Aché (Ethnie)

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Die Aché sind eine indigene Gruppe, die im Osten Paraguays lebt und die aufgrund ihrer Lebensweise zu den Jägern und Sammlern gezählt werden kann. Ihr gehören ca. 1500 Personen an.[1] Während der 1970er Jahre wurden sie unter dem Diktator Alfredo Stroessner aus ihrer Heimat in der Region des Departamento Alto Paraná vertrieben. Aufgrund mangelnder medizinischer Versorgung sollen bei der Vertreibung und Umsiedlung ca 38 % der Aché an Krankheiten gestorben sein[2]. Um das Jahr 2000 siedelten sie sich wieder in ihrer alten Heimat an.

Allgemeines

Die früher als Guayaki oder Guayakí bezeichneten Aché leben heute im Osten Paraguays im zentralparaguayischen Bergland zwischen den Einzugsgebieten des Río Paraná und Río Paraguay. Das Gebiet ist zu 80 % von tropischem Regenwald bedeckt und erhebt sich zwischen 100 und 300 m über NN. Die Niederschlagsmenge beträgt ungefähr 1800 mm und die durchschnittlichen Temperaturen liegen um 35 °C im Januar und 10 °C im Juli[3].

Sie gehören zur Tupí-Sprachfamilie. Ihre Kultur ist von der Jagd und dem Nomadentum in den Wäldern geprägt. Es existieren noch vier Aché-Gruppen (die Ñacunday, die nördliche Gruppe, die Ypeti und die Yvytyruzu), die teilweise in den fünf Reservaten Perto Barra, Ypetymi, Cerro Moroti, Chupa Pou und Arroyo Bandera leben. Die früher als Südgruppe[4] bezeichneten Aché existierten nur bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts. 1970 wurden 550 Aché gezählt, 1983 unter 1000 und 1989 leben in den Reservaten 685 Aché[5].

Geschichte

Man vermutet, dass die Aché, wie die meisten der Tupi-Sprachfamilie, früher Bauern waren, jedoch von den Guaraní in die Wälder verdrängt wurden. Dies veränderte ihre wirtschaftliche Grundlage und die Aché wurden Nomaden. Es entwickelte sich die Jägerkultur, wie sie heute noch teilweise existiert. Die frühesten Aufzeichnungen über die Aché stammen von Chroniken der Jesuiten-Missionaren aus dem 17. und 18. Jahrhundert. Es sind Zusammenfassungen von Expeditionen, wonach die Aché westlich des Parana lokalisiert wurden. Der erste Kontakt zwischen Aché und dem Missionar Padre Jose de Insuarralde am Acaray erfolgte in den 30er und 40er Jahren des 17. Jahrhunderts. In der Folgezeit kommt es immer wieder zu gewaltsamen Übergriffen, Missionierungen und Versklavungen[6].

Berichte über die Aché enden nach der Ausweisung der Jesuiten aus Paraguay 1768. Erst während des „Tripel-Allianz-Krieges“ gegen Paraguay im 19. Jahrhundert, werden die Aché wieder erwähnt. Durch die Depopulation der Guarani, dehnen sich die Gebiete der Aché erstmals wieder aus. Begegnungen zwischen Aché und Kolonisten waren in dieser Zeit keineswegs friedlicher Natur. Im 20. Jahrhundert folgte dann eine Zeit der friedlichen Begegnung. Jesus Manuel Pereira nahm Kontakt mit den Aché auf und versuchte sie in Vorläufern der Reservate zu beschützen. Durch Infektionskrankheiten starben viele Aché und die Südgruppe ging in der Bevölkerung auf, starb oder kehrte in die Wälder zurück.

Seit den 1930er Jahren wurde mit allen vier verbleibenden Gruppen Kontakt aufgenommen. In den 1950er Jahren wurden erste Reservate geschaffen, in denen die Aché zum Teil noch heute leben. Besonders seit den 1960er Jahren besuchten Wissenschaftler die Reservate und eine Reihe von Publikationen über die Aché entstanden[7].

Soziale, politische und wirtschaftliche Organisation

Siedlungssystem

Das Siedlungssystem ist der Lebensweise der Aché angepasst. Wie bei den meisten Jäger- und Sammlerkulturen, ziehen sie durch ihr Gebiet auf der Suche nach Beute und Essbarem. Deshalb errichten sie nur einfache Hütten, die sie nur wenige Tage benutzen. Die Aché haben zudem ein Rotationssystem, nach dem sie nur bestimmte Sektionen bejagen, um eine Regeneration der anderen Sektionen zu gewährleisten[8].

