„Michael Roes“ – Versionsunterschied

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Michael Roes wuchs in [[Bocholt]] auf. Nach dem Abitur studierte er [[Psychologie]], [[Philosophie]] und [[Germanistik]] an der [[Freie Universität Berlin|Freien Universität Berlin]], wo er 1985 sein Diplom in Psychologie machte.
Michael Roes wuchs in [[Bocholt]] auf. Nach dem Abitur studierte er [[Psychologie]], [[Philosophie]] und [[Germanistik]] an der [[Freie Universität Berlin|Freien Universität Berlin]], wo er 1985 sein Diplom in Psychologie machte.


Von 1985 bis 1989 war er [[Regieassistent|Regie-]] und [[Dramaturg]]ieassistent an der Berliner [[Schaubühne am Lehniner Platz|Schaubühne]] und an den [[Münchner Kammerspiele]]n. Es folgte ein Studienaufenthalt in der Wüste [[Negev]]. 1991 promovierte Roes mit einer Arbeit über [[Isaak (Genesis)|Isaak]] und das Sohnesopfer zum [[Doktor]] der Philosophie.
Von 1987 bis 1989 war er [[Regieassistent|Regie-]] und [[Dramaturg]]ieassistent an der Berliner [[Schaubühne am Lehniner Platz|Schaubühne]] und an den [[Münchner Kammerspiele]]n.<ref> [http://www.munzinger.de/search/portrait/Michael+Roes/0/22911.html], Munzinger.de, 16. Dezember 2011 </ref>
Es folgte ein Studienaufenthalt in der Wüste [[Negev]]. 1991 promovierte Roes mit einer Arbeit über [[Isaak (Genesis)|Isaak]] und das Sohnesopfer zum [[Doktor]] der Philosophie.

1993 wurde Michael Roes Fellow am Budapester Institute for Advanced Studies. Im Rahmen eines ethnologischen Forschungsprojektes verbrachte er 1994 /1995 ein Jahr im Jemen. Seine dortigen ethnologischen Studien verarbeitete er in dem Roman "Rub' al-Khali". In den folgenden Jahren unternahm Roes vor allem Reisen nach Amerika und lebte längere Zeit in New York, wo er an seinem Roman "Der Coup der Berdache" und seinem literarischen Reise-Essay "Haut des Südens" arbeitete. Im Jahr 2000 drehte Roes in New York und im Jemen seinen ersten Spielfilm "Someone is Sleeping in my Pain", einen arabischen „Macbeth“. Dann folgten mehrere lange Algerien-Aufenthalte, in denen unter anderem der Roman "Weg nach Timimoun", der Film "Stadt des Glücks", eine Dokumentation des Alltags algerischer Jugendlicher und Roes zweiter Spielfilm "Timimoun", eine algerische Orestie, entstanden.
1993 wurde Michael Roes Fellow am Budapester Institute for Advanced Studies. Im Rahmen eines ethnologischen Forschungsprojektes verbrachte er 1994 /1995 ein Jahr im Jemen. Seine dortigen ethnologischen Studien verarbeitete er in dem Roman "Rub' al-Khali". In den folgenden Jahren unternahm Roes vor allem Reisen nach Amerika und lebte längere Zeit in New York, wo er an seinem Roman "Der Coup der Berdache" und seinem literarischen Reise-Essay "Haut des Südens" arbeitete. Im Jahr 2000 drehte Roes in New York und im Jemen seinen ersten Spielfilm "Someone is Sleeping in my Pain", einen arabischen „Macbeth“. Dann folgten mehrere lange Algerien-Aufenthalte, in denen unter anderem der Roman "Weg nach Timimoun", der Film "Stadt des Glücks", eine Dokumentation des Alltags algerischer Jugendlicher und Roes zweiter Spielfilm "Timimoun", eine algerische Orestie, entstanden.
2004 und 2006/2007 wurde Michael Roes zu einer Gastprofessur an die Central European University, Budapest, eingeladen und arbeitete dort mit Studenten unter anderem an seinem Filmprojekt "Elevation". Dann folgte ein dreimonatiger Aufenthalt in Nanjing und die Arbeit am Roman-Essay "Die Fünf Farben Schwarz", der im Herbst 2009 veröffentlicht wurde.
2004 und 2006 / 2007 wurde Michael Roes zu einer Gastprofessur an die Central European University, Budapest, eingeladen und arbeitete dort mit Studenten unter anderem an seinem Filmprojekt "Elevation". Dann folgte ein dreimonatiger Aufenthalt in Nanjing und die Arbeit am Roman "Die Fünf Farben Schwarz", der im Herbst 2009 veröffentlicht wurde.
Zur Zeit (2012 / 2013) ist Michael Roes Research Fellow am Internationalen Forschungskolleg „Verflechtungen von Theaterkulturen“ der Freien Universität Berlin.


