„Häutungen“ – Versionsunterschied

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== Inhalt ==
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Stefan schildert in Häutungen den Prozess einer Frau, die sich aus einer konventionellen heterosexuellen Beziehung in eine lesbische Beziehung begibt und dabei das Moment der Unterdrückung in der heterosexuellen Beziehung erkennt, in der gleichgeschlechtlichen Beziehung hingegen eine konkrete Utopie findet.

Hauptthema des Buches ist das Erleben von [[Sexualität]] der Ich-Erzählerin: von „Selbstaufgabe“ und Anpassung an die Wünsche und Vorstellungen der männlichen Partner, des Prozesses ihrer Suche nach der eigenen, „wahren“ geschlechtlichen Identität, verbunden mit der Hinwendung zu Frauen und der Selbstverwirklichung des weiblichen Ichs in der [[lesbisch]]en Sexualität. Stefan beschreibt einen Emanzipationsprozess, in dem die Erinnerungsarbeit und die Loslösung von den entfremdenden Beziehungen zum anderen Geschlecht metaphorisch als ''Häutung'' erfahren wird. Sie besetzt dieses Bild mit der Schlange, dem mythischen Symbol für weibliche Sexualität.<ref>Franziska Frei Gerlach: ''Schrift und Geschlecht.'' Erich Schmidt Verlag, Berlin 1998, ISBN 3-503-03793-4, S. 42f.</ref> Am Ende des Buches steht der Satz: „der mensch meines lebens bin ich.“<ref>Zitiert in: Margret Brügmann: ''Das gläserne Ich. Überlegungen zum Verhältnis von Frauenliteratur und Postmoderne am Beispiel von Anne Dudens "Das Judasschaf"'' In: Mona Knapp, Gerd Labroisse: ''Frauen-Fragen in der deutschsprachigen Literatur seit 1945.'' Rodopi Verlag, Amsterdam 1989, ISBN 90-5183-043-2, S. 253/254.</ref>
Hauptthema des Buches ist das Erleben von [[Sexualität]] der Ich-Erzählerin: von „Selbstaufgabe“ und Anpassung an die Wünsche und Vorstellungen der männlichen Partner, des Prozesses ihrer Suche nach der eigenen, „wahren“ geschlechtlichen Identität, verbunden mit der Hinwendung zu Frauen und der Selbstverwirklichung des weiblichen Ichs in der [[lesbisch]]en Sexualität. Stefan beschreibt einen Emanzipationsprozess, in dem die Erinnerungsarbeit und die Loslösung von den entfremdenden Beziehungen zum anderen Geschlecht metaphorisch als ''Häutung'' erfahren wird. Sie besetzt dieses Bild mit der Schlange, dem mythischen Symbol für weibliche Sexualität.<ref>Franziska Frei Gerlach: ''Schrift und Geschlecht.'' Erich Schmidt Verlag, Berlin 1998, ISBN 3-503-03793-4, S. 42f.</ref> Am Ende des Buches steht der Satz: „der mensch meines lebens bin ich.“<ref>Zitiert in: Margret Brügmann: ''Das gläserne Ich. Überlegungen zum Verhältnis von Frauenliteratur und Postmoderne am Beispiel von Anne Dudens "Das Judasschaf"'' In: Mona Knapp, Gerd Labroisse: ''Frauen-Fragen in der deutschsprachigen Literatur seit 1945.'' Rodopi Verlag, Amsterdam 1989, ISBN 90-5183-043-2, S. 253/254.</ref>


