Sentinelesen

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 24. August 2016 um 23:05 Uhr durch Ratzer (Diskussion | Beiträge) (link Langhaus (Wohngebäude)). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Sentinelesen sind ein von der Außenwelt isoliertes indigenes Volk, das auf North Sentinel Island lebt, einer Insel im Indischen Ozean, die zur Inselgruppe der Andamanen gehört und von Indien im Unionsterritorium der Andamanen und Nikobaren verwaltet wird.

Die genaue Anzahl der Inselbewohner ist unbekannt. Schätzungen gehen von 50 bis 400 Menschen aus.[1]

Einordnung

Starke Gebietsveränderungen der verschiedenen indigenen Völker auf den Inseln der Andamanen zwischen Anfang 19. Jahrhundert (links) und 2004 (rechts). Lediglich die Sentinelesen (rot) leben unverändert auf derselben kleinen Insel westlich der Hauptinsel North Andaman.

Nach ihren physischen Merkmalen werden die Sentinelesen den Negritos zugeordnet, einer Sammelbezeichnung für mehrere kleinwüchsige und kraushaarige Ethnien, die zumeist in abgelegenen Regionen der Malaiischen Inselwelt verbreitet sind.

Die Insel wurde vermutlich von South Andaman Island aus besiedelt. Die dort lebenden Jarawa, mit denen die Sentinelesen näher verwandt zu sein scheinen als mit anderen Negritos, überwanden die rund 35 Kilometer lange Strecke bis zur nächstgelegenen Küste beim heutigen Port Muat wahrscheinlich mit Bambusflößen oder Auslegerkanus.[2]

Die zu den andamanischen Sprachen zählende Sprache der Sentinelesen ist nicht erforscht. Selbst nächstgelegene Nachbarvölker, etwa die auf Little Andaman lebenden Onge, die als Bindeglied dienen könnten, teilen anscheinend kein ausreichend gemeinsames Vokabular, das eine Verständigung möglich machen könnte.

Die Sentinelesen sind das letzte isoliert lebende indigene Volk auf den Andamaneninseln, nachdem die benachbarten Jarawa seit 1998 Kontakt mit indischen Siedlern haben.[3]

Es gibt genetische Hinweise in Verbindung mit der Untersuchung der Sprache, dass die Sentinelesen Nachfahren von vor gut 100.000 Jahren aus Afrika ausgewanderten Menschengruppen darstellen.[4]

Lebensweise

Aufgrund ihrer Abgeschiedenheit ist nur wenig über die Sentinelesen bekannt, man weiß jedoch, dass sie im Wald jagen und sammeln und einen großen Bestandteil ihrer Nahrung aus dem Meer beziehen.

Es ist ebenfalls bekannt, dass sie in Langhäusern wohnen und Kanus nutzen, um sich in der Gegend fortzubewegen. Sie nutzen Naturmaterialien, die sie auf der Insel finden, ebenso wie Gegenstände, die an den Strand gespült werden. [5]

Bedrohungen

Wilderer beuten verstärkt die Fischgründe um die Andamanen aus, was den Sentinelesen ihre Nahrungsgrundlage raubt. Auch benachbarte indigene Völker wie die Jarawa, die Kontakt mit Außenstehenden haben, klagen immer wieder über Wilderei und deren Auswirkungen auf ihre Nahrungsgründe.[6]

Krankheiten stellen eine ernste Bedrohung für die Sentinelesen dar, die durch ihre abgeschiedene Lebensweise keine Abwehrkräfte entwickelt haben. Andere indigene Völker auf den Andamanen wurden durch Gewalt und Krankheiten nach dem Kontakt zu 99 % ausgelöscht. Die indische Regierung hat daher die Kontaktaufnahme untersagt und erkennt ihr Recht auf Autonomie an.

Kontakt mit Außenstehenden

In der Vergangenheit gab es immer wieder Versuche, Kontakt mit den Sentinelesen aufzunehmen, um sie zu erforschen. Einige wurden verschleppt. Die Sentinelesen reagierten mit Rückzug in den Wald oder sie attackierten die Eindringlinge mit Pfeil und Bogen. 1996 [7] wurden die Kontaktversuche von der indischen Regierung eingestellt.

Sehr wahrscheinlich nur vom Hörensagen beschrieb Marco Polo um 1296 die Bewohner der Andamanen erstmals generell als die wildeste und gefährlichste Menschenrasse, die mit Augen, Ohren und Zähnen von Hunden ausgestattet sei.

Im Jahr 1771 sah die Besatzung eines an der Küste vorbeisegelnden Schiffes der East India Company in einer Nacht den Schein von Feuerstellen. Dies gilt als erstes Zeugnis für auf der Insel lebende Menschen. Zu einem Landgang kam es nicht.

Als 1867 ein indisches Handelsschiff auf einem Riff Schiffbruch erlitt, rettete sich die zwanzigköpfige Besatzung in einem Ruderboot an den Strand. Während sich die Männer Essen zubereiteten, wurden sie von Sentinelesen mit Pfeilen angegriffen. Es gelang ihnen, sich mit ihrem Boot auf das Meer abzusetzen, wo sie später von einem Dampfer aufgegriffen wurden.

