Ich reiß mir eine Wimper aus

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Ich reiß mir eine Wimper aus beginnt der Kehrreim eines Foxtrottschlagers von Fred Raymond, zu dem Charles Amberg den Text[1] verfasste. Er erschien 1928 im Wiener Bohême-Verlag, Berlin-Wien. Er wurde auch aufgenommen in den Band 11 der Reihe “Zum 5-Uhr-Tee. Eine Sammlung 19 ausgewählter Tanz- und Liederschlager”, die der Musikverlag von A.J.Benjamin in Leipzig gemeinsam mit dem Wiener Bohême-Verlag veranstaltete.[2]

Hintergrund[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Lied war Bestandteil der Revue Gruss an Alle, die der Unterhaltungsunternehmer Hans Gruß 1928 im Deutschen Theater zu München aufführte.[3]

Über drei Strophen berichtet der Text vom Schicksal eines Professor Nikodemus, der in Afrika in die Gewalt von Menschenfressern gerät, deren Häuptling Zizi Bambula ihm seine Großmutter als Ehefrau aufnötigen will, während daheim ein Fräulein Meyerbeer ungeduldig auf ihn wartet. Als ihn die Kannibalen „mit Speer und Lanz“ bedrohen, weint er „Huch huch du böser Feind !“ und kontert mit der Refrainzeile „Ich reiß mir eine Wimper aus und stech dich damit tot“.

Allgemein werden Schlager wie dieser heute rasch unter der Rubrik Nonsenseschlager[4] verbucht; es mehren sich aber Hinweise auf bisher unbeachtete Subtext-Gehalte, z. B. den, dass hier homosexuelle Bilder – zwei eifersüchtige "Tunten" gehen auf einander los – evoziert werden,[5] ja dass dem Text sogar eine tatsächliche Begebenheit zugrunde liege, die sich unter Schwulen in Hamburg zugetragen habe.[6] Auch die Wahl der Zeile zum Titel eines 2008 erschienenen Erzählbandes des Schriftstellers Josef Winkler kann in diesem Kontext verstanden werden.[7]

Der Schlagertext hat bis in die jüngste Zeit auch auf Künstler anderer Disziplinen anregend gewirkt.

Kehrreim[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ich reiß mir eine Wimper aus und stech dich damit tot.
Dann nehm ich einen Lippenstift und mal dich damit rot.
Und wenn du dann noch böse bist, weiß ich nur einen Rat:
Ich bestelle mir ein Spiegelei und bespritz dich mit Spinat.

Interpreten[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Den Schlager sangen 1928 Kleinkunst-Interpreten wie der Kabarett- und Operettentenor Max Hansen und die Soubrette Trude Lieske, Tenöre wie Max Kuttner und Harry Steier und Schlagersänger wie Luigi Bernauer zur Begleitung von bekannten Kapellen wie Fred Bird (Homocord Tanz-Orchester), Otto Dobrindt (Odeon-Tanz-Orchester), Paul Godwin und Marek Weber auf die Grammophonplatte. Auch als Notenrolle für mechanische Musikinstrumente war der Titel erhältlich.

Nachwirkungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der schlesische Schriftsteller Hans Christoph Kaergel, der sich selbst als „schollenverbundenen Blut- und Bodendichter“[8] verstand, legte die Textzeile in seinem 1936 erschienenen Roman “Einer unter Millionen” einem ‘Spaßmacher’ in den Mund.[9]

Der österreichische Schriftsteller und Büchnerpreisträger Josef Winkler, in dessen Werk Tod und Homosexualität eine wichtige Rolle spielen, titelte seinen im Mai 2008 bei Suhrkamp erschienenen Erzählband “Ich reiß mir eine Wimper aus und stech dich damit tot”.[10]

Dennis Bartz zitiert die Textzeile in seinem 2011 erschienenen Roman “Flankengott” aus dem Verständnis des Nachgeborenen: “Aus den Boxen dröhnt das Lied »Ich reiß mir eine Wimper aus« von Max Kuttner, einem schwulen Chansonsänger, der während der Weimarer Republik ein Star war”.[11]

Martin Genahl zitiert die Textzeile in seinem 2014 erschienenen Historien-Krimi “Der Tag an dem es Kapitalisten regnete”, den er in der Zeit der untergehenden Weimarer Republik spielen lässt.[12]

