Benutzer:Liberaler Humanist/Ritualhandlungen von Studentenverbindungen

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Ritualhandlungen und Brauchtümer von Studentenverbindungen werden von Studentenverbindungen unter Berufung auf historisierende Narrative praktiziert.[1]

Es besteht eine als Couleur oder Wichs bezeichnete Kleiderordnung, die in einer vereinfachten Form eine Mütze samt einem Band, in vollem Umfang an militärischen Uniformen des 19. Jahrhunderts orientierte Fantasieuniformen umfasst[2][3][4] Analog dazu führen Studentenverbindungen Wappen und Zirkel.

Zyklische und Anlassbezogene Feste werden üblicherweise in durch Konventionen reglementierter Form abgehalten. Dazu zählen der Kommers[5], Stiftungsfeste und Umzüge. Nicht mehr praktiziert wird der so genannte Bierstaat.[6] Form allgemeinen Treffens ist die so genannte Kneipe.[7]

Studentenverbindungen haben eine stark ritualisierte Gruppensprache gebildet, die durch den Rückgriff auf Ausdrucksmittel früherer Sprachformen geprägt ist.[8]

Die Rituale von Studentenverbindungen unterteilen sich in mehrere zumeist anlassbezogene Ordnungen. Es existiert ein breites Muster an Interaktionsritualen, darunter Zustimmungs- oder Ablehnungsformen das Ausbringen von Vivat (lat. ,er lebe [hoch]!‘) bzw. Pereat (lat. ,er gehe unter!‘), sowie spezielle Grußformen und Anreden. Es existieren Initiations- und Übergangsriten, die beim Wechsel zwischen den hierarchischen Klassen von Studentenverbindungen Anwendung finden. Studentenverbindungen pflegen subkulturspezifische Kulturgüter wie Studentenlieder und Kartenspiele wie etwa das Quodlibet.

Initiationsriten sind die Aktivmeldung, die Burschung, die Inaktivierung nach dem Ende der Pflichtaktivität und die Philistrierung nach dem Abschluss eines Studiums. Nicht mehr praktiziert wird das Comitat. Rituale und Konventionen werden in einem so genannten Comment festgelegt.[9]

Die Ausprägung und Ausführung von Ritualen ist zwischen verschiedenen Arten von Studentenverbindungen unterschiedlich ausgeprägt. Während katholisch orientierte Studentenverbindungen Mensuren ablehnen werden diese von Burschenschaften und Corps praktiziert.[10] Die Mensur wird in der Literatur als Form des Duells angesehen[11], schlagende Verbindungen dementieren dies und bezeichnen die Mensur als Form der Charakterbildung.[12][13]

Frühformen einer Verbindungskultur entwickelten sich in den entstehenden Landsmannschaften in Abgrenzung zu den Studentenorden. Aus den Landsmannschaften entwickelten sich die Studentenkorps, die das Satisfaktionsprinzip und die Mensur einführten.[14] Mit der Jenaer Urburschenschaft bildete sich unter Berufung auf Jahns Schrift Deutsches Volkstum die deutschnationale Identität und Kultur der Burschenschaften als männerbündische Organisationen.[15] In der Folge des Wartburgfestes festigten sich historisch-politische Narrative der Verbindungen wie etwa Vaterland und Krieg samt dem dazugehörigen Liedgut.[16]. Mit der Konstruktion einer deutschen Identität der Burschenschaften bildete sich z.B. mit den Beschlüssen der Burschenschaftskonferenz 1818 in Jena ein Antisemitismus, der sich auch religiöser Motive bediente.[17][18] In Vermischung mit der Jahnschen Turnbewegung bildeten sich die Turnerschaften, die eine sportliche Lebensreform in den Vordergrund stellten[19] und die Sängerschaften, in denen sich der Pflege des Liedgutes der Verbindungen widmeten.[20][21]

