Nibelungenstrophe
Die Nibelungenstrophe ist die Form des metrischen und melodischen Baus der Verse im mittelhochdeutschen Nibelungenlied. Dessen Strophen sind aus vier paarweise gereimten Langzeilen aufgebaut, die jeweils aus Anvers (je nach Sichtweise drei oder vier Takte) und Abvers (in den ersten drei Versen drei Takte, im vierten Vers vier Takte) bestehen. Die Nibelungenstrophe ist im Wesentlichen identisch mit der Kürenberger-Strophe (siehe Der von Kürenberg).
Der Anvers hat immer eine feste Zahl von Hebungen. Von manchen Autoren wird er als dreihebig mit weiblicher Kadenz beschrieben.[1][2] Bevorzugt wird in der Forschung jedoch die Beschreibung als vierhebig mit klingender Kadenz.[3][4][5] Die Anverse enden fast immer weiblich klingend, das heißt auf die letzte betonte Silbe folgt noch eine Silbe mit einer Nebenhebung (máerèn), sehr selten kann hier auch eine männliche Kadenz (letzte Silbe betont) stehen.
Der Abvers hat in den ersten drei Verszeilen drei Hebungen. Im vierten Vers hat der Abvers wie der Anvers vier Hebungen. Durch den zusätzlichen vierten Takt im Abvers der letzten Langzeile wird die Strophe als Sinneinheit der Dichtung betont, wirkt stark abgeschlossen. Die Abverse enden meist männlich (also auf einer betonten Silbe). Bei der Gestaltung der Innentakte und Auftakte (Verstakte am Anfang des Verses außerhalb des eigentlichen Metrums) herrscht weitgehende Füllungsfreiheit, wobei eine leichte Neigung zum Alternieren, also zum regelmäßigen Wechsel zwischen betonten und unbetonten Silben zu beobachten ist.
Somit lautet das Strophenschema:[3]
(◡) | x́x | x́x | ─́ | x̀^ (◡) | x́x | x́x | x́^ | ^
(◡) | x́x | x́x | ─́ | x̀^ (◡) | x́x | x́x | x́^ | ^
(◡) | x́x | x́x | ─́ | x̀^ (◡) | x́x | x́x | x́^ | ^
(◡) | x́x | x́x | ─́ | x̀^ (◡) | x́x | ─́ | x̀x | x́
Die erste Strophe des Nibelungenlieds lautet in der Handschrift B:
[Ez wuohs] En Bvrgonden ein vil edel magedîn
daz in allen landen niht schoners mohte sîn
Chriemhilt geheizen si wart ein scœne wîp
dar vmbe mvosen degene vil verliesen den lîp.[6]
In der Handschrift C findet sich davor eine Einleitungsstrophe, die sicher ein jüngerer Zusatz ist und kaum auf den Dichter des „originalen“ Nibelungenliedes zurückgeht:
Uns ist in alten mæren wnders vil geseit
von heleden lobebæren, von grôzer arebeit,
von frevde vn– hôchgecîten, von weinen vn– [von] klagen,
von kvner recken strîten mvget ir nv wnder horen sagen.[7]
Als Besonderheit reimen in dieser ersten Strophe auch die Enden der Anverse paarweise miteinander.
Die letzte Strophe 2379 des Nibelungenlieds lautet in einer Edition der Handschrift B:
Ine chan iv niht bescheiden waz sider dâ geschach
wan ritter vnd vrowen weinen man da sach
dar zv di edeln knehte ir lieben frivnde tôt
dâ hât daz mære ein ende diz ist der Nibelvnge <nôt> [8]
Die Melodie zur Nibelungenstrophe ist nicht erhalten. Es wurden jedoch unterschiedliche Versuche unternommen, sie aus zwei spätmittelalterlichen Dichtungen, die eine mit dem Nibelungenlied metrisch nahezu identische Struktur aufweisen, zu rekonstruieren (zum einen aus dem Jüngeren Hildebrandslied, zum anderen aus der Trier-Alsfelder Marienklage). Auf der Grundlage dieser beiden voneinander abweichenden Melodie-Rekonstruktionen hat man sich in jüngerer Zeit an Teilaufführungen des Nibelungenlieds gewagt.
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Karl Simrock: Die Nibelungenstrophe und ihr Ursprung: Beitrag zur deutschen Metrik. Weber, Bonn 1858; Digitalisat in der Google-Buchsuche.
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Mittelhochdeutsche Metrik Online: Das Nibelungenlied. Germanistisches Institut der Universität Münster
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Gunter E. Grimm: Nibelungenstrophe. In: Dieter Burdorf, Christoph Fasbender, Burkhard Moennighoff (Hrsg.): Metzler Lexikon Literatur. 3. Auflage. Metzler, Stuttgart 2007, ISBN 978-3-476-01612-6, S. 543 f.
- ↑ Horst Brunner: Geschichte der deutschen Literatur des Mittelalters und der Frühen Neuzeit im Überblick. Durchgesehene und bibliographisch aktualisierte Ausgabe. Reclam, Stuttgart 2022, ISBN 978-3-15-017680-1, S. 110.
- ↑ a b Helmut Brackert (Hrsg.): Das Nibelungenlied. Mittelhochdeutscher Text und Übertragung. Band 1. Neuauflage. Fischer, Frankfurt am Main 2008, ISBN 978-3-596-90131-9, S. 381 f.
- ↑ Gert Hübner, Cordula Kropik, Stefan Rosmer, Lysander Büchli: Ältere deutsche Literatur. Eine Einführung. 3. Auflage. Narr, Francke, Attempto, Tübingen 2023, ISBN 978-3-8252-5942-6, S. 188–190.
- ↑ Mittelhochdeutsche Metrik Online: Nibelungenlied – Strophe 1, Vers 1. Germanistisches Institut der Universität Münster, abgerufen am 1. März 2024
- ↑ 1. Aventiure nach der digitalen Edition von Hermann Reichert
- ↑ 1. Aventiure nach der digitalen Edition von Hermann Reichert
- ↑ 39. Aventiure nach der digitalen Edition von Hermann Reichert