Michael Roes' Werk, das u.a. in der Tradition von [[Bruce Chatwin]] und [[Hubert Fichte]] steht, umfasst [[Roman]]e, Essays, [[Gedicht]]e, [[Theaterstück]]e und Filme. Zentrale Themen sind die Begegnung mit dem Fremden und die Verständigungsschwierigkeiten bei solchen Begegnungen.
{{Belege fehlen|vor allen Dingen für den fortwährenden werbenden POV-Charakter}}
Der in Berlin lebende Michael Roes schwimmt gegen den aktuellen Strom allgemeinen literarischen Schaffens, indem er nicht das Leben in der Metropole nutzt, um noch einen weiteren Hauptstadtroman zu kreieren, er ist vielmehr von fernen Kontinenten und Kulturen angezogen. Die Begegnung mit fremden Welten ist für ihn ein Prozeß des Verstehens, des Eingehens auf andere Sprachen und Lebensweisen.
In dem Gedichtband "Durus Arabij, Arabische Lektionen" (1997) vermittelt Michael Roes ein interkulturelles Klangbild. Der israelische Komponist Amoz Elkana vertonte 13 Gedichte aus dieser Sammlung.


== Werk ==
Roes’ Werk umkreist in immer neuen Variationen das Thema der Grenzen, an der sich Fremdheit und Vertrautheit, die Unzugänglichkeit und Unerbittlichkeit des Anderen treffen mit dem Bestreben, diesen Abstand zu überwinden, sei es in Form einer hermeneutischen, also von kulturellen Vorurteilen geleiteten Usurpation, oder aber der respektvollen Anerkennung. Roes' Arbeiten machen deutlich, dass in einem Zeitalter der fast universalen Begegnungsmöglichkeit mit dem Fremden nicht der Begriff der anverwandelnden Nähe als das Leitmotiv einer Beschreibung der Begegnung tauglich ist, sondern eher der Begriff des Prekären oder, vielleicht treffender noch, der der Ambivalenz.
Michael Roes ist Romanautor, Dichter, Essayist, Stückeschreiber, Anthropologe und Filmemacher mit einem Interesse an der Interaktion mit dem Fremden. Er zieht seine Inspiration und Erfahrungen für sein Werk aus der Kenntnis vielfältiger Kulturen, von den nordamerikanischen Indianern im Roman ''Der Coup der Berdache'', über das zeitgenössische China in ''Die Fünf Farben Schwarz'', den walisischen Mythen in ''Lleu Llaw Gyffes'', bis zur islamischen Welt in den Romanen ''Rub’ al-Khali / Leeres Viertel'', ''Weg nach Timimoun'', ''Nah Inverness'' und ''Geschichte der Freundschaft''. Seine Arbeit ist von Synkretismus, der Lust am Experimentieren und einem Gefühl für Musikalität geprägt. Sie zeigt den Wunsch und die Möglichkeit, mit Menschen aus anderen Kulturen zu interagieren, und eröffnet eine Vision von interkulturellem Lernen als aktiven Austausch, in dem beide Seiten sich mitteilen können und dürfen.


* ''Rub’ al-Khali/ Leeres Viertel'', 1996 veröffentlicht, ist der Roman, mit dem Roes sich seinen Ruf als einer der führenden deutschen Poeten des Fremden verdient hat. <ref> [http://www.anwesenheitsnotiz.de/dez-2011/inhaltlicher-ueberblick/desorientierung-spielend )] </ref> In diesem Roman ist der Protagonist ein Anthropologe, der im Jemen traditionelle Kinderspiele und Tänze erforschen will. Sein Tagebuch stellt ein Nebeneinander von Reisebericht, Alltagsbeobachtungen und Reflexionen über das Spiel dar. Ein weiterer, komplementärer narrativer Strang des Romans besteht aus dem Tagebuch eines Jemenreisenden aus dem frühen neunzehnten Jahrhundert, Alois Ferdinand Schnittke. Schnittkes Bericht ist geprägt von der Sensibilität für lokale Bräuche und einer aufklärerischen Haltung gegenüber der Arabischen Welt. Beide Tagebücher sind eng miteinander verflochten. <ref> [http://www.grin.com/de/e-book/67365/darstellung-der-eigenen-fremde-in-michael-roes-reiseroman-leeres-viertel] </ref>
Michael Roes zeigt in seinen Werken, dass solche Begegnungen Wagnisse sind, in denen die eigene kulturelle Identität aufs Spiel gesetzt werden muss, um Verständigung nicht von vornherein scheitern zu lassen. Er begreift die Kommunikation mit dem Fremden als Einsatz (und dies, wie die exotischen Theater seiner Reiseabenteuer belegen, im unmittelbaren Sinn des Wortes), in dem das Gleichgewicht des kommunikativen Austauschs immer unentschieden bleibt.