Der Altöttinger Operntenor Anton Leiss-Huber und der oberpfälzer Kabarettist Jürgen Kirner[13] sangen „Ich reiß mir eine Wimper aus!“ bei der Volkssängerrevue Brettl-Spitzen IV im Münchner Hofbräuhaus, die der Bayerische Rundfunk am 6. März 2016 in seinem Fernsehprogramm ausstrahlte.[14]

Die Graphikerin Franziska Michaelis entwarf unter dem Titel Trash vier Illustrationen zu dem Lied von Raymond und Amberg.[15]

Notenausgaben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Ich reiss' mir eine Wimper aus! Lied und Slow-Fox von Fredy Raymond. Text von Charlie Amberg. Wien-Berlin: Wiener Bohême-Verlag, cop. 1928.
  • Zum 5-Uhr-Tee, Band 11, Eine Sammlung 19 ausgewählter Tanz- und Liederschlager von Fred Raymond; Walter Kollo; Hermann Krome. 43 Seiten, Leipzig u. a.: Benjamin, 1928.
  • Ich reiss' mir eine Wimper aus! Interpret: Hansen, M., Komponist: Raymond/Amberg, Sprache: dt., Noten Roehr: Archiv der Einzelausgaben, Archiv-Nr.: 2662

Tondokumente[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Ich reiß mir eine Wimper aus. Lied und Foxtrot (Fredy Raymond - Chas. Amberg) Max Hansen, Kabarettist, mit Godwin-Ensemble. Grammophon 21 348 / B 42 655 (Matr. 130 br), aufgen. 1928
  • Ich reiß mir eine Wimper aus. Lied und Foxtrot (Fredy Raymond - Chas. Amberg) Max Kuttner mit Orchester. Grammophon ? (ohne diskograph. Angaben)[16]
  • Ich reiß mir eine Wimper aus. Lied und Foxtrot aus der „Gruss-Revue“ (Fredy Raymond - Chas. Amberg) Harry Steier mit Orchester Otto Dobrindt. Beka B. 6351 (Matr. 34 640), aufgen. 21. Februar 1928[17]
  • Ich reiß mir eine Wimper aus. Lied und Foxtrot (Fredy Raymond - Chas. Amberg) Charlotte an der Heiden, Mezzosopran, m. Odeon-Tanz-Orch. Odeon O-2386 a (Matr. Be 6722), aufgen. 29. März 1928[18]
  • Ich reiß mir eine Wimper aus. Lied und Foxtrot aus der „Gruss-Revue“ (F.Raymond - Ch.Amberg, arr. W. Borchert) Luigi Bernauer mit Homocord Tanz-Orchester. Homocord 4-2608 (Matr. T.M. 20 106-1), aufgen. 21. April 1928[19]
  • Ich reiß mir eine Wimper aus. Lied und Foxtrot (Fredy Raymond - Chas. Amberg) Marek Weber und sein Orchester. Mit Gesang [= uncredited Trude Lieske] Electrola E.G. 827 (Matr. CLR 3971)[20]

