilt werden kann. Frieden wird daher im Sinne der ''vielen Frieden'' als Substantiv im Plural gedacht. Was Frieden bedeutet, variiert von Kultur zu Kultur. Die [[Konnotation]]en und etymologischen Bedeutungen des Wortes „Frieden“ in unterschiedlichen Sprachen sind nicht identisch. Sie zeugen vielmehr von der Vielfalt der Vorstellungswelten und Wahrnehmungen der Gesellschaften, die diese Sprachen sprechen.


In seinem jüngsten Buch ''Der die das Frieden''<ref>{{Literatur |Autor=Dietrich, Wolfgang |Titel=Der die das Frieden. Nachbemerkung zur Trilogie über die vielen Frieden |Verlag=Springer VS |Ort=Wiesbaden |Datum=2021 |ISBN=978-3-658-34693-5}}</ref> (2021) entwickelt Wolfgang Dietrich den Plural des Substantivs ''die Frieden'' weiter in die Verbform ''zu frieden''.
Sein bekanntester und häufig rezipierter Beitrag zur Friedensforschung stellt das [[1998]] veröffentlichte ''Plädoyer für die vielen Frieden''<ref>[http://www.uibk.ac.at/peacestudies/downloads/peacelibrary/vielefrieden.pdf Plädoyer für die vielen Frieden]</ref> dar. In diesem löst Wolfgang Dietrich den Gedanken des einen, homogenen und universellen Friedens in einer Pluralität der vielen Frieden auf und begründet damit einen Ansatz, welcher im Respekt vor der Andersartigkeit fußt, ohne allerdings daraus den Anspruch abzuleiten, diese Andersartigkeit in allen ihren Nuancen verstehen oder Ansichten teilen zu müssen. Frieden wird daher im Sinne der ''vielen Frieden'' als Substantiv mit Plural gedacht. Was Frieden bedeutet, variiert bei näherer Betrachtung von Kultur zu Kultur, und die [[Konnotation]]en und etymologischen Bedeutungen des Wortes „Frieden“ in unterschiedlichen Sprachen sind nicht identisch, sondern zeugen vielmehr von der Vielfalt der Vorstellungswelten und Wahrnehmungen der Gesellschaften, die diese Sprachen sprechen. Frieden bezeichnet somit kein Ankommen in einem paradiesischen Zustand am Ende aller Tage, sondern einen konkret gelebten und ausgestalteten sozialen Prozess.


=== Transrationale Frieden und elicitive Konflikttransformation ===
=== Transrationale Frieden und elicitive Konflikttransformation ===


In seinen jüngeren Arbeiten unterscheidet Dietrich zwischen fünf unterschiedlichen Interpretationsfamilien von Frieden: der [[Energetik|energetischen]], der moralischen, der [[moderne]]n, der [[Postmoderne|post-modernen]] und der transrationalen. Unter [[Transrationalität]] versteht er die Verbindung zwischen dem rationalen Friedensverständnis der mechanistischen Moderne und all jener Bereiche menschlicher Beziehungen, die nicht dem Verstand folgen und doch relevant für die Gestaltung von Beziehungen und Konflikten sind. Als solche "Schichtungen" bezeichnet er die physische Episode, die sexuell-familiäre Schichtung, die emotional-gemeinschaftliche, die mental-gesellschaftliche, die transpersonale, die transhumane und das Epizentrum.
In seiner in viele Sprachen übersetzten Hauptarbeit, der Trilogie ''Variationen über die vielen Frieden,'' bestehend aus Band 1: ''Deutungen,''<ref>{{Literatur |Autor=Dietrich, Wolfgang |Titel=Deutungen |Hrsg=UNESCO Chair for Peace Studies / Universität Innsbruck |Band=1 |Verlag=Springer VS |Ort=Wiesbaden |Datum=2008 |ISBN=978-3-531-16253-9}}</ref> Band 2: ''Elicitive Konflikttransformation und die transrationale Wende der Friedenspolitik,''<ref>{{Literatur |Autor=Dietrich, Wolfgang |Titel=Elicitive Konflikttransformation und die transrationale Wende der Friedenspolitik |Hrsg=UNESCO Chair for Peace Studies / Universität Innsbruck |Band=2 |Verlag=Springer VS |Ort=Wiesbaden |Datum=2011 |ISBN=978-3-531-18123-3}}</ref> und Band 3: ''Elicitive Conflict Mapping'' <ref>{{Literatur |Autor=Dietrich, Wolfgang |Titel=Elicitive Conflict Mapping |Hrsg=UNESCO Chair for Peace Studies / Universität Innsbruck |Band=3 |Verlag=Springer VS |Ort=Wiesbaden |Datum=2015 |ISBN=978-3-658-08025-9}}</ref> unterscheidet Wolfgang Dietrich zwischen fünf unterschiedlichen Interpretationsfamilien von Frieden: der [[Energetik|energetischen]], der moralischen, der [[moderne]]n, der [[Postmoderne|post-modernen]] und der transrationalen. Unter [[Transrationalität]] versteht er die Verbindung zwischen dem rationalen Friedensverständnis der mechanistischen Moderne und all jener Bereiche menschlicher Beziehungen, die nicht dem Verstand folgen und doch relevant für die Gestaltung von Beziehungen und Konflikten sind. Als solche "Schichtungen" bezeichnet er die physische Episode, die sexuell-familiäre Schichtung, die emotional-gemeinschaftliche, die mental-gesellschaftliche, die transpersonale, die transhumane und das Epizentrum.


