„Neugeborenenhörscreening“ – Versionsunterschied

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== Literatur ==
== Literatur ==
*{{Literatur | Autor=Sebastian Hoth, Roland Mühler, Katrin Neumann, Martin Walger| Titel=Objektive Audiometrie im Kindesalter | Auflage= | Verlag=Springer | Ort=Berlin-Heidelberg | Jahr=2014 | ISBN= 978-3-642-44935-2}}
* Neumann K. et al.: Effectiveness and Efficiency of a Universal Newborn Hearing Screening in Germany. Folia Phoniatrica et Logopaedica 2006; 58(6): 440–455

== Weblinks ==
== Weblinks ==
* [http://www.uzh.ch/orl/ci-zentrum/links/oae/oae.html ORL-Klinik Universitätsspital Zürich: Otoakustische Emissionen – Neugeborenenhörscreening]
* [http://www.uzh.ch/orl/ci-zentrum/links/oae/oae.html ORL-Klinik Universitätsspital Zürich: Otoakustische Emissionen – Neugeborenenhörscreening]

Version vom 20. September 2015, 12:30 Uhr

Das Neugeborenenhörscreening (NGHS) ist Teil des Neugeborenen-Screenings und umfasst die Untersuchung auf angeborene Hörstörungen bei Neugeborenen in einem Siebtest. Ziel dieser Screeninguntersuchungen ist es, möglichst alle Neugeborenen zu untersuchen. Ein frühes Erkennen einer Hörschädigung verbessert die Chancen, das in rund 98 % der Fälle vorhandene Restgehör bereits während der «kritischen Periode» des Spracherwerbs zu stimulieren.[1]

Essentielle Bestandteile des NGHS sind

  • die Untersuchungen selbst,
  • das Erfassen und Nachverfolgen auffälliger Testergebnisse (sogenanntes Tracking) durch Screeningzentralen
  • Zuführung zu einer fachgerechten Konfirmationsdiagnostik
  • gegebenenfalls die Versorgung schwerhöriger Kinder mit Hörgeräten sowie Einleitung der (Re-)Habilitation.

Die Durchführung der Untersuchung ist so einfach, dass sie auch von nichtärztlichem Personal (z. B. auf der Neugeborenenstation) durchgeführt werden kann.

Geschichte

Deutschland

In Deutschland gab es bis 2009 nur vereinzelt in einigen Regionen ein organisiertes NGHS. 2004 wurde ein interdisziplinäres Statement zum NGHS in Deutschland verabschiedet. [2] Vorreiter in der Ausführung war das Land Hessen, in dem 2006 ein flächendeckendes, strukturiertes NGHS über eine Screening-Identifikationsnummer eingeführt wurde. [3] Später kamen Teile von Bayern, Hamburg, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen in eigenen Projekten hinzu. Bis zum 1. Januar 2009 war das Hörscreening in Deutschland eine meist freiwillige Leistung z. B. der Entbindungskrankenhäuser, die entweder als kostenloser Service angeboten wurde oder über die Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) als Individuelle Gesundheitsleistung (IGeL) abgerechnet bzw. in einigen Regionen durch Sponsoring ermöglicht wurde. Nach Änderung der Kinderrichtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) am 19. Juni 2008 [4] ist die Untersuchung seit dem 1. Januar 2009 bundesweit eine Regelleistung für die gesetzlich Krankenversicherten. Bisher wurde für den stationären Bereich keine verbindliche Vergütungsvereinbarung mit den gesetzlichen Krankenkassen erzielt, für den ambulanten Sektor erfolgt eine regelhafte Vergütung erst seit dem 1. Oktober 2010 durch Einführung von Abrechnungsziffern im Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM).

Schweiz

Seit Ende der 1990er Jahre hat sich das Neugeborenenhörscreening in der Schweiz immer mehr verbreitet. Eine Arbeitsgruppe der Kommission für Audiologie und Expertenwesen der Schweizerischen ORL-Gesellschaft hat 1999 in Zusammenarbeit mit den Schweizerischen Gesellschaften für Pädiatrie und Neonatologie eine Empfehlung zur Durchführung des Hörscreenings bei allen Neugeborenen erarbeitet. Bei Neugeborenen im Spital wird eine Messung der otoakustischen Emissionen (OAE) durchgeführt, die nötigenfalls vor Spitalaustritt wiederholt werden kann. Der Screeningtest gilt als bestanden, wenn der OAE-Nachweis auf mindestens einem Ohr positiv ist.

