„Essentielle Hypertonie“ – Versionsunterschied

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Version vom 3. November 2015, 18:51 Uhr

Klassifikation nach ICD-10
I10.– Essentielle (primäre) Hypertonie
45.30[1] Psychogene Hypertonie

Somatoforme autonome Funktionsstörung
des Herz und Kreislaufsytems

ICD-10 online (WHO-Version 2019)

Essentieller Bluthochdruck stellt eines der vielfältigen funktionellen Syndrome dar, die dadurch charakterisiert sind, dass trotz umfassender Diagnostik im Sinne der Ausschlussdiagnose hier zunächst kein anatomisch relevanter Organbefund zu erheben ist. Daraus muss gefolgert werden, dass keine durch körperliche Befunde verursachte Primärerkrankung zugrunde liegt.[2] Der essentielle Bluthochdruck ist also der, für den der Arzt keine Erklärung hat. Damit wird auch nach der Ätiologie die erste Gruppe der Arteriellen Hypertonie, die Primäre Hypertonie vorausgesetzt. - Die essentielle Hypertonie zählt medizingeschichtlich zu den 7 klassischen Psychosomatosen (Holy Seven).[3]

Werden körperliche Befunde ohne sichere pathogenetische Verursachung gefunden oder vermutet wie etwa genetische Faktoren, so ist zu verweisen auf → Arterielle Hypertonie, Abschnitt Primäre Hypertonie.

Symptomatik

Zunächst ist das einzige Symptom der erhöhte Blutdruck, der aber meist nicht zum Arztbesuch führt, weil sich die Betroffenen in der Regel wohl fühlen. Eher körperlich empfundene und objektivierbare Symptome sind von eher psychisch bedingten Symptomen zu unterscheiden. Unter den körperlichen Symptomen ist erhöhter Blutdruck heute schon ab Blutdruckwerten von 120 / 80 mm Hg anzunehmen. Werte bis 130 / 85 mm Hg werden bereits als hochnormal angesehen.[4] Nach den Empfehlungen der WHO ist eine Hypertonie anzunehmen, wenn Werte von mindestens systolisch 140 mm Hg und diastolisch 90 mm Hg bei mehrfachen Messungen über längere Zeit erreicht werden.[3] Nur zum Teil treten bei den subjektiv beschwerdefreien Betroffenen auch Kopfschmerzen, Ohrensausen und rote Gesichtsfarbe oder Nasenbluten auf. Dies ist der Grund, warum zwei Drittel aller an hohem Blutdruck leidenden Erwachsenen im deutschsprachigen Raum von ihrer Erkrankung nichts wissen oder nicht ausreichend behandelt werden.[4] Weitere weniger häufige Symptome sind Angina pectoris, verstärktes Herzklopfen, Belastungsdyspnoe, Ruhedyspnoe und Encephalopathie. Jugendliche klagen häufig über funktionelle Beschwerden wie Schwitzen, Frieren, kalte Hände und Füße, Schlafstörungen sowie unbestimmte Druck- und Schmerzgefühle in der Herzgegend. An psychischen Symptomen ist oft eine leichte Erregbarkeit feststellbar, siehe Kap. Psychodynamik.[3]

Epidemiologie und Risikofaktoren

Die Bedeutung der essentiellen Hypertonie kann epidemiologisch daran gemessen werden, dass über 90 %[2] aller Fälle mit Bluthochdruck als essentielle Hypertonien zu bezeichnen sind. In Deutschland gibt es 20 Millionen Menschen, die an Bluthochdruck leiden. Er stellt einen der wichtigsten Risikofaktoren für Arteriosklerose, Herzinfarkt und Schlaganfall dar. Heute sterben in den westlichen Industrienationen mehr Menschen an Herzinfarkt und Schlaganfall als an allen Krebsarten und AIDS zusammen.[4]

Die Ursache für essentielle Hypertonie wird in einer Kombination aus den Faktoren genetische Vorbelastung (in 60 % der Fälle wird eine essentielle Hypertonie vererbt), Kochsalzsensitivität (d.h. bereits bei normalem Kochsalzkonsum wird eine Hypertonie entwickelt), falscher Ernährung (insbesondere Adipositas) und Hyperaktivität des Sympathikus (z.B. bei chronischem Stress) gesehen.[2]

