„Medizinische Geographie“ – Versionsunterschied

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Inhalt gelöscht Inhalt hinzugefügt
rest zu geschichte und themenfeldern ergänze ich noch
(kein Unterschied)

Version vom 1. März 2015, 20:08 Uhr

Die Medizinische Geographie (auch: Geomedizin, Geographie der Gesundheit, Geographische Gesundheitsforschung; veraltet: Nosogeographie) beschäftigt sich mit den räumlichen Determinanten von Krankheitsentstehung und -verbreitung einerseits sowie der Gesundheitsversorgung andererseits. Sie stellt eine Schnittstelle zwischen geographischer und medizinischer, insbesondere epidemiologischer, Forschung dar und besitzt im Vergleich zu anderen Teilgebieten der Geographie einen hohen Anwendungsbezug. Als eigenständige Disziplin entstand sie im deutschsprachigen Raum aus der Tropenhygiene bzw. Tropenmedizin heraus und bildet bis heute ein Nischenfach, während sie international stärker in die allgemeine geographische Forschung integriert ist.

Bezeichnung und disziplinäre Zuordnung

Der ältere und international anschlussfähigere Begriff Medizinische Geographie sowie der zwischenzeitlich institutionell stärker verankerte Ausdruck Geomedizin verweisen auf die beiden Entwicklungslinien des Fachs (vgl. den Geschichtsabschnitt). In Anlehnung an die anglo-amerikanische health geography finden inzwischen auch die Bezeichnungen Geographie der Gesundheit, Geographische Gesundheitsforschung Verwendung. Der durch Adolf Mühry geprägte Begriff Nosogeographie (vgl. Nosologie) ist nicht mehr gebräuchlich.

Die medizinische Geographie gehört traditionell zu den Kernfächern der physischen Anthropogeographie,[1] insbesondere mit ihrem ursprünglichen Fokus auf klimatische Bedingungen und zumal es Überschneidungsbereiche mit der geographischen Risikoforschung gibt.[2] Innerhalb der Medizin bestehen Anknüpfungspunkte etwa zur Umwelt- und zur Reisemedizin.

Geschichte

Karte der Cholera-Fälle in London 1854 von John Snow

Das dreibändige Werk Versuch einer allgemeinen medicinisch-practischen Geographie (1792–1795) von Leonhard Ludwig Finke enthält die erste bekannte kartographische Darstellung der weltweiten Verbreitung von Krankheiten und gilt als eines der Gründungswerke der neuzeitlichen medizinischen Geographie.[3] Im 19. Jahrhunderts erschienen weitere medizinisch-geographische Abhandlungen etwa von Adolf Mühry (Die geographischen Verhältnisse der Krankheiten, oder Grundzüge der Nosogeographie, 1856) und August Hirsch (Handbuch der historisch-geographischen Pathologie, 3 Bände, 1860–1864), deren Bedeutung nicht zuletzt in der damals noch verbreiteten Annahme begründet war, dass Umwelteinflüsse direkt für den Ausbruch von Krankheiten ursächlich waren (Miasmentheorie). Parallel dazu trug die Kartierung von Cholera-Fällen insbesondere durch John Snow in London zum Aufkommen der Bakteriologie bei. Als Hilfmittel der Krankheitsursachenermittlung verlagerte sich in der Folgezeit der Schwerpunkt medizinisch-geographischer Forschung in den Bereich der Kolonial- und Tropenmedizin.[4]

1931 grenzte Heinz Zeiss, in expliziter Anlehnung an den Begriff der Geopolitik, eine analytische Geomedizin von der deskriptiven medizinischen Geographie ab.[5] Letztere hatte demnach die Aufgabe, diejenigen Umweltfaktoren eines Gebiets zu beschreiben, die im Zusammenhang mit Ausbruch und Verbreitung von Krankheiten standen. Die Geomedizin hingegen sollte nicht nur die Analyse dieser Zusammenhänge betreiben, sondern mittels kartographischer Darstellungen direkt auf bevölkerungspolitische Entscheidungen einwirken.Dies bedeutete eine Abkehr von der in den Jahren zuvor aufgekommenen Sozialhygiene hin zu einer Rassenhygiene,[6] wie sie in den Folgejahren von den Nationalsozialisten betrieben wurde. So erstellte Zeiss, unter Mitarbeit von Helmut Jusatz und anderen, den für militärische Zwecke bestimmten Weltseuchenatlas.[7] Auch nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurde der „Sonderweg“[8] der Geomedizin fortgesetzt. 1952 erschien der erste Band des von Ernst Rodenwaldt herausgegebenen Weltseuchenatlas. Dieser gründete in demselben Jahr die Geomedizinische Forschungsstelle der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, welche nach dessen Tod 1965 bis 1985 von Jusatz geleitet wurde und die geomedizinische Forschung bestimmte. Neben Atlanten entstanden in dieser Zeit medizinische Länderkunden.[4][9] Diese weitgehende Isolation des Fachs führte nicht zuletzt auch dazu, dass eine kritische Auseinandersetzung mit dessen Ursprüngen in Kolonialismus und Rassenideologie ausblieb.[10][11]

