Charlie and His Orchestra
Charlie and His Orchestra (auch Mr. Goebbels Jazz Band, Templin band oder Bruno and His Swinging Tigers) war eine für Propaganda-Zwecke zusammengestellte Bigband der NS-Zeit, benannt nach ihrem Sänger Karl „Charlie“ Schwedler.
Geschichte
Initiiert von Wolf Mittler sendete der Engländer William Joyce ab Mitte September 1939 prodeutsche Kommentare über den deutschen Kurzwellensender am Berliner Kaiserdamm. Ihm trat Norman Baillie-Stewart zu Seite, der nachdem er fünf Jahre wegen Landesverrats im Londoner Tower abgesessen hatte, 1937 England verlassen hatte und im August 1939 nach Berlin gezogen war.
Zur musikalischen Untermalung der Propaganda-Sendung Germany Calling des in deutschen Diensten stehenden "Lord Haw-Haw" wurde der Saxophonist Lutz Templin aus Düsseldorf beauftragt, eine Big Band zusammenzustellen. Den Gesang übernahm Karl Schwedler (Charlie), ein Beamter aus dem Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda, der häufig in der ersten Strophe den Text eines amerikanischen Klassikers im Original sang, um in der zweiten Strophe zur politischen Satire mit antibritischem, antisowjetischem und antijüdischem Inhalt überzugehen. Allerdings gibt es auch viele Musikbeispiele, wo der Propagandatext bereits von der ersten Zeile an erklingt, beispielsweise Bei mir bist du schön oder St. Louis Blues.
Zunächst gehörten deutsche Musiker zum Kern der Band. Als ab 1940 Musiker teilweise zur Wehrmacht eingezogen, teilweise zum Deutschen Tanz- und Unterhaltungsorchester abgeordnet wurden, nahm man auch Musiker aus Belgien, den Niederlanden und Italien unter Vertrag. Auch Lale Andersen, die zu dieser Zeit eigentlich Auftrittsverbot hatte, musste oder durfte einmal in der Woche in englischer Sprache singen. Zu ihren Liedern gehören Lili Marleen, Blue Moon, Roll on the blue funnel, Sing, nightingale, sing, Home may be a word, Under an umbrella in the evening und And so another lovely day is over. Die Gesangstexte entsprachen dabei dem Originaltext, für Roll on the blue funnel, Home May Be a Word und Lili Marleen aber wurden die Texte verfremdet.
1943 zog die Band aus dem von Luftangriffen bedrohten Berlin nach Stuttgart um. Die Sendungen wurden in verschiedene Weltgegenden, nicht nur nach England, über Kurzwelle ausgestrahlt. Es wurde Musik zur Tarnung und zu Propagandazwecken ausgestrahlt, die in Deutschland spätestens seit 1935 verboten war, darunter jüdische Komponisten und amerikanische Swing- oder Jazzmusik.
Mitglieder der Band
Zu den Mitgliedern der Band gehörten:[1]
- Karl Schwedler („Charlie“), Gesang
- Benny de Weille, Klarinette
- Barend „Bob“ van Venetie, Saxophon
- Lutz Templin, Saxophon
- Eugen Henkel, Saxophon
- Kurt Abraham, Saxophon
- Mario Balbo, Saxophon
- Charly Tabor, Trompete
- Nino Impallomeni, Trompete
- Giuseppe Impallomeni, Trompete
- Alfredo Marzaroli, Trompete
- Rinus van den Broek, Trompete
- Willy Berking, Posaune
- Tip Tichelaar, Posaune
- Franz Mück, Klavier
- Primo Angeli, Klavier
- Max Gursch, Bandoneon, Gitarre, Klavier
- Meg Tevelian, Gitarre
- Otto Tittmann, Kontrabass
- Cesare Cavaion, Kontrabass
- Fritz Brocksieper, Schlagzeug
Als Gastmusiker wirkten mit:
- Teddy Kleindin, Klarinette
- Evelyn Leschetitzky, Gesang
- Helmut Zacharias, Geige
- Albert Vossen, Akkordeon
- Margot Friedländer, Gesang
- Walter Leschetitzky, Geige
- Lale Andersen, Gesang
Zu den Arrangeuren gehörten der Tschechoslowake Kamil Běhounek und Friedrich Meyer.
Siehe auch
Literatur
- Michael H. Kater: Different Drummers. Jazz in the Culture of Nazi Germany. New York, Oxford 1992, ISBN 0195050096, S. 130–139, 167f.
- Michael H. Kater: Gewagtes Spiel. Jazz im Nationalsozialismus. Kiepenheuer & Witsch, Köln 1995, München 1998, ISBN 3462024094, S. 246–254, 306f.
- Rainer E. Lotz, Horst Bergmeier: Hitlers Airwaves – the Inside Story of Nazi Radio Broadcasting and Propaganda Swing. Mit CD. Yale University Press 1997, ISBN 0-300-06709-7.
- Rainer E. Lotz, Horst Bergmeier: Charlie and his Orchestra – ein obskures Kapitel der deutschen Jazzgeschichte. In: Wolfram Knauer (Hrsg.): Jazz in Deutschland. Darmstädter Beiträge zur Jazzforschung. Band 4. Wolke, Hofheim 1996, ISBN 3-923997-70-1.
- F. Steinbiß, D. Eisermann: Wir haben damals die beste Musik gemacht, in: Der Spiegel 16/1988
Weblinks
- Einordnung in die Musiklandschaft im NS-Regime und Audiobeispiel auf der Website des Deutschen Historischen Museums
- Beitrag im Deutschlandfunk vom 13. April 2008
- Bericht im Magazin von Smithsonian, 17. Mai 2012 (englisch)
- Musik-Beispiele auf dem Blog von WFMU (englisch)
- SWR2-Radio: Goebbels' Swing-Band – Musik als Propagandamittel (31. August 2012) (Manuskript; PDF; 142 kB)
Einzelnachweise
- ↑ Tom Lord gibt in seiner Jazz-Diskographie neben den hier erwähnten Karl Schwedler, Lutz Templin, Primo Angeli, Nino Impallomeni, Charly Tabor, Mario Balbo, Alfredo Marzaroli, Bob van Venetie, Max Gursch, Freddie Brocksieper, Otto Tittmann, Tip Tischelaar, Rimis van den Broeck, Willy Berking, Walter und Evelyn Leschetitzky, Franz Mück, Eugen Henkel, Benny de Weille, Meg Tevelian zusätzlich an Robby Zillner (Posaune), Jos Breyre (Posaune), Renato Carneval (oder Carnevali, Altsaxophon, Klarinette), Jean Robert (Tenorsaxophon, Baritonsaxophon, Klarinette), Eberhard Schmidt-Schulz (Trompete), Henk Bos oder Bosch (Posaune), Folke Johnson (Posaune), Francesco Paolo Ricci (Tenorsaxophon, Klarinette), Baldo Maestri (Altsaxophon, Klarinette), Kurt Wege (Klarinette), Detlef Lais (Tenorsaxophon), Paul Wegener (Bass, auch Rudi Wegener), Ferri Juza (Posaune), Cor Koblens (Altsaxophon, Klarinette), Herre Jager (Trompete), Tinus Bruyn (Altsaxophon, Klarinette), diverse Geiger (Gustav Klein, Willi Hanuschke, Helmut Steinmann, Adalbert Luczkowski) und in einer Aufnahme 1942 Carlos Henriques (Gesang, portugiesisch/englisch)