Eine Umfrage bei allen 118 Kliniken, in denen landesweit Kinder geboren werden, ergab, dass im Jahre 2008 bei mehr als 80 % der Neugeborenen in der Schweiz ein Hörscreening durchgeführt wurde. 2 % der Kinder hatten das Screening nicht bestanden und mussten einer pädaudiologischen Nachuntersuchung zugeführt werden.

Eine Voraussetzung für die flächendeckende Durchführung des Hörscreenings in der Schweiz ist die Übernahme der Untersuchungskosten als Pflichtleistung der Krankenkassen (Grundversicherung)[5].

Vereinigte Staaten

Die Audiologin Marion Downs (1914–2014) lehrte an der University of Colorado und setzte sich seit den frühen 1960er Jahren für ein allgemeines Neugeborenenhörscreening ein. Sie versuchte die Fachwelt während 30 Jahren zu überzeugen, den Test in den Spitälern einzuführen und Säuglinge mit Hörgeräten zu versorgen, wenn sich ein Hörverlust zeigte.

International

In vielen Staaten wird das NGHS schon längere Zeit durchgeführt, so z. B. in Österreich, Belgien, Dänemark, Kuba, den USA. In weltweit 46 Staaten (Stand 2009) ist das NGHS gesetzlich verankert.

Häufigkeit von angeborenen Hörstörungen

Die Prävalenz beträgt bei reifen Neugeborenen 2–3:1000, in Risikogruppen (z. B. Frühgeborene, bei bestimmten Erkrankungen oder Problemen während der Schwangerschaft, der Geburt bzw. der Perinatalperiode) ca. 10-mal höher (20–30:1000).

Das flächendeckende Neugeborenenhörscreening ist sinnvoll, weil unerkannte, bei Geburt bestehende Hörstörungen zu Entwicklungsstörungen, besonders der Sprachentwicklung führen. Sie ermöglicht eine Intervention (Therapie usw.) in der «kritischen Phase» bis zum achten Lebensmonat, die für eine optimale Lautsprachentwicklung entscheidend ist.[6][7]

Das mittlere Lebensalter bei Erkennung einer angeborenen Schwerhörigkeit betrug nach einer Untersuchung 2005 in Hessen ohne vorheriges NGHS 39 Monate, mit NGHS 3 Monate.

Methoden

Es gibt zwei international anerkannte Methoden, dieses Screening bei Neugeborenen durchzuführen:

  1. Otoakustische Emissionen (OAE)
  2. frühe akustisch evozierte Potenziale (BERA, AEP)

Vor- und Nachteile der beiden Methoden sind in der medizinischen Literatur vielfach beschrieben, besonders hinsichtlich medizinischer, methodischer und ökonomischer Aspekte, hier kurz zusammengefasst:

  • OAE: die Messung ist relativ schnell durchführbar, bei lauteren Umgebungsgeräuschen problematisch, sie erfasst nur einen Teil der möglichen Schwerhörigkeitsformen (nur einen häufigen Typ der cochleären Schwerhörigkeit), Mittelohrprobleme können ein auffälliges Ergebnis auslösen, somit eine Innenohrschwerhörigkeit vortäuschen oder verschleiern.
  • BERA als AABR (automatisierte Form der BERA) mit etwas größerem Materialverbrauch und etwas längerer Messdauer. Hiermit werden alle peripheren Schwerhörigkeitsformen und zusätzlich neurale Schwerhörigkeiten erfasst; bei der AABR besteht ebenfalls die Gefahr, bei Mittelohrproblemen unzutreffende Ergebnisse zu erhalten.

Als Hörschwellengrenze ist, wie international üblich, ein Grenzwert von 35 dB (HL) festgelegt, jeder höhere Wert gilt als auffällig und muss weiter geklärt werden. In Deutschland muss immer beidohrig gemessen werden.

In dem Beschluss des G-BA zur Kinderrichtlinie ist festgelegt, unter wessen Verantwortung, innerhalb welcher Fristen, durch welche Methoden die Untersuchungen durchgeführt werden müssen. Vorgabe ist, dass 95 % aller Neugeborenen untersucht werden, dabei dürfen maximal 4 % primär auffällig sein (ausgehend von der Prävalenz für angeborene Hörstörungen). Der die Kindervorsorgeuntersuchung „U3“ durchführende Arzt hat die Aufgabe, zu kontrollieren, ob eine Untersuchung stattgefunden hat und diese dann gegebenenfalls sofort einzuleiten. Hintergrund dieser Vorgaben ist das Ziel, schwerhörige Neugeborene frühzeitig zu erfassen und dann ebenfalls frühzeitig mit Hörgeräten zu versorgen, damit die Entwicklung, insbesondere die Sprachentwicklung möglichst normal verlaufen kann.[8]