Auf dieser philosophischen Grundlage optiert er für [[elicitiv]]e, also von den Streitparteien in ihrem Kontext generierte [[Konflikttransformation]]. Die Konfliktarbeit besteht demnach vor allem darin, den Streitparteien einen Platz der Begegnung und einen Verhandlungsmodus zur Verfügung zu stellen, die es ihnen erlauben, selbständig neue Formen der Kommunikation und zusätzliche Handlungsoptionen wahrzunehmen. Der elicitive Ansatz, der sich aus den Prinzipien der [[Humanistischen Psychologie]] ableitet und über Autoren wie [[Paulo Freire]], [[Adam Curle]] und vor allem John Paul Lederach in die Friedens- und Konfliktforschung eingeflossen ist, unterscheidet sich grundlegend vom [[Metaethik#Präskriptivismus|präskriptiven]] Zugang der idealistischen Konfliklösungsansätze, welche traditionell die Debatte in Europa dominieren.
Auf dieser philosophischen Grundlage optiert er für [[elicitiv]]e, also von den Streitparteien in ihrem Kontext selbst generierte [[Konflikttransformation]] in der praktischen Konfliktarbeit. Diese besteht demnach darin, den Streitparteien einen Platz der Begegnung und einen Verhandlungsmodus zur Verfügung zu stellen, die es ihnen erlauben, selbständig neue Formen der Kommunikation und zusätzliche Handlungsoptionen wahrzunehmen. Der ''elicitive'' Ansatz, der sich aus den Prinzipien der [[Humanistischen Psychologie]] der Tradition Abraham Maslows, Carl Rogers, Virginia Satirs oder Fritz Perls ableitet und über Autoren wie [[Paulo Freire]], [[Adam Curle]] und vor allem John Paul Lederach in die Friedens- und Konfliktforschung eingeflossen ist, unterscheidet sich grundlegend vom [[Metaethik#Präskriptivismus|präskriptiven]] Zugang der idealistischen Konfliklösungsansätze, welche die Debatte in Europa dominieren. Im dritten Band der Trilogie bietet Dietrich mit dem Elicitive Conflict Mapping für diesen Zweck praktisches Handwerkzeug anhand konkreter Beispiele.


Aus diesen philosophischen Grundlagen und der praktischen Anwendung entwickelte er schließlich auch einen innovativen Ansatz für die universitäre Lehre von Friedensforschung, die im Innsbrucker Lehrgang<ref>http://www.uibk.ac.at/peacestudies/</ref> unter seiner Leitung umgesetzt wurde. Dieser Ansatz dient heute weltweit als Anregung für viele Curricula im Bereich der Friedensforschung, an deren Entwicklung und didaktischer Umsetzung Dietrich oft selbst beteiligt war.
Dietrichs in diesem Kontext seit der Jahrtausendwende neuer Vorschlag wird an der Innsbrucker Schule der Friedensforschung<ref>http://www.uibk.ac.at/peacestudies/</ref> didaktisch umgesetzt und praktisch angewandt. In der Praxis wird er vor allem vom
US-amerikanischen Friedensforscher [[John Paul Lederach]] und der Schule der [[multitrack diplomacy]] angewandt und vertreten.