Notenrollen

  • Ich reiss' mir eine Wimper aus! (F. Raymond) Ludwig Hupfeld AG Leipzig: Hupfeld Triphonola piano roll T 59957 Animatic, Scale: 88n.[21]
  • Ich reiss' mir eine Wimper aus! (F. Raymond) Hugo Popper, Leipzig: Popper Notenrolle No. 3400 (zusammen mit “Du bist als Kind zu heiß gebadet worden”)[22]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Matthias Gerschwitz: BULLRICH-SALZ: Marke - Mythos - Magensäure. Auf den Spuren eines der ältesten deutschen Markenartikel. BoD, Norderstedt, 2019, ISBN 978-3-7504-0336-9.
  • Kevin Clarke: „Ich reiß mir eine Wimper aus und stech’ dich damit tot!“ Die Entnazifizierung der NS-Operette zwischen 1945 und 2015. In: Operetta Research Center, 21 June, 2016.[23]
  • Katrin Hillgruber: Zeit der Gladiolen. Darmstädter Allerheiligen: Die Verleihung des Georg-Büchner-Preises an Josef Winkler. In: Tagesspiegel. Potsdamer Neueste Nachrichten. 3. November 2008, S. 27.[24]
  • Katrin Hillgruber: Der Tod auf Reisen. Ich reiß mir eine Wimper aus und stech dich damit tot. Erzählung von Josef Winkler (2008, Suhrkamp). Besprechung In: Frankfurter Rundschau. 30. Dezember 2008[25]
  • Jean H. Leventhal: Echoes in the Text: Musical Citation in German Narratives from Theodor Fontane to Martin Walser. (= Studies in Modern German Literature. Band 64). Verlag Peter Lang, Frankfurt am Main 1995, ISBN 0-8204-2372-6, S. 125.
  • Kaspar Maase: Was macht Populärkultur politisch? (= Otto von Freising-Vorlesungen der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt). Springer-Verlag, 2010, ISBN 978-3-531-92600-1, S. 38–39.
  • Josef Niesen: Gib mir den letzten Abschiedskuss. Die Lebensgeschichte des Schlagertexters Charles Amberg (1894–1946) zwischen Aufstieg und KZ-Haft. BonnBuchVerlag, Bonn 2017, ISBN 978-3-00-056023-1, S. 15 ff.
  • Ralf Jörg Raber: Wir sind wie wir sind. Ein Jahrhundert homosexuelle Liebe auf Schallplatte und CD. Verlag Männerschwarm, Hamburg 2010, ISBN 978-3-939542-91-9, S. 48ff.
  • Bernhard Rosenkranz, Gottfried Lorenz: Hamburg auf anderen Wegen: Die Geschichte des schwulen Lebens in der Hansestadt. Himmelstürmer Verlag, Hamburg 2012, ISBN 978-3-86361-261-0.
  • Monika Sperr: Das Grosse Schlager-Buch: deutsche Schlager 1800-heute. Verlag Rogner & Bernhard, München 1978, ISBN 3-8077-0066-8, S. 134, 350.
  • Josef Winkler: Ich reiß mir eine Wimper aus und stech dich damit tot. (= edition suhrkamp. 2556). Roman. Verlag Suhrkamp, Frankfurt am Main 2008, ISBN 978-3-518-12556-4.
  • Christian Zwarg: PARLOPHON Matrix Numbers — 30173 to 34999: German. PDF bei phonomuseum.at
  • Christian Zwarg: ODEON Matrix Numbers — Bo/xxBo 6130 - 9999 (Berlin). PDF bei phonomuseum.at

