Deutsches Kinderkrebsregister

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Das Deutsche Kinderkrebsregister (DKKR) ist seit seiner Gründung im Jahre 1980 am Institut für Medizinische Biometrie, Epidemiologie und Informatik (IMBEI) an der Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz angesiedelt. Bisherige Leiter sind Jörg Michaelis (1980–2001), Peter Kaatsch (2001–2019), Friederike Erdmann und Cécile Ronckers (seit Dezember 2022). Es erfasst Krebsfälle bei Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren (bis 2008 unter 15 Jahren) flächendeckend für ganz Deutschland (seit 1991 auch für die neuen Länder). Im Zeitraum von 1980 bis 2017 wurden Erkrankungen von über 64.000 Patienten in diesem Register erfasst. Eine Eintragung erfolgt nur, wenn die Betroffenen zustimmen.

Die Vollzähligkeit der Erfassung beträgt für die gesamte Bundesrepublik etwa 95 % und entspricht den internationalen Anforderungen an epidemiologische Krebsregister. Das DKKR ist Mitglied von der International Association of Cancer Registries (IACR)[1] und des European Network of Cancer Registries (ENCR).[2]

Jährlich werden ca. 2.200 unter 18-jährige Patienten aus den pädiatrisch-onkologischen Einrichtungen gemeldet, die in der Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie (GPOH)[3] zusammengeschlossen sind. Ein eng verzahnter Informationsverbund besteht mit den GPOH-Studiengruppen. Die Datenbasis am DKKR bietet eine geeignete Grundlage, um mögliche zeitliche Trends und regionale Häufungen erkennen zu können und epidemiologische Studien durchzuführen. Die Bedeutung der am Deutschen Kinderkrebsregister durchgeführten Untersuchungen liegt darin, dass die Ergebnisse aufgrund des umfangreichen Datenmaterials und der hohen Vollzähligkeit für Deutschland repräsentativ sind. Die Flächendeckung erlaubt weiterhin die Beantwortung regionalbezogener Anfragen zu möglichen Krebs-Clustern. Mit den in den letzten Jahrzehnten erzielten diagnostischen und therapeutischen Fortschritten gewinnt die Untersuchung und Vermeidung möglicher Spätfolgen einen besonderen Stellenwert. Durch das Deutsche Kinderkrebsregister werden hierzu wichtige Beiträge durch die Intensivierung der Langzeitnachbeobachtung und z. B. die Erfassung von Zweittumoren geleistet.

Die Finanzierung des Deutschen Kinderkrebsregisters erfolgt durch die Gesundheitsministerien von Bund und Ländern. Die Arbeitsweise des Registers, rechtliche Grundlagen, angewendete Methoden, Ergebnisse der routinemäßigen Auswertungen und Schwerpunktthemen sind in den Jahresberichten[4] verfügbar. Eine Übersicht der wichtigsten Ergebnisse sind aus dem Jahresbericht 2018[5] zusammengefasst.

Wichtige Studien[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Deutsche Kinderkrebsregister hat drei „Kernkraftwerksstudien“ durchgeführt (publiziert in den Jahren 1992, 1998 und 2008); die letzte war die sog. KiKK-Studie.[6][7][8] Weitere größere Studien beschäftigten sich mit der möglichen Einführung eines Neugeborenen-Screenings zum Neuroblastom[9], mit möglichen Ursachen der Krebsentstehung bei Kindern generell[10][11] oder mit Zweittumoren als Folge der Krebstherapie.[12][13] Internationale Kooperationen beinhalten u. a. die Teilnahme an ACCIS[14] und an EUROCARE[15] oder das Management EU-geförderter Studien zu Spätfolgen nach Krebsbehandlung im Kindesalter.[16][17]