Die Aché reisen in Wildbeuter-Kleingruppen von 20 bis maximal 100 Personen. Im Durchschnitt leben 9 Erwachsene in einem Camp, das sie „enda“ nennen, was den Lagerplatz und die gemeinsam wandernde Gruppe bezeichnet. 1971 lebten die nördlichen Aché in zehn bis fünfzehn Camps auf einem Gebiet von ungefähr 20.000 km²[9].

Soziale Organisation

Fernsehmoderator Simon Reeve mit Aché-Kindern

Zu den engeren Verwandten zählen die Aché die Eltern, Kinder und meist noch die Geschwister der Eltern und deren Kinder. Sie alle gehören zur „enda“. Es gibt keine festen Residenzregeln, jedoch ziehen die Männer meist zu den Frauen (Uxorilokalität) oder das Paar sucht sich einen neuen Lagerplatz (Neolokalität).

Die Aché haben ein komplexes Allianzsystem. Die Heirat zwischen engen Verwandten und mit den „Jary“ ist verboten. Die „Jary“ sind die Paten eines Kindes. Es gibt drei „Jary“, die dafür zuständig sind das Kind zu entbinden, zu waschen und sich um die Mutter zu kümmern, sowie das Neugeborene zu umsorgen. Die „Jary“ spielen ein Leben lang eine rituelle Rolle im Leben des Kindes und der Eltern. Sie begleiten die Kinder in allen Phasen ihrer Entwicklung und bei den Ritualen.

Ansonsten unterliegt die Wahl eines Partners keinen festen Regeln, wenn auch die älteren Männer gewisse Privilegien in der Wahl der meist jungen Mädchen haben. Frauen heiraten im Durchschnitt mit 15 Jahren und lassen sich oft mehrfach scheiden, sodass sie meist mit zwei bis fünf Männern Nachkommen zeugen. Selten lassen sich die Frauen aber nach dem 25. Lebensjahr scheiden, sondern bleiben dann bei ihrem Mann.

Männer hingegen heiraten mit ungefähr zwanzig nach ihrer Initiation als Mann und dürfen mehrere Frauen gleichzeitig heiraten. In der Gegenwart überwiegt die Monogamie, wahrscheinlich auch aufgrund des christlichen Einflusses. Die traditionelle Mehrehe ist fast verschwunden.

Die Stellung in der Gesellschaft der Aché wird durch das Alter und das Geschlecht bestimmt. Privilegien und Aufgaben richten sich nach diesen Prinzipien. Die soziale Entwicklung und Bedeutung der jungen Aché beginnt im Mutterleib. Dem Fötus werden übernatürliche Eigenschaften zugesprochen, z.B. die Fähigkeit der werdenden Mutter zu zeigen, wo sich Jagdbeute aufhält. Nach der Geburt sind die Phasen je nach körperlicher Entwicklung unterschiedlich lang. Man kann sie in die Zeit vor, während und nach der Pubertät einteilen. Die verschiedenen Phasen werden von Riten und bestimmten Essvorschriften begleitet. Die Riten dienen dazu die jungen Aché in die Pflichten der Gesellschaft (je nach Geschlecht) einzuführen. Die Essvorschriften zielen darauf ab, dass vor allem die männlichen Nachkommen nie das essen dürfen, was sie schon selbst erjagen könnten. So bleiben sie abhängig bis zum Zeitpunkt ihres Erwachsenwerdens mit ungefähr 25[10].

Politische Struktur

Die Aché sind eine akephale Kultur, da aufgrund der unbeständigen Gruppenorganisation kein Anführer herausgebildet wurde. Entscheidungen werden innerhalb einer Gruppe von den anwesenden Erwachsenen herbeigeführt. Dabei werden Mitglieder der Gruppe, die einen besonders hohen Beitrag zur Gemeinschaft leisten, bei Entscheidungen schwerer gewichtet.

