Besetzung von Veracruz 1914

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Die US-Flotte während des Angriffs auf Veracruz, 1914.

Die Besetzung von Veracruz im Jahre 1914 war eine militärische Intervention im Zuge der Kanonenbootpolitik der USA im bürgerkriegszerrütteten Mexiko. Vom 21. April bis zum 23. November 1914 hielten Streitkräfte der Vereinigten Staaten die Stadt Veracruz und deren Hafen am Golf von Mexiko besetzt.

Hintergrund und Vorwände

Der Tampico-Zwischenfall als Vorwand für eine Intervention

In den Wirren der Mexikanischen Revolution standen Anfang des Jahres 1914 einander Truppen zweier Lager gegenüber: auf der einen Seite die des Oberkommandierenden der Armee, Victoriano Huerta, der sich 1913 durch einen Putsch an die Macht gebracht hatte, und auf der anderen Seite die „konstitutionalistischen“, d.h. für die verfassungstreuen Gruppen kämpfenden Streitkräfte. Am 9. April 1914 ereignete sich der Tampico-Zwischenfall, der Präsident Woodrow Wilson die Gelegenheit bot, die schon seit Januar 1914 von seinem Kabinett beschlossene militärische Intervention in Mexiko endlich durchzuführen.[1] Ein US-Flottenverband war zu diesem Zweck bereits vor der mexikanischen Golfküste zusammengezogen worden.[2]

Der Vorwand für die Wahl von Veracruz als Ort der Intervention

Da Tampico, der Ort des Zwischenfalls, strategisch nicht so bedeutsam war und nicht so nah an den jüngst entdeckten Ölquellen im Süden Mexikos lag wie Veracruz, entschied Wilson, dass Veracruz an Stelle von Tampico besetzt werden solle. Am 18. April erhielt er unverhofft eine Nachricht, die seinen Veracruz-Plänen entgegen kam: Das Schiff Ypiranga der Hamburg-Amerikanische Packetfahrt-Actien-Gesellschaft (HAPAG) habe – mit Maschinengewehren der Firma Colt Defense für die Truppen von Victoriano Huerta an Bord – Kurs auf Veracruz genommen. Damit rechtfertigte Wilson die geplante Besetzung von Veracruz gegenüber dem Kongress: Die Ypiranga unterlaufe somit das US-Waffenembargo gegen Huerta; das Anlanden der Waffen müsse verhindert werden. Dass dieser Vorwand unglaubwürdig war, wurde schon dadurch offensichtlich, dass die US-Regierung zuvor den Waffentransport durch die Ypiranga genehmigt hatte.[1] Deshalb wurde die Ladung der Ypiranga nach einer diplomatischen Demarche von deutscher Seite auch bald (am 26. Mai) freigegeben,[3] und zwar in Puerto México, einem von den Truppen Huertas kontrollierten Hafen.[4]

Die Landung in Veracruz und der mexikanische Widerstand

Am 20. April 1914 waren drei Schlachtschiffe, drei Kreuzer und mehrere Kanonenboote der US-Marine vor Veracruz angelangt, bis zum 22. April trafen weitere sieben Schlachtschiffe, vier Truppentransporter sowie mehrere Kreuzer und Zerstörer ein.[5] Am Vormittag des 21. April gingen US-Truppen unter dem Kommando von Admiral Frank Friday Fletcher in Veracruz an Land – ohne Kriegserklärung. Es gab lediglich einen Anruf des örtlichen US-Konsuls beim Hafenmeister, dass die Invasion begonnen habe.[6]