Die Bedeutung psychosomatischer Erkrankungen für Bluthochdruck ist komplex und wird bis heute beforscht. So wurde ein positiver Zusammenhang von Bluthochdruck und Angsterkrankungen gefunden.[5] Für Depressionen gibt es widersprüchliche Befunde, aber eine Meta-Analyse ergab 2012 eine Erhöhung der Inzidenzrate von Bluthochdruck unter Depressionspatienten.[6]

Psychotherapie

Bereits in der Mitte des 20. Jahrhunderts wurden psychosomatische Auswirkungen auf den Blutdruck untersucht (vgl. Franz Alexanders Holy Seven 1950), mit Bestrebungen, den Blutdruck durch Psychotherapie zu beeinflussen.[7] Verschiedene Studien haben seither Blutdrucksenkungen durch Psychotherapie gefunden,[8] in einer kasachischen Studie von 2014 wurde Psychotherapie bei Bluthochdruck sogar als ökonomisch vorteilhaft beurteilt.[9]

Zwei Hauptgründe für die Wirksamkeit von Psychotherapie werden genannt: Da Ängste bzw. Angsterkrankungen Studien zufolge (siehe oben) den Blutdruck erhöhen, sollte Psychotherapie ihn senken können, soweit sie - sogar einfach durch stützende Verfahren - die Ängste verringert. Zum anderen argumentieren Psychoanalytiker wie Franz Alexander, Carl Binger oder Helen Flanders Dunbar, Menschen mit Bluthochdruck könnten mit aggressiven und feindseligen Impulsen nicht umgehen; nach dieser Lehrmeinung können psychodynamische Therapien Bluthochdruckpatienten bei der Bearbeitung der entsprechenden Konflikte unterstützen und darüber eine Blutdrucksenkung erreichen.[10]

Psychodynamik

Die Psychodynamik der funktionellen Entstehungsbedingungen ist von Franz Alexander untersucht worden, der sich ausführlich mit vegetativen Krankheitsursachen befasst hat und den Begriff der vegetativen Neurose geprägt hat.[11] Nach ihm sind folgende Faktoren bedeutsam:

  • Abwehr von Abhängigkeitswünschen
  • Vermeidung einer inneren aggressiven Handlungsbereitschaft nach außen hin bei leichter Erregbarkeit
  • der innere Konflikt zwischen ambivalenten Beziehungstendenzen (Problem der sogenannten Pseudounabhängigkeit)

Hypertoniker werden in ihrer Persönlichkeit als leistungsbetont, pflichtbewusst und gesellschaftlich überangepasst beschrieben mit hohem Anspruchsniveau an sich selbst. Entwicklungspsychologisch sind Beziehungen zur analen Phase hergestellt worden. Essentielle Hypertonie wird von der Psychosomatik in die Gruppe der Organkrankheiten mit psychosozialer Komponente eingereiht (Bereitstellungskrankheit).[3] Experimentelle Untersuchungen belegen die Bedeutung emotioneller Faktoren bei fixiertem essentiellem Hochdruck.[12]

Nach psychodynamischer Lehrmeinung ist eine Psychotherapie bei entsprechendem Konfliktbewusstsein angezeigt, ggf. in Kombination mit antihypertensiver Medikation.[13]