* In dem Gedichtband ''Durus Arabij, Arabische Lektionen'' (1997) vermittelt Michael Roes ein interkulturelles Klangbild. Der israelische Komponist Amos Elkana vertonte 13 Gedichte aus dieser Sammlung. <ref> [http://www.amoselkana.com/] </ref>
Die „Lösung“ des Problems interkultureller Begegnung kann Roes deshalb in einer Art Schwebezustand belassen, weil das kommunikative Geschehen nur dem Anschein nach, aber nicht in der Tiefe, nach dem Modell eines rational austarierten Gleichgewichts der Diskurspartner funktioniert. Ihr konkretes Verhalten wird viel weniger durch ihre Vernunftbegabtheit und Zugehörigkeit zu einer „Kultur“ gesteuert, sondern von jenen Antrieben, die aus dem im Körper beheimateten Begehren an die Oberfläche der Sprache dringen.<ref> [http://www.munzinger.de/search/klg/Michael+Roes/649.html], Munzinger.de, 16. Dezember 2011 </ref>

* ''Nah Inverness'', im Jahr 2004 veröffentlicht, arbeitet ebenfalls mit zwei korrespondierenden Tagebuchsträngen. Hal Dumblatt, ein amerikanischer Regisseur, ist besessen von der Idee einer ''Macbeth''-Verfilmung mit jemenitischen Stammeskriegern als Akteure. Die zweite Erzählebene bilden die Berichte von Ahmed, einem jemenitischen Offizier, der die Filmcrew begleitet und möglicherweise dem jemenitischen Geheimdienst berichtet. - Die Romanhandlung beruht auf authentischen Erlebnissen: Im Jahr 2000 reiste Michael Roes mit einer kleinen Filmcrew in den Jemen, um dort seine Version von ''Macbeth'' mit dem Titel ''Someone is Sleeping in my Pain'' (2001) zu drehen. <ref> [http://www.zeit.de/2001/06/Shakespeare_gefaehrlich_abgedreht] </ref> - Dieses gewagte Projekt kann als Inbegriff des formalen und interkulturellen Experimentierens und als typisch für Roes’ Gesamtwerk angesehen werden.

* Von 2003 bis 2006 arbeitete Michael Roes an einem weiteren Doppelprojekt: ''Timimoun''. Auf mehreren Algerienreisen entstanden zunächst der Dokumentarfilm ''Stadt des Glücks'' (''City of Happiness'' 2003 / 2004) <ref> [http://www.rea.pt/forum/index.php?topic=6164.165] </ref> und der Spielfilm ''Timimoun'' (2004 / 2005), ein algerisches Roadmovie, basierend auf den griechischen Mythen um Agamemnon und Orest. <ref> [http://www.kino.de/kinofilm/timimoun/120715] </ref>

* Der Roman ''Weg nach Timimoun'' (2006) folgt weitgehend dem Drehbuch und erzählt die Geschichte von Laid, einem jungen Fotografen, der von seiner Schwester Assia aufgefordert wird, die Ermordung ihres Vaters durch die Mutter zu rächen. Mit seinem Freund Nadir macht sich Laid auf den abenteuerlichen Weg von der Küstenstadt Bejaia in die Wüste. <ref> [http://www.perlentaucher.de/buch/24613.html] </ref>

