Die Weißblaue Drehorgel (Gesangsgruppe)

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Die Weißblaue Drehorgel war von 1933 bis 1938 ein Gesangsgruppe bairischer Mundart in München.

Werdegang[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Vier Münchener Studenten, Hugo Rauschnabel (Tenor), Adolf Sotier (Bariton) und Rupert Weber (Bass), sowie Otto Kuen (* 20. Mai 1910 in München; † 15. Juli 1994 in Iffeldorf), damals noch Studenten der Neueren Sprachen, am Klavier, hatten Anfang der 1930er Jahre die Idee, ein „Studentenbrettl“ zu gründen. Sie wollten sich in bayrischer Mundart präsentieren, jedoch im Stil der damals modernen Tanz- und Schlagermusik. Otto Kuen war der Gründer der „Weißblauen Drehorgel“[1] und musikalischer Kopf der Truppe; er begleitete und ersann die Melodien und verfasste die Gesangstexte dazu. Diese handelten – mal heiter, mal melancholisch – von alltäglichen Befindlichkeiten und reichten thematisch von den Begebenheiten auf der Fahrt mit der Trambahn über das Übermaß an Gefühl im Vorort Giesing bei Mondschein, bis hin zu allgemeinem Weltschmerz, bei dem einem einfach alles „stinkt“.

Zunächst nur als kurzlebiger Studentenulk gedacht, entwickelte sich der Brettlspaß weiter und die Gruppe mit ihren Präsentationsfähigkeiten und ihrem Repertoire bis zur Bühnenreife. Ihren ersten öffentlichen Auftritt hatte „Die weißblaue Drehorgel“, wie sie sich nannten, im Cafe-Kabarett Bonbonnière in der Münchner Altstadt unweit vom Hofbräuhaus, das damals unter der Leitung von Adolf Gondrell stand. Nach einem weiteren Jahr systematischen Probens hatten sie ab 30. November 1933 eine wöchentliche Sendung bei der Bayerischen Rundfunk GmbH.

Es folgte eine Tournee durch nahezu alle größeren Städte Deutschlands. Die Vier traten im blauen Stepp-Janker und mit schwarzer Smokinghose auf die Bühne[2] und hatten damit auch optisch ein charakteristisches Erscheinungsbild. Mitte der 1930er Jahre bekamen sie einen Schallplattenvertrag bei der Grammophon GmbH, wo sie sieben Titel aufnahmen. Im Laufe der Jahre war ihr Repertoire auf über 100 Titel angewachsen.

Die bayerische Kulturpflege stieß mit „unheroischen“ Texten und „schräger Musik“ im Nationalsozialismus auf wachsendes Missfallen. Nach Kuens eigenem Bekunden war das Quartett „bald das einzige Weiß-Blaue in Bayern, was jetzt noch offiziell geduldet war“.[3] Bei Kriegsbeginn 1939 löste Otto Kuen sein Ensemble auf. Er wurde zur Wehrmacht eingezogen und als deutscher Besatzer in die nordnorwegische Tundra geschickt.[4]

Nach dem Krieg arbeitete Otto Kuen wieder als Gymnasialprofessor und lebte in der Bergmannstraße[5] in München, einige Zeit in Edling,[6] später in Iffeldorf. In den 1980er Jahren übertrug er Homer (nach der altgriechischen Originalfassung) ins Altbairische (vgl. Odyssee).[7]

Nachwirken[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Wahrscheinlich bezog sich der Titel der Sendereihe Die weißblaue Drehorgel, die Olf Fischer beim Bayerischen Rundfunk nach dem Krieg ins Leben rief, auf das Vorbild der vier bayrischen Kabarettisten.[8] Der Titelsong der Sendung, das Drehorgel-Lied Auf der weiß-blauen Drehorgl do wann ma spuit, stammte von Dr. Otto Kuen. Autor und Vortragender in einer Person war Emil Vierlinger. Für die Gestaltung dieser Art von Unterhaltungsprogrammen, in denen neben Spielszenen und Gesangsdarbietungen (der Isarspatzen um Erika Blumberger) auch die humoristische Dichtung in bayrischer Mundart ihren Platz hatte, ist „Die weißblaue Drehorgel“ richtungsweisend geworden.[9]

Im Münchener Verlag Komet ist 1957 eine kleine Auswahl von Texten und Noten aus dem Repertoire der Weißblauen Drehorgel erschienen.

In den 1980er Jahren wurden Lieder der Weißblauen Drehorgel von den Singphonikern interpretiert[10].

Im April 2010 griff die Münchener Gruppe Zwirbeldirn die Giesinger Mondserenade der Weißblauen Drehorgel erneut auf und interpretierte sie mit Zweigesang, drei Geigen und einem Kontrabass.

Werke[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Tonträger (vgl. auch Weblinks); Schallplatten Grammophon um 1935

  • Gr 10 356 (mx. 2621 ½ GN) Das Radlerlied I fahr durch d'Nacht (Text und Musik: O. Kuen) und (mx. 2622 ½ GN) Münchner Straßenbahn-Tango (Text und Musik: O. Kuen) Mechan. Copt. 1935
  • Gr 10 357 (mx. 2623 ½ GN) Vui z'vui G'fui (Text und Musik: O. Kuen) und (mx. 2624 GN) Das Pflasterlied (Text und Musik: O. Kuen) Mechan.Copt.1935
  • Gr 10 358 (mx. 2625 GN) Das Gerücht (Text und Musik: O. Kuen) und (mx. 2626 ½ GN) Giesinger Mond-Serenade (TuM O. Kuen) Mechan.Copt.1935
  • Gr 10 359 (mx. 2627 und 2628 ½ GN) Weltschmerz-Ballade Do dad er mir aa stinka I und II (Text und Musik: O. Kuen) 1935/36?

