KZ Warschau

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Das KZ Warschau war ein Konzentrationslager, das im Sommer 1943 auf den Ruinen des Warschauer Ghettos errichtet wurde. Schon in Auflösung begriffen, wurde das Lager ab Ende April 1944 als Außenlager des KZ Majdanek geführt. Am 28. Juli 1944 wurde das Lager evakuiert.

Behauptungen, es habe sich beim Konzentrationslager Warschau um ein Vernichtungslager mit Gaskammer und 200.000 Todesopfern gehandelt, wird von Historikern bestritten.

K.L. Warschau, US-Luftbild-Aufnahme ca. Nov 1944, Original bei USHMM

Hintergrund und Vorgeschichte

Seit März 1942 löste die SS die Ghettos im Generalgouvernement schrittweise auf und verschleppte die Juden in Vernichtungslager der Aktion Reinhardt oder erschoss sie an Ort und Stelle. Am 22. Juli 1942 begann die Auflösung des Warschauer Ghettos. Die Rüstungsinspektion und der Höheren SS- und Polizeiführer (HSSPF) Friedrich-Wilhelm Krüger vereinbarten, jüdische Arbeiter und ihre Familien aus kriegswichtigen Betrieben von Deportationen zunächst auszunehmen. Diese Absprache wurde oft unterlaufen, Beschwerden häuften sich.

Heinrich Himmler forderte im Oktober 1942, alle Betriebe des Warschauer Ghettos zusammenzufassen und unter Kontrolle des SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamtes (WVHA) zu stellen. Möglichst bald sollten die Betriebe mitsamt der Zwangsarbeiter als „geschlossene Konzentrationslagerbetriebe“ in den Distrikt von Lublin verlegt werden, um dort als SS-eigene Wirtschaftsunternehmen der Ostindustrie GmbH (OSTI) Wehrmachtsaufträge auszuführen.[1]

Entgegen der Anweisungen Himmlers arbeiteten die Ghettobetriebe wie gewohnt weiter. Himmler forderte am 9. Januar 1943 erbost die sofortige Ausschaltung privater Firmen, ordnete die Verlagerung der Betriebe binnen sechs Wochen an und befahl, diejenigen Juden ins Vernichtungslager Treblinka zu deportieren, die nicht in kriegswichtigen Betrieben benötigt würden. Am 16. Februar 1943 verlangte Himmler, im Warschauer Ghetto ein Konzentrationslager einzurichten.[2] Die Häftlinge sollten nach Verlagerung der Betriebe die Gebäude im Wohnviertel abreißen und die Baumaterialien zur weiteren Nutzung sicherstellen.

Die Wiederaufnahme der Deportationen traf am 18. Januar 1943 auf bewaffneten Widerstand. Ein Großeinsatz zur gewaltsamen Räumung löste am 19. April den [Aufstand im Warschauer Ghetto]] aus, der am 16. Mai 1943 mit der völligen Zerstörung des Ghettos endete.

KZ Warschau

Der SS-Gruppenführer und Generalleutnant der Waffen-SS Jürgen Stroop schlug anschließend vor, das Dzielna-Gefängnis (polnisch: Pawiak) als Konzentrationslager zu nutzen und durch Häftlinge verwendbare Backsteine, Eisenträger und andere Materialien bergen zu lassen.[3] Tatsächlich wurde jedoch das Gebäude des ehemaligen Militärgefängnisses an der ulica Gesia (heute ul. Anielewicza) für das KZ Warschau genutzt.

Abriss des Ghettos

Die Fläche des Ghettos betrug 320 Hektar; ein Teil davon wurde der Zivilverwaltung abgetreten. 180 Hektar mit 2,64 Millionen Kubikmeter Mauerwerk sollten abgetragen werden. Das Vorhaben erforderte den Einsatz von schwerem Gerät, Schienen und Loren sowie qualifiziertes Personal und überstieg die Möglichkeiten der lokalen Dienststellen. Albert Speer stufte diese Gewinnung von Baumaterial als bevorzugtes Projekt ein.[4]

Vorgesehen war ursprünglich der Einsatz von 10.000 Häftlingen. Tatsächlich waren im Februar 1944 jedoch neben 2.000 Zivilarbeitern nur 2.040 Häftlinge dort eingesetzt. Zeitweilig blieben die Zwangsarbeiter wegen einer Typhusepidemie in Quarantäne, so dass ausschließlich Zivilarbeiter tätig waren.

Die Arbeiten waren Anfang Juni 1944 zu mehr als 80% abgeschlossen und sollten planmäßig zum August 1944 auslaufen.

