Whisker (Kristallographie)

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 18. März 2019 um 00:29 Uhr durch Binter (Diskussion | Beiträge) (→‎Whisker–Herstellung). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Massive Whiskerbildung auf einem verzinkten Stahlband

Whisker (englisch für Schnurrhaar (Vibrisse) oder Backenbart), auch Haarkristalle, sind nadelförmige Einkristalle von wenigen Mikrometern Durchmesser und bis zu mehreren hundert Mikrometern bis mehrere Millimeter Länge, die aus galvanisch oder pyrolytisch abgeschiedenen metallischen Schichten herauswachsen. Im Bereich von Lötverbindungen sind Whisker mit einer Länge von mehreren Millimetern bekannt.[1] Whisker werden aber auch gezielt durch spezielle Verfahrenstechniken zur Verstärkung von Metallen (Metallmatrix-Verbundwerkstoff) hergestellt. Diese feinen hochfesten, monokristallinen Fasern, die eine geringe Defektdichte aufweisen und damit die theoretische Streckgrenze erreichen,[2] werden in einer Feinheit von 1–30 µm und einer Faserlänge bis zu 20 mm z. B. aus Aluminiumoxid, Graphit, Siliciumcarbid und Siliciumnitrid erzeugt.[3][4]

Whiskerneigung der Werkstoffe

Einige Werkstoffe neigen verstärkt zur Whiskerbildung. Hierunter fallen beispielsweise Antimon, Cadmium, Indium, Zink und Zinn.[1]

Da Whisker Einkristalle sind, haben sie ein sehr homogenes Gefüge, fast frei von Kristallfehlern. Als Kristallfehler können beispielsweise Schraubenversetzungen auftreten. Whisker weisen wesentlich höhere Festigkeiten als polykristalline Gefüge auf. Keramische Schneidstoffe werden beispielsweise mit SiC-Whiskern versetzt, um die Verschleißfestigkeit zu erhöhen.

Beim Whiskerwachstum handelt es sich um einen dynamischen Prozess mit zahlreichen Einflussmöglichkeiten. Das Längenwachstum der Whisker kann bis zu 3 mm pro Jahr betragen.[1]

Whisker bei elektronischen Baugruppen

Whiskerwachstum

Whiskerwachstum vom verzinnten Gehäuse aus durch die Gel-Füllung im Inneren eines historischen Transistors, Durchmesser des abgenommenen Gehäuses etwa 5 mm, entfernter Transistoreinbau im Hintergrund

Whisker entstehen bei Baugruppen teilweise erst nach Jahren Betrieb. Hierbei kann die beginnende Gefahr von außen nicht gemessen werden. Der Whisker hat erst dann einen Einfluss, wenn es zu einer elektrischen Verbindung zwischen zwei elektrischen Netzen kommt.

Beim Whiskerwachstum kommt es zum Transport von Atomen. Das Whiskerwachstum tritt verstärkt bei mittleren Temperaturen auf. Bei niedrigen Temperaturen ist die Mobilität der Atome nicht so groß. Bei größeren Temperaturen können sich Spannungen im Material leichter abbauen.[1] Für Zinn (Teil des Lotwerkstoffs) liegt der mittlere Temperaturbereich zwischen der Raumtemperatur und 70 °C / 80 °C.[1]

Weiterhin muss bei der Whiskerbildung bei einer Lotlegierung der Zinnanteil betrachtet werden. Wenn der Zinnanteil der Legierung kleiner als 70 Prozent ist, tritt der Effekt des Whiskerwachstums nicht auf.[1]

Weiterhin tritt das Whiskerwachstum verstärkt an Bauelementen oder Leiterplatten auf, die unter einer mechanischen Spannung stehen.[1]

Bei der Whiskerbildung muss zwischen galvanisch abgeschiedenen Schichten und aufgeschmolzenen Schichten unterschieden werden. Die aufgeschmolzenen Schichten besitzen generell eine geringere Wahrscheinlichkeit zur Whiskerbildung.[1][5]

Folgen der Whiskerbildung

Whiskerbildungen auf einer elektronischen Leiterplatte

Die Strombelastbarkeit der Whisker liegt im mA-Bereich und kann bis zu 10 mA betragen.[5] Bei größeren Strömen brennen die Whisker zwar häufig wieder durch, bis dahin kann der geflossene Strom aber schon zur Bauteilschädigung oder zu Fehlfunktionen geführt haben.