Staatliche Repressionen förderten wie im gesamten Vereinswesen des frühen 19. Jahrhunderts das Entstehen von para- und nichtsprachlichen Kommunikationsformen wie Liedern, Aufmärschen, Fahnen und Bändern.[22] In den antiabsolutistisch-revolutionären Strömungen zur Mitte des 19. Jahrhunderts festigte sich der durch die Uniformierung sichtbare Militarismus der Burschenschaften.[4] Die Revolution von 1848 wurde zu einem zentralen Standpunkt burschenschaftlicher Identität.[23] Ihre weiteste Verbreitung fanden Studentenverbindungen im wilhelminischen Zeitalter, in dem in größeren Universitätsstädten wie Berlin 25% aller Studierenden in Verbindungen organisiert waren.[24] Die Verbindungskultur, vor allem der Alkohol und Tabakkonsum wurden zu dieser Zeit verstärkt von Schülern imitiert.[25] Die Historikerin Silke Möller bezeichnet die Traditionen von Studentenverbindungen als "[...]erfundene Traditionen, d.h. sie waren zwar aus dem "Vorrat alter Materialien" geschöpft, dienten aber der Etablierung völlig neuer Konstruktionen. Mit der Betonung historischer Kontinuität sollten sie zum einen zu der Legitimierung der Formen sowie der rituellen und symbolischen Praktiken beitragen und zum anderen den Zusammenhalt der Gruppe stärken".[1]

Während sich bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts auch Juden unter den Mitglieder der Studentenverbindungen fanden, führte der wachsende Antisemitismus zur Gründung eigener jüdischer Studentenverbindungen[26][27], die ab dem Beginn des 20. Jahrhunderts zionistisch orientiert waren[28]

Ab Mitte des 19. Jahrhunderts bildeten sich die katholischen Studentenverbindungen, die sich an der katholischen Kirche orientierten und die Praktizierung des katholischen Glaubens in den Vordergrund stellten.[29] Die katholischen Verbindungen grenzten sich durch die Ablehnung der Mensur analog zur Linie der katholischen Kirche von anderen Verbindungstypen ab.[10]

Breite Kritik an der Verbindungskultur wurde von den Jugendbewegungen des frühen 20. Jahrhunderts wie dem Wandervogel oder Neuland geäußert.[30] Im Zuge der Protestbewegungen 1968 beschleunigte sich die Bedeutungsloswerdung der Verbindungskultur, zugleich setzten - teils direkt im Anschluss an Kritik der Protestbewegungen[31] Reflektionsprozesse ein. [32]

