Qasīda

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Die Qasida (arabisch قصيدة, DMG qaṣīda; Gedicht), eingedeutscht Ghasīde bzw. Kasside, ist eine aus vorislamischer Zeit (Dschāhilīya) stammende, zahlreiche Strophen enthaltene[1] Gedichtform. Der Begriff leitet sich vom arabischen Verb qaṣada (قصد) ab, was mit „etwas beabsichtigen, ein Ziel verfolgen“ übersetzt werden kann. Dies lässt den einstigen Zweck der Qasida deutlich werden: der Dichter stärkt seine Stammesgemeinschaft durch Glorifizierungen oder schmäht deren Feinde und nicht zuletzt lobt er sich selbst und seine Kunst. Aufgrund der lediglich fragmentarischen Quellen aus vorislamischer Zeit wird weiterhin darüber diskutiert, inwiefern man von einer Ur-Form der Qasida (beduinische Qasida) sprechen kann und welches ihre formalen Kriterien waren.[2] Die Qasida verbreitete sich mit der Expansion der arabisch-islamischen Kultur auch weit außerhalb der Arabischen Halbinsel.

Geschichte

Durch die islamische Expansion wurde die Qasida zwischen dem 10. und 12. Jahrhundert beispielsweise durch die Verbindung mit Elementen persischer Lyrik zu einer der vier großen literarischen Gattungen der persischen Poesie.[3] Im einstigen Entstehungsgebiet der Qasida – in Arabien – wurde die Form mit der Entstehung des Islams vornehmlich im religiösen Kontexten angewandt. Im 20. Jahrhundert wurde sie u. a. in Ägypten erneut säkularisiert und erreichte u. a. in gesungener Form (z. B. im Repertoire Umm Kulthums) immense Popularität.[4]

Die Qasida hatte Einfluss auf die Dichtkunst und -formen der Völker Zentralasiens und Indiens, der Swahili-Kultur sowie der Völker Nord- und Westafrikas und tauchte als „hebräische Qaside“ im muslimischen Spanien auf.[5]

Nach Spanien ist die sogenannte „umayyadische Qasida“ gekommen. Sie ist im Unterschied zur Stammesqasida eine Hofqasida, ein Preislied des Herrschers oder ein Schmählied seiner Feinde. Im Liebesthema verselbständigte sich die Qasida zu dem sogenannten Gazal, das bis zu 70 Verse aufweisen kann. Formen der Qasida in al-Andalus sind die panegyrische Qasida, Trauerlieder, Gazal, Wein- und Jagdlieder. In Ghazna (heutiges Afghanistan) wirkte eine Reihe von Dichtern am Hofe des Sultans Mahmud von Ghazni, sodass die Qasida auch hier, unter den Ghaznaviden, eine Blütezeit erfuhr. Farruchi, Unsuri und Manutschihri verfassten z. B. zahlreiche Qasiden, doch ist Anwari († 1187) in der Gattung ein Vorbild; der bedeutende persische Dichter und Anhänger von Avicenna lebte in der Mitte des 12. Jahrhunderts. Die Qasida nahm im Laufe der Zeit auch biografische Züge an, aber selbst in der Preisung des Hofes fügten die Dichter philosophisch-lehrreiche Inhalte hinzu.

Für die Lobesgedichte der persische Dichtung mit indischer Reimordnung ist Amir Chosrau Dehlawi (1253–1325, Dehlawi = aus Delhi) bekannt. Die persische Dichtung mit indischem Versmaß erreichte ihren Höhepunkt in den Werken der ebenfalls in Delhi geborenen Dichter Ustad Hassan Dehlawi (1274–1337), Hakim Abdul Qader e Bedel Dehlawi (1720) und Sir Muhammad Iqbal (1877–1938). Auch der mittelalterliche spanisch-jüdische Dichter Jehuda ha-Levi schrieb seine Lob- und Klagelieder, von denen etwa 180 erhalten sind, in Form der Qasida.

Merkmale

Zu den formalen Kriterien, die sich im Laufe der Zeit herausgebildet haben, gehört die Einhaltung eines bestimmten Metrums, das Vorkommen derselben Reimsilbe am Ende jedes zweiten Halbverses, sowie die polythematische Gestaltung. Die altarabische Dichtkunst experimentierte bereits mit einer Vielzahl von metrischen Unterteilungen, woraus sich ein Kanon an Versfüßen bildete, von denen einige bevorzugt für die Abfassung einer Qasida Verwendung fanden. Formal erinnert die Gedichtform an das Ghasel, das jedoch nur 7 bis 18 Verse umfasst.[6]

Inhaltlich lässt sich die altarabische Qasida in drei Teile gliedern: einen einleitenden Teil (nasīb), der eine unwiederbringliche Vergangenheit thematisiert und durch die Motive des verlassenen Lagerplatzes (al-ʾaṭlāl), der Erinnerung an die Geliebte, des Trennungsschmerzes, des alternden Liebhabers oder der traumartigen Erscheinung der Geliebten dargestellt wird.[7] In einem zweiten Teil findet sich meist die ausführliche Beschreibung eines Kamel- oder Pferderitts, womit die Verarbeitung der Trauer und die Zuwendung zum aktiven Leben dargestellt wird.[8]. In einem dritten Teil findet sich schließlich das Selbstlob des Dichters, ein Lob auf den Stamm bzw. einen Gönner oder die Schmähung eines Gegners.[8]

„Die Qasidendichtung mit ihrer Thematik aus dem beduinischen Leben hat sich auch nach der Islamisierung vital erhalten, bis sie im 8. Jahrhundert durch zunehmende Urbanisierung und einen schwindenden Bezug zu den ehemaligen tribalen Lebensgewohnheiten zu einer archaischen Form erstarrte.“[8]

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Nasser Kanani: Traditionelle persische Kunstmusik: Geschichte, Musikinstrumente, Struktur, Ausführung, Charakteristika. 2. Auflage, Gardoon Verlag, Berlin 2012, S. 234 f.
  2. Renate Jacobi: Origins Of The Qasida Form, in: Qasida Poetry in Islamic Asia and Africa, Bd. 1 ("Classical Traditions and Modern Meanings"), S. Sperl & C. Shackle (Hg.), Leiden, 1996
  3. Stefan Sperl, Christopher Shackle (Hg): "Qasida Poetry in Islamic Asia and Africa, Bd. 1 ("Classical Traditions and Modern Meanings"), Leiden, 1996
  4. Gabriele Braune: "Die Qasida im Gesang von Umm Kultum - Die arabische Poesie im Repertoire der größten ägyptischen Sängerin unserer Zeit", Bd. 1, Hamburg, 1987
  5. Stefan Sperl, Christopher Shackle (Hg): "Qasida Poetry in Islamic Asia and Africa, Bd. 1 ("Classical Traditions and Modern Meanings"), Leiden, 1996
  6. Karl Lokotsch: Etymologisches Wörterbuch der europäischen [...] Wörter orientalischen Ursprungs. Heidelberg 1927, S. 55
  7. Renate Jacobi: "Studien zur Poetik der altarabischen Qasida", Wiesbaden, 1971, S. 10 ff.
  8. a b c Gabriele Braune: "Die Qasida im Gesang von Umm Kultum - Die arabische Poesie im Repertoire der größten ägyptischen Sängerin unserer Zeit", Bd. 1, Hamburg, 1987, S. 11 f.