Paare, Passanten

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Paare, Passanten ist eine Sammlung von Prosatexten (Fragmenten, Aphorismen) von Botho Strauß aus dem Jahr 1981, dem Jahr, in dem er auch das nicht nur strukturell ähnliche Theaterstück Kalldewey, Farce veröffentlichte.

Gedanken

Das Buch stellt eine Zusammenstellung von Gedanken- und Beobachtungsskizzen, flüchtigen Fragmenten dar, manche wie Gedankensplitter nur aus wenigen Wörtern bestehend, andere aus mehreren Seiten, die locker gruppiert sind, teils thematisch zusammenhängend, teils nicht. Strauß hat sein Stück in sechs Abschnitte gegliedert:

  • Paare
  • Verkehrsfluss
  • Schrieb
  • Dämmer
  • Einzelne
  • Der Gegenwartsnarr

bei denen die Randabschnitte die weitaus umfangreichsten sind, doppelt und dreifach so lang wie die übrigen Teile.

Strauß nimmt im gesamten Text die Position eines von außen auf sein jeweiliges Thema schauenden Beobachters ein, einer analysierenden, reflektierenden und kommentierenden Stimme, intellektuell und durchdringend. Am deutlichsten wird dies im ersten Teil, in dem er tatsächlich Paare beschreibt, die er – wie ein Flaneur – entdeckt hat und nun beobachtet.

Dritter Teil

Im dritten Teil, Schrieb, ist es der Schriftsteller, über dessen Bedeutung und Haltung in der Postmoderne Strauß sich Gedanken macht – inklusive der Absage an das dialektische Denken mit dem zentralen Satz: Ohne Dialektik denken wir auf Anhieb dümmer; aber es muss sein: ohne sie!. Im fünften Abschnitt ist es der Einzelne, den er an den Anfang des Abschnitts stellt, Alkoholiker, Drogendealer, der Schuhmacher im Kaufhaus: der Einsamkeits-Kasper als Prototyp.

Kaleidoskop

In der Summe dieses Kaleidoskops entsteht ein Bild der Gemütsverfassung in der Bundesrepublik Deutschland zu Beginn der 1980er Jahre: der Beziehungsmarkt, in dem in Netzwerken eingebundene hedonistische Gegenwartsfreaks vorherrschen: scheinbar frei, tatsächlich aber nur selbstvergessen.

Seine Collage hinterlässt – auch durch den Aufbau – den Eindruck einer Gesellschaft, die nur noch aus Impressionen besteht, ein Trümmerfeld ohne Zusammenhang und Lebensdauer, und wurde bald zu einem Kulttext des Kulturpessimismus.

Kritik am Frauen- und Menschenbild in Paare, Passanten

Die Autorinnen Bauer und Huhnke analysieren vor allem die "Weiblichkeitsmythen" und die "Glorifizierung des Androgyn-Kindlichen" in dem Buch. Bauer kritisiert, dass sich "Hass" und "Ressentiment" auf die Frau durch das Werk zögen. Huhnke kritisiert die von Strauß mit "Dämmern" betitelten "pädophilen Gewaltvorstellungen": "Der identitätsgestörte Mann findet in diesem Band ... animierende Phantasievorlagen für Kindesmissbrauch. ... Die Leserin registriert staunend, dass ihm diese Kinder immer zugeführt werden." So heiße es in "Paare, Passanten": "Es ist der Lamien-Schock, den ich jedes Mal erleide, wenn man mir die Beute vertrauensvoll in die Arme legt". Die - sehr jungen - Frauen in dem Buch würden durchgehend als "Beute" beschrieben. Besondere Verachtung empfände der Ich-Erzähler vor einer sexuell selbständigen Frau, die gegen Atomkraftwerke demonstriert und "die Liebe dem Guten" unterordnet, Sex ohne Schmerz und Versagen genießt. Strauß beschreibe sie als "zeitgemäße Abwandlung der 'roten Hure'", so Huhnke. Nach Huhnke führe Strauß in seinem Buch das negativ konnotierte "Gute" ein. Wie in dem Spiegel-Artikel "Anschwellender Bocksgesang" sieht Huhnke "Paare, Passanten" ebenso mit "misogynen und nationalistischen Deutungsmustern" durchzogen.

Literatur

  • Karin Bauer (1996): Gegenwartskritik und nostalgische Rückgriffe: Die Abdankung der Frau als Objekt männlichen Begehrens und die Erotisierung der Kindfrau in Botho Strauß’ Paare Passanten. In: The German Quarterly 69.2, 181–195
  • Brigitta Huhnke (1997): „pc“ - Das neue Mantra der Neokonservativen. In: Andreas Disselnkötter, Siegfried Jäger, Helmut Kellershohn, Susanne Slobodzian (Hg.): Evidenzen im Fluss. Demokratieverluste in Deutschland. : „Botho Strauß“ S. 279–283
  • Christiane Schmerl: Alles unter Kontrolle? Emanzipation versus Konservatismus der Männer. In: Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament, B6/93