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Die Kohärenzbasierte genealogische Methode (Coherence Based Genealogical Method, CBGM) ist ein am Institut für Neutestamentliche Textforschung in Münster von Gerd Mink entwickeltes EDV-gestütztes Verfahren zur Ermittlung des besten griechischen Textes im Neuen Testament. Es liegt der Editio Critica Maior zugrunde und in dem Maße, wie diese Edition für die einzelnen neutestamentlichen Schriften fertiggestellt wird, auch dem Novum Testamentum Graece ab der 28. Auflage (2012). Die Kohärenzbasierte genealogische Methode gibt die Hypothese der Texttypen (alexandrinisch, westlich, byzantinisch) auf, welche seit den 1960er Jahren sehr breit akzeptiert war, und kehrt unter veränderten Bedingungen zum Handschriften-Stemma zurück.

Problemstellung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die handschriftliche Überlieferung neutestamentlicher Texte ist sehr stark kontaminiert, d. h. die Kopisten schrieben nicht immer nur eine Vorlage ab, sondern kombinierten manchmal mehrere Vorlagen. Das muss man sich nicht so vorstellen, dass der Kopist zwei Manuskripte vor sich liegen hat und mal dem einen, mal dem anderen Text folgt. Ein häufiger Fall wäre nach Paul Maas folgender: In einer Handschrift F wurden abweichende Lesarten einer anderen Handschrift A (nicht Vorlage von F) am Rand oder zwischen den Zeilen eingetragen. Der Kopist, der die Handschrift F vor sich hat, folgt mal dem Text von F, mal übernimmt er die als Glossen eingetragenen Lesarten von A. Wenn A und F verloren gehen und nur das Werk des Kopisten J erhalten bleibt, lässt sich dieses nicht mehr eindeutig zuordnen, denn es weist sowohl typische Merkmale (Sonderfehler) von F als auch von A auf.[1]

Durch die vielen Kopiervorgänge biblischer Texte addierten sich diese Kontaminationen auf. Ein Textzeuge kann aufgrund der Mischung seiner Vorlagen alte und junge Textvarianten enthalten. Andererseits können Textvarianten auch zufällig und unabhängig voneinander bei mehreren Kopisten entstehen, sind also nicht immer ein Indiz für Abhängigkeit. Nach dem 9. Jahrhundert herrschte der byzantinische Reichstext vor, ein standardisierter Text, allerdings in mehreren Spielarten, der (dank Kontamination) auch sehr alte Lesarten bieten kann. Von den Manuskripten, die vor dem 9. Jahrhundert geschrieben worden, ist nur ein geringer Teil erhalten. „Die frühen Handschriften sind in der Regel einzelne Überlebende, die unterschiedliche Textformen in ständig wechselnden Kombinationen bezeugen.“[2] Ein klassisches Handschriften-Stemma im Stil von Karl Lachmann kann für das Neue Testament nicht erstellt werden, denn es setzt voraus, dass jeder Schreiber nur eine Vorlage kopiert.[3]

Texttypentheorie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Mit der Texttypentheorie schuf sich die neutestamentliche Textkritik in den 1960er Jahren eine Möglichkeit, mit dem Problem der Kontamination und der Unmöglichkeit einer Stemmatik umzugehen. Sie ordnet Manuskripte bestimmten Texttypen zu, um ihren Zeugenwert beurteilen zu können. Bruce Metzger vertrat sie in viel rezipierten Werken. Sie liegt auch den damaligen Editionen des Novum Textamentum Graece bzw. des Greek New Testament zugrunde. Metzger postulierte drei früh redigierte Texte mit je eigenem Profil: der Alexandrinische Text (knapp, dem Original am nächsten), der Westliche Text (zu Paraphrasen und Texterweiterungen neigend) und der Byzantinische Text (Konflation, stilistische Verbesserung). In der Tradition Metzgers verwendet Eldon J. Epp anstelle von Texttyp den Begriff Textcluster (textual cluster). Ernest C. Colwell unternahm den Versuch einer methodischen Grundlegung der Texttypentheorie. Ihm zufolge standen am Anfang der drei Texttypen keine Rezensionen, sie entwickelten sich vielmehr in einem längeren Prozess. Colwells empirische Überprüfung der Texttypentheorie war noch nicht EDV-unterstützt und arbeitete deshalb mit relativ wenig Daten: Er untersuchte nur Kapitel 11 im Johannesevangelium in 13 ausgewählten Manuskripten. Außerdem ignorierte er alle Singulärlesarten. Das war die schmale Basis, aufgrund derer Colwell Texttypen definierte: mindestens 70% Übereinstimmung der Zeugen, mindestens 10% Unterschied zwischen den Texttypen.[4]