* 2006 drehte Roes im Rahmen einer Gastprofessur an der ''Central European University'' (CEU) in Budapest mit den beiden Hauptdarstellern aus ''Timimoun'' seinen dritten Spielfilm ''Elevation''. Das Drehbuch beruht auf Roes’ erstem Theaterstück ''Aufriss'' (Uraufführung am Theater der Stadt Koblenz 1992) <ref> [http://www.muelheim-ruhr.de/formulare/stuecke_daten_stueck.php?sid=79] </ref> und zeigt in kargen Schwarz-Weiß-Bildern die ausweglose Situation zweier Flüchtlinge an den Grenzen Europas. <ref> [http://cac.ceu.hu/events/2007-02-16/film-premiere-elevation
http://www.kulturkurier.de/veranstaltung_88022.html] </ref>

* 2009 veröffentlicht Michael Roes seinen China-Roman ''Die Fünf Farben Schwarz'', der von der Reise des Leipziger Rhetorikprofessors Viktor Holz nach Nanking in China erzählt. Verschränkt werden die Erinnerungen und Reflexionen des Ich-Erzählers mit einen philosophischen Essay über den Tod in 59 Teilen und einer Vielzahl von Beobachtungen über das Alltagsleben in China. Wie in seinen vorangegangenen Werken insistiert Roes mit Nachdruck auch in diesem Roman auf der fundamentalen Frage, ob und, wenn ja, wie es möglich sein kann, im Spiegel des Fremden das Eigene zu erkennen. <ref> [http://www.de-cn.net/mag/lit/de5819665.htm] </ref>

* In seinem jüngsten Roman, ''Geschichte der Freundschaft'' (2010) kehrt Roes nach Algerien zurück und erzählt die Geschichte der Freundschaft zwischen Matthias, einem Berliner Arzt, und dem algerischen Studenten Yanis, einer emotional wie kulturell äußerst schwierigen Beziehung zwischen zwei Männern, die aus völlig verschiedenen Welten stammen und versuchen, das Unmögliche zu leben: eine Begegnung mit dem Fremden, ohne das Fremde zu enteignen. <ref> [http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/kritik/1250290/] </ref>

In all diesen Romanen und Filmen werden interkulturelle Begegnungen als äußerst komplex und fragil dargestellt. Beziehungen und Freundschaften zwischen Menschen mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen erfordern die Fähigkeit, die eigenen kulturellen Selbstverständlichkeiten in Frage zu stellen.

Eine grundlegende Idee im Denken von Michael Roes ist die Überzeugung, dass das, was die Menschen an gemeinsamen Erfahrungen miteinander teilen, größer ist als das, was sie voneinander trennt. Sprache und Kultur können ein Hindernis für die Verständigung sein, aber die Erfahrung unserer körperlichen Empfindungen reichen tiefer: „Die gründe für die unterschiede im jeweiligen denken liegen nicht in den intellektuellen fähigkeiten, sondern in den unterschiedlichen sprachen begründet,“ heißt es im ''Leeren Viertel''. „Doch können wir uns verständigen. Denn gemeinsam haben wir unseren körper. Nicht kulturen begegnen einander, sondern gesichter, gerüche, stimmen.“ <ref> [(''Rub’ al-Khali / Leeres Viertel'', Frankfurt 1996] </ref>
In immer neuen Variationen umkreist Roes’ Werk das Thema der Grenzen, an der sich Fremdheit und Vertrautheit, die Unzugänglichkeit und Unerbittlichkeit des Anderen mit dem Bestreben treffen, diesen Abstand zu überwinden. Er zeigt in seinen Arbeiten, dass solche Begegnungen Wagnisse sind, in denen die eigene kulturelle Identität aufs Spiel gesetzt werden muss, um Verständigung nicht von vornherein scheitern zu lassen.


"Wir konstruieren das Fremde, wir konstruieren das, was wir als Geschlecht und Rasse bezeichnen,“ umreißt Michael Roes selbst die Kernpunkte seines literarischen Programms. <ref> [http://www.munzinger.de/search/klg/Michael+Roes/649.html], Munzinger.de, 16.12. 2011 </ref>
Neben verschiedenen [[Stipendium|Stipendien]] erhielt Roes 1993 den Förderpreis zum [[Else-Lasker-Schüler-Dramatikerpreis]], 1997 den [[Bremer Literaturpreis]] und 2006 den erstmals vergebenen Alice Salomon Poetik Preis nebst damit verbundener Dozentur.
Er setzt sich mit Themen auseinander, die er in verschiedenen Formen erforscht, vertieft und weiterentwickelt. Neben Rasse und Geschlecht, Gender-Fragen und der Problematik des Sohnesopfers thematisiert er, vor allem in seinen Essays (''Krieg und Tanz'', Berlin 2007; ''Perversion und Glück'', Berlin 2007, ''Engel und Avatar'', Berlin 2011) auch immer wieder den Geltungs- und Objektivitätsanspruch wissenschaftlicher Literatur. In einem postmodernen Duktus hebt er die Grenzen von Wissenschaft und Literatur auf und verweist auf die Fragwürdigkeit von Einheitsmodellen und auf die plurale Verfassung von Wirklichkeit.


