Ohrfeige

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 20. August 2016 um 04:55 Uhr durch Mozamaniac (Diskussion | Beiträge) (→‎Risiken: Links hinzugefügt). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Herzog Erich der Ältere bekommt von Kaiser Maximilian eine symbolische Ohrfeige, weil er es gewagt hat, ihn um das Leben der Besiegten zu bitten

Die Ohrfeige ist ein tangential von der Seite geführter Schlag mit der flachen Hand in das Gesicht einer Person. Das Wort Ohrfeige stammt aus dem Mittelhochdeutschen und wurde im 13. oder 16. Jahrhundert[1] erstmals erwähnt (vgl. niederländisch oorveeg, zu veeg = Hieb, Streich). Der Wortbestandteil -fige beziehungsweise -feige leitet sich entweder von fegen oder von der Frucht Feige[1] im übertragenen Sinn (Schwellung) ab.

Die Ohrfeige als Erziehungsmittel

Bis ins 20. Jahrhundert wurde die Ohrfeige neben anderen Formen der Körperstrafe als probates Erziehungsmittel betrachtet. In Deutschland ist die körperliche Bestrafung gegenüber Kindern und Jugendlichen seit Erlass des Gesetzes zur Ächtung von Gewalt in der Erziehung im Jahr 2000 verboten und strafbar. Eine weitverbreitete Sicht besagt, dass eine Ohrfeige immer, so „leicht“ sie auch geführt sein mag, der betroffenen Person schadet. Ohrfeigen können insbesondere bei Kindern und Jugendlichen mitunter zu schweren körperlichen und geistigen Dauerschäden führen und eine psychische Traumatisierung zur Folge haben.

Risiken

Nicht immer treffen Ohrfeigen ihr eigentliches Ziel, was einige Risiken mit sich bringt. In Extremfällen können Ohrfeigen bei Kindern und Jugendlichen zu einer erheblichen traumatischen Rotationsbewegung des Kopfes mit resultierender Schädelinnenraumblutung im Sinne eines Schädel-Hirn-Traumas und in der Folge zu bleibenden Hirnschäden mit Behinderung oder gar zum Tode führen.[2] Wird ein Ohr getroffen, so kann die Wirkung der flachen Hand zu einem Überdruck im äußeren Gehörgang führen. Dadurch wird die Luft von außen gegen das Trommelfell gepresst, was zu dessen Verletzung führt.[3] Dabei kommt es häufig zu einem Einriss in den beiden unteren Quadranten des Trommelfells. Eine Zerstörung der Gehörknöchelchenkette oder eine Innenohrschädigung werden bei dieser Verletzungsart hingegen nicht beobachtet.[4]
Der österreichische Sänger Udo Jürgens beschreibt im autobiographischen Bestseller Der Mann mit dem Fagott wie er als Hitlerjunge von einem Rottenführer brutal eine Ohrfeige bekommt und infolgedessen das vollständige Gehör verliert.

Die Ohrfeige als Ehrenbeleidigung

Obwohl eine Ohrfeige – im Vergleich z. B. zu einem Faustschlag in das Gesicht – landläufig mit einem eher geringen Verletzungsrisiko und geringerer Schmerzhaftigkeit in Verbindung gebracht wird, gilt diese unter Erwachsenen doch als besonders ehrenrührig. Dies wird auch in Ausdrücken wie der verbalen Ohrfeige deutlich. Ohne tatsächliche Gewalt anzuwenden, sagte der Ohrfeigende seinem „Opfer“: „Fühlen Sie sich geohrfeigt!“ Dieser Satz hatte früher die gleiche Bedeutung wie die eigentliche Handlung. Nach der eigentlichen Handlung oder der Aussprache des Satzes galt der Geohrfeigte als in seiner Ehre eingeschränkt und hatte die moralische, wenn auch rechtswidrige Pflicht, den Ohrfeigenden zu einer Revanche aufzufordern. Heutzutage wird diese Redewendung kaum noch verwendet.

