In der algebraischen Geometrie ist die Schnittzahl , Vielfachheit oder Schnittmultiplizität eine Eigenschaft eines Schnittpunktes zweier algebraischen Kurven . Es ist eine positive, ganze Zahl, die angibt, wie oft ein Schnittpunkt in bestimmten Kontexten gezählt werden muss.
Sei
k
{\displaystyle k}
ein algebraisch abgeschlossener Körper und seien
F
{\displaystyle F}
und
G
{\displaystyle G}
ebene affine algebraische Kurven in
k
2
{\displaystyle k^{2}}
. Die Schnittzahl von
F
{\displaystyle F}
und
G
{\displaystyle G}
im Punkt
P
∈
k
2
{\displaystyle P\in k^{2}}
wird mit
I
(
P
,
F
∩
G
)
{\displaystyle I(P,F\cap G)}
bezeichnet und ist definiert durch:
I
(
P
,
F
∩
G
)
:=
dim
k
(
O
P
(
k
2
)
/
(
F
,
G
)
)
{\displaystyle I(P,F\cap G):=\dim _{k}\left({\mathcal {O}}_{P}(k^{2})/(F,G)\right)}
Dabei bezeichnet
O
P
(
k
2
)
{\displaystyle {\mathcal {O}}_{P}(k^{2})}
den im Punkt
P
{\displaystyle P}
lokalisierten Ring der regulären Funktionen
O
(
k
2
)
{\displaystyle {\mathcal {O}}(k^{2})}
der affinen Varietät
k
2
{\displaystyle k^{2}}
.
F
{\displaystyle F}
und
G
{\displaystyle G}
schneiden sich eigentlich in
P
{\displaystyle P}
, wenn sie keine gemeinsame Komponente haben, die
P
{\displaystyle P}
enthält.
F
{\displaystyle F}
und
G
{\displaystyle G}
schneiden sich transversal in
P
{\displaystyle P}
, wenn
P
{\displaystyle P}
ein Einfachpunkt beider Kurven ist und die Tangenten beider Kurven in diesem Punkt verschieden sind.
Die Schnittzahl weist folgende Eigenschaften auf:
Falls sich
F
{\displaystyle F}
und
G
{\displaystyle G}
in
P
{\displaystyle P}
eigentlich schneiden, ist
I
(
P
,
F
∩
G
)
{\displaystyle I(P,F\cap G)}
eine nicht-negative ganze Zahl, ansonsten ist
I
(
P
,
F
∩
G
)
=
∞
{\displaystyle I(P,F\cap G)=\infty }
.
I
(
P
,
F
∩
G
)
=
0
⟺
P
∉
F
∩
G
{\displaystyle I(P,F\cap G)=0\Longleftrightarrow P\not \in F\cap G}
und
I
(
P
,
F
∩
G
)
{\displaystyle I(P,F\cap G)}
ist nur von den Komponenten von
F
{\displaystyle F}
und
G
{\displaystyle G}
abhängig, welche durch
P
{\displaystyle P}
gehen.
Sei
T
{\displaystyle T}
eine affine Koordinatentransformation von
k
2
{\displaystyle k^{2}}
mit
T
(
Q
)
=
P
{\displaystyle T(Q)=P}
, dann gilt:
I
(
P
,
F
∩
G
)
=
I
(
Q
,
F
∘
T
∩
G
∘
T
)
{\displaystyle I(P,F\cap G)=I(Q,F\circ T\cap G\circ T)}
I
(
P
,
G
∩
F
)
=
I
(
P
,
F
∩
G
)
{\displaystyle I(P,G\cap F)=I(P,F\cap G)}
I
(
P
,
F
∩
G
)
≥
m
P
(
F
)
⋅
m
P
(
G
)
{\displaystyle I(P,F\cap G)\geq m_{P}(F)\cdot m_{P}(G)}
mit Gleichheit genau dann, wenn
F
{\displaystyle F}
und
G
{\displaystyle G}
in
P
{\displaystyle P}
keine gemeinsamen Tangenten haben.
Falls
F
=
∏
i
=
1
n
F
i
r
i
{\displaystyle F=\prod _{i=1}^{n}F_{i}^{r_{i}}}
und
G
=
∏
i
=
1
m
G
j
s
j
{\displaystyle G=\prod _{i=1}^{m}G_{j}^{s_{j}}}
, dann gilt:
I
(
P
,
F
∩
G
)
=
∑
i
,
j
r
i
s
j
I
(
P
,
F
i
∩
G
j
)
{\displaystyle I(P,F\cap G)=\sum _{i,j}r_{i}s_{j}I(P,F_{i}\cap G_{j})}
I
(
P
,
F
∩
G
)
=
I
(
P
,
F
∩
(
G
+
A
F
)
)
∀
A
∈
O
(
k
2
)
{\displaystyle I(P,F\cap G)=I(P,F\cap (G+AF))\quad \forall A\in {\mathcal {O}}(k^{2})}
Wenn
P
{\displaystyle P}
ein Einfachpunkt von
F
{\displaystyle F}
ist, dann gilt
I
(
P
,
F
∩
G
)
=
o
r
d
P
F
(
G
)
{\displaystyle I(P,F\cap G)=\mathrm {ord} _{P}^{F}(G)}
.
