Thielbek

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Datei:2015 10 06 Neuengamme Thielbek 2 IMG 3749.JPG
Der Frachter Thielbek gehörte zur Häftlingsflotte und sank 1945 mit der Cap Arcona in der Lübecker Bucht
Schreiben an die Reederei über die Anordnung zur Verwendung des Schiffes

Die Thielbek war ein 2.815 BRT großes Frachtschiff, das 1939 bei der Lübecker Maschinenbau Gesellschaft (LMG) für die Hamburger Reederei Knöhr & Burchard gebaut wurde.[1] Mit Tausenden KZ-Häftlingen an Bord wurde sie in der Endphase des Zweiten Weltkriegs am 3. Mai 1945 in der Neustädter Bucht bei einem Angriff britischer Jagdbomber versenkt.

Hintergrund

Mit dem Näherrücken der Front löste die SS zahlreiche Konzentrationslager auf und schickte die Häftlinge auf Todesmärsche.[2] Grundlage war der folgende per Fernspruch versandte Befehl:[3]

„Fernspruch der Reichsführung SS 14. April 1945
An die Lagerkommandanten der Konzentrationslager. Die Übergabe kommt nicht in Frage. Das Lager ist sofort zu evakuieren. Kein Häftling darf lebendig in die Hände des Feindes gelangen. Heinrich Himmler Reichsführer SS“

So wurde Mitte April 1945 auch mit der Räumung des KZ Neuengamme begonnen, da die britische Artillerie bereits zu hören war. Aus den Außenlagern des KZ Neuengamme wurden Evakuierungstransporte und -märsche in Richtung Neustadt in Holstein zusammengestellt, um die Häftlinge dort auf Schiffe zu verladen.

Der bei der Werft Lübecker Maschinenbau Gesellschaft (LMG) liegende Dampfer Thielbek wurde vom Reichskommissar für die Seeschifffahrt („Reiko See“), dem Hamburger Gauleiter und SS-Obergruppenführer Karl Kaufmann, zur Unterbringung von Sträflingen bestimmt.

Einschiffung der Häftlinge

Von der SS wurde angeordnet, dass der Frachter Thielbek, der mit einem Ruderschaden in Lübeck in der Werft lag, 2.000 KZ-Häftlinge aus Neuengamme übernehmen sollte. Die Weigerung von Kapitän John Jacobsen wurde von der SS mit der Androhung von Waffengewalt beantwortet.[4] Am 19. April 1945 wurde die Thielbek von der Werft in den Lübecker Industriehafen verholt und ein Arbeitskommando hatte eine provisorische Toilettenanlage an Deck gebaut.

Am darauffolgenden Tag wurden insgesamt 2.300 KZ-Häftlinge auf die Thielbek gebracht, außerdem 280 Wachleute.[5] Sie waren vom KZ Neuengamme nach Lübeck zum Teil in Viehwaggons (je nach Quelle[5]) mit je 50 bis 120 Häftlingen pro Waggon transportiert worden. Der Transport wurde jedoch aufgrund von Tieffliegerangriffen mehrfach unterbrochen. Da die Reichsbahn nicht genug Zugmaterial zur Verfügung hatte, waren Gruppen in Fußmärschen, in sogenannten Todesmärschen, nach Lübeck gelangt.

Neben Kapitän Jacobsen waren noch 18 zivile Seeleute an Bord; die Besatzung wurde von der SS zum Stillschweigen verpflichtet.[4] Am 21. April kamen weitere Häftlinge an und wurden auf die Thielbek gebracht, so dass die Gesamtzahl auf etwa 3500 stieg.[5]

In den Laderäumen der Thielbek herrschte eine katastrophale Enge, es gab keine Verpflegung und zu wenig Trinkwasser. Während sich die anderen Schiffe der Häftlingsflotte bereits in der Lübecker Bucht befanden, lag die Thielbek wegen ihres Ruderschadens immer noch im Lübecker Hafen fest. Am 1. Mai befahl der Lübecker Polizeichef dem Kapitän, sofort auszulaufen. Am 2. Mai wurde die Thielbek vom Schlepper Travemünde und einem weiteren Schlepper auf die Ostsee zur Reede Neustadt geschleppt.[6] Täglich starben viele Häftlinge und wurden einfach von der SS-Bewachung über Bord geworfen.