Anders als in Deutschland wurde die medizinische Geographie nach dem Zweiten Weltkrieg international vor allem innerhalb der Geographie institutionalisiert, etwa in der Internationalen Geographischen Union oder, durch den französischen Tropenmediziner Jacques M. May, in der American Geographical Society. Auch wurde neben der Krankheits- die Gesundheitsforschung als zweites Forschungsgebiet etabliert.[8]

Themenfelder

Die Spatial epidemiology („räumliche Epidemiologie“) ist inzwischen ein eigenständiges interdisziplinäres Fachgebiet, das neben human- auch veterinärmedizinische Fragestellungen beinhaltet.

Einzelnachweise

  1. Karlheinz Paffen: Stellung und Bedeutung der Physischen Anthropogeographie. In: Erdkunde. Band 13, Nr. 4, 1959, S. 354–372, doi:10.3112/erdkunde.1959.04.08.
  2. Nancy D. Lewis, Jonathan D. Mayer: Disease as natural hazard. In: Progress in Human Geography. Band 12, Nr. 1, 1988, S. 15–33, doi:10.1177/030913258801200102.
  3. Frank A. Barrett: A medical geographical anniversary. In: Social Science & Medicine. Band 37, Nr. 6, 1993, S. 701–710, doi:10.1016/0277-9536(93)90363-9.
  4. a b Thomas Kistemann: Geographie, medizinische. In: Werner E. Gerabek et al. (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. de Gruyter, Berlin / New York 2004, S. 476–477.
  5. Heinz Zeiss: Geomedizin (geographische Medizin) oder Medizinische Geographie? In: Münchner Medizinische Wochenschrift. Band 5, 1931, S. 198–201.
  6. Sabine Schleiermacher: Der Hygieniker Heinz Zeiss und sein Konzept der „Geomedizin des Ostraums“. In: Rüdiger Vom Bruch (Hrsg.): Die Berliner Universität in der NS-Zeit, Band 2. Franz Steiner, Stuttgart 2005, S. 17–34.
  7. Jens Thiel: Der Lehrkörper der Friedrich-Wilhelms-Universität im Nationalsozialismus. In: Heinz-Elmar Tenorth, Rüdiger Vom Bruch (Hrsg.): Geschichte der Universität Unter den Linden, Band 2. Akademie-Verlag, Berlin 2012, ISBN 978-3-05-004667-9, S. 465–538.
  8. a b Thomas Kistemann, Jürgen Schweikart, Thomas Claßen, Charis Lengen: Medizinische Geographie: Der räumliche Blick auf Gesundheit. In: Deutsches Ärzteblatt. Band 108, Nr. 8, 2011, S. 386–388 (PDF-Version).
  9. Hans Jochen Diesfeld: Geomedicine. In: Timothy G. Ashworth (Hrsg.): Tropical Pathology (= Spezielle pathologische Anatomie). 2. Auflage. 8. Band. Springer, Berlin u.a. 1995, ISBN 3-540-57673-8, S. 25–59, doi:10.1007/978-3-642-57863-2_2.
  10. Olaf Briese: Angst in den Zeiten der Cholera. Akademie-Verlag, Berlin 2003, ISBN 3-05-003779-2.
  11. vgl. die Gedenkschrift Werner Fricke, Jürgen Schweikart (Hrsg.): Krankheit und Raum: dem Pionier der Geomedizin Helmut Jusatz zum Gedenken (= Erdkundliches Wissen. 115. Band). Franz Steiner, Stuttgart 1995, ISBN 3-515-06648-9.

Literatur

  • Tim Brown, Sara McLafferty, Graham Moon (Hrsg.): A Companion to Health and Medical Geography (= Blackwell companions to geography. 8. Band). Wiley-Blackwell, Malden u.a. 2010, ISBN 978-1-4051-7003-1, doi:10.1002/9781444314762.
  • Anthony C. Gatrell, Susan J. Elliott: Geographies of Health: An Introduction. 3. Auflage. Wiley-Blackwell, Malden u.a. 2014, ISBN 978-0-470-67287-7.
  • Jürgen Schweikart, Thomas Kistemann: Medizinische Geographie. Westermann, Braunschweig 2015, ISBN 978-3-14-160357-6 (Erscheinen angekündigt).

Weblinks