Wenn
F
{\displaystyle F}
und
G
{\displaystyle G}
keine gemeinsamen Komponenten haben, so gilt:
∑
P
∈
k
2
I
(
P
,
F
∩
G
)
=
dim
k
(
O
(
k
2
)
/
(
F
,
G
)
)
{\displaystyle \sum _{P\in k^{2}}I(P,F\cap G)=\dim _{k}\left({\mathcal {O}}(k^{2})/(F,G)\right)}
Durch diese Eigenschaften ist die Schnittzahl zugleich eindeutig bestimmt.
Sei
k
{\displaystyle k}
ein algebraisch abgeschlossener Körper von Charakteristik
0
{\displaystyle 0}
und
F
=
(
X
−
1
)
(
Y
2
−
X
3
)
2
{\displaystyle F=(X-1)(Y^{2}-X^{3})^{2}}
sowie
G
=
(
X
−
1
)
2
(
Y
2
−
X
3
−
X
2
)
{\displaystyle G=(X-1)^{2}(Y^{2}-X^{3}-X^{2})}
. Man findet folgende Schnittpunkte:
(
1
,
y
)
,
y
∈
k
{\displaystyle (1,y),\;y\in k}
. In diesem Fall liegen die Punkte in einer gemeinsamen Komponente
X
−
1
{\displaystyle X-1}
von
F
{\displaystyle F}
und
G
{\displaystyle G}
, also gilt:
I
(
(
1
,
y
)
,
F
∩
G
)
=
∞
{\displaystyle I((1,y),F\cap G)=\infty }
(
0
,
0
)
{\displaystyle (0,0)}
: Unter Benutzung der Eigenschaften der Schnittzahl berechnet man:
I
(
(
0
,
0
)
,
F
∩
G
)
=
I
(
(
0
,
0
)
,
(
Y
2
−
X
3
)
2
∩
(
Y
2
−
X
3
−
X
2
)
)
{\displaystyle I((0,0),F\cap G)=I((0,0),(Y^{2}-X^{3})^{2}\cap (Y^{2}-X^{3}-X^{2}))}
=
2
⋅
I
(
(
0
,
0
)
,
(
Y
2
−
X
3
)
∩
(
Y
2
−
X
3
−
X
2
)
)
=
2
⋅
I
(
(
0
,
0
)
,
(
Y
2
−
X
3
)
∩
X
2
)
{\displaystyle =2\cdot I((0,0),(Y^{2}-X^{3})\cap (Y^{2}-X^{3}-X^{2}))=2\cdot I((0,0),(Y^{2}-X^{3})\cap X^{2})}
=
2
⋅
m
(
0
,
0
)
(
Y
2
−
X
3
)
⋅
m
(
0
,
0
)
(
−
X
2
)
=
2
⋅
2
⋅
2
=
8
{\displaystyle =2\cdot m_{(0,0)}(Y^{2}-X^{3})\cdot m_{(0,0)}(-X^{2})=2\cdot 2\cdot 2=8}
Durch Einführen homogener Koordinaten lässt sich Definition der Schnittzahl auf projektive ebene Kurven ausdehnen. Der Satz von Bézout besagt dann, dass für projektive ebene Kurven
F
,
G
{\displaystyle F,G}
ohne gemeinsame Komponenten gilt:
∑
P
∈
P
2
(
k
)
I
(
P
,
F
∩
G
)
=
deg
F
⋅
deg
G
{\displaystyle \sum _{P\in \mathbb {P} ^{2}(k)}I(P,F\cap G)=\deg F\cdot \deg G}
Beschränkt man sich auf affine ebene Kurven ohne gemeinsame Komponenten, gilt hingegen nur die Ungleichung:
∑
P
∈
k
2
I
(
P
,
F
∩
G
)
≤
deg
F
⋅
deg
G
{\displaystyle \sum _{P\in k^{2}}I(P,F\cap G)\leq \deg F\cdot \deg G}
Eine Verallgemeinerung auf Varietäten höherer Dimensionen ist möglich, siehe dazu das mit dem Leroy P. Steele Prize ausgezeichnete Werk „Intersection Theory“ von William Fulton .
William Fulton: Algebraic Curves. An Introduction to Algebraic Geometry. Mathematics lecture note series, 30. Benjamin/Cummings, New York 1969, ISBN 0-201-51010-3
William Fulton: Intersection Theory. Ergebnisse der Mathematik und ihrer Grenzgebiete. Folge 3. Springer, Berlin 1998, ISBN 3-540-62046-X