Neuansatz: CBGM[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Kohärenzbasierte genealogische Methode setzt voraus, dass ein antiker Schreiber seine Vorlage getreu kopieren will (wenn es ihm auch nicht immer gelingt) und sie nicht eigenmächtig umschreibt. Er ist aber bereit, von ihr abzuweichen, wenn er Textvarianten aus anderen Quellen kennt, die er für besser hält. Wahrscheinlich hat er in einem solchen Fall eine kleine Bibliothek zur Verfügung, in der sich Texte befinden, die miteinander verwandt sind – die Quelle der Kontamination ist also im Regelfall ein der Vorlage ähnlicher Text.[5]

Grundlegend für die Kohärenzbasierte genealogische Methode ist ihre Definition des Textzeugen: nicht das Manuskript, das kodikologisch und paläographisch beschrieben werden kann, heißt Zeuge (Witness, W), sondern der Text, den dieses Manuskript enthält. Dank EDV ist es möglich, jede Textvariante jedes einzelnen Zeugen mit den Varianten aller anderen Zeugen zu vergleichen. Für die Editio Maior der Katholischen Briefe wurden beispielsweise 123 Textzeugen kollationiert und 3046 Stellen, an denen sie differieren, ermittelt. Man kann nun den Text von Codex Sinaiticus (01) und Codex Vaticanus (03) vergleichen, der in 2999 dieser Stellen bei beiden vorliegt und feststellen, dass in 2613 dieser Varianten beide übereinstimmen; das ist eine prä-genealogische Kohärenz (pre-genealogical coherence) von 87,1 Prozent.[6]

Die Beziehung zweier Textzeugen wird abgeleitet aus der Beziehung ihrer Textvarianten. Wenn Zeuge A Textvarianten hat, die jenen des Zeugen B vorausgehen, heißt das, der Text „fließt“ von A zu B. Im Fall von Vaticanus und Sinaiticus werden die 2999 vergleichbaren Varianten von den Editoren daraufhin bewertet, welche als früher zu gelten hat (lokales Stemma). In 250 Fällen fließt der Text von Vaticanus zu Sinaiticus, in 89 Fällen in die umgekehrte Richtung; bei den übrigen Varianten bleibt die Beziehung unklar. Vaticanus ist also in den Katholischen Briefen in vielen Fällen ein potentieller Vorfahre für Sinaiticus; die früheren Lesarten, die Sinaiticus bietet, sind durch Kontamination erklärbar (der Kopist nutzte eine weitere alte Vorlage). Die so für einzelne variierende Textstellen ermittelte genealogische Kohärenz beruht also auf textkritischem Fachwissen (und gegebenenfalls auch Voreingenommenheiten) der Editoren. Sie kann in einem Textflussdiagramm mit der prä-genealogischen Kohärenz zusammen betrachtet und dadurch überprüft werden.[7] Computergestützt entsteht so ein sehr komplexes Netzwerk der Abhängigkeitsverhältnisse von Textzeugen. Wenn so die vorherrschenden Textflüsse erkennbar werden, gibt das auch Hinweise, die genealogische Kohärenz von Varianten zu beurteilen, bei denen die klassische Textkritik allein nicht zu Ergebnissen gelangt.[8] Ein Ziel besteht darin, die traditionelle Variantenbewertung nach „inneren Kriterien“ empirisch zu überprüfen.[9]

