Serge Latouche

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Serge Latouche

Serge Latouche (* 12. Januar 1940 in Vannes) ist ein französischer Ökonom und Philosoph, Professor a.D. der Universität Paris-XI (Sceaux) und gilt als einer der Vertreter des Konzepts der Wachstumsrücknahme.

„Der Begriff richtet sich gegen die Denkblockaden, die der ökonomistische, entwicklungsfixierte und fortschrittsgläubige Totalitarismus in unseren Köpfen ausgelöst hat, und will Platz schaffen für neue Ideen und kreative Entwürfe. [...]
Streng genommen bedeutet der Aufbau von autonomen, sparsamen und solidarischen Gesellschaften im Norden wie im Süden eher Nichtwachstum (acroissance) als Wachstumsrücknahme (décroissance). Ganz in dem Sinne, wie man von Atheismus spricht, geht es auch hier um die Absage an eine Religion, die Religion der Ökonomie. Dass am inhaltsleeren und daher ständig umdefinierten Fetischbegriff 'Entwicklung' trotz des manifesten Scheiterns der damit bezeichneten Orientierung irrational festgehalten wird, offenbart lediglich die Unfähigkeit, mit dem Ökonomismus - und schließlich auch mit dem Wachstum selbst - zu brechen.“[1]

Wie für die anderen Angehörigen des Postdevelopment ist auch für Latouche die Kritik der Entwicklung und der Bruch mit ihr ein Schritt von geradezu weltgeschichtlicher Bedeutung, für den Norden wie für den Süden:

„Wachstumsrücknahme im Süden setzt voraus, dass wir versuchen, einen 'Circulus virtuosus' in Gang zu setzen. Er lässt sich mit acht Begriffen kennzeichnen: neu bewerten, umdenken, umstrukturieren, lokalisieren, umverteilen, reduzieren, wiederverwenden, recyceln. Ist dieser 'tugendhafte Kreislauf' erst einmal in Gang gebracht, ist es möglich, die wirtschaftliche und kulturelle Abhängigkeit des Südens vom Norden zu beenden und an eine historische Entwicklung anzuknüpfen, die durch Kolonisation, Entwicklung und Globalisierung unterbrochen wurde. Es gilt, eine eigenständige kulturelle Identität herauszubilden, in Vergessenheit geratene landesspezifische Produkte, wieder einzuführen und die entsprechenden 'antiökonomischen' Werte zu pflegen sowie die traditionellen Techniken und Fertigkeiten neu zu entwickeln. [...] Wenn wir uns dagegen entschließen, unter dem Vorwand der Bekämpfung von Elend, das durch die Wachstumslogik hervorgerufen wird, an ebendieser Wachstumslogik im Süden festzuhalten, so kann daraus nur eine weitere Verwestlichung folgen.“[2]

Latouche ist Gründungsmitglied und Präsident der Vereinigung La ligne d'horizon, die sich dem Werk des Ökonomen und Entwicklungsbankers François Partant widmet. Serge Latouche gehört auch zu den ersten Autoren des Magazins La Revue du Mauss[3].

Serge Latouche kritisiert die ökonomische Lehrmeinung und richtet sich dabei speziell gegen die „ökonomische Orthodoxie“, den „Ökonomismus“ und den Utilitarismus in den Sozialwissenschaften und der Entwicklungspolitik. Er arbeitet auf dem Gebiet der anthropologischen Ökonomie und kritisiert dabei vor allem die Theorie der Rationalität des ökonomischen Handelns und die Theorie der ökonomischen Effizienz.

1998 erhielt er den Luigi-Sturzo-Sonderpreis des Premio Amalfi.

Siehe auch

Werke (Auswahl)

  • Le procès de la science sociale. Introduction à une théorie critique de la connaissance, Paris: anthropos, 1984
  • L'Occidentalisation du monde Paris: La Découverte, 1989, Taschenbuchausgabe 2005: ISBN 9782707145918, dt. Die Verwestlichung der Welt, Frankfurt: dipa 1994
  • La Planète des naufragés, Paris: La Découverte, 1991
  • L'Autre Afrique, entre don et marché (Albin Michel, 1998)
  • Justice sans limites (Fayard, 2003).
  • Survivre au développement. De la décolonisation de l’imaginaire économique à la construction d’une société alternative, Paris: Editions Mille et une nuits, 2004
  • Would the West actually be happier with less? The World Downscaled Le Monde diplomatique, December 2003 Für eine Gesellschaft der Wachstumsrücknahme
  • Why Less Should Be So Much More: Degrowth Economics, Le Monde Diplomatique, November 2004 Minuswachstum: Die falsche Kritik der Alternativökonomen
  • La déraison de la raison économique : du délire d'efficacité au principe de précaution, Paris: Michel, 2001, dt. Die Unvernunft der ökonomischen Vernunft (Zürich/Berlin: diaphanes, 2004)
  • L'invention de l'économie, Paris: Albin Michel, 2005
  • Petit traité de la décroissance sereine. Librairie Arthème Fayard, Paris 2007.
    • Es reicht! Abrechnung mit dem Wachstumswahn. Übersetzt von Barbara Reitz und Thomas Wollermann. Mit einem Vorwort von Niko Paech. Oekom, München 2015, ISBN 978-3-86581-707-5 (Politikwissenschaftliche Rezension)

Weblinks

Fußnoten

  1. Serge Latouche, "Minuswachstum: Die falsche Kritik der Alternativökonomen", Le Monde Diplomatique, deutsche Ausgabe, November 2004, http://www.monde-diplomatique.de/pm/2004/11/12/a0055.text.name,askpL6zTy.n,5 (Abgerufen 16. Januar 2009)
  2. a.a.O.
  3. Mouvement anti-utilitariste en sciences sociales = Anti-utilaristische Bewegung in den Sozialwissenschaften. Der Abkürzung liegt der Familienname von Marcel Mauss zugrunde. An dem im Jahr 1981 erstmals und dann vierteljährlich herausgegebenen Magazin Le Bulletin du Mauss beteiligte sich Latouche seit 1982. La Revue du Mauss verstand sich auch als Gegenbewegung zum „Enzyklopädismus“ (in der Bedeutung etwa des deutschen Begriffes „Lehrmeinung“) in den Sozialwissenschaften. Das Magazin wird heute halbjährlich bei La Découverte verlegt.