Die Ohrfeige im Strafrecht

Die Beibringung einer Ohrfeige kann im Falle einer Strafanzeige durch den Betroffenen zu einem Strafverfahren wegen Körperverletzung in Tateinheit mit einer tätlichen Beleidigung führen (eine „leichte“ Ohrfeige, welche die „körperliche Unversehrtheit“ nur unerheblich beeinträchtigt, stellt keine Körperverletzung dar, erfüllt in der Regel jedoch immer den Tatbestand der tätlichen Beleidigung). Berühmt geworden ist die Ohrfeige, die der damalige deutsche Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger am 7. November 1968 von Beate Klarsfeld erhielt.

In der Schweiz sind auch leichte Ohrfeigen unabhängig vom beleidigenden Charakter als „Tätlichkeit“ strafbar (Art. 126 StGB).

Die rituelle Ohrfeige

Ohrfeigen als Abwehr von Übel

Schlägen wurde im Brauchtum oft eine übelabwehrende Kraft zugesprochen, weswegen man zum Beispiel Gehängte, die als Geister weiterlebend gedacht wurden, ohrfeigte.[5]

Ohrfeigen als „Gedächtnisstärkung“

Ohrfeigen sind in der Geschichte auch oft als Mittel der „Gedächtnisstärkung“ herangezogen worden, in der Annahme, dass der dabei erlebte Schmerz die Erinnerung an ein denkwürdiges Ereignis wachhalte.[6] So wurde im späten Mittelalter bei Besitzübergaben und Grenzumgängen Knaben, die als Zeugen mitgebracht wurden (oft die Kinder der Besitzer, d. h. die zukünftigen Erben), an bestimmten Stellen des Territoriums (Grenzsteinen) eine Ohrfeige verpasst, damit sie sich die Lage merkten. Heute lebt diese Tradition nur im Brauchtum fort, z. B. im Schnadegang (auch Schnatgang, Schnatzug, Grenzegang u.ä.). Aus dem Mittelalter ist auch bei dem Übertritt in eine Handwerkergilde die Ohrfeige als „Gedächtnisstärkung“ überliefert.[7]

Ein ähnlicher Brauch hat sich in manchen europäischen Gegenden (z. B. Polen, Niederschlesien, Hessen, Sachsen, Kärnten) bis ins 20. Jh. gehalten, wenn die ersten Frühjahrsspeisen nach dem Winter gekocht wurden bzw. wenn jemand eine Speise zum ersten Mal kostete: Die Nachbarn geben einander eine leichte Ohrfeige oder zupfen einander an den Ohren, wahrscheinlich um sich später an den besonderen Anlass erinnern zu können.[8]

Ohrfeigen als symbolische Stärkung des Geschlagenen

In der katholischen Liturgie der Firmung war ein angedeuteter Backenstreich (lat. alapa) seit dem 13. Jahrhundert bis zur Reform der Firmung 1973 als Symbol der Stärkung (vgl. Ritterschlag) vorgesehen. Ein weniger bekannter Brauch im Rahmen der Firmzeremonie war ein Fußtritt durch den Paten, der wohl als Mittel zur „Gedächtnisstärkung“ zu deuten ist.[9]

Ohrfeigen als Zeichen der Begründung eines Herrschaftsverhältnisses

Da der Geohrfeigte sich dem Ohrfeigenden unterordnet, wenn er den Schlag nicht erwidert, kommt der ersten Ohrfeige die Bedeutung der Akzeptanz dieser Unterordnung, der letzten Ohrfeige in einem Machtverhältnis jedoch die Freilassung aus diesem gleich. In verschiedenen Zeremonien wird der erste Sinn deutlich: So berichtet der Geschichtsschreiber Abt Johann von Viktring, dass der Kandidat bei der Kärntner Herzogseinsetzung vom Herzogbauern[10] einen symbolischen Backenstreich erhielt[11] [12], der im Kontext der Zeremonie als bäuerlich-demokratisches Ritual zu verstehen ist.

Definition der Ohrfeige bei Wilhelm Busch aus seiner Bildergeschichte Balduin Bählamm

Hier strotzt die Backe voller Saft;
Da hängt die Hand, gefüllt mit Kraft.
Die Kraft, infolge der Erregung,
Verwandelt sich in Schwungbewegung.
Bewegung, die in schnellem Blitze
Zur Backe eilt, wird hier zu Hitze.
Die Hitze aber, durch Entzündung
Der Nerven, brennt als Schmerzempfindung
Bis in den tiefsten Seelenkern,
Und dies Gefühl hat keiner gern.