Bei der 28. Auflage des Novum Testamentum Graece (2012) führte die Anwendung von CBGM, die nur für die Katholischen Briefe möglich war, zu 34 Änderungen im Obertext. Fast ein Drittel davon sind Lesarten, die klassischerweise dem byzantinischen Texttyp zugeordnet wurden.[10] Insgesamt führt CBGM zu einer größeren Wertschätzung des byzantinischen Textes mit seinen beiden Weiterentwicklungen, dem Textus receptus der frühneuzeitlichen Bibeldrucke und dem in der Liturgie der Griechisch-orthodoxen Kirche verwendeten Text.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Peter J. Gurry: How Your Greek NT is Changing: A Simple Introduction to the Coherence-Based Genealogical Method (CBGM). In: Journal of the Evangelical Theological Society 59 (2016), S. 675–689. (Download)
  • Peter J. Gurry: A Critical Examination of the Coherence-Based Genealogical Method in the New Testament. (= New Testament Tools, Studies, and Documents, 55). Brill, Leiden 2017.
  • Holger Strutwolf: Von den Kanones der Textkritik zu einer Theorie der Variantenentstehung im Rahmen der Kohärenzbasierten Genealogischen Methode. Einige vorläufige Überlegungen. In: H. A. G. Houghton: The New Testament in Antiquity and Byzantium: Traditional and Digital Approaches to its Texts and Editing. A Festschrift for Klaus Wachtel (= Arbeiten zur neutestamentlichen Textforschung, 52). De Gruyter, Berlin/Boston 2019, S. 265–280.
  • Holger Strutwolf: Die Editio Critica Maior des griechischen Neuen Testaments – Editionsprinzipien, Editionstechnik und Digital Humanities. In: Zeitschrift für Antikes Christentum 24 (2020), S. 60–108.
  • Klaus Wachtel: Die kohärenzbasierte Methode und ihre Ergebnisse für die neutestamentliche Textgeschichte. In: Biblische Notizen 184 (2020); S. 43–72.
  • Tommy Wasserman, Peter J. Gurry: A New Approach to Textual Criticism. An Introduction to the Coherence-Based Genealogical Method (= Resources for Biblical Study, 80). Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart 2017.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • The Coherence-Based Genealogical Method (CBGM)  - Introductory Presentation by Gerd Mink (Download)

Anmerkungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Paul Maas: Textkritik. 3. Auflage. Teubner, Leipzig 1957, S. 8 f.
  2. Klaus Wachtel: Die kohärenzbasierte Methode und ihre Ergebnisse für die neutestamentliche Textgeschichte, 2020, S. 51.
  3. Holger Strutwolf: Die Editio Critica Maior des griechischen Neuen Testaments – Editionsprinzipien, Editionstechnik und Digital Humanities, 2020, S. 79.
  4. Klaus Wachtel: Die kohärenzbasierte Methode und ihre Ergebnisse für die neutestamentliche Textgeschichte, 2020, S. 46–50.
  5. Holger Strutwolf: Die Editio Critica Maior des griechischen Neuen Testaments – Editionsprinzipien, Editionstechnik und Digital Humanities, 2020, S. 83.
  6. Peter J. Gurry: How Your Greek NT is Changing: A Simple Introduction to the Coherence-Based Genealogical Method (CBGM), 2016, S. 681.
  7. Peter J. Gurry: How Your Greek NT is Changing: A Simple Introduction to the Coherence-Based Genealogical Method (CBGM), 2016, S. 682.
  8. Holger Strutwolf: Die Editio Critica Maior des griechischen Neuen Testaments – Editionsprinzipien, Editionstechnik und Digital Humanities, 2020, S. 88.
  9. Holger Strutwolf: Die Editio Critica Maior des griechischen Neuen Testaments – Editionsprinzipien, Editionstechnik und Digital Humanities, 2020, S. 92.
  10. Peter J. Gurry: How Your Greek NT is Changing: A Simple Introduction to the Coherence-Based Genealogical Method (CBGM), 2016, S. 685.