Die Sprecher der Aché in den gegenwärtigen Reservaten werden ebenfalls gewählt. Sie können jedoch jederzeit wieder abgesetzt werden, wenn eine Gruppe, auch eine Minderheit, Neuwahlen fordert. Bis jetzt begleiteten nur Männer dieses Amt, wenn auch Frauen dies nicht verboten ist.[11]

Wirtschaftliche Organisation

Jagd mit Pfeil und Bogen

Die Aché bestreiten zu 78 % ihre Kalorienzufuhr mit Fleisch. Die restlichen 22 % setzen sich aus Honig, Larven und Pflanzen zusammen. Mit einer Pro-Kopf-Kalorienzahl von über 2700 kcal, sind die Aché überdurchschnittlich versorgt.

Da die Jagd die Grundlage der Gesellschaft ist, ist der Bogen als Jagdwaffe nicht nur ein Gebrauchsgegenstand, sonder hat auch eine kulturelle Bedeutung. Der Umgang mit dem Bogen üben schon Jugendliche. Der Bogen ist schwer zu handhaben, was gewollt ist, damit dem Bogenschießen eine noch höhere Bedeutung zukommt. Das Jagen ist nur den Männern vorbehalten, das Berühren des Bogens den Frauen sogar untersagt. Das Gleiche gilt für den Korb der Frauen, den nur sie berühren dürfen. Die Arbeitsteilung sieht vor, dass die Männer jagen, ca. sieben Stunden am Tag und die Frauen Sammeln (zwei Stunden täglich) und sich um das Camp und vor allem um die Kinder kümmern.

Die Aché sind aber auch bekannt für den hohen Grad an „food-sharing“. Neue Untersuchungen auf diesem Gebiet haben gezeigt, dass die Aché, vor allem von denen, die noch in den Wäldern leben, im hohen Maße ihr Essen teilen. Schon ab einer geringen Größe der Beute werden über 80 % der Nahrung mit anderen geteilt. Um ein solches System zu erhalten wird sozialer Druck auf die Gemeinschaft ausgeübt, damit sich jeder an diesem Prinzip beteiligt[12].

Religion

Die traditionelle Religion der Aché, zu der sich nach Angaben des evangelikal-fundamentalistisch ausgerichteten Bekehrungsnetzwerkes Joshua Project noch 45 Prozent bekennen,[13] beruht auf einer mystischen Einheit vom Menschen mit der Natur und ihren Kreisläufen.[14]

Danach reinkarniert die Seele Verstorbener in einem leiblichen Nachkommen. Vorher kehrt sie jedoch in den Wald zurück und löst sich dort auf. Die einzelnen Bestandteile gehen teils in Pflanzen, teils in Tiere ein oder wandern ins Jenseits. Dabei verschmilzen sie zeitweilig mit den Naturerscheinungen, bevor sie sich wieder in einem Tier zusammenfinden, um dann beim Verzehr dieses Beutetieres in den werdenden Nachkommen zu gelangen. Damit nimmt das Kind die Elemente der Natur und gleichzeitig die Seelen der Vorfahren in sich auf.[15] Diese Vorstellung hat zu einem Ahnenkult geführt. Wichtige Rituale sind meditative Lieder, die zu Jenseitsträumen führen und die Simulation von Tod und Wiedergeburt durch freiwillige Folter bis zur Bewusstlosigkeit. Die meisten Kulte dienen dazu, den Seelenkreislauf zu unterstützen und zu erhalten.[14]

Die heutige Vernichtung der Natur und die erzwungene Aufgabe der wildbeuterischen Lebensweise wird der Seelenkreislauf durchbrochen. Damit verlieren die Aché ihren Kontakt zu Tieren und Vorfahren; sie werden gesichts- und namenlos.[15] Dies führt nicht selten zum frühzeitigen Todeswunsch der Menschen, die so dem „entseelten“ Schicksal entkommen wollen.[14]

Der überlieferte Glaube nahm ein „Gleichgewicht des Himmels“ an: Verschiedene, einander feindlich gesonnenen Gruppierungen unter den Seelen der Tiere, Pflanzen und Vorfahren und jenseitigen höheren Geistwesen kämpfen permanent miteinander. Seit dem Vordringen der Euroamerikaner haben die bösen Kräfte die Oberhand gewonnen. Sie vergleichen dies mit dem Sieg des räuberischen „Blauen Jaguars“, eines höheren Wesens, das den Menschen feindlich gesonnen ist, selbst aber aus bestimmten, besonders wilden Bestandteilen menschlicher Seelen entstand. War das früher der Fall, bestand die Rettung der Aché darin, sich dem Sieg des Jaguars zu beugen und selbst ihre wildesten, unmenschlichsten Züge herauszukehren. Sowohl der blaue Jaguar als auch der Einfluss der Weißen fand in der Dichtkunst des Stammes ihren Niederschlag: Ein Lied erzählt etwa von einer Schreckensvision, wo Weiße und Jaguare regieren und die Sonne aufgefressen wird. Die Seele eines toten Aché verbindet sich in dieser neuen Welt mit den Weißen. Frieden mit den Weißen aber bedeutet Bruch mit den Vorfahren und somit Identitätsverlust.[15]