Zur Konfirmationsdiagnostik zugelassen sind laut G-BA-Beschluss nur Fachärzte für Phoniatrie und Pädaudiologie und pädaudiologisch versierte HNO-Ärzte. Die wissenschaftlichen Fachgesellschaften und Berufsverbände der beiden beteiligten Fachgruppen in Deutschland haben ein zweistufiges Nachsorgekonzept entwickelt. Durch ein Netz an Diagnostikstellen wird zunächst möglichst schnell und wohnortnah in der ersten Stufe der Diagnostik (FU-1) nach nicht erfolgreicher Erstuntersuchung entweder eine Hörstörung ausgeschlossen, oder – bei weiterhin auffälligen Ergebnissen – der Patient an eine FU-2-Stelle weitergeleitet, die dann mit entsprechender Geräteausstattung und Fachkompetenz die Weiterbetreuung einschließlich der Hörgeräteversorgung übernehmen kann. Es wurden dazu für die einzelnen Diagnostikstufen (FU-1 und FU-2) verbindliche Kompetenz- und Ausstattungsstandards festgelegt.[9]

Literatur

  • Sebastian Hoth, Roland Mühler, Katrin Neumann, Martin Walger: Objektive Audiometrie im Kindesalter. Springer, Berlin-Heidelberg 2014, ISBN 978-3-642-44935-2.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Der HNO-Facharzt Viktor Urbantschitsch (1847—1921) wies 1895 auf seine Forschungsergebnisse hin, die zeigten, dass das Restgehör von gehörlosen Kinder mit einem gezielten Lautsprachentraining (ortho-phonetische und ortho-akustische Übungen) stimuliert und so das Hörvermögen verbessert werden konnte. Obwohl Urbantschitschs Erfolge angezweifelt wurden, führten sie zur unisensorischen Hörerziehung mit elektronischen Hörgeräten und von dieser zur auditiv-verbalen Therapie. Susann Schmid-Giovannini begann 1949 in Wien anhand der Methode von Urbantschitsch eine auditiv-verbale Therapie zu entwickeln.
  2. Interdisziplinäre Konsensus-Konferenz für das Neugeborenen-Hörscreening in: HNO 2004 Nov; 52(11):1020-7. PMID 15492906
  3. Neumann K, Gross M, Böttcher P, Euler HA, Spormann-Lagodzinski M, Polzer M: Effectiveness and efficiency of a universal newborn hearing screening in Germany. In: Folia Phoniatr Logop. Band 58, Nr. 6, 2006, S. 440–455, PMID 17108701.
  4. Beschlusstext des G-BA
  5. German Medical Science: Aktueller Stand der Neugeborenen-Hörscreenings in der Schweiz
  6. Die Gehörlosenpädagogin Ciwa Griffiths (1911—2003) entdeckte in den 1950er Jahren bei der Versorgung von gehörlosen Säuglingen mit bilateralen Hörgeräten, dass die Hörgeräte nach ein paar Monaten abgesetzt werden konnten, weil die Säuglinge inzwischen eine normale Hörfähigkeit entwickelt hatten. Es gab Ausnahmen, die wegen neuronalen Defekten (Röteln, Meningitis, Vererbung) weiterhin mit Hörgeräten versorgt werden mussten. Ihre klinische Studie von 1969 bis 1973 an 21 gehörlosen Säuglingen zeigte, dass 67 % der Säuglinge, die im Alter bis 8 Monate an der Studie teilnahmen und mit Hörgeräten versorgt wurden, eine normale Hörfähigkeit entwickelten, während das bei keinem der Säuglinge, die erst nach 8 Monaten Hörgeräte erhielten, der Fall war (Ciwa Griffiths, J. Ebbin: Effectiveness of early detection and auditory stimulation on the speech and language of hearing impaired children. HEAR Center 1978).
  7. Bei einer ähnlichen Studie, die durch den Otologisten Arpad Götze am Janos Spital in Budapest, Ungarn 1978−1981 mit 68 gehörlosen Säuglingen durchgeführt wurde, konnten 51 (75 %) eine normale Hörfähigkeit entwickeln, die übrigen 17 hatten gehörlose Eltern oder erhielten ihre Hörgeräte erst nach 8.5 Monaten. Fachportal Pädagogik: Arpad Götze: Wahre Habilitation hörgeschädigter Säuglinge, in: Hörgeschädigte Kinder 20, 1983
  8. Konsensuspapier der DGPP (PDF 124kB)
  9. Infoseite mit Details zu FU-Qualifikationen, Karte von FU-Stellen