KiKK-Studie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

2007 veröffentlichte das DKKR eine epidemiologische Studie zu Kinderkrebs in der Umgebung von Kernkraftwerken (KiKK-Studie).[18][19] Diese Studie kommt zu dem Ergebnis, dass die Häufigkeit von Krebserkrankungen bei Kindern in der Nähe von deutschen Kernkraftwerken um ca. 50 % erhöht ist. Die Autoren konnten außer dem Faktor „Abstand“ keine andere Ursache (Confounder) ausfindig machen, halten radioaktive Emissionen aber nicht für den Auslöser des erhöhten Risikos. Unberücksichtigt bleiben die durch Nahrung und Wasser aufgenommenen radioaktiven Partikel aus der landwirtschaftlichen Produktion der Umgebung. Bei der KiKK-Studie handelt es sich um eine Fall-Kontroll-Studie, bei der eine Gruppe Erkrankter (1592 „Fälle“) mit einer statistisch repräsentativen Vergleichsgruppe (4735 „Kontrollen“) nicht-erkrankter Personen hinsichtlich des präzisen Abstands der Wohnung vom nächstgelegenen Kernkraftwerk verglichen wird. Dafür wurden zu jedem bekannten „Fall“ aus den Meldedaten des jeweiligen Untersuchungsgebiets nach dem Zufallsprinzip je drei Personen des gleichen Alters und des gleichen Geschlechts herausgesucht. Dadurch erhöht sich die Aussagekraft der Studie gegenüber ökologischen Studien erheblich.

Am 23. Februar 2010 wurden in der Reportage „Die Atomlüge“ im NDR Fernsehen Zweifel an der Neutralität der Leitung des Krebsregisters geäußert.[20]

Die erste Vorläuferstudie der KiKK-Studie untersuchte Daten von 1980 bis 1995 auf der Basis von Inzidenzraten. Ihr Ergebnis war: keine erhöhten Krebsraten bei Kindern unter 15 Jahren im Radius von 15 Kilometern um die Kernkraftwerke. „Nebenbei“ stellte sich aber eine dreifach erhöhte Leukämierate bei Kleinkindern unter fünf Jahren im Fünf-Kilometer-Nahbereich kerntechnischer Anlagen heraus.[21] Fünf Jahre später folgte eine zweite Studie des IMSD. Das Ergebnis: Kein erhöhtes Leukämierisiko für Kinder im Umfeld von Kernkraftwerken. Nach Angaben des Nürnberger Physikers Alfred Körblein hatten die Autoren die Methode so verändert, dass am Ende alles „im grünen Bereich“ war.[21] Das Institut machte z. B. statistische Berechnungen über das Leukämiecluster Elbmarsch.

Vergleichbare Studien in Großbritannien, Finnland und der Schweiz konnten die vom DKKR für Deutschland gemachte Beobachtung nicht bestätigen.[22]