Angesichts der Übermacht der US-Truppen zogen sich auf Befehl von Huerta die beiden in bzw. nahe Veracruz stationierten Regimenter unter General Gustavo Maass zurück.[7] Nur ein Kontingent von 180 Soldaten verblieb. Die Schüler der Kadettenanstalt der Marine (Escuela Naval Militar) unter ihrem Kommandanten Manuel Azueta leisteten jedoch Widerstand, unterstützt von den 800 Mitgliedern der Defensores del Puerto de Veracruz, einer Anfang 1914 zur Verteidigung gegen eine mögliche Invasion gegründeten Bürgerwehr,[8] sowie weitere Bürger der Stadt, die zu den Waffen griffen und, geführt von Oberstleutnant Manuel Contreras, den Kadetten und den verbliebenen Soldaten zu Hilfe eilten.[9] Der unerwartete Widerstand überraschte die US-Einheiten; deren Second Seaman Regiment floh.[10] Dies bewog Admiral Fletcher, die Stadt mit Schiffsartillerie beschießen zu lassen, Schulen, Wohn- und Geschäftshäuser inbegriffen.[11] Am Morgen des 22. April gingen weitere US-Truppen an Land, so dass 6.000 Mann bereitstanden,[12] Veracruz zu erobern, darunter 3.000 Marines.[13]

Nach vier Tagen, am 24. April 1914, endeten die Kämpfe, nachdem sich die Botschafter von Argentinien, Brasilien und Chile, der sogenannten „ABC-Staaten“, in Washington diplomatisch eingeschaltet hatten. Am 27. April wurde in Veracruz die US-Flagge gehisst; die Kriegsschiffe im Hafen feuerten 21 Schuss Salut.[14] Die US-Truppen zählten 22 tote und 75 verwundete Soldaten.[15] Auf mexikanischer Seite wurden 172 Soldaten getötet, außerdem Hunderte von Zivilisten.[16]

Die Behörden der Stadt Veracruz lehnten eine Kollaboration mit den Besatzungstruppen ab, so dass diese eine eigene Zivilverwaltung aufbauen mussten. Nach sieben Monaten und zwei Tagen zogen die US-Truppen am 23. November 1914 ab; in Veracruz rückten konstitutionalistische Truppen ein.

Nachwirkungen und Gedenken

Die Besetzung von Veracruz veranlasste die Mexikaner keineswegs zur Dankbarkeit gegenüber den Vereinigten Staaten für die Schwächung des Usurpators Huerta, wie die US-Militärs und Präsident Wilson erwartet hatten,[17] sondern löste eine Welle patriotischer Begeisterung und Kundgebungen gegen die Aggression aus. Die im Vorjahr gegründete Asociación Católica de la Juventud Mexicana (ACJM), der Dachverband der katholischen mexikanischen Jugendbewegung, protestierte gegen „Besudelung“ des katholischen Vaterlandes durch eine protestantische Macht,[12] die Bischöfe schlossen sich dem an. In zahlreichen Ländern gab es in den folgenden Tagen und Wochen Demonstrationen gegen die USA, außer in Mexiko und in mehreren mittelamerikanischen Staaten auch in Ecuador, Chile und Argentinien.[18] Die Hoffnungen, die USA würden unter Präsident Wilson „eine weniger imperialistische“ Politik verfolgen als seine Vorgänger, waren verflogen.

In den USA verlieh Marineminister Josephus Daniels 65 Mal die Medal of Honor, die höchste militärische Auszeichnung, und damit fast halb so oft wie im gesamten Ersten Weltkrieg und im Koreakrieg.[19]

In Mexiko sind zahlreiche Straßen, Plätze, Schulen und andere öffentliche Einrichtungen nach den Héroes y martires de Veracruz, den „Helden und Märtyrern“ von Veracruz, benannt. Im Museo Nacional de las Intervenciones (Nationalmuseum der Interventionen) in Mexiko-Stadt sind die Besetzung von Veracruz und das Nachleben dieses Ereignisses in Mexiko dargestellt. Der 100-jährige Jahrestag der Intervention wurde am 21. April 2014 in Veracruz, in der Hauptstadt und in vielen mexikanischen Städten festlich begangen.

Einordnung

Die Besetzung von Veracruz 1914 wird, nach dem Mexikanisch-Amerikanischen Krieg und vor der Mexikanischen Expedition, als zweite US-Intervention in Mexiko (Segunda Intervención Norteamericana) gezählt.