Einzelnachweise

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  1. a b Möller, S. 110
  2. Flagge zeigen?: Die Deutschen und ihre Nationalsymbole. Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Zeitgeschichtliches Forum Leipzig, Kerber: 2008, S. 27 ff.
  3. Kiener, Franz: Kleidung, Mode und der Mensch. Versuch einer psychologischen Deutung. S. 134
  4. a b Biastoch, Martin: Tübinger Studenten im Kaiserreich:eine sozial-geschichtliche Untersuchung - Contubernium 44, Jan Thorbecke Verlag: 1996, S. 140
  5. Ethische Kultur: Halbmonatsschrift für ethisch-soziale Reformen, Band 4, Berlin: 1896, S.55 (Ausschnitt verfügbar über Google Books)
  6. Wilhelm Fabricius: Die deutshen Corps: eine historische Darstellung mit besonderer Berücksichtigung des Mensurwesens, H.L. Thilo, 1898, S. 125
  7. Zillner, Holger: Freimaurerei und Studentenverbindungen: Geschichte, Struktur, Identität, Trauner Verlag: 2005, S. 65 ff.
  8. Dieter Cherubim, Klaus Mattheier: Voraussetzungen und Grundlagen der Gegenwartssprache, Walter de Gruyter: Berlin, 1989, S. 212 (Verfügbar über Google Books)
  9. Schlamelcher, Ulrike: Paradoxien und Widersprüche der Führungskräfterekrutierung: Personalauswahl und Geschlecht, Springer: 2010, S. 289 / Fn. 94
  10. a b Dowe, Christopher: Auch Bildungsbürger: katholische Studierende und Akademiker im Kaiserreich, Vandenhoeck & Ruprecht: 2006, S. 99 ff.
  11. Maurer, Trude: Kollegen, Kommilitonen, Kämpfer: europäische Universitäten im Ersten Weltkrieg, Franz Steiner Verlag: 2006, S. 63
  12. Geschichte der Universität in Europa: Vom 19.Jahrhundert zum Zweiten Weltkrieg (1800-1945), C.H.Beck: 2004, S. 262
  13. Kühne, Thomas: Männergeschichte, Geschlechtergeschichte: Männlichkeit im Wandel der Moderne. Campus: 1996, S. 124
  14. Blazek, S. 135
  15. Blazek, S. 136
  16. Joachim Bauer: Student und Nation im Spiegel des "Landesvater"-Liedes. Erschienen in: Dieter Langewiesche, Georg Schmidt (Hrsg.): Föderative Nation. Deutschlandkonzepte von der Reformation bis zum ersten Weltkrieg. Oldenbourger Wissenschaftsverlag: 2000, S. 135 - S. 157
  17. Schroeter, Bernhard: Für Burschenschaft und Vaterland: Festschrift für den Burschenschafter und Studentenhistoriker Prof.(FH) Dr. Peter Kaupp. BoD: 2006. S. 248
  18. Pulzer, Peter G. J.: Die Entstehung des politischen Antisemitismus in Deutschland und Österreich 1867 bis 1914. Vandenhoeck & Ruprecht, 2004 S. 261 ff.
  19. Hans-Joachim Bartmuss, Eberhard Kunze, Josef Ulfkotte: "Turnvater" Jahn und sein patriotisches Umfeld: Briefe und Dokumente 1806-1812. Böhlau Verlag Köln-Weimar: 2008, S. 20 ff.
  20. Klenke, Dietmar: Der singende "deutsche Mann": Gesangvereine und deutsches Nationalbewusstsein von Napoleon bis Hitler. Waxmann Verlag: 1998, S. 187-187
  21. Tobias Wildmaier, Max Matter: Lied und populäre Kultur - Song and Popular Culture - Jahrbuch des deutschen Volksliedarchives. 50-51. Jahrgang. Waxmann Verlag: 2005/2006, S. 11
  22. Polenz, Peter von: Deutsche Sprachgeschichte vom Spätmittelalter bis zur Gegenwart: 19. und 20. Jahrhundert. Walter de Gruyter: 2000, S. 66
  23. Fuchs, Albert: Geistige Strömungen in Österreich 1867-1918. Locker Verlag, Wien: 1984, S. 175
  24. Möller, S. 108
  25. Schulze, Bernd: Fußball in Deutschland - Von den Anfängen bis zur Weltmeisterschaft. Erschienen in: Dieter H. Hütting (Hrsg.): Die Welt ist wieder heimgekehrt: Studien zur Evaluation der FIFA-WM 2006. Waxmann Verlag: 2007, S. 224
  26. Jacob Toury: Die politischen Orientierungen der Juden in Deutschland. Mohr Siebeck, 1966, S. 27 ff.
  27. Leo Baeck Institute (Hrsg.), Marion Kaplan: Geschichte des jüdischen Alltags in Deutschland. Vom 17. Jahrhundert bis 1945. C.H. Beck, 2003, S. 274.
  28. Peter Haber, Erik Petry, Daniel Wildmann: Jüdische Identität und Nation. Fallbeispiele aus Mitteleuropa. Böhlau Verlag, 2006,, S. 29 ff.
  29. Dowe, Christopher: Auch Bildungsbürger: katholische Studierende und Akademiker im Kaiserreich, Vandenhoeck & Ruprecht: 2006, S. 99
  30. Hanisch, Ernst: Männlichkeiten: eine andere Geschichte des 20. Jahrhunderts. Böhlau Verlag: 2005. S. 59-60
  31. DIE DEUTSCHE BURSCHENSCHAFT (DB), Der Spiegel, 25/1968
  32. Urs Altermatt: Die Universität Freiburg auf der Suche nach Identität. Academic Press Fribourg: 2009, S. 287
  • Blazek, Helmut : Männerbünde. Eine Geschichte von Faszination und Macht. Christoph Links Verlag: Berlin, 1999
  • Krause, Peter : „O alte Burschenherrlichkeit.“ Die Studenten und ihr Brauchtum. Verlag Styria, Graz-Wien-Köln, 1997 ISBN 3-222-12478-7
  • Kurth, Alexandra : Männer – Bünde – Rituale. Studentenverbindungen seit 1800. Campus Verlag: Frankfurt, 2004
  • Möller, Silke : Zwischen Wissenschaft und "Burschenherrlichkeit". Franz Steiner Verlag, 2001 Verfügbar über Google Books
  • Matthias Stickler: Universität als Lebensform? Überlegungen zur Selbststeuerung studentischer Sozialisation im langen 19. Jahrhundert in vom Bruch (Hrsg.): Die Berliner Universität im Kontext der deutschen Universitätslandschaft. Oldenbourg Wissenschaftsverlag 2010 ISBN 978-3-486-59710-3
  • Zwicker, Lisa Fetheringill: Dueling Students: Conflict, Masculinity, and Politics in German Universities, 1890-1914. University of Michigan Press: 2011
Wikisource: Studentengeschichte – Quellen und Volltexte