RIAS-Ente

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Die RIAS-Ente war ein in der DDR-Propaganda der 1950er Jahre gängiger Begriff gegen den West-Berliner Sender RIAS. Der von den amerikanischen Besatzungstruppen nach dem Zweiten Weltkrieg installierte „Rundfunk im Amerikanischen Sektor“ Berlins RIAS sendete ab den späten 1940er Jahren regelmäßig Nachrichten, die ihm von Bürgern der jungen DDR zugespielt wurden. Sie wiesen auf Missstände in der Lebensmittelversorgung im Osten hin, beschrieben die Kennzeichen von Militärfahrzeugen und nannten Namen von Mitarbeitern der Staatssicherheit (Stasi). Ob und wieweit diese Meldungen stimmten, müsste von Fall zu Fall geklärt werden. Die DDR-Regierung sah in diesen Sendungen einen Generalangriff auf den sozialistischen Aufbau und begann etwa ab 1952 damit, über die parteigesteuerte Ost-Presse jede einzelne Meldung des RIAS als Lüge hinzustellen – als Zeitungsente. 1955 startete der DDR-Inlandsgeheimdienst (Stasi) die „Aktion Enten“, um gezielt Informanten des RIAS auszumachen und vor Gericht zu bringen. In einem Fall erging ein Todesurteil.

Entenkarikaturen und „Aktion Enten“

Parallel zu von der Parteileitung der SED angeordneten Karikaturen und Witzen wie zum Beispiel „Es gibt Huhn, wenn du ’ne Ente willst, mußt’n RIAS anstellen.“[1] suchte die DDR-Justiz nach Wegen, RIAS-Hörer vor Gericht zu bringen. Ein Verbot, „Feindsender“ zu hören, wie die Nationalsozialisten es praktiziert hatten, fand sich im DDR-Strafgesetzbuch nicht. Dennoch spielte das bloße Hören des RIAS bei der Argumentation der Staatsanwaltschaft in mehreren Strafprozessen, insbesondere Spionageprozessen[2] eine zentrale Rolle. Im Februar 1955 startete der spätere Stasi-Chef Erich Mielke die „Aktion Enten“, „um nicht nur die Agenturen des RIAS zu zerschlagen und sie ihrer gerechten Bestrafung zuzuführen, sondern durch richtige politisch-operative Maßnahmen dem RIAS einen solchen Schlag zuzufügen, der es möglich macht, diesen amerikanischen Sender vor dem gesamten deutschen Volk und der Weltöffentlichkeit als Spionagezentrale des amerikanischen Geheimdienstes zu entlarven.“[3]

49 Personen wurden im Rahmen der Verhaftungsaktion „Enten“ festgenommen, darunter der damals 29-jährige Ost-Berliner Dekorateur Joachim Wiebach und der RIAS-Rundfunksprecher Richard Baier. Den meisten wurde nachgewiesen, dem RIAS Informationen aus der DDR übermittelt zu haben, etwa über die Achsenzahl eines Spähwagens. Jedoch spielte es in dem Prozess am 24. Juni 1955 keine Rolle, ob dies nun im RIAS zu wahren oder zu Falschmeldungen, eben „Enten“, geführt hatte. Die Staatsanwaltschaft sah hohe Haftstrafen nach Artikel 6 der DDR-Verfassung (Kriegs- und Boykotthetze) vor; der Staatsratsvorsitzende der DDR Walter Ulbricht zeichnete das Strafmaß bereits im Vorfeld des Prozesses mit „Einverstanden / W. Ulbricht“ ab, ersetzte aber auf dem Geheimpapier „lebenslängliches Zuchthaus“ für Joachim Wiebach durch die Worte: „Vorschlag: Todesurteil“. Das Oberste Gericht der DDR folgte dem Vorschlag. Das Urteil gegen Wiebach wurde am 13. September 1955 in der Zentralen Hinrichtungsstätte der DDR in Dresden mit dem Fallbeil vollstreckt.[4][5]

Literatur

  • Jörg-Uwe Fischer: Die Rias-Ente – eine Spurensuche. In: info 7 – Medien, Archive, Information, Heft 1/2013, S. 61 ff.

Einzelnachweise

  1. Der Aktivist vom März 1952
  2. Siehe der Spionageprozess gegen Elli Barczatis und Karl Laurenz; beide gaben zu, den RIAS gehört zu haben und belasteten sich dabei selbst.
  3. Karl Wilhelm Fricke im Deutschlandfunk 2005
  4. Karl Wilhelm Fricke, Roger Engelmann (Hrsg.): Konzentrierte Schläge. Staatssicherheitsaktionen und politische Prozesse in der DDR 1953–1956, ISBN 3-86153-147-X
  5. Norbert F. Pötzl: Konzentrierte Schläge. In: Der Spiegel, 5. September 2012, abgerufen am 3. November 2015