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Verena Stefan gehörte zu Beginn der 1970er Jahre in Berlin der feministischen Gruppe ''Brot und Rosen'' an, mit der sie Frauenkongresse und Aktionen gegen den [[§ 218]] organisierte. Für die Zeitschrift [[Kursbuch (Zeitschrift)|Kursbuch]] sollte die Gruppe einen Beitrag zum Thema „Wie lässt sich die Emanzipation der Frau mit der Beziehung zu einem Mann vereinbaren?“ schreiben. Daraus entstand das Manuskript zu ''Häutungen''.<ref>[https://taz.de/Schriftstellerin-Verena-Stefan/!5182326/ Interview mit Verena Stefan, taz vom 10. Mai 2008]</ref> Als Verena Stefan 1974 ihr Buch zu schreiben begann, gab es in Deutschland weder Frauenbuchläden noch [[Feminismus|feministische]] Verlage. Das Schreiben eines Buches betrachtete sie als „die geeignetste Form, für die Sache der Frauen zu handeln“.<ref>Zitiert in: Karen Ruoff Kramer: ''The politics of discourse.'' Peter Lang Verlag, 1993, ISBN 3-261-04409-8, S. 240.</ref>
Verena Stefan gehörte zu Beginn der 1970er Jahre in Berlin der feministischen Gruppe ''Brot und Rosen'' an, mit der sie Frauenkongresse und Aktionen gegen den [[§ 218]] organisierte. Für die Zeitschrift [[Kursbuch (Zeitschrift)|Kursbuch]] sollte die Gruppe einen Beitrag zum Thema „Wie lässt sich die Emanzipation der Frau mit der Beziehung zu einem Mann vereinbaren?“ schreiben. Daraus entstand das Manuskript zu ''Häutungen''.<ref>[https://taz.de/Schriftstellerin-Verena-Stefan/!5182326/ Interview mit Verena Stefan, taz vom 10. Mai 2008]</ref> Als Verena Stefan 1974 ihr Buch zu schreiben begann, gab es in Deutschland weder Frauenbuchläden noch [[Feminismus|feministische]] Verlage. Das Schreiben eines Buches betrachtete sie als „die geeignetste Form, für die Sache der Frauen zu handeln“.<ref>Zitiert in: Karen Ruoff Kramer: ''The politics of discourse.'' Peter Lang Verlag, 1993, ISBN 3-261-04409-8, S. 240.</ref>


Schon nach einem Jahr wurde das Buch in fünfter Auflage gedruckt. Im Frühjahr 1976 lag die Auflagenhöhe bereits bei 44.000,<ref>{{Literatur |Autor=Verena Stefan |Titel=Kakophonie - Vorwort zur Neuausgabe von 1994 |Sammelwerk=Häutungen |Auflage=Neue Ausgabe |Verlag=Fischer Taschenbuch Verlag |Ort=Frankfurt am Main |Datum=1994 |Reihe=Die Frau in der Gesellschaft |ISBN=978-3-596-11837-3 |Seiten=4-25}}</ref> 1980 hatte es eine Auflagenzahl von 200.000 erzielt, obwohl die Werbung nur über Mundpropaganda lief. ''Häutungen'' hat den Aufbau des Verlags [[Frauenoffensive]], der es als erstes Buch verlegte, möglich gemacht und den Markt für „Literatur von Frauen für Frauen“ geöffnet.<ref>[https://www.munzinger.de/search/klg/Verena+Stefan/540.html Munzinger-Archiv, Stand 1. Juni 2009]</ref> Es ist mit rund 500.000 verkauften Exemplaren das meistgelesene Buch der neueren [[Frauenliteratur]].
Schon nach einem Jahr wurde das Buch in fünfter Auflage gedruckt. Im Frühjahr 1976 lag die Auflagenhöhe bereits bei 44.000,<ref>{{Literatur |Autor=Verena Stefan |Titel=Kakophonie - Vorwort zur Neuausgabe von 1994 |Sammelwerk=Häutungen |Auflage=Neue Ausgabe |Verlag=Fischer Taschenbuch Verlag |Ort=Frankfurt am Main |Datum=1994 |Reihe=Die Frau in der Gesellschaft |ISBN=978-3-596-11837-3 |Seiten=4-25}}</ref> 1984 hatte es eine Auflagenzahl von 250.000 erzielt,<ref name=":1">{{Literatur |Autor=Madeleine Marti |Titel=Hinterlegte Botschaften: Die Darstellung lesbischer Frauen in der deutschsprachigen Literatur seit 1945 |Sammelwerk= |WerkErg= |Auflage= |Verlag=Springer Verlag |Datum=2017 |ISBN=9783476034298 |Seiten=124 |JahrEA=1991 |VerlagEA=J.B. Metzler}}</ref> obwohl die Werbung nur über Mundpropaganda lief. ''Häutungen'' hat den Aufbau des Verlags [[Frauenoffensive]], der es als erstes Buch verlegte, möglich gemacht und den Markt für „Literatur von Frauen für Frauen“ geöffnet.<ref>{{Internetquelle |url=https://www.munzinger.de/search/klg/Verena+Stefan/540.html |titel=Verena Stefan - Kritisches Lexikon der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur (KLG) |abruf=2023-10-10}}</ref> Es ist mit rund 500.000 verkauften Exemplaren das meistgelesene Buch der neueren [[Frauenliteratur]].