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Heike Frey and Linda Fujie: Traditional Urban Entertainment in Bavaria: The Volkssänger as Exemplified by Bally Prell (The World of Music, Vol. 41, No. 2, Traditional Music in Bavaria: Regional Identity, History, and Culture (1999), pp. 99–122) Published by: VWB – Verlag für Wissenschaft und Bildung.
  • Otto Kuen: Koboldlieder. Nach dämonischem Notenschlüssel illustriert von Dieter O. Klama. Ehrenwirth-Verlag, München 1979.
  • Otto Kuen: Da taat a dar aa stinka. Bairisch für Fortgeschrittene. Ehrenwirth-Verlag, München 1987 (1. Aufl. 1977). ISBN 978-3-431-01895-0
  • Homerus, Johann Heinrich Voß (Text), Otto Kuen, Thassilo von Scheffer, Jakob Engel: Die Odysseusgschicht’n von Homer : [griechisch, deutsch, bayrisch] ausm Griechischn üwasetzt von Otto Kuen. 4. Aufl. 1987. Verlag Kuckuck & Straps (des Verlegers und Malers Fritz Gebhardt alias Eugen Oker), München 1987.
  • Andreas Johannes Kuen (Hrsg.), Werner Wolfsfellner (Hrsg.): Zwischen den Zeilen der Zeit. Zum Verständnis des Geschehenen und des Bestehenden – Memoiren 1910–1974. Von der Weißblauen Drehorgel bis zum Hakenkreuzweg und… Mit Anhang von Bildern, Dokumenten. Aus dem Nachlass von Otto Kuen, Erstausgabe: 20. Mai 2011. Verlag W. Wolfsfellner. ISBN 978-3-933266-61-3
  • Berthold Leimbach: Tondokumente der Kleinkunst und ihre Interpreten (1898–1945). Göttingen (Eigenverlag) 1991.
  • Klaus Netzle: Die weissblaue Drehorgel. (Mit Texten von und über Ludwig Thoma, sowie über bayerische Volkssänger und Volksschauspieler von gestern und heute.) Komet-Verlag, München 1957
  • Alfons Schweiggert, Hannes Schweiggert-Macher (Hrsg.): Autoren und Autorinnen in Bayern: 20. Jahrhundert. Verlag-Anstalt Bayerland 2004. ISBN 3-89251-340-6 (S. 209, 412).
  • Andreas Koll, Münchner Stadtbibliothek Literaturarchiv: Volkskünstlerinnen: Liesl Karlstadt, Erni Singerl, Bally Prell – die Geschichte des Volkstümlichen in der Unterhaltung. Begleitband zur gleichnamigen Ausstellung vom 26. November bis 15. Mai 2009 in der Monacensia, dem Literaturarchiv der Stadt München, Edition Monacensia. Verlag BUCH&media, 2008. ISBN 3-86520-325-6 (S. 79, 178).
  • Manfred Weihermüller, Rainer E. Lotz (Hrsg.): Deutsche National-Discographie. Discographie der deutschen Kleinkunst Band 3. Verlag B. Lotz, 1992. ISBN 3-9802656-6-8, (Seite 839).
  • Josef Westner: Artikel "Die weiß-blaue Drehorgel" in: Fox auf 78, Nr. 26, 2011, Hrsg. Klaus Krüger, Dietramszell

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Otto Kuen: Homer & Voß & Kuen. Odyssee. Griechisch - Deutsch - Bayrisch. Die Odysseusgschichtn von Homer, boarische Hexameta ausm Griechischn üwasetzt von Otto Kuen. Hrsg.: Fritz Gebhardt, Ps. Eugen Oker. 1. Auflage. Kuckuck & Straps, München 1987, ISBN 978-3-935276-06-1, S. 11 (Lebenslauf von Dr. Otto Kuen).
  2. Vgl. Literaturhinweis B. Leimbach
  3. Vgl. H. Schweiggert-Macher, S. 209 f.
  4. Odyssee Bayrisch: Neunzehnta Gsang: Die Gschicht midn Fuaßbad. Private Website von Christian Wirth (365sterne.de)
  5. Münchner Stadtadreßbuch 1961. Adreßbuchverlagsgesellschaft Ruf, München 1961, S. 1521 (genealogy.net).
  6. Agnes Ständer: Odyssee auf Bairisch – Die Mythen leben! Oberbayerisches Volksblatt, 7. Juni 2005
  7. Karl Ude: Otto Kuen. Erfinder der "Weißblauen Drehorgel" gestorben. In: Süddeutsche Zeitung. München 20. Juli 1994.
  8. Vgl. Andreas Koll, S. 79
  9. So Leimbach
  10. Straßenbahntango, Ausschnitt aus einer Sendung des Bayerischen Fernsehens von 1985 bei youtube.com, abgerufen am 1. Juli 2014