Abrufübertragungsrecht

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Als Abrufübertragungsrecht (auch: Online-Übermittlungsrecht[1]) bezeichnet man im Urheberrecht das ausschließliche Recht des Urhebers zur Übertragung seines Werks über ein Rechnernetz wie insbesondere das Internet von einem Server zu einem Nutzer, der das Werk von diesem Server abruft. Das Konzept eines so umrissenen Rechts entstammt dem deutschen Schrifttum zum Urheberrecht der Europäischen Union.[2] Die eigenständige Existenz eines Abrufübertragungsrechts ist umstritten und wird wohl überwiegend verneint.

Einordnung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Nach Art. 3 Abs. 1 der InfoSoc-Richtlinie (Richtlinie 2001/29/EG)

„[sehen] die Mitgliedstaaten […] vor, dass den Urhebern das ausschließliche Recht zusteht, die drahtgebundene oder drahtlose öffentliche Wiedergabe ihrer Werke einschließlich der öffentlichen Zugänglichmachung der Werke in der Weise, dass sie Mitgliedern der Öffentlichkeit von Orten und zu Zeiten ihrer Wahl zugänglich sind, zu erlauben oder zu verbieten.“

Der deutsche Gesetzgeber hat zur Umsetzung von Art. 3 Abs. 1 InfoSoc-RL in die Aufzählung der Ausschließlichkeitsrechte in 15 Abs. 2 UrhG das „Recht der öffentlichen Zugänglichmachung“ aufgenommen und dieses in Einklang mit der Wortwahl des EU-Gesetzgebers in § 19a UrhG wie folgt definiert:

„Das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung ist das Recht, das Werk drahtgebunden oder drahtlos der Öffentlichkeit in einer Weise zugänglich zu machen, dass es Mitgliedern der Öffentlichkeit von Orten und zu Zeiten ihrer Wahl zugänglich ist.“

Im Kontext der Internetnutzung scheint das „öffentliche Zugänglichmachen“ in einem engen Verständnis jedoch begrifflich nur auf den Akt der Bereitstellung bzw. -haltung des Werks abzustellen: Wer eine Datei ohne weitere Schutzmaßnahmen etwa auf einem Webserver ablegt, bewirkt, dass sie fortan einer Öffentlichkeit „zugänglich“ ist. In der Tat entspricht es gefestigter Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, dass es für die Erfüllung des Tatbestands der öffentlichen Zugänglichmachung nicht darauf ankommt, ob es überhaupt irgendjemanden gibt, der den ins Internet eingestellten Inhalt tatsächlich abruft.[3]

Die Vertreter eines eigenständigen Abrufübertragungsrechts argumentieren vor diesem Hintergrund, dass mit der „öffentlichen Zugänglichmachung“ mithin nur der Weg auf den Server beschrieben sei, nicht jedoch der Weg vom Server zum Nutzer. Dieser letzte Übertragungsakt – die durch den Abruf des Nutzers ausgelöste Übertragung des Werks vom Server zum Nutzer – soll nach ihrer Ansicht von einem eigenständigen Recht (eben: dem Abrufübertragungsrecht) erfasst sein.[4] Dabei herrscht unter den Vertretern weitgehend Einigkeit, dass der Gesetzgeber auch dieses Recht dem Urheber zuordnen will. Es handele sich allerdings um ein unbenanntes Recht der öffentlichen Wiedergabe, das zwar ebenso Art. 3 Abs. 1 InfoSoc-RL zu entnehmen, jedoch vom dort ausdrücklich genannten Recht der öffentlichen Zugänglichmachung abzugrenzen sei.[5] Vereinzelt wird auch eine Subsumption unter das Senderecht (§ 20 UrhG) befürwortet.[6]

Meinungsstreit[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der wohl überwiegende Teil des Schrifttums geht davon aus, dass das Bereitstellen/-halten eines Werks im Internet und die Übertragung auf Anforderung des Internetnutzers beide dem Recht der öffentlichen Zugänglichmachung unterfallen, im deutschen Recht also etwa § 19a UrhG, und infolgedessen kein Raum für ein eigenständiges Abrufübertragungsrecht verbleibe.[7] Diese Auffassung konzipiert das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung mithin als zweiaktiges Recht.[8] Hiervon scheint hinsichtlich der öffentlichen Zugänglichmachung i. S. v. Art. 3 Abs. 1 InfoSoc-RL auch der Gerichtshof auszugehen.[9]

Sieht man dies anders und versteht das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung als bloßes Bereitstellungs-/-haltungsrecht, so hätte dies im europäischen Kontext vor allem Konsequenzen für die Lizenzierungspraxis. Regelmäßig wird nämlich ein großes Interesse daran bestehen, als Rechteinhaber nicht nur die Bereitstellung/-haltung, sondern auch die Abrufübertragung kontrollieren zu können:

  • Die Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten blieben beim reinen Bereitstellungs-/-haltungsrecht eingeschränkt, denn es ist gerade die Übertragung zum Nutzer, die den wirtschaftlich bedeutenden Teil der Verwertung ausmacht.[10] Der Umfang der Auswertung eines unerlaubt im Internet bereitgestellten Werks ist tatsächlich nur unter Berücksichtigung der erfolgten Abrufübertragungen ersichtlich.[11]
  • Bei grenzüberschreitenden Online-Sachverhalten bestünde ohne Abrufübertragungsrecht auch ein Durchsetzungsproblem, da ein Inhalt mitunter an deutsche Nutzer ausgeliefert wird, die Bereitstellung/-haltung jedoch in einer „Haftungsoase“ erfolgt.[12]
  • Würde der Urheber nur über ein Bereitstellungs-/-haltungsrecht verfügen, hätte er außerdem keine (absolutrechtliche) Kontrolle darüber, in welche Länder sein Werk übertragen wird. Er könnte deswegen zum Beispiel nicht die Übertragung in Länder mit geringem Schutzniveau unterbinden – das Onlinestellen eines Werkes unterläge aus Urhebersicht mithin einem „Alles-oder-Nichts-Prinzip“.[13]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Michael Gey: Das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung i. S. d. § 19a UrhG: Entwicklung, Regelungsumfang und ausgewählte Probleme aus der Praxis. Boorberg, Stuttgart 2009, ISBN 978-3-415-04208-7. [Zum Abrufübertragungsrecht: S. 59–80]
  • Alexander Koof: Senderecht und Recht der öffentlichen Zugänglichmachung im Zeitalter der Konvergenz der Medien. Mohr Siebeck, Tübingen 2015, ISBN 978-3-16-153349-5. [Zum Abrufübertragungsrecht: S. 104–108]
  • Günter Poll: Vom Broadcast zum Podcast: Urheberrechtliche Einordnung neuer Internetgeschäftsmodelle. In: MultiMedia und Recht. Band 14, Nr. 4, 2011, S. 226–231.
  • Haimo Schack: Rechtsprobleme der Online-Übermittlung. In: Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht. Band 109, Nr. 8, 2007, S. 639–645.
  • Joachim von Ungern-Sternberg: Übertragung urheberrechtlich geschützter Werke durch Internetanbieter und Online-Verbreitungsrecht. In: Willi Erdmann u. a. (Hrsg.): Festschrift für Michael Loschelder: Zum 65. Geburtstag. O. Schmidt, Köln 2010, ISBN 978-3-504-06218-7, S. 415–424.
  • Joachim von Ungern-Sternberg: Senderecht und Recht der öffentlichen Zugänglichmachung – Verwertungsrechte in einer sich wandelnden Medienwelt. In: Karl-Nikolaus Peifer (Hrsg.): Werkvermittlung und Rechtemanagement im Zeitalter von Google und Youtube – Urheberrechtliche Lösungen für die audiovisuelle Medienwelt: Vortragsveranstaltung des Instituts für Rundfunkrecht an der Universität zu Köln vom 18. Juni 2010. Beck, München 2011, ISBN 978-3-406-61475-0, S. 51–70.

Anmerkungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Schack, Rechtsprobleme der Online-Übermittlung, 2007, op. cit., S. 641.
  2. Von Lewinski/Walter in Walter/von Lewinski, European Copyright Law, 2010, Rn. 11.3.25.
  3. EuGH, Urt. v. 13. Februar 2014, C-466/12 = GRUR 2014, 360 – Nils Svensson u.a./Retriever Sverige, Rn. 19; von Ungern-Sternberg in Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, 5. Aufl. 2017, § 19a Rn. 6, mit zahlreichen weiteren Nachweisen.
  4. So etwa von Ungern-Sternberg in Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, 5. Aufl. 2017, § 19a Rn. 7 ff.; Dreyer in Heidelberger Kommentar Urheberrecht, 4. Aufl. 2018, § 19a Rn. 7 f., 48
  5. Von Ungern-Sternberg, Senderecht und Recht der öffentlichen Zugänglichmachung, 2011, op. cit., S. 61 f.
  6. So Dreyer in Heidelberger Kommentar Urheberrecht, 4. Aufl. 2018, § 19a Rn. 7 ff., 48.
  7. Koof, Senderecht und Recht der öffentlichen Zugänglichmachung im Zeitalter der Konvergenz der Medien, 2015, op. cit., S. 104 f. Auf den Meinungsstreit weist auch der deutsche Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 17. Juli 2003, I ZR 259/00 = BGHZ 156, 1, 13 f. – Paperboy, hin.
  8. So etwa Dreier in Dreier/Schulze, Urheberrechtsgesetz, 6. Aufl. 2018, § 19a Rn. 1; Schack, Rechtsprobleme der Online-Übermittlung, 2007, op. cit., S. 640 f.; Koof, Senderecht und Recht der öffentlichen Zugänglichmachung im Zeitalter der Konvergenz der Medien, 2015, op. cit., S. 104 ff.; Poll, Vom Broadcast zum Podcast, 2011, op. cit., S. 229.
  9. Von Ungern-Sternberg in Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, 5. Aufl. 2017, § 19a Rn. 7. Siehe EuGH, Urt. v. 26. März 2015, C-279/13 = GRUR 2015, 477 – C More Entertainment AB/Sandberg, Rn. 26 f.
  10. Gey, Das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung i. S. d. § 19a UrhG, 2009, op. cit., S. 60.
  11. Von Ungern-Sternberg in Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, 5. Aufl. 2017, § 19a Rn. 11.
  12. Koof, Senderecht und Recht der öffentlichen Zugänglichmachung im Zeitalter der Konvergenz der Medien, 2015, op. cit., S. 107 f.; Poll, Vom Broadcast zum Podcast, 2011, op. cit., S. 230.
  13. Gey, Das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung i. S. d. § 19a UrhG, 2009, op. cit., S. 61.