Zugleich war das Buch auch insofern revolutionär, weil es erstmals in einem belletristischen Text Ansätze zu einer [[Geschlechtergerechte Sprache|geschlechtergerechten Sprache]] suchte. Stefan schrieb einleitend "Beim schreiben dieses buches, dessen inhalt hierzulande überfällig ist, bin ich wort für wort und begriff um begriff an der vorhandenen sprache angeeckt. [...] Die sprache versagt, sobald ich über neue erfahrungen berichten will [...] ich stelle begriffe, mit denen nichts mehr geklärt werden kann, in frage oder sortiere sie aus [...] Mit dem wörtchen 'man' fängt es an. 'man' hat, 'man' tut, 'man' fühlt [...] Entlarvend sind sätze, die mit, "als frau hat 'man' ja", beginnen. 'man' hat als frau keine identität. frau kann sie nur als frau suchen."<ref name=":0">{{Literatur |Autor=Verena Stefan |Titel=Einleitung von 1975 |Sammelwerk=Häutungen |Auflage=Neue Ausgabe |Verlag=Fischer Taschenbuch Verlag |Ort=Frankfurt am Main |Datum=1994 |Reihe=Die Frau in der Gesellschaft |ISBN=978-3-596-11837-3 |Seiten=26-28}}</ref> Dementsprechend gebrauchte Stefan konsequent die Form „frau“ als Gegenstück zum [[Indefinitpronomen]] „man“.
Zugleich war das Buch auch insofern revolutionär, weil es erstmals in einem belletristischen Text Ansätze zu einer [[Geschlechtergerechte Sprache|geschlechtergerechten Sprache]] suchte. Stefan schrieb einleitend "Beim schreiben dieses buches, dessen inhalt hierzulande überfällig ist, bin ich wort für wort und begriff um begriff an der vorhandenen sprache angeeckt. [...] Die sprache versagt, sobald ich über neue erfahrungen berichten will [...] ich stelle begriffe, mit denen nichts mehr geklärt werden kann, in frage oder sortiere sie aus [...] Mit dem wörtchen 'man' fängt es an. 'man' hat, 'man' tut, 'man' fühlt [...] Entlarvend sind sätze, die mit, "als frau hat 'man' ja", beginnen. 'man' hat als frau keine identität. frau kann sie nur als frau suchen."<ref name=":0">{{Literatur |Autor=Verena Stefan |Titel=Einleitung von 1975 |Sammelwerk=Häutungen |Auflage=Neue Ausgabe |Verlag=Fischer Taschenbuch Verlag |Ort=Frankfurt am Main |Datum=1994 |Reihe=Die Frau in der Gesellschaft |ISBN=978-3-596-11837-3 |Seiten=26-28}}</ref> Dementsprechend gebrauchte Stefan konsequent die Form „frau“ als Gegenstück zum [[Indefinitpronomen]] „man“.

Version vom 10. Oktober 2023, 16:36 Uhr

Häutungen ist das autobiografische Romandebüt von Verena Stefan mit dem Untertitel Biografische Aufzeichnungen. Gedichte. Träume. Analysen aus dem Jahr 1975, das als erster deutschsprachiger literarischer Text der Neuen Frauenbewegung Furore machte und ein Bestseller wurde.

Inhalt

Stefan schildert in Häutungen den Prozess einer Frau, die sich aus einer konventionellen heterosexuellen Beziehung in eine lesbische Beziehung begibt und dabei das Moment der Unterdrückung in der heterosexuellen Beziehung erkennt, in der gleichgeschlechtlichen Beziehung hingegen eine konkrete Utopie findet.

Hauptthema des Buches ist das Erleben von Sexualität der Ich-Erzählerin: von „Selbstaufgabe“ und Anpassung an die Wünsche und Vorstellungen der männlichen Partner, des Prozesses ihrer Suche nach der eigenen, „wahren“ geschlechtlichen Identität, verbunden mit der Hinwendung zu Frauen und der Selbstverwirklichung des weiblichen Ichs in der lesbischen Sexualität. Stefan beschreibt einen Emanzipationsprozess, in dem die Erinnerungsarbeit und die Loslösung von den entfremdenden Beziehungen zum anderen Geschlecht metaphorisch als Häutung erfahren wird. Sie besetzt dieses Bild mit der Schlange, dem mythischen Symbol für weibliche Sexualität.[1] Am Ende des Buches steht der Satz: „der mensch meines lebens bin ich.“[2]

