Jahrgang 1899

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Jahrgang 1899 ist ein von Erich Kästner verfasstes Gedicht, das sich der Neuen Sachlichkeit zuordnen lässt. Es behandelt die Problematik ebenjener Generation in Bezug auf den Ersten Weltkrieg.

Entstehung

Obwohl man Erich Kästner heute eher als Kinderbuchautor kennt, war seine erste Veröffentlichung der Gedichtsband Herz auf Taille, welcher 1928 erschien und auch Jahrgang 1899 enthielt. Seine, im Rahmen der Neuen Sachlichkeit veröffentlichte Gebrauchslyrik, machte ihn bald zu einer zentralen Figur der deutschen Literatur der damaligen Zeit.

Form

Jahrgang 1899 ist in neun Strophen mit jeweils vier Zeilen unterteilt, die fast alle demselben Kreuzreim-Schema folgen. Lediglich in der letzten, fünfzeiligen Strophe wird zum Spannungsaufbau eine zusätzliche Anapher verwendet. „Noch einen Moment. Bald [...]“ stellt eine Steigerung, kurz vor der letzten, fast drohend klingenden Zeile dar. Die Sprache ist sehr verständlich geschrieben und bedient sich zahlreicher Ausdrücke der gesprochenen Sprache, ohne dabei abschätzig zu klingen ("bureau-angestellt", "Rechnen mit Prozenten"). Diese volksnahe Ausdrucksweise stellt ein zentrales Merkmal der neuen Sachlichkeit dar, die versucht sich vom Expressionismus abzusetzen.

Das Lyrische Ich des Textes („Wir“) ist die gesamte Generation mit dem titelgebenden Jahrgang zu verstehen, die zwar noch nicht alt genug war um mitbestimmend für die Auslöser des Ersten Weltkrieges gewesen zu sein, aber trotzdem bereits Militärdienst leisten musste und so den Krieg aus nächster Nähe kennenlernte.

Zu dieser Generation zählen aber auch etliche hochrangige Nationalsozialisten, wie Heinrich Himmler (1900–1945) oder Joseph Goebbels (1897–1945). Unter diesem Gesichtspunkt nimmt die letzte Zeile „Dann zeigen wir euch, was wir lernten!“ schon fast prophetische Dimensionen an.

Interpretation

Jahrgang 1899 versucht in eingängiger und knapper Sprache das Schicksal einer gesamten Generation des deutschen Volkes darzustellen. Die jungen Männer seien durch die Gräuel des Krieges aus ihrer Kindheit gerissen worden und viele von ihnen - sofern sie den Krieg überlebten – trugen schwere seelische Schäden davon.

Viele der Strophen behandeln einen bestimmten Aspekt im Leben der Generation der fast Dreißigjährigen um 1928. Die einzelnen Strophen schildern in beinahe chronologischer Reihenfolge das Leben und die Generationserfahrungen bis in die späten 1920er Jahre. Die erste Strophe enthält den Ersten Weltkrieg, in dem die Vätergeneration in der Reichswehr dient und männliche Jugendliche daheim erste sexuelle Erfahrungen bei Frauen sammeln. Dann folgt Kästners eigener Wehrdienst (2. Strophe) und schließlich die Novemberrevolution 1918 (3. Strophe). Die Strophen 4 bis 6 thematisieren die Inflation am Beginn der 1920er Jahre, Kästners Studium in Leipzig, seine Büroarbeit als Werkstudent und desillusionierende Lebenserfahrungen (Abtreibung, Arbeitslosigkeit). Die Schlacht bei Ypern (7. Strophe) wird rückblickend als eine verlustreiche Schlacht des ersten Weltkriegs erwähnt, um die Menschenverluste dieser Generation in Erinnerung zu rufen. Die Strophen 7-9 reflektieren und verallgemeinern die geschilderten Erfahrungen, die in einem bedrohlichen Ausblick enden.

Literatur

  • Dirk Walter: Lyrik in Stellvertretung? Zu Erich Kästners Rollengedicht „Jahrgang 1899“. In: Harald Hartung (Hrsg.): Gedichte und Interpretationen, Band 5: Vom Naturalismus bis zur Jahrhundertmitte. Reclam, Stuttgart 2008, ISBN 978-3-15-007894-5, S. 309–319.

Einzelnachweise