== Werke in Einzelbänden ==
== Werke in Einzelbänden ==

Version vom 10. Februar 2012, 18:59 Uhr

Michael Roes (* 7. August 1960 in Rhede/Westfalen) ist ein deutscher Schriftsteller.

Leben

Michael Roes wuchs in Bocholt auf. Nach dem Abitur studierte er Psychologie, Philosophie und Germanistik an der Freien Universität Berlin, wo er 1985 sein Diplom in Psychologie machte.

Von 1987 bis 1989 war er Regie- und Dramaturgieassistent an der Berliner Schaubühne und an den Münchner Kammerspielen.[1] Es folgte ein Studienaufenthalt in der Wüste Negev. 1991 promovierte Roes mit einer Arbeit über Isaak und das Sohnesopfer zum Doktor der Philosophie. 1993 wurde Michael Roes Fellow am Budapester Institute for Advanced Studies. Im Rahmen eines ethnologischen Forschungsprojektes verbrachte er 1994 /1995 ein Jahr im Jemen. Seine dortigen ethnologischen Studien verarbeitete er in dem Roman "Rub' al-Khali". In den folgenden Jahren unternahm Roes vor allem Reisen nach Amerika und lebte längere Zeit in New York, wo er an seinem Roman "Der Coup der Berdache" und seinem literarischen Reise-Essay "Haut des Südens" arbeitete. Im Jahr 2000 drehte Roes in New York und im Jemen seinen ersten Spielfilm "Someone is Sleeping in my Pain", einen arabischen „Macbeth“. Dann folgten mehrere lange Algerien-Aufenthalte, in denen unter anderem der Roman "Weg nach Timimoun", der Film "Stadt des Glücks", eine Dokumentation des Alltags algerischer Jugendlicher und Roes zweiter Spielfilm "Timimoun", eine algerische Orestie, entstanden. 2004 und 2006 / 2007 wurde Michael Roes zu einer Gastprofessur an die Central European University, Budapest, eingeladen und arbeitete dort mit Studenten unter anderem an seinem Filmprojekt "Elevation". Dann folgte ein dreimonatiger Aufenthalt in Nanjing und die Arbeit am Roman "Die Fünf Farben Schwarz", der im Herbst 2009 veröffentlicht wurde. Zur Zeit (2012 / 2013) ist Michael Roes Research Fellow am Internationalen Forschungskolleg „Verflechtungen von Theaterkulturen“ der Freien Universität Berlin.


Werk

Michael Roes ist Romanautor, Dichter, Essayist, Stückeschreiber, Anthropologe und Filmemacher mit einem Interesse an der Interaktion mit dem Fremden. Er zieht seine Inspiration und Erfahrungen für sein Werk aus der Kenntnis vielfältiger Kulturen, von den nordamerikanischen Indianern im Roman Der Coup der Berdache, über das zeitgenössische China in Die Fünf Farben Schwarz, den walisischen Mythen in Lleu Llaw Gyffes, bis zur islamischen Welt in den Romanen Rub’ al-Khali / Leeres Viertel, Weg nach Timimoun, Nah Inverness und Geschichte der Freundschaft. Seine Arbeit ist von Synkretismus, der Lust am Experimentieren und einem Gefühl für Musikalität geprägt. Sie zeigt den Wunsch und die Möglichkeit, mit Menschen aus anderen Kulturen zu interagieren, und eröffnet eine Vision von interkulturellem Lernen als aktiven Austausch, in dem beide Seiten sich mitteilen können und dürfen.