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. ohne Str. 1 wiedergegeben bei Clarke, Operetta Research Center v. 21. Juni 2016 nach Raber S. 49, vollständig bei Le Berlin du début XXème, Nr. 6
  2. Von Willy Herzig illustrierter Bandtitel abgeb. bei aller-leih.com (aufger. 1.08.16)
  3. ein Photo daraus (Ullsteinbild, Atelier Manasse, 1. Jan. 28) mit einer Tänzerin im Kostüm, entworfen von L. Zettl, abgeb. bei asset-cache.net (Memento des Originals vom 5. August 2016 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/cache4.asset-cache.net
  4. vgl. Nina Ruzicka, Cartoon Tomb (Memento vom 5. August 2016 im Internet Archive), Music: „Ein sogenannter ‚Kokolores-Schlager‘, wie mich der YT-Poster dankenswerterweise erinnert. Absolut sinnfrei und herrlich“; auch: M. Gerschwitz, Bullrichsalz S. 107. Andere gern zitierte Beispiele sind „Mein Papagei frisst keine harten Eier“ (Text von Hermann Frey) und „Wer hat denn den Käse zum Bahnhof gerollt“ (Text von M. C. Krüger). Maase S. 39–40 zählt Ingredienzien zu den Texten von Nonsenseschlagern auf: „Schräger Witz und freche Frivolität, Sinnverweigerung und Verlachen von Alltagsnormen, überdrehter Spass und Feier spontanen Genusses, Provokation gängiger Lebensmaximen und demonstrative Abkehr von den drängenden Sorgen der Zeit, parodistische Übertreibung aktueller Nichtigkeiten und Modephänomene - das waren zwiespältige ästhetische Strategien.“
  5. vgl. Clarke: „Raymonds ‚Ich reiß mir eine Wimper aus und stech’ dich damit tot!‘ ... ist ein Schlager von 1928 [...] mit einem Text von Charles Amberg, der zu einer Art Homosexuellenhymne wurde...“ und Hillgruber 3.11.2008: „Der Titel zitiert ein Schwulenlied aus den 1920er Jahren.“
  6. Clarke: „Dieser Text um die ausgerissene Wimper geht auf eine Geschichte zurück, die sind in den frühen 1920er Jahren in einer Schwulenkneipe namens Tusculum in Hamburg ereignet hatte, wo sich zwei eifersüchtige Männer mit den Worten beschimpften: ‚Ich zupf‘ mir eine Wimper aus und stech‘ dich tot, du Loser.‘ Gegen diese Geschichte in der Hamburger Presse protestierte »Die Freundschaft« [Berliner Schwulenzeitschrift, Anm.d.Verf.] und sprach sich gegen das ‚tuntenhafte Gehabe‘ dieser ‚Sexualclowns‘ aus.“ Vgl. auch Rosenkranz-Lorenz S. 24.
  7. Der Verfasser Josef Winkler erläutert die Zusammenhänge: „Der Titel zitiert ein Lied aus den zwanziger Jahren, ich habe es auf einer Kassette mit Schwulen- und lesbischen Liedern wiedergefunden.“ (Katrin Hillgruber in der Frankfurter Rundschau, 30.12.2008, vgl. lyrikwelt.de (Memento vom 1. November 2013 im Internet Archive)). Die Zeile kommt in der ersten Erzählung des Buches vor. Es ist die Antwort eines Kindes auf den Verweis der Mutter, das Brot in einer bestimmten Weise zu schneiden. Vgl. Walter Fanta am 6. Mai 2009 bei literaturhaus.at: „...die eigene Mutter des 'Ich' belehrt das Kind: "Wer das Brot untereinander schneidet, der schneidet dem Herrgott die Fersen ab." Darauf antwortet das Winkler-Kind mit dem Satz, der dem Buch den Titel gibt: "Ich reiß mir eine Wimper aus und stech dich damit tot."“. Im Text heißt es: "Jeden Tag einmal hat die Mutter gesagt, dass ich den Herrgott nicht bei den Füßen herunterziehen und ihm auch nicht die Fersen abschneiden soll. Und jeden Tag einmal habe ich zur Mutter gesagt, dass ich mir eine Wimper ausreißen und ihr meine Wimper ins Herz stechen werde."
  8. vgl. Martina Bickenbach: Hans Christoph Kaergel. In: Wulf Segebrecht (Hrsg.): Der Bamberger Dichterkreis 1936–1943. Verlag Peter Lang, Frankfurt am Main 1987, ISBN 3-8204-0104-0, S. 179–185, hier S. 179.
  9. Hans Christoph Kaergel: Einer unter Millionen. Roman. Zeitgeschichte-Verlag W. Andermann, Berlin 1936, S. 90.
  10. edition suhrkamp 2556, vgl. suhrkamp.de - Rezensionen unter buecher.de
  11. vgl. Dennis Bartz: Flankengott: Kein Fußball-Roman. Blanvalet Taschenbuch Verlag, 2011, ISBN 978-3-7645-0406-9.
  12. Martin Genahl: Der Tag, an dem es Kapitalisten regnete. Emons Verlag, Köln 2014, ISBN 978-3-86358-390-3.
  13. gründete mit dem Komponisten Bernhard Gruber die moderne Volkssängertruppe (“Volkssänger ist ja heute wieder ein stolzer Titel”) “Couplet AG” und ist selbst ‘bekennender Homosexueller’, vgl. Adrian Prechtl in abendzeitung-muenchen.de, 31.01.2014 15:26 Uhr
  14. anzusehen bei ardmediathek
  15. vgl. „L’art de Franziska Michaelis: Trash - Allegory of the so-called trash poem from Charles Amberg in the year 1928: Ich reiß’ mir eine Wimper aus. It´s a complete song composed by Fred Raymond“. Anzusehen bei franziskamichaelis.com (Memento vom 5. August 2016 im Internet Archive)
  16. anzuhören auf youtube
  17. vgl. Zwarg, PARLOPHON Matrix Numbers — 30173 to 34999: German, S. 573; Etikett abgeb. bei schellacksender, anzuhören auf youtube
  18. vgl. Zwarg, ODEON Matrix Numbers — xBe 250 - 9999 (Berlin), S. 614, anzuhören auf youtube
  19. anzuhören auf youtube
  20. anzuhören auf youtube
  21. vgl. worldcat.org, stanford.edu
  22. vgl. Musikwerkstatt Monschau Popper Notenrollen Satz No. 5
  23. bei operetta-research-center.org
  24. pnn.de
  25. bei lyrikwelt.de (Memento vom 1. November 2013 im Internet Archive)