Entstehungsgeschichte und Wirkung

Verena Stefan gehörte zu Beginn der 1970er Jahre in Berlin der feministischen Gruppe Brot und Rosen an, mit der sie Frauenkongresse und Aktionen gegen den § 218 organisierte. Für die Zeitschrift Kursbuch sollte die Gruppe einen Beitrag zum Thema „Wie lässt sich die Emanzipation der Frau mit der Beziehung zu einem Mann vereinbaren?“ schreiben. Daraus entstand das Manuskript zu Häutungen.[3] Als Verena Stefan 1974 ihr Buch zu schreiben begann, gab es in Deutschland weder Frauenbuchläden noch feministische Verlage. Das Schreiben eines Buches betrachtete sie als „die geeignetste Form, für die Sache der Frauen zu handeln“.[4]

Schon nach einem Jahr wurde das Buch in fünfter Auflage gedruckt. Im Frühjahr 1976 lag die Auflagenhöhe bereits bei 44.000,[5] 1984 hatte es eine Auflagenzahl von 250.000 erzielt,[6] obwohl die Werbung nur über Mundpropaganda lief. Häutungen hat den Aufbau des Verlags Frauenoffensive, der es als erstes Buch verlegte, möglich gemacht und den Markt für „Literatur von Frauen für Frauen“ geöffnet.[7] Es ist mit rund 500.000 verkauften Exemplaren das meistgelesene Buch der neueren Frauenliteratur.

Zugleich war das Buch auch insofern revolutionär, weil es erstmals in einem belletristischen Text Ansätze zu einer geschlechtergerechten Sprache suchte. Stefan schrieb einleitend "Beim schreiben dieses buches, dessen inhalt hierzulande überfällig ist, bin ich wort für wort und begriff um begriff an der vorhandenen sprache angeeckt. [...] Die sprache versagt, sobald ich über neue erfahrungen berichten will [...] ich stelle begriffe, mit denen nichts mehr geklärt werden kann, in frage oder sortiere sie aus [...] Mit dem wörtchen 'man' fängt es an. 'man' hat, 'man' tut, 'man' fühlt [...] Entlarvend sind sätze, die mit, "als frau hat 'man' ja", beginnen. 'man' hat als frau keine identität. frau kann sie nur als frau suchen."[8] Dementsprechend gebrauchte Stefan konsequent die Form „frau“ als Gegenstück zum Indefinitpronomen „man“.

Ausgaben (Auswahl)

Literatur

  • Nicola Huber: Emanzipation in Wort, Schrift und Tat. Die zweite Welle der Frauenbewegung am Beispiel von Verena Stefans «Häutungen» und Christa Wolfs «Kassandra». Grin, München 2014, ISBN 978-3-656-68289-9.
  • Roman Weber: Verena Stefans «Häutungen». Eine Analyse hinsichtlich Ihrer Kritik am vorherrschenden heteronormativen Sexualitätsverständnis. Grin, München 2014, ISBN 978-3-656-65815-3.

Einzelnachweise

  1. Franziska Frei Gerlach: Schrift und Geschlecht. Erich Schmidt Verlag, Berlin 1998, ISBN 3-503-03793-4, S. 42f.
  2. Zitiert in: Margret Brügmann: Das gläserne Ich. Überlegungen zum Verhältnis von Frauenliteratur und Postmoderne am Beispiel von Anne Dudens "Das Judasschaf" In: Mona Knapp, Gerd Labroisse: Frauen-Fragen in der deutschsprachigen Literatur seit 1945. Rodopi Verlag, Amsterdam 1989, ISBN 90-5183-043-2, S. 253/254.
  3. Interview mit Verena Stefan, taz vom 10. Mai 2008
  4. Zitiert in: Karen Ruoff Kramer: The politics of discourse. Peter Lang Verlag, 1993, ISBN 3-261-04409-8, S. 240.
  5. Verena Stefan: Kakophonie - Vorwort zur Neuausgabe von 1994. In: Häutungen (= Die Frau in der Gesellschaft). Neue Ausgabe Auflage. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1994, ISBN 978-3-596-11837-3, S. 4–25.
  6. Madeleine Marti: Hinterlegte Botschaften: Die Darstellung lesbischer Frauen in der deutschsprachigen Literatur seit 1945. Springer Verlag, 2017, ISBN 978-3-476-03429-8, S. 124 (Erstausgabe: J.B. Metzler, 1991).
  7. Verena Stefan - Kritisches Lexikon der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur (KLG). Abgerufen am 10. Oktober 2023.
  8. Verena Stefan: Einleitung von 1975. In: Häutungen (= Die Frau in der Gesellschaft). Neue Ausgabe Auflage. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1994, ISBN 978-3-596-11837-3, S. 26–28.