Schnurkeramische Kultur

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Als Schnurkeramische Kultur (fachsprachlich kurz Schnurkeramik oder SK; besser Kultur mit Schnurkeramik, veraltet Streitaxt-Kultur) bezeichnet man zusammenfassend einen Kulturkreis des späten Neolithikums (ca. 2800 bis 2200 v. Chr.), der nach der charakteristischen Art seiner Gefäßverzierung benannt ist (mittels einer Schnur in den frischen Ton eingedrückte Rillenmuster). Die Schnurkeramik erstreckt sich bis in das nordmitteleuropäische Flachland und den südlichen Ostseeraum, wo sie forschungsgeschichtlich bedingt Einzelgrabkultur, weiter im Norden Bootaxtkultur genannt wird.

Forschungsgeschichte

Die Schnurkeramik (SK) wurde von Friedrich Klopfleisch als eigenständige Gruppe gegenüber der älteren Bandkeramik aufgestellt (1883/84) und nach der typischen Verzierung benannt. Alfred Götze definierte bereits 1891 eine ältere und eine jüngere Stufe. Götze rechnete allerdings auch noch die Rössener Keramik zur Schnurkeramik, die er an das Ende dieser Kultur setzte. In Böhmen hielt L. Pic (1899) die SK für gleichzeitig mit der Bandkeramik. Insgesamt hielt er die SK für älter als die Bandkeramik. Damit stand er im Gegensatz zu Otto Tischler in Königsberg, der die SK bereits 1883 an das Ende des Neolithikums gesetzt hatte. 1898 konnte K. Schumacher anhand von Stratigraphien süddeutscher Pfahlbausiedlungen zeigen, dass die Schnurkeramik an das Ende des Neolithikums und den Übergang zur Bronzezeit zu stellen war.

Verbreitung

Ausbreitung der Schnurkeramik ("Corded Ware")

Das Verbreitungsgebiet der Schnurkeramik erstreckte sich zeitweilig von der Schweiz und Mitteleuropa über Südskandinavien bis nach Zentralrussland. Den regional voneinander abweichenden Gruppen ist die Keramikverzierung, Bestattungssitten und die Verwendung von sogenannten Streitäxten gemeinsam. Die skandinavische Gruppe, die Äxte in Form eines Bootes benutzte, wird Bootaxtkultur genannt. In Russland heißt die zeitgleiche Kultur mit schnurkeramischen Merkmalen Fatjanowokultur.

Gliederung

Die Schnurkeramik lässt sich in drei überregionale Gruppen unterteilen, die eine mehr oder weniger homogene Einheit bilden.

  • die Südgruppe umfasst das Elsaß, Hessen, Süddeutschland, die Schweiz, Österreich, Böhmen, Mähren und in Mitteldeutschland Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt.
  • die Nordgruppe ist mit der Standfußbecher-, Einzelgrab- und Haffküstenkultur gleichzusetzen. Sie kommt in West- und Norddeutschland, in den Niederlanden, Dänemark, Südschweden, im Küstenbereich von Polen, in Ostpreußen und dem Baltikum vor.
  • die dritte Gruppe, die sich allerdings stark von den ersten unterscheidet, kann in Osteuropa lokalisiert werden.

Ursprung

Einige Forscher (die sogenannten Immobilisten) nehmen eine autochthone Entwicklung und gesellschaftliche Veränderungen an (Ausbildung eines neuen Prestigegütersystems, vgl. Sherratt 1977). Dagegen nimmt die Mehrzahl der europäischen Archäologen eine Einwanderung größerer Gruppen aus dem Osten an. Derzeit liegen die frühesten Datierungen mit dem 29. Jh. aus Kleinpolen vor (Furholt 2003). Zur Festlegung eines Ursprungsgebietes fehlen vor alem noch verlässliche Arbeiten aus Osteuropa.