Whisker entstehen besonders leicht bei Baugruppen, die mit bleifreien Zinn-Loten verarbeitet wurden, und können Kurzschlüsse auf galvanisch hergestellten Leiterplatten oder zwischen Bauelementen verursachen. In sicherheitskritischen Anwendungen der Elektronik, beispielsweise ABS- oder ESP-Systemen bei Kraftfahrzeugen, werden wegen der mangelnden Langzeitstabilität weiterhin bleihaltige Lote verwendet, da bisher nur dadurch die Whisker-Bildung verhindert werden kann. Mit Einführung der neuen Altfahrzeugverordnung, die unter anderem die Verwendung von bleihaltigen Materialien untersagt, werden bleifreie Lötverfahren für die gesamte Autoelektronik zwingend.

Unterdrückung des Whiskerwachstums

Das Whiskerwachstum kann durch Aufbringen von Zwischenschichten weitgehend unterdrückt werden. Als häufige Zwischenschicht findet hierbei Nickel Anwendung. Damit diese Zwischenschicht auch wirksam wird, muss diese eine Mindestdicke von 3 µm besitzen. Als weitere Werkstoffe für Zwischenschichten können auch Gold und Silber verwendet werden.[1]

Allgemein neigen galvanisch aufgebrachte Schichten verstärkt zur Whiskerbildung. Durch die Verwendung von heiß aufgetragenen Schichten kann das Risiko der Whiskerbildung minimiert werden.[1] Weiterhin kommt es zu einer Verbesserung, wenn galvanisch aufgetragene Schichten nachträglich aufgeschmolzen werden.[1]

Weiterhin kann die Whiskerbildung dadurch minimiert werden, indem die an den Leiterplatten und Baugruppen anliegenden mechanischen Spannungen minimiert werden.[1] Dies umfasst auch mechanische Kräfte an Klemm- und Schraubverbindungen bei Baugruppen.[1]

Durch die Verwendung von bleihaltigen Lotwerkstoffen anstelle von bleifreien Lotwerkstoffen kann das Risiko des Whiskerwachstums minimiert werden.[1] Beim bleihaltigen Lot liegt der Zinnanteil häufig im Bereich von 60 Prozent, während der Zinnanteil bei bleifreien Loten deutlich über 90 Prozent liegt.

Ein Überzug der Leiterplatte mit einem Schutzlack (Conformal Coating), der vor Feuchtigkeit und Schmutz schützen soll, kann das Wachstum von Whiskern verlangsamen, aber nicht verhindern.[6]

Whisker–Herstellung

Für die Erzeugung von Whiskern kann ein Wachstum aus übersättigten Gasen, aus Lösungen durch chemische Zersetzung, durch Elektrolyse, aus Schmelzen oder aus Festkörpern ausgenutzt werden, wobei meist Katalysatoren notwendig sind. Whisker können sowohl von der Grundfläche als auch von der Spitze wachsen. Unter einer Vielzahl von Whisker-Zusammensetzungen haben sich Siliciumcarbid- und Si2N2-Whiskern als besonders geeignet zur Verstärkung von Metallen erwiesen.[7]

Literatur

  • Reinard J. Klein Wassink: Weichlöten in der Elektronik. 2. Auflage. Eugen G. Leuze, Saulgau 1991, ISBN 3-87480-066-0.
  • Wolfgang Scheel (Hrsg.): Baugruppentechnologie der Elektronik. Verlag Technik u. a., Berlin u. a. 1997, ISBN 3-341-01100-5.

Einzelnachweise

  1. a b c d e f g h i j k l m n Reinard J. Klein Wassink: Weichlöten in der Elektronik. 1991, S. 305 f.
  2. Eberhard Hornbogen, Gunther Eggeler, Ewald Werner: Werkstoffe – Aufbau und Eigenschaften von Keramik-, Metall-, Polymer- und Verbundwerkstoffen. 11., aktualisierte Auflage. Springer Verlag, Berlin 2017, S. 458.
  3. Hans-J. Koslowski: Chemiefaser – Lexikon . 12., erweiterte Auflage.Deutscher Fachverlag, Frankfurt am Main 2009, ISBN 978-3-87150-876-9, S. 248.
  4. K.U. Kainer: Metallische Verbundwerkstoffe. WILEY-VCH Verlag, Weinheim 2003, ISBN 3-527-30532-7, S. 85.
  5. a b Reinard J. Klein Wassink: Weichlöten in der Elektronik. 1991, S. 162 f.
  6. Jong S. Kadesch, Jay Brusse: The Continuing Dangers of Tin Whiskers and Attempts to Control Them with Conformal Coating. 2001, (PDF; 434 kB).
  7. K.U. Kainer: Metallische Verbundwerkstoffe. WILEY-VCH Verlag, Weinheim 2003, ISBN 3-527-30532-7, S. 86.