1879 wurde ein älteres Sentinelesen-Paar und einige Kinder von den britischen Kolonialherren gewaltsam auf eine Nachbarinsel nach Port Blair verschleppt. Ein Offizier beschrieb, dass die ganze Gruppe „schnell erkrankte und der alte Mann und seine Ehefrau starben, sodass die vier Kinder mit mehreren Geschenken nach Hause geschickt wurden.“[8]

Der Brite Maurice Vidal Portman soll in den 1880er Jahren versucht haben, auf der Insel zu landen, aber beim Versuch, zu Sentinelesen zu gelangen, gescheitert sein. Ein hinduistischer Sträfling entfloh 1896 dem Gefangenenlager auf den Großen Andamanen mit einem selbst gebauten Floß und trieb bis zu einem Strand der Nord-Sentinel-Insel. Dort fanden seine Verfolger den toten Körper mit mehreren Pfeilwunden und aufgeschnittener Kehle.

Im März 1911 landete der britische Kolonialbeamte M. C. C. Bonig mit einigen Begleitern an der Westküste der Insel. Diese Gruppe wurde nicht mit Pfeilen empfangen. Laut Bonigs Beschreibung flohen acht Männer in den Dschungel und zwei machten sich in Kanus davon. Die Briten gingen einige Kilometer ins Landesinnere, wo sie einige Behausungen mit Schutzdächern fanden, aber auf keinen Widerstand stießen. Bonig glaubte, dass es gelingen könnte, die Sentinelesen durch Geschenke zu „zähmen“. Solche Versuche gab es offensichtlich nicht und die Insel wurde danach nur noch umrundet und nicht mehr betreten.[9]

Heinrich Harrer filmte die Insel in den 1970er Jahren aus der Ferne. Weitere Aufnahmen von Sentinelesen gelangen 1974 einem Filmteam, das für den Dokumentarfilm Man in Search of Man drehte.[10] Die Gruppe landete mit einigen Ethnologen, bewaffneten Polizisten und dem indischen Fotografen Raghubir Singh, der im Auftrag von National Geographic aufsehenerregende Bilder schoss.

Weitere Aufnahmen entstanden bei späteren Expeditionen der indischen Regierung.[11] Den Sentinelesen wurden dabei immer wieder Geschenke hinterlassen [12]. Die Annäherungsversuche der Regierung wurden nach 1996 eingestellt, sollten die Sentinelesen nicht selbst Kontakt wünschen. Damit trägt die Regierung auch den Gefahren des Kontaktes Rechnung. Jede Art von Besuchen wäre für die Sentinelesen tragisch, da sie gegen eingeschleppte Krankheiten nicht immun sind.

Drei Tage nach dem Erdbeben im Indischen Ozean 2004 flog ein Hubschrauber über die Insel und wurde von einem Sentinelesen mit Pfeilen beschossen. Es ist bekannt, dass viele indigene Völker beim Tsunami 2004 geringe Verluste erlitten haben, da Angehörige das Zurückziehen des Meeres richtig deuten konnten und die Gemeinschaften in höhere Gebiete flüchteten. So überlebten wohl auch die Sentinelesen unbeschadet.

Siehe auch

Literatur

  • Adam Goodheart: The Last Island of the Savages. In: The American Scholar. Bd 69, Nr. 4. Washington DC 2000, S. 13–44. ISSN 0003-0937
  • S. S. Sarkar: The Jarawa of the Andaman Islands. In: Anthropos. Bd 57, Heft 3./6. Fribourg 1962, S. 670–677. ISSN 0003-5572
  • Raghubir Singh:The Last Andaman Islanders. In: National Geographic Magazine. Bd 148, Nr. 1. Washington DC 1975, S. 32–37. ISSN 0027-9358
  • Raghubir Singh: Der Kampf ums Überleben. In: GEO. Hamburg 1976, S. 8-24. ISSN 0342-8311
  • Heinrich Harrer: Die letzten Fünfhundert. Expedition zu den Zwergvölkern auf den Andamanen. Ullstein, Berlin 1977. ISBN 3-550-06574-4

Weblinks

Einzelnachweise

  1. In der offiziellen indischen Statistik werden 117 Sentinelesen im Jahr 1901 und 39 im Jahr 2001 geschätzt. Die Zahlen haben jedoch keinen statistischen Hintergrund. Pankaj Sekhsaria, Vishvajit Pandya (Hrsg.): The Jarwaw Tribal Reserve Dossier. Cultural & biological diversities in the Andaman Islands. (PDF; 12,9 MB) UNESCO Dossier. LINKS, Paris 2010, S. 17.
  2. S. S. Sarkar, S.670
  3. Stefan Kirschner: (Über die Sentinelesen). In: Indigenous Policy Journal. Bd 23, Nr. 1. US 2012. ISSN 2158-4168
  4. Dokumentation auf Sky Vision
  5. C. Brumann: Ethnologie der Globalisierung. (PDF; 1,2 MB)
  6. "World’s Most Isolated Tribe Threatened By Poachers - Jarawa And Sentinelese People." In: Indigenous Peoples Issues and Resources. Winter Park 2010.
  7. Rainer Leurs: Schreckensinsel North Sentinel Island - Von allen guten Gästen verlassen In: spiegel.de. 2013
  8. Das abgeschiedenste Volk der Welt? In: survivalinternational.de.
  9. S. S. Sarkar, S. 672
  10. Dokumentation Man in Search of Man.
  11. Videoclip In größter Isolation.
  12. Adam Goodheart, S. 15 f.