Bestattung

Typisch sind Einzelbestattungen in Hocklage unter Grabhügeln; d.h. die Toten wurden mit angezogenen Beinen auf der Seite hockend bestattet, Frauen mit dem Kopf nach Osten und Männer mit dem Kopf nach Westen. Damit blickt der Tote stets nach Süden. Es kommen aber, mit relativ kurzer Verzögerung auch Nachbestattungen in Megalithanlagen hinzu. Die unterschiedlich aufwendige Ausstattung der Grabbeigaben deutet erstmals auf eine beginnende soziale Differenzierung menschlicher Gesellschaften hin.[1]

Siedlungen

Das Fehlen an Siedlungsfunden führte in der Anfangsphase der Schnurkeramikforschung dazu, dass man davon ausging, dass die Träger dieser Kultur eine nomadische, nicht sesshafte Lebens- und Wirtschaftsweise betrieben. Diese Sichtweise hielt sich sehr lange. Bis zum heutigen Tag wird der Mangel an Siedlungen als Charakteristikum der Schnurkeramik angesehen, obwohl sich die Schnurkeramik, in dem Fall, nicht von anderen spät- und endneolithischen Kulturen unterscheidet. Vermehrte Siedlungsfunde (u.a. etliche Hausgrundrisse, Brunnenfunde) und Hinweise auf die Wirtschaftsweise (Getreidekörner, Abdrücke von Nutzpflanzen in Keramikgefäßen, Knochenfunde, Pflüge, Rindergespanne, Wagen etc.) zeigten ganz deutlich, dass die Träger der Schnurkeramik nicht nur sesshaft gewesen sind, sondern den Ackerbau und die Viehhaltung in höchster Vollendung beherrschten. Durch spezialisierte Arbeitsteilungen und technische Innovationen waren sie in der Lage einen sehr effektiven Pflanzenanbau und eine auf Transhumanz basierender Viehwirtschaft zu betreiben.

Schnurkeramik und Indogermanen

Viele Sprachwissenschaftler vermuten, dass die Träger der Streitaxtkultur die Vorfahren der späteren Germanen, Balten und Slawen (die Nordgruppe der Indoeuropäer, die sog. Slawogermanische Gruppe) sowie eventuell auch der Kelten und der Italiker in sich vereinigten. Ein Zusammenhang mit der sog. Kurgankultur lässt sich beim gegenwärtigen Stand der Forschung archäologisch nicht sicher herstellen. Die Annahme, dass die Schnurkeramiker das Urvolk der Indoeuropäer gewesen seien, ist nicht beweisbar. Immer noch in der Diskussion ist hingegen, ob die Schnurkeramiker die älteste Einwanderergruppe der heutzutage indoeuropäisch genannten Sprachgemeinschaften in Mitteleuropa darstellen, wenn man davon ausgeht, dass diese eher aus der Ukraine oder evtl. auch aus Anatolien stammen und erst durch Einwanderung nach Mitteleuropa gelangten als dass diese autochthon in Mittel- oder gar Nordeuropa entstanden seien.