Nachweise

  1. Hans Morschitzky: Psychotherapie Ratgeber: Ein Wegweiser zur seelischen Gesundheit. Springer-Verlag, 2007, ISBN 978-3-211-33616-8, S. 86 (Es muss mindestens einer der beiden Parameter „Suchbegriff“ oder „BuchID“ ausgefüllt werden. Bitte beachte die in der Vorlage:Google Buch befindliche Dokumentation und prüfe die verwendeten Parameter.).
  2. a b c Jan Steffel, Thomas F. Lüscher: Herz-Kreislauf. Springer Verlag, 2011, ISBN 978-3-642-16717-1, S. 30.
  3. a b c d Sven Olaf Hoffmann, G. Hochapfel: Neurosenlehre, Psychotherapeutische und Psychosomatische Medizin. CompactLehrbuch. 6. Auflage. Schattauer, Stuttgart 2003, ISBN 3-7945-1960-4; (a) zu Stw. „Holy Seven“, S. 304; (b) zu Stw. „Diagnosis per exclusionem“, S. 311; (c) zu Stw. „Normwert RR nach WHO“, S. 311; (d) zu Stw.„Weitere Symptome“, S. 312; (e) zu Stw. „Psychodynamik“, S. 40, 218, 312 ff.
  4. a b c Peter W. Gündling: Brennpunkt Herz. 1. Auflage. Natürlich vorbeugen und heilen bei Herz-Kreislauf-Problemen. Aurelia-Verlag, Baden-Baden 2004, ISBN 3-936676-14-3; zu Stw. „Bluthochdruck“, S. 12, 19, 88–96; zitierter Text: (a) zu Stw. „Normwert RR“, S. 89; (b) zu Stw. „Häufigkeit unerkannter Fälle“, S. 88; (c) zu Stw. „Epidemiologie und Risikofaktoren“, S. 88.
  5. M. S. Player, L. E. Peterson: Anxiety disorders, hypertension, and cardiovascular risk: a review. In: International journal of psychiatry in medicine. Band 41, Nummer 4, 2011, ISSN 0091-2174, S. 365–377, PMID 22238841 (Review).
  6. L. Meng, D. Chen, Y. Yang, Y. Zheng, R. Hui: Depression increases the risk of hypertension incidence: a meta-analysis of prospective cohort studies. In: Journal of hypertension. Band 30, Nummer 5, Mai 2012, ISSN 1473-5598, S. 842–851, doi:10.1097/HJH.0b013e32835080b7, PMID 22343537 (Review).
  7. Stanley Cobb, Henry H. W. Miles: Psychotherapy of a psychosomatic illness: Essential hypertension. In: The American Journal of Medicine. 11, 1951, S. 381–386, doi:10.1016/0002-9343(51)90172-6.
  8. Wolfgang Linden: Psychological Perspectives of Essential Hypertension: Etiology, Maintenance, and Treatment. Karger Medical and Scientific Publishers, 1984. insb, S. 6, mit Follow-up nach bis zu 24 Monaten
    Alvin P. Shapiro: Hypertension and Stress: A Unified Concept. Psychology Press, 1996, S. 68.
    Gene L Stainbrook, John W Hoffman, Herbert Benson: Behavioral therapies of hypertension: psychotherapy, biofeedback, and relaxation/meditation. In: Applied Psychology. 32, 1983, S. 119–135, doi:10.1111/j.1464-0597.1983.tb00899.x.
    gemäß Abstrakt z.B. auch für den russischen Raum in der folgenden Studie mit Follow-up nach 6 Monaten: M. V. Golubev, T. A. Aĭvazian, V. P. Zaĭtsev: [The efficacy of psychotherapy with biofeedback in the rehabilitation of hypertension patients]. In: Voprosy kurortologii, fizioterapii, i lechebno? fizichesko? kultury. Nummer 6, 1998 Nov-Dec, ISSN 0042-8787, S. 16–18, PMID 9987969.
  9. Zhanna Kalmatayeva, Ainur Zholamanova: Cost-effectiveness analysis of psychotherapy in treatment of essential hypertension in primary care. In: Archives of Psychiatry and Psychotherapy. 2014; 4, S. 57–64.
  10. Alvin P. Shapiro: Hypertension and Stress: A Unified Concept. Psychology Press, 1996, S. 68.
    zu Dunbar siehe insb.: Carl Alfred Lanning Binger, Nathan Ward Ackerman, Alfred Elustein Cohn, Henry Alfred Schroeder, John Murray Stecie: Personality in arterial hypertension. In: Psychomatic Medicine Monograph. 1945.
  11. Franz Alexander: Psychosomatic medicine. Its principles and applications. Norton, New York 1950, DNB 993025870. deutsch: Psychosomatische Medizin. Grundlagen und Anwendungsgebiete. De Gruyter, Berlin 1951, DNB 450046567.
  12. J. Schunk: Emotionelle Faktoren in der Pathogenese der essentiellen Hypertonie. In: Zeitschrift für klinische Medizin. (1953); 152, S. 251.
  13. Sven Olaf Hoffmann, G. Hochapfel: Neurosenlehre, Psychotherapeutische und Psychosomatische Medizin. 6. Auflage. CompactLehrbuch, Schattauer, Stuttgart 2003, ISBN 3-7945-1960-4, S. 315.