Ohrfeige heißt man diese Handlung,
Der Forscher nennt es Kraftverwandlung.

Umgangssprache und Redewendungen

  • Synonyme: Watsche, Watschn (Österreich/Bayern); Fotzn (Bayern/Österreich), Detschn, Tachtel (Österreich); Schelln (Bayern/Franken); Lage (Ostfriesland); Backpfeife, Backfotzn, Oahrklatsch (Mölmsch Platt); Maulschelle, Ohrschelle, Schelle, Backenstreich, Tåsche (Tirol); Faunz (Erzgebirge), Fauze (Teile Sachsens, weitgehend veraltet); Chlapf, Tätsch (Schweiz)
  • Das Ohrfeigengesicht ist eine „unsympathische, dümmlich-provozierende Grimasse“.
  • Die Redewendung der Ohrfeige nach meint bei Personengruppen (z. B. bei Spielen) eine Reihenfolge im Gegenuhrzeigersinn (von rechts geführter Schlag).
  • Die Redewendung sich etwas hinter die Ohren schreiben bezieht sich auf die Interpretation der Ohrfeige als "Gedächtnisstärkung".
  • Der Begriff der Detschn oder Tachtel wird oft für einen streifenden Schlag im Bereich der Kopfbehaarung verwendet. Zum Beispiel bei sitzenden Kindern, die sich nicht auf die Hausaufgabe konzentrieren.
  • Bergpredigt: „Wenn dich jemand auf die rechte Wange schlägt, dann halte ihm auch die linke hin.“

Literatur

  • Henner Reitmeier: Ohrfeigen und Samthandschuhe, in: Die Brücke, Nr. 162 (Januar–April 2013), S. 98–99[13]
  • Winfried Speitkamp: Ohrfeige, Duell und Ehrenmord. Eine Geschichte der Ehre, Reclam, Stuttgart 2010, ISBN 978-3-15-010780-5 (darin besonders Körper und Ehre. Eine kurze Geschichte der Ohrfeige, S. 25–67)
  • Christos Tsiolkas: The Slap, Allen & Unwin, Sydney 2008, ISBN 1741753597, Gewinner des Commonwealth Writers Prize 2009 (Roman über die Folgen einer Ohrfeige, die ein Mann einem fremden Kind gibt; die Geschichte wird von acht Personen erzählt, die in dem Moment anwesend waren.)

Einzelnachweise

  1. a b Friedrich Kluge, Elmar Seebold: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache / Kluge, 24. Auflage, de Gruyter, Berlin 2002
  2. „Ohrfeigen müssen zum Tabu werden“, Interview mit Manfred Karremann im Stern, 11. März 2008
  3. sergioalbanese
  4. H.Feldmann, T. Brusis: Gutachten des Hals-Nasen-Ohren-Arztes. S. 188, 2012, Thieme
  5. Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens: Mauer bis Pflugbrot, Eintrag Ohrfeige, Spalten 1217–1218, eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche
  6. Dank des Schmerzes kommt die Erinnerung. Der Standard, 22. Jan. 2015
  7. Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens: Freen bis Hexenschuss, Eintrag Handwerker, Spalten 1429–1430, eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche
  8. Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens: Silber bis Vulkan, Eintrag Speise, Spalten 229–230, eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche
  9. http://www.st-georg-bad-fredeburg.de/aktuelles/firmung/firmung.htm
  10. Austria-Forum, Eintrag Herzogbauer: http://austria-lexikon.at/af/AEIOU/Herzogbauer
  11. Landesmuseum Kärnten: der Fürstenstein im Wappensaal, http://www.landesmuseum-ktn.at/Landesmuseen/Wappensaal/wappensaal_fuers.html
  12. Information zum Fürstenstein, http://www.fuerstenstein.at/geschichte/C10/P1
  13. Diese Betrachtung ist auch online nachlesbar, abgerufen am 27. Januar 2013

Weblinks

Wiktionary: Ohrfeige – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen