Benutzer:Cornelia-etc./Zwischenlager/Kinderwunsch bei geistiger Behinderung

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Der Kinderwunsch von Menschen mit einer geistigen Behinderung wurde in der Sonder- und Behindertenpädagogik in Deutschland bisher nur von Frau Professor Dr. Pixa-Kettner und den Kolleginnen Bargfrede und Blanken in einer Studie zur Elternschaft von geistig behinderten Menschen in dem Zeitraum 1993-1995 untersucht. Derzufolge gab es 1995 969 erfasste Elternschaften mit insgesamt 1350 Kindern. 2005 liegt die Zahl bei ca. 2000 Kindern, jährlich kommen etwa 100 Neugeburten hinzu. Der Forschungsstand entspricht diesen Zahlen nicht, denn das Thema stößt sowohl bei Eltern behinderter Erwachsener als auch bei Fachleuten immer noch auf Unbehagen, Ängste und Umgangsschwierigkeiten.

Die Diskussion um die Frage, ob geistig behinderte Menschen Kinder bekommen sollen, geht auf das Jahr 1992 zurück, in welchem das Betreuungsgesetz und damit verbunden die Rechtslage der Sterilisation geändert wurde. Die Sterilisation von geistig behinderten Minderjährigen stellt seitdem eine Straftat dar, bei Volljährigen ist sie unter Einschränkungen gegen den Willen der Betroffenen zulässig.

Wichtig für die Thematisierung des Kinderwunsches von geistig behinderten Menschen ist die Einbeziehung des Normalisierungsprinzips, die zugrundeliegende Rechtslage, die möglichen Motive und die notwendigen Unterstützungsbedingungen bei einer Elternschaft.

Das dänische Modell des Normalisierungsprinzips beinhaltete 1981 nicht das Recht auf Elternschaft, sondern endete bei dem Recht auf ein Sexualleben. Aus dem Verständnis des Normalisierungsprinzips heraus, welches ein Ideal der Gleichheit und damit eine Anpassung des behinderten Menschen an den Durchschnitt anstrebt, wäre jedoch der Wunsch einer geistig behinderten Frau, auf Verhütungsmittel zu verzichten und ein Kind zu bekommen, zu respektieren. Es ist jedoch auch die Gesetzeslage miteinzubeziehen. Dabei stehen die Grundrechte der Eltern den Rechten der Kinder gegenüber. Nach Art. 3 Abs. 3 GG darf niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden, ebenso wie der behinderte Mensch laut Art. 2 GG ein Recht auf eine möglichst weitgehende Entfaltung der Persönlichkeit hat, die auch Partnerschaft und Sexualität miteinschließt. Die Entscheidung, Kinder zu wollen ist nach Art. 6 GG die Ausübung eines Grundrechtes, denn der Schutz von Ehe und Familie macht keinen Unterschied in körperlichen oder intellektuellen Fähigkeiten eines Menschen.

Auch die automatische Entziehung der Elternschaft von geistig behinderten Menschen ist durch Art. 6 Abs. 1 gesetzlich geschützt, denn die Pflege und Erziehung sind das natürliche Recht der Eltern und die ihnen zuvorderst obliegende Pflicht. Demgegenüber steht das Recht der Kinder nach § 1666 BGB von Eltern erzogen zu werden, die das körperliche, geistige und seelische Wohl ihrer Söhne und Töchter nicht gefährden. Die Vertretung und Umsetzung beider Interessen stellt somit eine Gratwanderung dar.

Die Kinderwunschmotive von Frauen mit einer geistigen Behinderung unterscheiden sich nicht von nichtbehinderten Frauen, es müssen jedoch die besonderen Lebens- und Sozialisationsbedingungen bei der Betrachtung des gesellschaftlichen Status, des Selbstwertgefühls und der Beziehung zu vertrauten Personen beachtet werden. So wird dem Wunsch, eine normale fortpflanzungsfähige Frau zu sein die Auffassung der Gesellschaft gegenüber gestellt, das behinderte Menschen kinderlos bleiben sollen. Dies kann zu einer schmerzlichen Auseinandersetzung mit der eigenen Identität führen. Für das Selbstwertgefühl ist besonders die Pubertät eine wichtige Lebensphase. Junge Mädchen mit einer geistigen Behinderung dürfen nicht stolz sein auf ihre Gebärfähigkeit, stattdessen stellt diese eine Last oder sogar Gefahr dar. Aus dem Gefühl, von der Umwelt unerwünscht zu sein und diesem etwas entgegensetzen zu müssen, kann der Wunsch resultieren, ein Kind zu bekommen. Ein Kinderwunsch kann auch die längst überfällige Loslösung der behinderten jungen Erwachsenen vom Elternhaus und damit verbunden den Wunsch nach Verantwortung für ein eigenes Kind symbolisieren.

Das Wohl des Kindes und seine Entwicklung müssen bei der Realisierung eines Kinderwunsches beachtet werden. In allen Phasen seines Lebens werden sich aufgrund der Behinderung der Mutter oder der Eltern Probleme einstellen, für deren Lösung und Bewältigung es der Unterstützung durch Fachkräfte bedarf. „So berechtigt Befürchtungen für das Wohl des Kindes sein mögen, kann dies nicht Anlass sein, geistig behinderten Frauen die Mutterschaft zu verwehren, sondern muss die Entwicklung geeigneter Betreuungsformen für Mutter und Kind nach sich ziehen.“ Ambulante Betreuung, Begleitete Elternschaft oder die Unterbringung in speziell ausgestatteten Einrichtungen sind mögliche Betreuungsformen für geistig behinderte Eltern, wobei die Förderung der Kinder häufig ein weiterer Bestandteil der Betreuung sein muss.

Im Falle eines Trennungswunsches vom Kind muss ebenfalls eine professionelle Trennungsbegleitung durch Fachpersonal gewährleistet sein. Im Sinne des Normalisierungsprinzips darf der Maßstab an eine Elternschaft jedoch nicht höher sein als an nichtbehinderte Eltern, sondern muss angepasst werden. Das beinhaltet aber auch, dass den Eltern die Kinder entzogen werden können, wenn ein bestimmter Lebensstandard nicht erfüllt wird.



Literatur:

  • NEUER-MIEBACH, T./ KREBS, H. ( Hrsg.): Schwangerschaftsverhütung bei Menschen mit geistiger Behinderung- notwendig, möglich, erlaubt? Bundesvereinigung Lebenshilfe für Geistig Behinderte: Große Schriftenreihe. Bd.18. Marburg/ Lahn 1987
  • PIXA-KETTNER, U./ BARGFREDE, S./ BLANKEN, I.: „Dann waren sie sauer auf mich, daß ich das Kind haben wollte...“. Eine Untersuchung zur Lebenssituation geistig behinderter Menschen mit Kindern in der BRD. Schriftenreihe des Bundesministeriums für Gesundheit. Bd. 75. Nomos Verlagsgesellschaft. Baden Baden 1996
  • PIXA-KETTNER, U.: Geistigbehindert und Mutter? In: Sonderpädagogik, 21.Jg., Heft 2. 1991. S.60-69
  • THIMM, K.: Das bekloppte Leben. In: Der Spiegel, 22. Ausgabe. Mai 2005. S.136-144