Liberale Jüdische Gemeinde zu Magdeburg

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Die Liberale Jüdische Gemeinde zu Magdeburg e.V. ist eine 2005 gegründete Religionsgemeinschaft, die die progressive Ausrichtung des Judentums praktiziert und die in der Tradition der liberalen Synagogen-Gemeinde zu Magdeburg steht, die bis zum 28. März 1938 als Körperschaft bestand. Etwa 25 % der jüdischen Bevölkerung der Stadt Magdeburg sind Mitglied der liberalen Jüdischen Gemeinde zu Magdeburg e.V. Die Gemeinde ist Mitglied in der Union progressiver Juden in Deutschland.

Vorgeschichte 965–1938[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Segen
Segenshandlung durch den Rabbiner

Das Judentum entstand vor mehr als 5700 Jahren und gehört zu den ältesten Religionen der Welt. Es ist eine monotheistische Religion. Während der Existenz dieser Religion änderten sich die Grenzen der Länder auf der Weltkarte. Seit der Zeit des Römischen Reiches siedelten sich Juden entlang der gesamten Mittelmeerküste an. Im 10. und 12. Jahrhundert erlebte die jüdische Kultur und Religion in Spanien und Portugal eine bedeutende Entwicklung unter islamischer Herrschaft. Im 11. Jahrhundert kamen die Kreuzzüge aus Frankreich und im 15. Jahrhundert kamen die Christen. Es blieb den Juden nur die Wahl, entweder zu gehen oder zum Christentum zu konvertieren. Eine der Folgen dieser Ereignisse war die Auswanderung von Juden nach Norden und Osten nach Mittel- und Osteuropa.

Die erste Erwähnung von Juden im Zusammenhang mit der Stadt Magdeburg findet sich in einer Urkunde Kaiser Ottos I. aus dem Jahre 965.[1] Im Jahr 1806 erhielten die ersten jüdischen Familien das Recht, in der Stadt zu wohnen.[2] Die Zahl der jüdischen Familien nahm allmählich zu und 1851 gab es bereits mehr als 600 jüdische Familien in Magdeburg.[1] In diesem Jahr baute die jüdische Gemeinde Magdeburg eine eigene Synagoge.

Sachsen-Anhalt ist die Wiege des liberalen Judentums, das von Deutschland aus Schule machte und heute die mitgliederstärkste religiöse jüdische Bewegung weltweit darstellt. Der Vordenker des modernen Judentums, Moses Mendelssohn (1729–1786), stammte aus Dessau, der Pionier der jüdischen Reformbewegung, Israel Jacobson (1768–1828) aus Halberstadt.

Rabbiner Ludwig Philippson, Begründer der Allgemeinen Zeitung des Judentums, welche als Sprachrohr der jüdischen Reformbewegung galt und die sich bis zu seinem Tode im Jahr 1889 zu einer der wichtigsten Zeitungen für liberale Jüdinnen und Juden in Deutschland entwickelte, weihte am 14. September 1851 die Synagoge in Magdeburg feierlich ein. Wie die meisten deutschen Gemeinden der damaligen Zeit praktizierte diese Magdeburger Gemeinde einen liberalen Ritus. Zur Feier des 25-jährigen Jubiläums der Synagoge schrieb die Allgemeinen Zeitung des Judentums:

«Nach einer Introduktion der Orgel mit Instrumentalbegleitung wurde Mah tobu recitirt, Psalm 84 in Responsen vom Vorbeter und der Gemeinde abgesungen und nach einem Männerquartett hielt Herr Rabbiner Dr. Rahmer die Festpredigt in ergreifender Weise. Dann wurden unter der gewöhnlichen Liturgie die Thorarollen ausgehoben und ein Umzug mit ihnen vollzogen. Hiernach fand eine Seelengedächnißfeier für die während des verflossenen Zeitraumes dahingeschiedenen Vorsteher und Mitglieder der Gemeinde statt und das Gebet für König und Vaterland und das große Halleluja von Handel bildeten den Schluss.»[2]

Im Jahr 1910 lebten in Magdeburg 1.843 Juden und Jüdinnen;[1] 1925 waren es 2.361 Personen.[3] Die liberalen Juden waren in der Regel stolz auf ihr Land und sahen sich als deutsche Patrioten. Als der Erste Weltkrieg im Juli 1914 begann, beteiligten sich Juden auf deutscher Seite aktiv daran. An diese Zeit erinnert ein Denkmal für gefallene jüdische Helden auf dem alten jüdischen Friedhof.

So bestanden in Magdeburg neben dem Central-Verein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens und dem Bund deutsch-jüdischer Jugend, Der Ring (ab 1936 Bund Jüdischer Jugend), auch Ortsgruppen des Reichsbunds jüdischer Frontsoldaten und dessen Sportvereinigung Der Schild. Das Jüdische Wochenblatt für Magdeburg und Umgegend erwähnt 1932 auch einen Walther Rathenau-Club. Juden nahmen bis 1938 aktiv am gesellschaftlichen Leben der Stadt Magdeburg teil.

In Magdeburg bestanden vor der Schoa neben der liberalen Gemeinde zu Magdeburg noch der orthodoxe Betverein „Ahawas Reim“ („Nächstenliebe“) und die orthodoxe Jüdische Vereinigung „Achduth“ („Einheit“); deren Mitglieder waren zumeist polnische Zuwanderer.

