Bertha Ramsauer

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Bertha Ramsauer (* 14. November 1884 in Oldenburg; † 12. Juli 1947 ebenda) war eine oldenburgische Erwachsenenpädagogin in der Tradition Pestalozzis und eine der wenigen Frauen der Gründergeneration der Volkshochschulbewegung.

Leben

1902 bis 1904 absolvierte Bertha Ramsauer das Lehrerinnenseminar in Wolfenbüttel und erhielt nach mehrjähriger Tätigkeit in einer thüringischen Privatschule 1908 eine Anstellung an der oldenburgischen Cäcilienschule. Drei Jahre später ließ sie sich beurlauben, um sich mit einem Lehramtsstudium zu qualifizieren. Das Frauenstudium war gerade hart erkämpft worden und Bertha Ramsauer nutzte ihre Chance erfolgreich: 1914 legte sie in Göttingen die Oberlehrerinnenprüfung ab und setzte ihre Unterrichtstätigkeit in Oldenburg als Studienrätin fort.

In der Weimarer Republik widmete sie sich zunehmend der Erwachsenenbildung, wobei dies die pädagogisch und politisch fruchtbarste Phase Bertha Ramsauers war. In dieser Umbruchzeit trat sie der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei bei und wurde in den oldenburger Stadtrat gewählt. Sie hielt politische Versammlungen ab, um Frauen zur Wahrnehmung ihres erstmals erhaltenen Stimmrechts zu bewegen, über politische Möglichkeiten der Demokratie zu unterrichten und Orientierung in der unübersichtlichen politischen Landschaft zu geben. Gleichzeitig entschloss sie sich 1918 idealistisch, aus der gesicherten Position als Studienrätin in das in seiner zukünftigen Form erst nur zu erahnende Volkshochschulwesen zu wechseln. Seit 1920 widmete sie sich hauptberuflich dem Aufbau des Volkshochschulwesens, zuerst als Leiterin des Volkshochschulheims Wangerooge.

Ab 1923 stand der Aufbau des Volkshochschulheims Edewecht (Gemeinde Edewecht) im Mittelpunkt ihres Schaffens. In der 1911 entstandenen Moorkolonie Husbäke realisierte sie ein reformpädagogisches Konzept der „Sozialarbeit im Moor“ und konzentrierte sich auf die Ausbildung junger Frauen ohne Ansehen politischer oder konfessioneller Richtungen. Entsprechend der gewandelten politischen und sozialen Bedingungen der Weimarer Republik wurde von den Kursteilnehmerinnen mehr Selbstständigkeit und Verantwortungsbewusstsein verlangt. Bertha Ramsauers Pädagogik zielte daher auf die Ausbildung der individuellen Persönlichkeit und die Stärkung des Charakters durch die Schulung intellektueller Fähigkeiten.

Ein zentraler Bestandteil des Internatlebens war die Integration der Schülerinnen in den Arbeitsalltag der Bevölkerung. Die Schülerinnen lebten hier sechs oder zwölf Monate in einer von Respekt und Toleranz geprägten Lebensgemeinschaft. Das Bildungsangebot umfasste praktische Kurse, hauswirtschaftlichen Unterricht und schulähnliche Weiterbildungsveranstaltungen, wobei Wert auf Kunst- und Kulturgeschichte sowie Gegenwartsfragen gelegt wurde. In der Weltwirtschaftskrise erweiterte sich das Aufgabenfeld des Volkshochschulheimes Edewechts, als mit dem Betrieb eines Kindergartens konkrete Sozialarbeit geleistet wurde. 1932 kam ein freiwilliger Arbeitsdienst für junge Frauen hinzu, der ein pädagogisches Werkzeug der Verständigung der Menschen unterschiedlicher Herkunft werden sollte.

In der beginnenden NS-Zeit versuchte sie unter inneren Konflikten und unter Abwägung der Umstände, der ideologischen Gleichschaltung durch Aufnahme nationalsozialistischer Lehrinhalte zuvorzukommen. Während die letzten selbstständigen Einrichtungen der Erwachsenenbildung aufgelöst und der NS-Organisation „Kraft durch Freude“ unterstellt wurden, gelang es Bertha Ramsauer 1935, das Volkshochschulheim Edewecht der aus ihrer Perspektive weniger einschränkenden Berliner Reichsfrauenführung unterzuordnen. Trotz kritischer Stimmen vieler Freunde behielt sie weiterhin die Leitung dieser Institution.

Eine persönliche Tragödie und das Scheitern dieses Balanceaktes bedeutete 1937 die Überführung des „roten“ Volkshochschulheims in eine „Reichsmütter- und Reichsbräuteschule“, einer Mustereinrichtung des Deutschen Frauenwerks. Im gleichen Jahr trat Bertha Ramsauer in die NSDAP ein. Die bisherigen Lehrpläne des Volkshochschulheims wurden ersetzt und die weltanschaulich-politische Schulung der NS-Frauenschaft unterstellt, Bertha Ramsauers eigenständige pädagogische Arbeit endete.

Was sich ab 1945 angeschlossen hat, war für sie eine bittere Erkenntnis. Nach einem Arbeitsverbot durch die Besatzungsmacht und vor ihrer Entnazifizierung war keine öffentliche Tätigkeit erlaubt, obwohl gerade jetzt Bedarf für Bertha Ramsauers liberale Pädagogik gewesen wäre. So konnte sie auch mit Hilfe des Freundes Theodor Tantzen nach 1945 nur noch kurzfristig am Wiederaufbau des oldenburgischen Schul- und Erwachsenenbildungswesen mitwirken, musste sich aber krankheitsbedingt bald zurückziehen.

Ihr Grab befindet sich auf dem Oldenburger Gertrudenfriedhof.

Das Volkshochschulheim Edewecht

Unmittelbar am Küstenkanal in der Bauerschaft Husbäke erfolgte 1923 auf dem Kolonat 50 der Bau des stattlichen, in Klinkerstil errichteten Volkshochschulheim Edewecht. Nach Übernahme durch das Deutsche Frauenwerk kamen Nebengebäude sowie ein Hauptverwaltungsgebäude hinzu, so dass ein offener, dreiflügeliger Gebäudekomplex um einen zentralen Innenhof entstand. Im April 1945 wurden Teile der Gebäude bei den Kampfhandlungen am Küstenkanal zerstört. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Gebäude wechselvoll als Flüchtlingslager, Krankenhaus, Altersheim, Haus für den Zivilbevölkerungsschutz und Gastarbeiterwohnheim genutzt.

Literatur

  • Dagmar Freist (2012): Bertha Ramsauer und die Selbstbildung des Menschen. in: Oldenburger Jahrbuch Bd. 112: 133–150.
  • Hans Friedl, Wolfgang Günther, Hilke Günther-Arndt, Heinrich Schmidt (Hrsg.)(1992): Biographisches Handbuch zur Geschichte des Landes Oldenburg. Oldenburg: Isensee-Verlag. ISBN 3-89442-135-5.
  • Nico Goldhahn (2003): Erziehung und Bildung der Frau im Nationalsozialismus. Grin-Verlag, ISBN 978-3-640-38976-6.
  • Friedrich Winkler (1974): Chronik der Gemeinde Edewecht. Edewecht: Eigenverlag.