  • Rub’ al-Khali/ Leeres Viertel, 1996 veröffentlicht, ist der Roman, mit dem Roes sich seinen Ruf als einer der führenden deutschen Poeten des Fremden verdient hat. [2] In diesem Roman ist der Protagonist ein Anthropologe, der im Jemen traditionelle Kinderspiele und Tänze erforschen will. Sein Tagebuch stellt ein Nebeneinander von Reisebericht, Alltagsbeobachtungen und Reflexionen über das Spiel dar. Ein weiterer, komplementärer narrativer Strang des Romans besteht aus dem Tagebuch eines Jemenreisenden aus dem frühen neunzehnten Jahrhundert, Alois Ferdinand Schnittke. Schnittkes Bericht ist geprägt von der Sensibilität für lokale Bräuche und einer aufklärerischen Haltung gegenüber der Arabischen Welt. Beide Tagebücher sind eng miteinander verflochten. [3]
  • In dem Gedichtband Durus Arabij, Arabische Lektionen (1997) vermittelt Michael Roes ein interkulturelles Klangbild. Der israelische Komponist Amos Elkana vertonte 13 Gedichte aus dieser Sammlung. [4]
  • Nah Inverness, im Jahr 2004 veröffentlicht, arbeitet ebenfalls mit zwei korrespondierenden Tagebuchsträngen. Hal Dumblatt, ein amerikanischer Regisseur, ist besessen von der Idee einer Macbeth-Verfilmung mit jemenitischen Stammeskriegern als Akteure. Die zweite Erzählebene bilden die Berichte von Ahmed, einem jemenitischen Offizier, der die Filmcrew begleitet und möglicherweise dem jemenitischen Geheimdienst berichtet. - Die Romanhandlung beruht auf authentischen Erlebnissen: Im Jahr 2000 reiste Michael Roes mit einer kleinen Filmcrew in den Jemen, um dort seine Version von Macbeth mit dem Titel Someone is Sleeping in my Pain (2001) zu drehen. [5] - Dieses gewagte Projekt kann als Inbegriff des formalen und interkulturellen Experimentierens und als typisch für Roes’ Gesamtwerk angesehen werden.
  • Von 2003 bis 2006 arbeitete Michael Roes an einem weiteren Doppelprojekt: Timimoun. Auf mehreren Algerienreisen entstanden zunächst der Dokumentarfilm Stadt des Glücks (City of Happiness 2003 / 2004) [6] und der Spielfilm Timimoun (2004 / 2005), ein algerisches Roadmovie, basierend auf den griechischen Mythen um Agamemnon und Orest. [7]
  • Der Roman Weg nach Timimoun (2006) folgt weitgehend dem Drehbuch und erzählt die Geschichte von Laid, einem jungen Fotografen, der von seiner Schwester Assia aufgefordert wird, die Ermordung ihres Vaters durch die Mutter zu rächen. Mit seinem Freund Nadir macht sich Laid auf den abenteuerlichen Weg von der Küstenstadt Bejaia in die Wüste. [8]
  • 2006 drehte Roes im Rahmen einer Gastprofessur an der Central European University (CEU) in Budapest mit den beiden Hauptdarstellern aus Timimoun seinen dritten Spielfilm Elevation. Das Drehbuch beruht auf Roes’ erstem Theaterstück Aufriss (Uraufführung am Theater der Stadt Koblenz 1992) [9] und zeigt in kargen Schwarz-Weiß-Bildern die ausweglose Situation zweier Flüchtlinge an den Grenzen Europas. [10]
  • 2009 veröffentlicht Michael Roes seinen China-Roman Die Fünf Farben Schwarz, der von der Reise des Leipziger Rhetorikprofessors Viktor Holz nach Nanking in China erzählt. Verschränkt werden die Erinnerungen und Reflexionen des Ich-Erzählers mit einen philosophischen Essay über den Tod in 59 Teilen und einer Vielzahl von Beobachtungen über das Alltagsleben in China. Wie in seinen vorangegangenen Werken insistiert Roes mit Nachdruck auch in diesem Roman auf der fundamentalen Frage, ob und, wenn ja, wie es möglich sein kann, im Spiegel des Fremden das Eigene zu erkennen. [11]
  • In seinem jüngsten Roman, Geschichte der Freundschaft (2010) kehrt Roes nach Algerien zurück und erzählt die Geschichte der Freundschaft zwischen Matthias, einem Berliner Arzt, und dem algerischen Studenten Yanis, einer emotional wie kulturell äußerst schwierigen Beziehung zwischen zwei Männern, die aus völlig verschiedenen Welten stammen und versuchen, das Unmögliche zu leben: eine Begegnung mit dem Fremden, ohne das Fremde zu enteignen. [12]

In all diesen Romanen und Filmen werden interkulturelle Begegnungen als äußerst komplex und fragil dargestellt. Beziehungen und Freundschaften zwischen Menschen mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen erfordern die Fähigkeit, die eigenen kulturellen Selbstverständlichkeiten in Frage zu stellen.