Aufbau des Konzentrationslagers

Die Kommandantur neuen Konzentrationslagers nutzte ein Gebäude an der Ulica Gesia. Für das Konzentrationslager, das ursprünglich für 10.000 Häftlinge geplant war, wurden aus den geborgenen Baustoffen einige Baracken an einer Mauer des alten Zentralghettos errichtet. Am 23. Juli 1943 trafen dort 300 nichtjüdische Häftlinge aus Buchenwald ein.[5] Bis Ende November wurden rund 3.700 jüdische Zwangsarbeiter aus Auschwitz eingeliefert, darunter 2.500 ungarische Juden. Im Februar 1944 reduzierte man die geplante Kapazität auf 5.000 Häftlinge, doch erst am 10. Juni meldete die Bauleitung, das Konzentrationslager sei „bezugsfertig“ und könne in Kürze voll belegt werden .[6]

Die Lager-SS

Der erste Lagerkommandant des Lagers war Wilhelm Göcke, ehemaliger Lagerleiter im KZ Mauthausen. Ihm folgte nach wenigen Wochen SS-Hauptsturmführer Nikolaus Herbet. Nicht alle Abteilungen, die in anderen Konzentrationslagern üblich waren, wurden hier eingerichtet; Funktionsstellen blieben unbesetzt, zeitweilig gab es keinen Lagerarzt.

Die Wachtruppe bestand aus knapp150 „Volksdeutschen“und osteuropäischen Trawniki-Männern.

Lebensbedingungen

Schwere körperliche Arbeit an sechs Tagen der Woche bei unzureichender Ernährung und mangelhafte Unterbringung bestimmten den Alltag der Häftlinge. Mit dem Einsatz schwerer Maschinen überwog leichtere Arbeit beim Säubern und Stapeln von Ziegesteinen. Durch angeeignete Wertgegenstände, die sich in den Ruinen anfanden, konnten über Zivilarbeiter Schwarzmarktgeschäfte angebahnt werden. Ehemalige Häftlinge beurteilen die Lebens- und Arbeitsbedingungen sehr unterschiedlich .[7]

Auflösung des Lagers

Das Lager wurde Ende April 1944 als Außenlager des KZ Majdanek zugeordnet, war aber zu diesem Zeitpunkt bereits in Auflösung begriffen. Ausgelöst wurde die organisatorische Neuordnung, die mit umfassenden personellen Veränderungen einherging, durch umfangreiche Korruptionsaffären. Neuer Lagerleiter wurde SS-Obersturmführer Friedrich Wilhelm Ruppert.

Am 28. Juli 1944 wurde das Lager evakuiert. Zuvor wurden 200 nicht marschfähige Häftlinge erschossen. 380 Zwangsarbeiter verblieben im Lager, um Material abzubauen und Geräte abzutransportieren. Rund 4.000 Häftlinge wurden evakuiert. Nach verlustreichem Fußmarsch wurden sie von Kutno aus in Güterwagen in das KZ Dachau transportiert

Am 5. August 1944 erreichte eine Einheit der Armia Krajowa das Außenlager und konnte 348 Häftlinge befreien, bevor es sich zurückzog. Mit dem Einmarsch der Roten Armee am 17. Januar war das Lager endgültig befreit. Es existierte bis 1956 weiter in verschiedenen Funktionen als Internierungslager, Kriegsgefangenenlager und Gefängnis für politische Gegner.

Historiografie

Die polnischen Staatsanwältin Maria Trzcińska veröffentlichte Informationen über das KZ Warschau und bezeichnete es als „Vernichtungslager im Zentrum Warschaus“.[8] Sie behauptete, das Konzentratiuonslager habe sich über fünf Lagerkomplexe in der gesamten Stadt erstreckt. Es seien in einem unterirdischen Tunnel zwischen Oktober 1942 bis August 1944 Vergasungen mittels Zyklon B durchgeführt worden. Insgesamt seien 200.000 Polen im KZ Warschau ermordet worden.

Diese Thesen stießen auf Widerspruch[9]. So gibt es keinerlei Aussagen von Häftlingen, die auf Vergasungen hinweisen[10]. Andreas Mix urteilt in einer 2008 veröffentlichten Arbeit, die Thesen Maria Trzcińskas seien „wissenschaftlich nicht seriös und werden von Historikern kritisiert“[11] Gleichwohl finden die Behauptungen im polnischen „nationalkatholischen Milieu“ Widerhall.

Literatur

  • Maria Trzcińska: Obóz zagłady w centrum Warszawy, Polskie Wydawnictwo Encyklopedyczne, Radom, 2002. ISBN 83-88822-16-0 (poln.)


Weblinks

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  1. Andreas Mix: Warschau-Stammlager. In: Wolfgang Benz, Barbara Distel: Der Ort des Terrors. München 2008, ISBN 978-3-406-57237-1, Band 8, S. 93
  2. Andreas Mix: Warschau-Stammlager. S. 94
  3. “Stroop-Bericht“, Dokument 1061-PS, IMT: Der Nürnberger Prozess. Nachdruck München 1989, ISBN 3-7735-2521-4, Band 26 (=Dokumentband 2), S. 642
  4. Andreas Mix: Warschau-Stammlager. S. 98 mit Anm. 34 auf Nbg. Dok. NO-2503
  5. Andreas Mix: Warschau-Stammlager. S. 103
  6. Andreas Mix: Warschau-Stammlager. S. 102
  7. Andreas Mix: Warschau-Stammlager. S. 109
  8. Maria Trzcińska: Obóz zagłady w centrum Warszawy, Polskie Wydawnictwo Encyklopedyczne, Radom, 2002. ISBN 83-88822-16-0 (poln.)
  9. Rezension des Buches
  10. Andreas Mix: Warschau-Stammlager. S. 103
  11. Andreas Mix: Warschau-Stammlager. S. 117