Ruin des Spielers

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 5. April 2022 um 10:59 Uhr durch NiTenIchiRyu (Diskussion | Beiträge) (Änderungen von You`re Momis Gey (Diskussion) auf die letzte Version von Sascha Laing zurückgesetzt). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Der Ruin des Spielers (englisch gambler’s ruin) bedeutet im Glücksspiel den Verlust des letzten Spielkapitals und damit der Möglichkeit, weiterzuspielen. Darüber hinaus bezeichnet der Begriff manchmal die letzte, sehr hohe Verlustwette, die ein Spieler in der Hoffnung platziert, all seine bisherigen Spielverluste zurückzugewinnen.

In der Spieltheorie steht „Ruin des Spielers“ für den stetig sinkenden Erwartungswert des Spielkapitals im Laufe des Spiels, wenn die Gewinne wieder investiert werden.

Historische Ursprünge

Der Ruin des Spieles lässt sich auf einen Briefwechsel zwischen den französischen Mathematikern Blaise Pascal und Pierre de Fermat aus dem Jahr 1656 zurückführen,[1] 2 Jahre nach dem berühmten Briefwechsel zum Teilungsproblem, in dem die beiden Mathematiker davon ausgingen, dass jedem Spieler so viel Kapital zusteht entsprechend der Wahrscheinlichkeit des Spielers, das Spiel noch zu gewinnen.[2][3][4] Pascal stellte Fermat das Ruinproblems als Aufgabe. Beide erreichten unabhängig voneinander die gleiche Lösung.[5] Pascal’s Aufgabe wurde 1656 von Pierre de Carcavi in einem Brief an Christiaan Huygens übermittelt. Huygens findet die Aufgabe zunächst „reichlich verzwickt“, findet dann aber eine „sehr einfache“ Lösung, die er Carcavi übermittelt.[6] 1657 formuliert Huygens in seinem Tractatus die Aufgabe neu als Problem V, das identisch zu dem von Pascal gestellten Problem ist.[7] Es wird durch Johan Hudde 1665, Pierre Rémond de Montmort 1708, Jakob Bernoulli 1684 und 1713,[3] Abraham de Moivre 1712 sowie Nicolaas Struyck 1716 aufgegriffen und gelöst.[8]

Berechnung

Bei dem Ruin des Spielers handelt es sich um eine Markov-Kette mit zwei absorbierenden Rändern.

Im Bild sind dabei die Wahrscheinlichkeit zu gewinnen oder zu verlieren beide .

Dies ergibt für die Markov-Kette folgende Übergangswahrscheinlichkeiten:

und

Beispiele

Münzwurfspiel

Alice besitze Cent und Bob Cent. Es wird wiederholt eine faire Münze geworfen. Je nach Ergebnis zahlt der Verlierer dem Gewinner einen Cent. Das Spiel endet, wenn ein Spieler kein Geld mehr hat. Wenn die Zahl der Würfe unbegrenzt ist, beträgt die Wahrscheinlichkeit für dieses Spielende 100 %.
Für die Gewinnchancen gilt:

Die Gewinnwahrscheinlichkeiten verhalten sich zueinander wie die Einsätze.

Ist Alice die reichere Spielerin so bedeutet dies für sie jedoch keinen positiven Gewinn-Erwartungswert, denn bei jedem verlorenen Spiel büßt sie mehr Geld ein als ihr ärmerer Gegner Bob.

.

Für den Erwartungswert und Varianz der Spieldauer gilt:

Die Münzwürfspiele, die vom reicheren Spieler gewonnen werden, dauern im Mittel weniger lang.

Hieraus ergibt sich insbesondere nochmal der Erwartungswert der Spieldauer

Besitzt beispielsweise Alice 1000 Cent und Bob nur 1 Cent Startkapital, so dauert das Spiel im Mittel 1000 Münzwürfe. Wenn auch Bob mit 50%iger Wahrscheinlichkeit bereits nach dem ersten Münzwurf ruiniert ist, kann das Spiel, wenn es sich zunächst zu Gunsten von Bob entwickelt, auch sehr lange dauern. In diesem Beispiel dauern die von Alice gewonnenen Spiele im Mittel 667 Würfe und die von Bob gewonnenen Spiele 334.000 Würfe.

