Licht-von-oben-Vorannahme

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Die linke Kreisfläche wird entsprechend der "Licht-von-oben"-Vorannahme eher als konvex wahrgenommen, die um 180° gedrehte rechte Fläche hingegen als konkav.

Als „Licht-von-oben“-Vorannahme (auch: „Licht-von-oben“-Heuristik, englisch: light-from-above prior) wird in der Psychologie der Befund bezeichnet, dass der Mensch aufgrund von Erfahrungen im Umgang mit der Umwelt gewöhnlich annimmt, dass Licht von oben kommt. Dies hat zur Folge, dass Licht- und Schattenmuster unter der Vorannahme interpretiert werden, dass eine einzelne Lichtquelle von oben herab scheint.

Beschreibung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Bei der Interpretation visueller Reize nimmt das visuelle System eine einzelne von oben herabscheinende Lichtquelle an.[1][2] Diese Vorannahme entspricht den Erfahrungen des Menschen mit der Umwelt, da die Sonne und auch künstliche Lichtquellen in der Regel oberhalb des Menschen positioniert sind.[1] Eine kreisrunde schattierte zweidimensionale Fläche, welche im oberen Bereich am hellsten ist und zum unteren Ende hin dunkler wird, wird folglich als konvexer Höcker wahrgenommen. Bei umgekehrtem Schattierungsmuster wird die Fläche hingegen als konkave Delle interpretiert.[3] Diese Wahrnehmungserfahrung zeigt sich auch bei komplexeren Mustern wie Fußabdrücken im Sand.[4]

Die „Licht-von-oben“-Vorannahme weist eine kleine Tendenz nach links auf. Das bedeutet, dass ein Objekt eher als konvex wahrgenommen wird, wenn es im oberen linken Bereich am hellsten ist und zum unteren rechten Bereich hin dunkler wird.[5][6] Diese Tendenz zur linken Seite scheint durch kulturelle Prägungen beeinflusst zu werden. Englischsprechende Personen lesen Texte von links nach rechts und weisen eine stärkere Tendenz nach links auf als Sprecher des Hebräischen, welche von rechts nach links lesen.[7] Die Händigkeit einer Person hat keinen signifikanten Einfluss auf die „Licht-von-oben“-Vorannahme.[8]

Die Vorannahme ist nicht starr. Durch Erfahrung mit der Umwelt wird sie angepasst. Dies kann beispielsweise geschehen, wenn im oberen Bereich hellere und im unteren Bereich dunklere Flächen haptisch nicht wie gewöhnlich konvex, sondern nun konkav erfahrbar sind.[3]

Retinales Abbild und Gravitation[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das visuelle System scheint maßgeblich auf retinale Informationen und nur zu einem kleinen Teil auf die Gravitation zurückzugreifen, um zu bestimmen, was in Bezug zum Menschen als „oben“ beziehungsweise „unten“ zu identifizieren ist.[9][10] Wenn der Kopf zur Seite geneigt wird, verschiebt sich folglich, wann ein Objekt als konvex oder konkav wahrgenommen wird, größtenteils aufgrund der Verschiebung der Kopfposition und des damit einhergehenden veränderten retinalen Abbildes.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: „Licht-von-oben“-Vorannahme – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
  • Stimuli zur Demonstration der „Licht-von-oben“-Vorannahme

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b Vilayanur S. Ramachandran: Perceiving Shape from Shading. In: Scientific American. Band 259, Nr. 2, 1988, S. 76–83.
  2. V. S. Ramachandran: Perception of shape from shading. In: Nature. Band 331, Nr. 6152, Januar 1988, ISSN 0028-0836, S. 163–166, doi:10.1038/331163a0 (nature.com [abgerufen am 10. Mai 2020]).
  3. a b Wendy J Adams, Erich W Graf, Marc O Ernst: Experience can change the 'light-from-above' prior. In: Nature Neuroscience. Band 7, Nr. 10, Oktober 2004, ISSN 1097-6256, S. 1057–1058, doi:10.1038/nn1312 (nature.com [abgerufen am 10. Mai 2020]).
  4. Marc O. Ernst, Massimiliano Di Luca: Multisensory Perception: From Integration to Remapping. In: Sensory Cue Integration. Oxford University Press, 2011, ISBN 978-0-19-538724-7, S. 224–250, doi:10.1093/acprof:oso/9780195387247.003.0012 (oxfordscholarship.com [abgerufen am 10. Mai 2020]).
  5. Lorin J. Elias, Brent M. Robinson: Lateral biases in assumptions of lighting position. In: Brain and Cognition. Band 59, Nr. 3, Dezember 2005, S. 303–305, doi:10.1016/j.bandc.2004.08.021 (elsevier.com [abgerufen am 10. Mai 2020]).
  6. Pascal Mamassian, Ross Goutcher: Prior knowledge on the illumination position. In: Cognition. Band 81, Nr. 1, August 2001, S. B1–B9, doi:10.1016/S0010-0277(01)00116-0 (elsevier.com [abgerufen am 10. Mai 2020]).
  7. B. Andrews, D. Aisenberg, G. d'Avossa, A. Sapir: Cross-cultural effects on the assumed light source direction: Evidence from English and Hebrew readers. In: Journal of Vision. Band 13, Nr. 13, 1. November 2013, ISSN 1534-7362, S. 2–2, doi:10.1167/13.13.2 (arvojournals.org [abgerufen am 10. Mai 2020]).
  8. Johan Wagemans, Andrea J Van Doorn, Jan J Koenderink: The Shading Cue in Context. In: i-Perception. Band I, Nr. 3, Dezember 2010, S. 159–177, doi:10.1068/i0401 (sagepub.com [abgerufen am 10. Mai 2020]).
  9. Wendy J Adams: Frames of reference for the light-from-above prior in visual search and shape judgements. In: Cognition. Band 107, Nr. 1, April 2008, S. 137–150, doi:10.1016/j.cognition.2007.08.006 (elsevier.com [abgerufen am 10. Mai 2020]).
  10. Michael Barnett-Cowan, Marc O. Ernst, Heinrich H. Bülthoff: Gravity-dependent change in the 'light-from-above’ prior. In: Scientific Reports. Band 8, Nr. 1, Dezember 2018, ISSN 2045-2322, S. 15131, doi:10.1038/s41598-018-33625-2 (nature.com [abgerufen am 10. Mai 2020]).