== Quellen ==
== Quellen ==

Version vom 14. März 2022, 12:31 Uhr

Wolfgang Dietrich auf der REAL Tagung in Wien April 2006

Wolfgang Dietrich (* 13. September 1956 in Innsbruck[1]) ist ein österreichischer Friedensforscher und Politikwissenschaftler.

Leben

Er verbrachte seine Kinder- und Jugendjahre in Silz (Tirol) und wurde in Österreich und England ausgebildet. 1980 promovierte er an der Universität Innsbruck zum Doktor der Geschichte und Germanistik und 1984 zum Doktor der Rechtswissenschaft an derselben Universität. 1990 wurde er zum Universitätsdozenten in Politikwissenschaft nach dem österreichischen UOG ernannt. Er ist an der Fakultät für Soziologie und Politikwissenschaft der Universität Innsbruck habilitiert und war Gastprofessor an zahlreichen Universitäten auf allen Kontinenten.

Von 1989 bis 1991 war Wolfgang Dietrich Vorstandssprecher der österreichischen Sektion von Amnesty International. Er war von 1995 bis 1998 Direktor der European Peace University und von 1995 bis 2007 akademischer Direktor des Österreichischen Lateinamerika-Instituts. Im Zuge seiner wissenschaftlichen Laufbahn als Friedensforscher und Praktiker lehrte und arbeitete er in Zentral- und Südamerika, Ostafrika, Indien, Südost-Asien und zuletzt verstärkt im Mittleren Osten.

2001 gründete er das Masterprogramm für Frieden, Entwicklung, Sicherheit und Internationale Konflikttransformation an der Universität Innsbruck und leitete dieses bis 2021.

2017 bis 2021 war er auch Leiter des Arbeitsbereichs Frieden und Konflikt, 2018 bis 2021 Co-Leiter des Forschungszentrums für Frieden und Konflikt an der Universität Innsbruck.

Seit 2008 ist er UNESCO Chairholder for Peace Studies[2] an der Universität Innsbruck und Mitglied der Österreichischen UNESCO-Kommission[3].

2015 ernannte ihn seine Heimatuniversität Innsbruck zum Honorarprofessor und die Arbeitsgemeinschaft der Alpenländer ARGE ALP zum Friedensbotschafter des Alpenraums.

Forschungsschwerpunkte

Wolfgang Dietrichs Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Friedenstheorie, der praktischen Konfliktarbeit und der Entwicklung von Curricula und Didaktik für Friedensforschung, wobei er neben der Politikwissenschaft auch Ansätze aus der Anthropologie, der Humanistischen Psychologie, der Systemtheorien und der Linguistik beachtet, was ihn seit den 1990er Jahren zum Ansatz der vielen Frieden geführt hat.

Ein häufig rezipierter Beitrag zur Friedensforschung aus seinem Frühwerk ist das 1998 veröffentlichte Plädoyer für die vielen Frieden[4]. Darin löste Wolfgang Dietrich den Gedanken des einen, homogenen und universellen (liberalen) Friedens in einer Pluralität der vielen Frieden auf und begründet damit einen Ansatz, welcher im Respekt vor der Andersartigkeit fußt, auch wenn diese Andersartigkeit nicht in all ihren Nuancen verstanden oder gar geteilt werden kann. Frieden wird daher im Sinne der vielen Frieden als Substantiv im Plural gedacht. Was Frieden bedeutet, variiert von Kultur zu Kultur. Die Konnotationen und etymologischen Bedeutungen des Wortes „Frieden“ in unterschiedlichen Sprachen sind nicht identisch. Sie zeugen vielmehr von der Vielfalt der Vorstellungswelten und Wahrnehmungen der Gesellschaften, die diese Sprachen sprechen.