Eine grundlegende Idee im Denken von Michael Roes ist die Überzeugung, dass das, was die Menschen an gemeinsamen Erfahrungen miteinander teilen, größer ist als das, was sie voneinander trennt. Sprache und Kultur können ein Hindernis für die Verständigung sein, aber die Erfahrung unserer körperlichen Empfindungen reichen tiefer: „Die gründe für die unterschiede im jeweiligen denken liegen nicht in den intellektuellen fähigkeiten, sondern in den unterschiedlichen sprachen begründet,“ heißt es im Leeren Viertel. „Doch können wir uns verständigen. Denn gemeinsam haben wir unseren körper. Nicht kulturen begegnen einander, sondern gesichter, gerüche, stimmen.“ [13]

In immer neuen Variationen umkreist Roes’ Werk das Thema der Grenzen, an der sich Fremdheit und Vertrautheit, die Unzugänglichkeit und Unerbittlichkeit des Anderen mit dem Bestreben treffen, diesen Abstand zu überwinden. Er zeigt in seinen Arbeiten, dass solche Begegnungen Wagnisse sind, in denen die eigene kulturelle Identität aufs Spiel gesetzt werden muss, um Verständigung nicht von vornherein scheitern zu lassen.

"Wir konstruieren das Fremde, wir konstruieren das, was wir als Geschlecht und Rasse bezeichnen,“ umreißt Michael Roes selbst die Kernpunkte seines literarischen Programms. [14] Er setzt sich mit Themen auseinander, die er in verschiedenen Formen erforscht, vertieft und weiterentwickelt. Neben Rasse und Geschlecht, Gender-Fragen und der Problematik des Sohnesopfers thematisiert er, vor allem in seinen Essays (Krieg und Tanz, Berlin 2007; Perversion und Glück, Berlin 2007, Engel und Avatar, Berlin 2011) auch immer wieder den Geltungs- und Objektivitätsanspruch wissenschaftlicher Literatur. In einem postmodernen Duktus hebt er die Grenzen von Wissenschaft und Literatur auf und verweist auf die Fragwürdigkeit von Einheitsmodellen und auf die plurale Verfassung von Wirklichkeit.

Werke in Einzelbänden

  • Lenau, Materialien, Bocholt 1989
  • Aufriß, Stück, Bad Homburg v.d.H. 1990
  • Tischsitten, Stück, Bad Homburg v.d.H. 1991
  • Jizchak. Versuch über das Sohnesopfer, Essay, Gatza Berlin 1992, ISBN 3-928262-73-4
  • Jizchak. Versuch über das Sohnesopfer, Essay, Matthes & Seitz Berlin 2005, ISBN 978-3-88221-711-7 (Werke in Einzelbänden - Band 1)
  • Cham, Ein Symposion, Gatza Berlin 1993, ISBN 3-928262-16-5 (Werke in Einzelbänden - Band 2)
  • Lleu Llaw Gyffes, Roman, Gatza Berlin 1994, ISBN 3-928262-35-1 (Werke in Einzelbänden - Band 3)
  • Rub’ al-Khali – Leeres Viertel, Roman, Gatza bei Eichborn Frankfurt am Main 1996, ISBN 3-8218-0639-7 (Werke in Einzelbänden - Band 4)
  • Rub’ al-Khali – Leeres Viertel, Invention über das Spiel, Matthes & Seitz Berlin 2010, ISBN 978-3-88221-708-7
  • Madschnun al-Malik / Der Narr des Königs, Ein Schelmenstück, Gatza bei Eichborn Frankfurt am Main 1997, ISBN 3-8218-0653-2 (Werke in Einzelbänden - Band 5)
  • Durus arabij / Arabische Lektionen, Gedichte, Eichborn Berlin Frankfurt am Main 1997, ISBN 3-8218-0664-8 (Werke in Einzelbänden - Band 6)
  • Der Coup der Berdache, Roman, Berlin Verlag Berlin,1999 ISBN 3-8270-0313-X (Werke in Einzelbänden - Band 7)
  • Haut des Südens, Eine Mississippi-Reise, Berlin Verlag Berlin 2000, ISBN 3-8270-0366-0 (Werke in Einzelbänden - Band 8)
  • David Kanchelli, Roman, Berlin Verlag Berlin 2001, ISBN 3-8270-0393-8 (Werke in Einzelbänden - Band 9)
  • Nah Inverness, Roman, Matthes & Seitz Berlin, ISBN 978-3-88221-710-0, 2004 (Werke in Einzelbänden - Band 10)
  • Kain. Elegie, Gedichte, Matthes & Seitz Berlin, ISBN 978-3-88221-709-4, 2004 (Werke in Einzelbänden - Band 13)
  • Weg nach Timimoun, Roman, Matthes & Seitz Berlin 2006, ISBN 978-3-88221-864-0 (Werke in Einzelbänden - Band 11)
  • Krieg und Tanz, Reden / Gespräche / Aufsätze, Matthes & Seitz Berlin 2007, ISBN 978-3-88221-880-0 (Werke in Einzelbänden - Band 12)
  • Perversion und Glück, Poetikvorlesungen, Matthes & Seitz Berlin 2007, ISBN 978-3-88221-898-5 (Werke in Einzelbänden - Band 15)
  • Ich weiß nicht mehr die Nacht, Roman, Matthes & Seitz Berlin 2008, ISBN 978-3-88221-707-0 (Werke in Einzelbänden - Band 14)
  • Die fünf Farben Schwarz, Roman, Matthes & Seitz Berlin 2009, ISBN 978-3-88221-648-6 (Werke in Einzelbänden - Band 16)
  • Geschichte der Freundschaft, Roman, Matthes & Seitz Berlin 2010, ISBN 978-3-88221-534-2 (Werke in Einzelbänden - Band 17)
  • mit Hinderk Emrich: Engel und Avatar, Matthes & Seitz Berlin 2011, ISBN 978-3-88221-580-9