Versenkung

Situation am 3. Mai 1945 in der Neustädter Bucht
Erinnerungstafel an den Untergang der Cap Arcona und der Thielbek auf dem Ehrenfriedhof Cap Arcona bei Neustadt

Am 2. Mai traf sie kurz vor Lübeck auf den Konvoi mit den Häftlingen aus dem KZ Stutthof.[6] Am 3. Mai 1945 wurde die Thielbek zusammen mit der Cap Arcona, der Athen und der Deutschland an ihrem Liegeplatz in der Neustädter Bucht von drei Wellen aus je 8–9 britischen Hawker-Typhoon-Jagdbombern angegriffen, da die Briten die Schiffe irrtümlich für deutsche Truppentransporter hielten. Vier Typhoons bekämpften fast gleichzeitig die etwa 800 Meter neben der Cap Arcona ankernde, sich heftig mit der Flak wehrende Thielbek, zunächst mit Raketen, dann mit ihren Bordkanonen. Die Thielbek wurde in Brand geschossen, an Deck brannten viele als Polstermaterial verteilte Strohballen. Die Rettungsboote waren zerschossen und unbrauchbar, Rettungswesten gab es nur für die Besatzung und das Wachpersonal. Das Wasser war mit 8 °C noch sehr kalt und die Entfernung zum rettenden Ufer war auch für gute Schwimmer zu groß.[7] Die Thielbek erhielt starke Backbord-Schlagseite und versank in 15 Minuten. Zum Zeitpunkt des Untergangs befanden sich noch 2.800 Häftlinge auf dem Schiff, die fast alle ums Leben kamen.[8]

Hebung des Wracks

Im August 1949 wurde mit der Hebung des Wracks begonnen. Am 6. Februar 1950 wurde es nach Lübeck geschleppt, wo es am folgenden Tag eintraf. Im Rumpf der Thielbek wurden noch Leichen und Leichenteile von etwa 200 Opfern gefunden, die in Neustadt beigesetzt wurden. Das Schiff wurde instand gesetzt und fuhr seit 1950 unter dem Namen Reinbek wieder für Knöhr & Burchard. 1961 wurde die Reinbek verkauft und fuhr anschließend als Magdalene und Old Warrior unter panamaischer Flagge. 1974 wurde sie in Split verschrottet.[1]

Bis heute wurde die Tragödie bei Neustadt nicht gerichtlich aufgearbeitet.

Literatur

  • Hermann Kaienburg: Das Konzentrationslager Neuengamme 1938–1945. Dietz, Bonn 1997
  • Wilhelm Lange: Cap Arcona. Neustadt in Holstein 2014

Weblinks

  • Artikel zur Versenkung der Cap Arcona (Memento vom 1. März 2009 im Internet Archive) auf kriegsende.ard.de

Einzelnachweise

  1. a b Hanno Kabel: Das zweite Leben des Totenschiffs. In: Lübecker Nachrichten. 2. Mai 2015, S. 3.
  2. Hermann Kaienburg: Das Konzentrationslager Neuengamme 1938–1945. Dietz, Bonn 1997, S. 268.
  3. Wilhelm Lange: Cap Arcona. Neustadt in Holstein 2014, S. 26.
  4. a b Wilhelm Lange: Cap Arcona. Neustadt in Holstein 2014, S. 65.
  5. a b c Wilhelm Lange: Cap Arcona. Neustadt in Holstein 2014, S. 66.
  6. a b Wilhelm Lange: Cap Arcona. Neustadt in Holstein 2014, S. 76.
  7. Wilhelm Lange: Cap Arcona. Neustadt in Holstein 2014, S. 90.
  8. Hermann Kaienburg: Das Konzentrationslager Neuengamme 1938–1945. Dietz, Bonn 1997, S. 280.