In seinem jüngsten Buch Der die das Frieden[5] (2021) entwickelt Wolfgang Dietrich den Plural des Substantivs die Frieden weiter in die Verbform zu frieden.

Transrationale Frieden und elicitive Konflikttransformation

In seiner in viele Sprachen übersetzten Hauptarbeit, der Trilogie Variationen über die vielen Frieden, bestehend aus Band 1: Deutungen,[6] Band 2: Elicitive Konflikttransformation und die transrationale Wende der Friedenspolitik,[7] und Band 3: Elicitive Conflict Mapping [8] unterscheidet Wolfgang Dietrich zwischen fünf unterschiedlichen Interpretationsfamilien von Frieden: der energetischen, der moralischen, der modernen, der post-modernen und der transrationalen. Unter Transrationalität versteht er die Verbindung zwischen dem rationalen Friedensverständnis der mechanistischen Moderne und all jener Bereiche menschlicher Beziehungen, die nicht dem Verstand folgen und doch relevant für die Gestaltung von Beziehungen und Konflikten sind. Als solche "Schichtungen" bezeichnet er die physische Episode, die sexuell-familiäre Schichtung, die emotional-gemeinschaftliche, die mental-gesellschaftliche, die transpersonale, die transhumane und das Epizentrum.

Auf dieser philosophischen Grundlage optiert er für elicitive, also von den Streitparteien in ihrem Kontext selbst generierte Konflikttransformation in der praktischen Konfliktarbeit. Diese besteht demnach darin, den Streitparteien einen Platz der Begegnung und einen Verhandlungsmodus zur Verfügung zu stellen, die es ihnen erlauben, selbständig neue Formen der Kommunikation und zusätzliche Handlungsoptionen wahrzunehmen. Der elicitive Ansatz, der sich aus den Prinzipien der Humanistischen Psychologie der Tradition Abraham Maslows, Carl Rogers, Virginia Satirs oder Fritz Perls ableitet und über Autoren wie Paulo Freire, Adam Curle und vor allem John Paul Lederach in die Friedens- und Konfliktforschung eingeflossen ist, unterscheidet sich grundlegend vom präskriptiven Zugang der idealistischen Konfliklösungsansätze, welche die Debatte in Europa dominieren. Im dritten Band der Trilogie bietet Dietrich mit dem Elicitive Conflict Mapping für diesen Zweck praktisches Handwerkzeug anhand konkreter Beispiele.

Aus diesen philosophischen Grundlagen und der praktischen Anwendung entwickelte er schließlich auch einen innovativen Ansatz für die universitäre Lehre von Friedensforschung, die im Innsbrucker Lehrgang[9] unter seiner Leitung umgesetzt wurde. Dieser Ansatz dient heute weltweit als Anregung für viele Curricula im Bereich der Friedensforschung, an deren Entwicklung und didaktischer Umsetzung Dietrich oft selbst beteiligt war.

Quellen

  1. Wolfgang Dietrich Personal and Professional, Universität Innsbruck, abgerufen am 14.3.2022
  2. http://www.uibk.ac.at/peacestudies/index
  3. Österreichische UNESCO-Kommission
  4. Plädoyer für die vielen Frieden
  5. Dietrich, Wolfgang: Der die das Frieden. Nachbemerkung zur Trilogie über die vielen Frieden. Springer VS, Wiesbaden 2021, ISBN 978-3-658-34693-5.
  6. Dietrich, Wolfgang: Deutungen. Hrsg.: UNESCO Chair for Peace Studies / Universität Innsbruck. Band 1. Springer VS, Wiesbaden 2008, ISBN 978-3-531-16253-9.
  7. Dietrich, Wolfgang: Elicitive Konflikttransformation und die transrationale Wende der Friedenspolitik. Hrsg.: UNESCO Chair for Peace Studies / Universität Innsbruck. Band 2. Springer VS, Wiesbaden 2011, ISBN 978-3-531-18123-3.
  8. Dietrich, Wolfgang: Elicitive Conflict Mapping. Hrsg.: UNESCO Chair for Peace Studies / Universität Innsbruck. Band 3. Springer VS, Wiesbaden 2015, ISBN 978-3-658-08025-9.
  9. http://www.uibk.ac.at/peacestudies/

Weblinks