Literatur

  • Guy Renfro Donnell: United States intervention in Mexico, 1914. Diss. University of Texas, Austin 1951.
  • Lester D. Langley: The Banana Wars. United States Intervention in the Caribbean, 1898–1934. University of Kentucky Press, Lexington 1985, ISBN 0-8131-1548-5. Darin die Kapitel Veracruz und The rulers of Veracruz. S. 85–108.
  • Robert Quirk: An affair of honor. Woodrow Wilson and the occupation of Veracruz. University of Kentucky Press, Lexington 1962.
  • Jack Sweetman: The landing at Veracruz, 1914. The first complete chronicle of a strange encounter in April, 1914, when the United States Navy captured and occupied the city of Veracruz, Mexico. US Naval Institute, Annapolis 1968.

Fußnoten

  1. a b John Mason Hart: Empire and Revolution. The Americans in Mexico Since the Civil War. University of California Press, Berkeley 2002, ISBN 0-520-22324-1, S. 307.
  2. Lawrence Lenz: Power and policy. America's first steps to superpower, 1889–1922. Algora, New York 2008, S. 185.
  3. Zur Konkurrenz zwischen den USA und dem Deutschen Reich in Mexiko nach 1900 siehe: Alfred Vagts: Deutschland und die Vereinigten Staaten in der Weltpolitik. Macmillan, New York 1935. Band 2, S. 1771–1781.
  4. Jack Sweetman: „Take Veracruz at Once!“ In: Naval History, Jg. 28 (2014), Heft 2, S. 34–41.
  5. Lawrence Lenz: Power and policy. America's first steps to superpower, 1889–1922. Algora, New York 2008, S. 191.
  6. Lester D. Langley: The Banana Wars. United States Intervention in the Caribbean, 1898–1934. University of Kentucky Press, Lexington 1985, S. 89.
  7. Isidro Fabela: Historia diplomática de la Revolución Mexicana. Bd 2. Fondo de Cultura Económica, Mexiko-Stadt 1959. Darin das Kapitel Cómo se llevó a cabo la ocupación.
  8. Lawrence Lenz: Power and policy. America's first steps to superpower, 1889–1922. Algora, New York 2008, S. 192.
  9. Die heldenhafte Verteidigung des Hafens von Veracruz auf der Website des mexikanischen Präsidenten, abgerufen am 24. Mai 2014 (spanisch).
  10. Lawrence Lenz: Power and policy. America's first steps to superpower, 1889–1922. Algora, New York 2008, S. 193.
  11. George B. Clark: Battle History of the United States Marine Corps, 1775–1945. McFarland, Jefferson 2010, ISBN 978-0-7864-4598-1. Darin Kapitel 13: Mexico 1914. hier S. 103.
  12. a b John Womack: The Mexican Revolution, 1910–1920. In: Leslie Bethell (Hrsg.): The Cambridge History of Latin America. Band 5: C. 1870 to 1930. Cambridge University Press, Cambridge 1986, ISBN 0-521-24517-6, S. 79–153, hier S. 102.
  13. United States Marine Corps: Roots of deployment - Vera Cruz, 1914. abgerufen am 24. Mai 2014.
  14. Arturo Guevara Escobar: 21 cañonazos, abgerufen am 24. Mai 2014.
  15. Gastón García Cantú: Las invasiones norteamericanas en México. Fondo de Cultura Económica, Mexiko-Stadt 1996, S. 276.
  16. Alan McPherson (Hrsg.): Encyclopedia of U.S. Military Interventions in Latin America. ABC-CLIO, Santa Barbara 2013. Band 2., darin S. 390–394: Intervention in the Mexican Revolution. hier S. 393.
  17. Ronald Glen Woodbury: Wilson y la intervención Veracruz (análisis historiográfico). In: Historia mexicana. Revista trimestral publicada por El Colegio de México. Jg. 17 (1967), Heft 2, S. 263–292.
  18. Michael Small: The Forgotten Peace. Mediation at Niagara Falls, 1914. University of Ottawa Press, Ottawa 2010, ISBN 978-0-7766-0712-2, S. 35.
  19. David Zabecki: American artillery and the Medal of Honor. Merriam Press, Bennington 1997, S. 175.