Michejew-Smirnow-Wolfenstein-Effekt

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Der Michejew-Smirnow-Wolfenstein-Effekt (kurz MSW-Effekt) ist ein teilchenphysikalischer Prozess, der Neutrinooszillationen in Materie beeinflusst. Die Arbeit des US-amerikanischen Physikers Lincoln Wolfenstein aus dem Jahre 1978[1] sowie die Arbeit der sowjetischen Physiker Stanislaw Michejew und Alexei Smirnow von 1986[2] ermöglichten das Verständnis des Effekts.

Erklärung

Neutrinos können mithilfe drei verschiedener Massen-Eigenzustände dargestellt werden, die eine Überlagerung der Flavour-Eigenzustände Elektron-Neutrino, Myon-Neutrino und Tau-Neutrino sind. Die Gegenwart von Elektronen in Materie verändert die Energieniveaus der Ausbreitungs-Eigenzustände (Massen-Eigenzustände) von Neutrinos aufgrund kohärenter Vorwärtsstreuung der Elektron-Neutrinos durch geladene Ströme der schwachen Wechselwirkung. Die übrigen beiden Komponenten, die Myon- und Tau-Neutrinos, bleiben hiervon unbeeinflusst. Die kohärente Vorwärtsstreuung ist vergleichbar mit dem elektromagnetischen Prozess, welcher zu unterschiedlichen Brechungsindizes von Licht im Medium führt. Das bedeutet, dass Neutrinos in Materie eine andere effektive Masse besitzen als Neutrinos im Vakuum und – da Neutrinooszillationen von der Differenz der Massenquadrate der Neutrinos abhängen – dass sich die Neutrinooszillationen in Materie von denen im Vakuum unterscheiden.

In der Sonne werden Elektron-Neutrinos erzeugt, hier ist der Effekt aufgrund der sehr hohen Elektronendichte von Bedeutung. Die Neutrinos hoher Energie, welche in Neutrino-Observatorien wie beispielsweise dem Sudbury Neutrino Observatory (SNO) oder Super-Kamiokande beobachtet werden, werden vornehmlich als höherenergetische Massen-Eigenzustände in Materie erzeugt und verbleiben in diesem Zustand (Adiabatensatz), wenn sie Bereiche verschiedener Dichte in der Sonne durchlaufen. Wenn Neutrinos die sogenannte MSW-Resonanz durchlaufen, ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie ihren Flavour-Zustand ändern, maximal; jedoch kann sie dennoch vernachlässigbar klein sein – dies wird auch als Ausbreitung im adiabatischen Grenzfall bezeichnet. Aus diesem Grund sind Neutrinos hoher Energie, welche aus der Sonne austreten, in einem Vakuum-Ausbreitungs-Eigenzustand , der eine verringerte Überlagerung mit dem Elektron-Neutrino besitzt, das in Detektoren auf der Erde bei Wechselwirkungen über geladene Ströme beobachtet wird. Die Detektoren messen durch den MSW-Effekt also weniger Elektron-Neutrinos.

Experimentelle Hinweise

Der Michejew-Smirnow-Wolfenstein-Effekt ist für solare Neutrinos hoher Energie von Bedeutung und führt zu der Vorhersage, dass für die Wahrscheinlichkeit, dass ein Elektron-Neutrino nach der Ausbreitung seinen Flavourzustand nicht geändert hat, gilt, wobei den solaren Mischungswinkel bezeichnet. Dies wurde durch das Sudbury-Neutrino-Observatorium (SNO) experimentell bestätigt. Die Wissenschaftler des SNO bestimmten den Fluss an solaren Elektron-Neutrinos zu ungefähr 34 % des gesamten Neutrino-Flusses. Dabei wurde der Fluss der Elektron-Neutrinos über Wechselwirkungen durch geladene Ströme bestimmt, und der Gesamtfluss über Wechselwirkungen durch neutrale Ströme.

Für solare Neutrinos niedriger Energie ist die Auswirkung der Materie vernachlässigbar und die Näherung der Vakuumoszillationen damit gültig. Die Größe der Quelle (der Kern der Sonne) ist bedeutend größer als die Oszillationslänge. Durch eine Mittelung über den oszillierenden Faktor (siehe Theoretische Grundlagen der Neutrinooszillation) erhält man deshalb . Für den gleichen Wert des Mischungswinkels entspricht dies einer Wahrscheinlichkeit von rund 60 %, dass ein Elektron-Neutrino seinen Flavourzustand nicht ändert. Dies deckt sich mit Messungen solarer Neutrinos im niederen Energiebereich im Homestake-Experiment (das erste Experiment, welches das solare Neutrinodefizit aufdeckte), GALLEX, GNO und SAGE (radiochemische Experimente, die Gallium als Streukörper verwendeten) und im Borexino-Experiment. Die Ergebnisse werden des Weiteren durch das Reaktorexperiment KamLAND unterstützt.

Der Übergang zwischen dem Bereich niedriger Energie mit vernachlässigbarem Michejew-Smirnow-Wolfenstein-Effekt und dem Bereich hoher Energie, in dem die Oszillationswahrscheinlichkeit durch die Materie bestimmt wird, liegt für Neutrinos aus der Sonne ungefähr bei 2 MeV.

Der Michejew-Smirnow-Wolfenstein-Effekt kann ebenso Neutrinooszillationen im Erdinneren beeinflussen, zukünftige Suchen nach neuen Oszillationseffekten oder leptonischer CP-Verletzung könnten diesen Sachverhalt ausnutzen.

Literatur

Einzelnachweise

  1. L. Wolfenstein: Neutrino oscillations in matter. In: Physical Review D. 17. Jahrgang, Nr. 9, 1978, S. 2369, doi:10.1103/PhysRevD.17.2369, bibcode:1978PhRvD..17.2369W.
  2. S. Michejew, A. Smirnow: Resonant amplification of ν oscillations in matter and solar-neutrino spectroscopy. In: Il Nuovo Cimento C. 9. Jahrgang, Nr. 1, 1986, S. 17–26, doi:10.1007/BF02508049.