Die liberal ausgerichtete Synagogen-Gemeinde zu Magdeburg mit Sitz in der Großen Schulstraße 2c zählte über dreihundert Familien und stand in der Tradition von Rabbiner Dr. Ludwig Philippson (1811–1869), einem führenden Vertreter des liberalen Judentums, der von 1833 bis 1862 als Gemeinderabbiner wirkte. Von 1906 bis 1939 amtierte Rabbiner Dr. phil. Georg Wilde (1877–1949), Mitglied des Allgemeinen Rabbinerverbandes Deutschlands und der Vereinigung der liberalen Rabbiner Deutschlands. Von ihm erschien u. a. die Predigtsammlung Religiöse Bilder (1914). Die liberale Gemeinde verfügte über erheblichen Immobilienbesitz; ihr verbunden waren der Jüdisch-liberale Jugendbund „Heimat“ und die Ortsgruppe der Vereinigung für das liberale Judentum in Deutschland.[4]

Die liberale Jüdische Gemeinde war vor den Novemberpogromen 1938 des nationalsozialistischen Regimes ein fester Bestandteil der Magdeburger Gesellschaft. So wie in Magdeburg war vor der Schoa auch die Mehrheit der anhaltischen Juden und Jüdinnen liberal ausgerichtet. Einer ihrer Repräsentanten war der liberale anhaltische Landesrabbiner Dr. Isidor Walter (1872–1943), ein Absolvent der Berliner Hochschule für die Wissenschaft des Judentums. Er wurde 1900 Gemeinderabbiner von Dessau und Landesrabbiner von Anhalt, wurde 1933 als Landesrabbiner entlassen, wurde aber im Mai 1934 als Landesrabbiner des Landesverbandes Anhaltischer Israelitischer Kultusgemeinden eingesetzt und hatte dieses Amt bis 1939 inne.

Am 20. Oktober 1858 hatte sich die liberale Synagogengemeinde zu Halle konstituiert. Ihr letzter Rabbiner vor der Schoa war von 1911 bis 1938 Rabbiner Abraham Albert Kahlberg (1883–1966), der 1912 ebenso wie sein Bernburger Kollege Rabbiner Dr. Georg Kantorowsky (1883–1972), sein Köthener Kollege Rabbiner Dr. Benzion Seligkowitz (1864–1918) und der Magdeburger Rabbiner Dr. Georg Wilde zu den 65 progressiven Rabbinern gehörte, die 1912 die Richtlinien zu einem neuen Programm für das liberale Judentum unterzeichneten. Die „35 Grundsätze des liberalen Judentums“, die die Union progressiver Juden in Deutschland herausgegeben hat, knüpfen an diese wegweisenden Richtlinien an.[5]

Neuer Anfang für das liberale Judentum im Magdeburg[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im Oktober 2005 wurde die Liberale Jüdische Gemeinde zu Magdeburg[6] offiziell vom Amtsgericht Stendal anerkannt und erhielt den Namen „Jüdische Gemeinde zu Magdeburg e.V.“ Gründungsmitglied und erster Vorsitzender war Igor Tokar. In Odessa geboren, musste Tokars Familie nach Deutschland auswandern, um sich vor Antisemitismus zu retten. In Deutschland schloss er sich zunächst der Magdeburger Synagogengemeinde an, setzte sich aber später für die Gründung einer liberalen Jüdischen Gemeinde in Magdeburg ein als Glaubensort für Juden, die sich nicht der orthodoxen Glaubensrichtung des Judentums zugehörig fühlen. Igor Tokar ist am 24. September 2020 im Alter von 82 Jahren verstorben.

Im Gegensatz zur orthodox ausgerichteten Magdeburger Synagogengemeinde ist die liberal geprägte Jüdische Gemeinde zu Magdeburg bisher nicht von der Stadt Magdeburg beim Bau einer eigenen Synagoge oder für die gemeinsame Nutzung der 2023 eingeweihten Synagoge der Magdeburger Synagogengemeinde unterstützt worden. Am 18. Juni 2022 verlieh die Union progressiver Juden in Deutschland Frau Larisa Korshevnyuk, der Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde zu Magdeburg und Tochter Igor Tokars, für ihre Verdienste um den Aufbau und für ihren Einsatz für das Liberale Judentum in Deutschland die Israel-Jacobson-Plakette.

Vorsitzende[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • 2005–2020: Igor Tokar (Gründungsvorsitzender, verstorben 2020)
  • seit 2020: Larisa Korshevnyuk

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelreferenzen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b c Jüdische Gemeinde - Magdeburg (Sachsen-Anhalt). Abgerufen am 16. April 2023.
  2. a b Compact Memory / Allgemeine Zeitung des Judenthums : ein unpartheiisches Organ für alles jüdische Interesse in Betreff von Politik, Religion, Literatur, Geschichte, Sprachkunde und Belletristik : Jg. 40 (19.9.1876) Heft 38 (19.9.1876). BerlinLeipzig. Heft 38 Seite 613, 1876 (uni-frankfurt.de [abgerufen am 16. April 2023]).
  3. Geschichte jüdischer Gemeinden in Sachsen-Anhalt - Versuch einer Erinnerung, hg. vom. Landesverband Jüdischer Gemeinden Sachsen-Anhalt, Wernigerode 1997, S. 179 f. [1] Michael E. Abrahams-Sprod, Life under Siege: The Jews of Magdeburg
  4. Michael E. Abrahams-Sprod, Life under Siege: The Jews of Magdeburg under Nazi Rule (Dissertation, Department of Hebrew, Biblical and Jewish Studies, The University of Sydney, 2006)
  5. „35 Grundsätze des liberalen Judentums“. Abgerufen am 6. Mai 2023.
  6. Wir stellen uns vor, auf /sites.google.com, abgerufen am 27. April 2023