Siehe auch: Einzelgrabkultur

Einzelnachweise

  1. Almut Bick: Die Steinzeit. Theiss WissenKompakt, Stuttgart 2006. ISBN 3-8062-1996-6

Literatur

Archäologie

  • David.W. Anthony: 'Persistent identity and Indo-European archaeology in the western steppes'. in Early contacts between Uralic and Indo-European: Linguistic and archaeological considerations. Helsinki 2001.
  • J. E. Forssander: Die schwedische Bootaxtkultur und ihre kontinentaleuropäischen Voraussetzungen. Lund 1933.
  • Martin Furholt: Absolutchronologie und die Entstehung der Schnurkeramik. In: [www.jungsteinsite.de 2003.] (Artikel vom 16. Dezember 2003)
  • Martin Furholt: Die absolutchronologische Datierung der Schnurkeramik in Mitteleuropa und Südskandinavien. Universitätsforschungen zur prähistorischen Archäologie 101. Habelt, Bonn 2003. ISBN 3-7749-3206-9
  • A. Häusler: Die östlichen Beziehungen der schnurkeramischen Becherkulturen. In: H. Behrens u. Friedrich Schlette (Hrsg.), Die neolithischen Becherkulturen im Gebiet der DDR und ihre europäischen Beziehungen. Veröff. Landesmuseum Halle 24. Dt. Verl. d. Wiss., Berlin 1969, 255-275. ISSN 0072-940X
  • A. Häusler: Zur Frage der Beziehungen zwischen dem nordpontischen Raum und den neolithischen Kulturen Mitteleuropas. in: Jahresschrift mitteldeutsche Vorgeschichte 64, 1981, 229-237. ISSN 0075-2932
  • D. Hecht: "Die endneolithische Besiedlung des Atzelberges bei Ilvesheim (Rhein-Neckar-Kreis). Ein Beitrag zum endneolithischen Siedlungswesen am nördlichen Oberrhein" (Heidelberg 2003) ISBN 3-8330-0778-8
  • D. Hecht, Das Siedlungswesen der Schnurkeramik im südlichen Mitteleuropa. Eine Studie zu einer vernachlässigten Fundgattung im Übergang vom Neolithikum zur Bronzezeit. http://www.ub.uni-heidelberg.de/archiv/7313
  • J. Köninger, H. Schlichtherle: Zur Schnurkeramik und Frühbronzezeit am Bodensee. in: Fundberichte aus Baden-Württemberg. Theiss, Stuttgart 15, 1990, 149-173. ISSN 0071-9897
  • J.P. Mallory: In Search of the Indo-Europeans: Language, Archaeology and Myth. Thames & Hudson, London 1991. (Repr.) ISBN 0-500-27616-1
  • J. Müller (Hrsg.): Vom Endneolithikum zur Frühbronzezeit: Muster sozialen Wandels? Universitätsforschungen zur prähistorischen Archäologie 90. Habelt, Bonn 2003. ISBN 3-7749-3138-0
  • Johannes Müller: Zeiten ändern sich. in: Archäologie in Deutschland (AiD). 1999,2. ISSN 0176-8522
  • J. Müller/T. Seregély (Hrsg.), Wattendorf-Motzenstein. Eine schnurkeramische Siedlung auf der Nördlichen Frankenalb. Naturwissenschaftliche Ergebnisse und Rekonstruktion des schnurkeramischen Siedlungswesens in Mitteleuropa. Endneolithische Siedlungsstrukturen in Oberfranken II. UPA 155 (Bonn 2008) ISBN 978-3-7749-3553-2
  • U. Ruoff: Die schnurkeramischen Räder von Zürich. in: Archäologisches Korrbl. 8, 1978, 275-283. MainzISSN 0352-734X(?!?!)
  • T. Seregély, Wattendorf-Motzenstein. Eine schnurkeramische Siedlung auf der Nördlichen Frankenalb. Studien zum dritten vorchristlichen Jahrtausend in Nordostbayern. Endneolithische Siedlungsstrukturen in Oberfranken I. UPA 154 (Bonn 2008) ISBN 978-3-7749-3552-5
  • Michael Stock: Die Schnurkeramik in Sachsen-Anhalt und Thüringen auf Grund der Grabgefäße. Alteuropäische Forschungen N.F. 2. Beier und Beran, Weissbach 1998. ISBN 3-930036-33-9.
  • Andrew Sherratt, Cups that cheer. In: ders, Economy and society in prehistoric Europe: changing perspectives. Princeton, Princeton University Press 1997.
  • C. Strahm: Die Dynamik der schnurkeramischen Entwicklung in der Schweiz und in Südwestdeutschland. In: Die kontinentaleuropäischen Gruppen der Kultur mit Schnurkeramik. Schnurkeramik-Symposium Praha-Stirin 1990. Praehistorica 19. Univerzita Karlova, Prag 1992, 163-177. ISBN 80-7066-527-0
  • Roland R. Wiermann: Die Becherkulturen in Hessen. Glockenbecher - Schnurkeramik - Riesenbecher. Leidorf, Rahden 2004. ISBN 3-89646-792-1

Linguistik

  • Robert S.P. Beekes: Comparative Indo-European Linguistics. An Introduction. Benjamins, Amsterdam 1995. ISBN 1-55619-505-2
  • J.P. Mallory, D. Q. Adams (Hrsg.): Encyclopedia of Indo-European Culture. Fitzroy Dearborn, London 1997. ISBN 1-884964-98-2

Weblinks