Sollte die Chance pro Wurf ungleich 50 % sein, so lässt sich die Ruinwahrscheinlichkeit durch folgende Tabelle schematisch darstellen:

Alice Bob
Startkapital a b
Chance pro Münzwurf p q
Ruinwahrscheinlichkeit

Die Fälle, in denen oder unendlich ist, oder in denen , und somit ist, sind als Limes zu betrachten. Siehe hierzu auch Markow-Kette.

Man kann diese Aufgabe auch im Modell der homogenen linearen Differenzengleichungen 2. Ordnung für beziehungsweise 1. Ordnung für darstellen.[9]

Kasinospiele

Ein typisches Kasinospiel („Großes Spiel“) enthält einen geringen Hausvorteil. Dieser Vorteil liegt im Langzeit-Erwartungswert und kann als Anteil von der eingesetzten Summe ausgedrückt werden. Er bleibt von Spiel zu Spiel unverändert, steigt aber rechnerisch mit zunehmender Spieldauer an, wenn er auf das Startkapital des Spielers bezogen wird.

Beispielsweise kann der offizielle Hausvorteil bei einem Kasinospiel 1 % sein; der Erwartungswert für die Auszahlung für den Spieler dementsprechend 99 %. Diese Rechnung geht auf, wenn der Spieler nie einen Wettgewinn zum Weiterspielen einsetzen würde. Ein idealisierter Wetter, der 100 Euro einsetzt, würde nach dem Spiel 99 Euro behalten. Wenn er diese 99 Euro aber erneut setzt, würde er durchschnittlich nochmal 1 % verlieren und sein Erwartungswert auf 98,01 Euro sinken. Die Abwärtsspirale geht weiter, bis der Erwartungswert sich der Null annähert: dem Ruin des Spielers.

Der Langzeit-Erwartungswert entspricht nicht notwendigerweise dem Ergebnis, welches ein bestimmter Spieler erfährt. Spieler, die eine endliche Zeit lang spielen, können, ungeachtet des Hausvorteils, einen Nettogewinn erzielen, oder sie können viel schneller zugrunde gehen als in der mathematischen Vorhersage.

Ein Kasino hat in der Regel

  • … viel mehr Kapital als jeder Spieler, sodass ein Spieler viel wahrscheinlicher den „Ruin des Spielers“ erleiden wird als das Kasino;
  • … Gewinnchancen, die das Kasino begünstigen und einen negativen Erwartungswert für die Spieler erzeugen;
  • … verschiedene Risikostrategien, die seinen maximalen Verlust begrenzen.

Damit ist gesichert, dass das Kasino in fast allen Fällen auf lange Sicht gewinnen wird.

Spekulation

Es kann gezeigt werden, dass dort, wo wirtschaftliche Aktivitäten sich auf die Übertragung von Vermögen konzentrieren, statt auf den Aufbau von Vermögen, der Ruin des Spielers mit dem Ergebnis wirkt, dass das meiste Vermögen von sehr wenigen Marktteilnehmern gehalten wird. Dies wird im Aktienmarkt sichtbar, wenn spekulative Strategien gegenüber langfristigen dividendeorientierten Investitionen überwiegen.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Florence Nightingale David: Games, Gods, and Gambling: A History of Probability and Statistical Ideas. Courier Dover Publications, 1998, ISBN 978-0-486-40023-5.
  2. Keith Devlin: Pascal, Fermat und die Berechnung des Glücks. C. H. Beck, München 2009, ISBN 3-406-59099-3.
  3. a b Günter Menges: Grundriss der Statistik T. 1. Theorie. 2., erw. Auflage. Opladen 1972, ISBN 978-3-531-11070-7.
  4. Ivo Schneider: Die Entwicklung der Wahrscheinlichkeitstheorie von den Anfängen bis 1933: Einführungen und Texte. Darmstadt 1988, ISBN 3-534-08759-3.
  5. Rudolf Haller, Friedrich Barth: Berühmte Aufgaben der Stochastik. Oldenbourg Wissenschaftsverlag, München 2014, ISBN 978-3-486-72832-3, S. 90–92
  6. Barth, Haller. S. 91/2
  7. Barth, Haller. S. 117/122
  8. Barth, Haller. S. 118/122
  9. Helmut Wirths: Lebendiger Mathematikunterricht. Books on Demand, Norderstedt 2020, ISBN 978-3-7392-4313-9, S. 96–97