Die Religion der Aché kennt keine spirituellen Spezialisten oder den Gebrauch von Rauschmitteln zu religiösen Zwecken.[14]

Heute haben sich viele Aché notgedrungen mit ihrem Schicksal abgefunden. Die alten religiösen Überzeugungen sind jedoch so stark, dass viele sich vollkommen verzweifelt fühlen: Neben den oben genannten „freiwilligen“ Morden haben einige Aché sich von fundamentalistisch-protestantischen Missionaren des Millenarismus aus den USA bekehren lassen. Mit großer Hoffnung erwarten sie das nahe Ende der Welt, das nur derjenige überlebt, der bekehrt worden ist. Diejenigen Aché, die unter dem Einfluss der katholischen Mission stehen, glauben, sie würden alle durch einen Stern zerstört und den Krallen des Teufels ausgeliefert.[15]

Literatur

Weblinks

Presse zum Genozid

Einzelnachweise

  1. Aché ethnologue.com, abgerufen am 25. Oktober 2013.
  2. Bartomeu Melià, Luigi Miraglia, Mark Münzel, Christine Münzel: La Agonia de 10s Aché Guayaki. Historia y Cantos. Centro de Estudios Antropologicos, Universidad Catolica: Asunción 1973. Wissenschaftliche Abhandlung über die Aché (spanisch)
  3. Kim Hill, A. Magdalena Hurtado: The Aché of Paraguay. In: Richard B. Lee, Richard Daly (Hrsg.): The Cambridge Encyclopedia of Hunters and Gatherers. Cambridge 1999, S. 92ff.
  4. Mark Münzel: Gejagte Jäger. Aché- und Mbía-Indianer in Südamerika. Teil 1: Die Aché in Ostparaguay, Frankfurt am Main 1983, S. 23.
  5. Kim Hill, A. Magdalena Hurtado: Ache life history. The ecology and demography of a foraging people. New York 1996, S. 49 und 56.
  6. Kim Hill, A. Magdalena Hurtado: Ache life history. The ecology and demography of a foraging people, New York 1996, S. 41–57.
  7. Ebd.
  8. Mark Münzel: Gejagte Jäger. Aché- und Mbía-Indianer in Südamerika. Teil 1: Die Aché in Ostparaguay., Frankfurt am Main 1983, S. 203f und 235.
  9. Kim Hill, A. Magdalena Hurtado: Ache life history. The ecology and demography of a foraging people. New York 1996, S. 94.
  10. Mark Münzel: Gejagte Jäger. Aché- und Mbía-Indianer in Südamerika. Teil 1: Die Aché in Ostparaguay, Frankfurt am Main 1983, S. 246–268.
  11. Kim Hil, A. Magdalena Hurtado: The Aché of Paraguay. In: Richard B. Lee, Richard Daly (Hrsg.): The Cambridge Encyclopedia of Hunters and Gatherers. Cambridge 1999, S. 94.
  12. Kim Hill/ A. Magdalena Hurtado: The Aché of Paraguay. In: Richard B. Lee, Richard Daly (Hrsg.): The Cambridge Encyclopedia of Hunters and Gatherers. Cambridge 1999, S. 93f.
  13. Joshua Project: Paraguay (Ache, Guayaki), abgerufen am 12. Februar 2016.
  14. a b c d Wolfgang Lindig u. Mark Münzel (Hrsg.): Die Indianer. Band 2: Mark Münzel: Mittel- und Südamerika, 3. durchgesehene und erweiterte Auflage der 1. Auflage von 1978, dtv, München 1985, ISBN 3-423-04435-7. S. 167–170.
  15. a b c d Evi Schüpbach: Leben im Wald, Umwelt und Religion im Wandel bei den Aché in Ost-Paraguay. In: Berner Geographische Mitteilungen: Mitteilungen der Geographischen Gesellschaft Bern und Jahresbericht des Geographischen Institutes der Universität Bern, Band 1986. S. 15–16.