Theaterpremieren

  • Aufriss. Theater der Stadt Koblenz, 1992
  • Cham. Schauspielhaus Köln 1993
  • Madschnun Al-Malik. Schauspielhaus Düsseldorf, 1998
  • Durus Arabij. Berliner Festwochen, 1998
  • Kain. Elegie Hebbel Theater, Internationales Poesie Festival Berlin, 2004
  • Der Coup der Berdache. Palast der Republik, Berlin, 2004

Features

  • Ein kurzer Sommer in Tichy. Tagebuch einer Reise in die rebellische Kabylei. Radiofeature, SWR Baden-Baden, WDR Köln, 2003
  • Der Internetharem. Radiofeature. WDR, Köln 2005
  • Weg nach Timimoun. Radiofeature. SWR, 2007

Filme

  • Abdallah und Adrian. Dokumentarfilm, Jemen 1996
  • Someone is Sleeping in My Pain. Feature-Spielfilm, Jemen / USA 2000
  • City of Happiness. Dokumentarfilm, Algerien, 2003/2004
  • Phaidra.Remade, Filmessay, Budapest 2004
  • Timimoun. Spielfilm, Algerien, 2004/2005
  • Elevation. Spielfilm, Ungarn, 2006

Stipendien und Auszeichnungen

  • Jahresstipendium des Deutschen Literaturfonds (1991, 2007/2008)
  • Else-Lasker-Schüler-Förderpreis (1993)
  • Fellowship am Wissenschaftskolleg zu Budapest (1994-1995)
  • Stipendien des Stiftung Preussische Seehandlung (1995, 2000, 2005)
  • Literaturpreis der Stadt Bremen (1997)
  • Wahl in den deutschen P.E.N. (1998)
  • Stipendium der Niederländisch-Deutschen Kulturstiftung (2004)
  • Alice Salomon Poetik Preis der ASFH Berlin (2006) [15]
  • China-Stipendium des Auswärtigen Amtes (2007)[16]
  • Stipendium der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit (Villa Decius, Krakau) (2011)

Einzelnachweise

  1. [1], Munzinger.de, 16. Dezember 2011
  2. )
  3. [2]
  4. [3]
  5. [4]
  6. [5]
  7. [6]
  8. [7]
  9. [8]
  10. [http://cac.ceu.hu/events/2007-02-16/film-premiere-elevation http://www.kulturkurier.de/veranstaltung_88022.html]
  11. [9]
  12. [10]
  13. [(Rub’ al-Khali / Leeres Viertel, Frankfurt 1996]
  14. [11], Munzinger.de, 16.12. 2011
  15. „Michael Roes erhält Alice Salomon Poetik Preis“, poeten'laden.de, 30. Oktober 2006
  16. http://www.deutschland-und-china.com/news_de_detal_930.shtml