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. International Association of Cancer Registries. Abgerufen am 27. November 2019.
  2. European Network of Cancer Registries. Abgerufen am 27. November 2019.
  3. Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie. Abgerufen am 29. November 2019.
  4. Jahresberichte des DKKR. Abgerufen am 27. November 2019.
  5. Wichtigsten Ergebnisse aus dem Jahresbericht 2018. Abgerufen am 2. Oktober 2019.
  6. P. Kaatsch, C. Spix, R. Schulze-Rath, S. Schmiedel, M. Blettner: Leukaemia in young children living in the vicinity of German nuclear power plants. In: Int J Cancer. Band 122, 2008, S. 721–726. PMID 18067131 doi:10.1002/ijc.23330
  7. C. Spix, S. Schmiedel, P. Kaatsch, R. Schulze-Rath, M. Blettner: Case-control study on childhood cancer in the vicinity of nuclear power plants in Germany 1980–2003. In: Eur J Cancer. Band 44, 2008, S. 275–284. PMID 18082395 doi:10.1016/j.ejca.2007.10.024
  8. P. Kaatsch, C. Spix, I. Jung, M. Blettner: Leukämien bei unter 5-jährigen Kindern in der Umgebung deutscher Kernkraftwerke. In: Deutsches Ärzteblatt Int. Band 105, Nr. 42, 2008, S. 725–732. doi:10.3238/arztebl.2008.0725
  9. C. Spix, J. Michaelis, F. Berthold, R. Erttmann, J. Sander, F. H. Schilling: Lead-time and overdiagnosis estimation in neuroblastoma screening. In: Stat Med. Band 22, 2003, S. 2877–2892. PMID 12953286 doi:10.1002/sim.1533
  10. P. Kaatsch: Umweltbelastung und Krebsrisiko im Kindesalter. In: Monatsschrift Kinderheilkunde. Volume 165, S. 395–401, Mai 2017. Print ISSN 0026-9298, Online ISSN 1433-0474, doi:10.1007/s00112-017-0281-5
  11. C. Metayer, E. Milne, J. Clavel, C. Infante-Rivard, E. Petridou, M. Taylor, J. Schüz, L. G. Spector, J. D. Dockerty, C. Magnani, M. S. Pombo-de-Oliveira, D. Sinnett, M. Murphy, E. Roman, P. Monge, S. Ezzat, B. A. Mueller, M. E. Scheurer, B. K. Armstrong, J. Birch, P. Kaatsch, S. Koifman, T. Lightfoot, P. Bhatti, M. L. Bondy, J. Rudant, K. O’Neill, L. Miligi, N. Dessypris, A. Y. Kang, P. A. Buffler: The Childhood Leukemia International Consortium. In: Cancer Epidemiol. Band 37, 2013, S. 336–347. doi:10.1016/j.canep.2012.12.011, PMID 23403126, PMC 3652629 (freier Volltext)
  12. P. Scholz-Kreisel, P. Kaatsch, C. Spix, H. Schmidberger, M. Marron, D. Grabow, C. Becker, M. Blettner: Second malignancies following childhood cancer treatment in Germany from 1980 to 2014 - a registry-based analysis. In: Deutsches Ärzteblatt Int. Band 115, 2018, S. 385–392. doi:10.3238/arztebl.2018.0385, PMID 29960606, PMC 6041965 (freier Volltext).
  13. P. Kaatsch, I. Reinisch, C. Spix, F. Berthold, G. Janka-Schaub, A. Mergenthaler, J. Michaelis, M. Blettner: Case control study on therapy of childhood cancer and occurrence of second malignant neoplasms in Germany. In: Cancer Causes Control. Band 20, 2009, S. 956–980. PMID 19263232 doi:10.1007/s10552-009-9315-1
  14. ACCIS. Abgerufen am 28. November 2019.
  15. EUROCARE. Abgerufen am 28. November 2019.
  16. PanCareLIFE. Abgerufen am 28. November 2019.
  17. PanCareSurFup. Abgerufen am 27. November 2019.
  18. Bundesamt für Strahlenschutz (BfS), Deutsches Kinderkrebsregister, Mainz: Epidemiologische Studie zu Kinderkrebs in der Umgebung von Kernkraftwerken (KiKK-Studie), abgerufen am 2. August 2013.
  19. Publikation der epidemiologischen Studie zu Kinderkrebs in der Umgebung von Kernkraftwerken. (PDF) Ehemals im Original (nicht mehr online verfügbar); abgerufen am 19. März 2011.@1@2Vorlage:Toter Link/www.kinderkrebsregister.de (Seite nicht mehr abrufbar. Suche in Webarchiven)  Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
  20. NDR, die Atomlüge auf youtube
  21. a b Studie: Wie ein Fels in der Brandung. Umweltschutz-NEWS.de, 10. Januar 2008, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 7. März 2016; abgerufen am 22. März 2011.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.umweltschutz-news.de
  22. Fact Sheet: The KiKK Study Explained. Canadian Nuclear Safety Commission, 3. Februar 2014, abgerufen am 10. Dezember 2022 (englisch).
  23. Gesellschaft der epidemiologischen Krebsregister in Deutschland. Abgerufen am 27. November 2019.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]