„Mikroaggression“ – Versionsunterschied

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== Erscheinungsformen ==
== Erscheinungsformen ==
In der Debatte um Mikroaggressionen, insbesondere in den USA, ist der Ansatz des Psychologen Derald Wing Sue, der an der Columbia University forscht, heute am Einflussreichsten und liegt den meisten wissenschaftlichen Arbeiten zum Thema zugrunde<ref name="Wong">Gloria Wong, Annie O. Derthick, E.J.R. David, Anne Saw, Sumie Okazaki (2014): The What, the Why, and the How: A Review of Racial Microaggressions Research in Psychology. Race and Social Problems 6(2): 181–200. {{doi|10.1007/s12552-013-9107-9}}</ref>
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* Mikroangriffe ''({{lang|en|microassaults}})''
Mikroaggressionen können nach Sues Ansatz in verschiedenen Formen auftreten:<ref name="Sue">Derald Wing Sue et al.: ''Racial Microaggressions in Everyday Life: Implications for Clinical Practice''. In: ''American Psychologist.'' 62 (2007) 4, S. 271–286.</ref><ref> Derald Wing Sue: Microaggressions in Everyday Life: Race, Gender, and Sexual Orientation. John Wiley & Sons, 2010. ISBN 978-0470491409</ref><ref name="Nguyen">Toan Quoc Nguyen: ''„Es gibt halt sowas wie einen Marionettentäter.“ Schulisch-institutionelle Rassismuserfahrungen, kindliche Vulnerabilität und Mikroaggression''. In: ''ZEP – Zeitschrift für internationale Bildungsforschung und Entwicklungspädagogik.'' 36 (2013) 2, S.&nbsp;20–24.</ref>
* Mikrobeleidigungen ''({{lang|en|microinsults}})''
* Mikroangriffe ''({{lang|en|microassaults}})''. Ein Mikroangriff ist ein ausdrücklicher und vom Angreifer gewollter, verbaler oder nonverbaler Angriff, um den Angegriffenen herabzusetzen oder zu verletzen, der aber unter der Schwelle offen rassistischer Äußerungen oder Gewalttaten bleibt. Mikroangriffe ähneln dem klassischen, offenen Rassismus.<ref name="Sue" /> In der Forschung zur Mikroaggression spielen Mikroangriffe, vermutlich aus diesem Grund, keine Rolle<ref name="Wong" />.
* Mikroentwertungen ''({{lang|en|microinvalidations}})''
* Mikrobeleidigungen ''({{lang|en|microinsults}})''. Mikrobeleidigungen sind Äußerungen, die sich durch Grobheit und mangelnde Sensibilität gegenüber der Herkunft oder Identität des Angegriffenen auszeichnen. Es sind oft subtile Formen der Herabsetzung, die dem Angreifer möglicherweise nicht einmal selbst bewusst sind, aber dessen tief sitzende Vorurteile aufdecken. Oft ergibt sich ihre Natur als Mikrobeleidigung nur aus dem Kontext, wenn etwa eine Person nichtweißer Hautfarbe für ihre gute Sprache gelobt wird (mit der unterschwelligen Botschaft, dass dies wohl als besondere Ausnahme hervorgehoben werden müsste). Mikrobeleidigungen können auch nonverbal sein, indem etwa Nichtweiße ignoriert oder nur beiläufig zur Kenntnis genommen werden.<ref name="Sue" />
* Mikroentwertungen ''({{lang|en|microinvalidations}})''. Als Mikroentwertungen werden Ausdrucksformen gefasst, die die Gedanken, Gefühle oder Wahrnehmungen der dadurch Angegriffenen ignorieren, ausschließen oder kleinreden. Eine Mikroentwertung liegt beispielsweise vor, wenn ein Weißer einer Person nichtweißer Hautfarbe gegenüber aussagt, für ihn würde Rasse keine Rolle spielen, womit deren besondere Identität negiert und ihre spezifischen Erfahrungen herabgespielt werden.<ref name="Sue" />


== Betroffene ==
== Betroffene ==
Von Mikroaggression betroffen sind oft Angehörige [[Marginalisierung|marginalisierter]] gesellschaftlicher Gruppen: [[Person of color|People Of Color]], Menschen mit Migrationshintergrund, Homosexuelle oder Menschen mit Behinderungen. So zeigt sich etwa ein deutscher Schulleiter am ersten Schultag erstaunt, dass eine dunkelhäutige Schülerin fließend Deutsch spricht.<ref name="Nguyen" /> Ein anderes Beispiel kommt von einem männlichen bosnischstämmigen muslimischen Jugendlichen, dem eine Lehrerin riet, seinen Vornamen ''Muhamed'' ändern zu lassen, weil er wegen seines Namens {{"|doch später bestimmt Probleme haben}}<ref name="Nguyen" /> würde.
Von Mikroaggression betroffen sind in der Regel Angehörige [[Marginalisierung|marginalisierter]] gesellschaftlicher Gruppen: [[Person of color|People Of Color]], Menschen mit Migrationshintergrund, Homosexuelle oder andere Personen mit vom heterosexuellen Normalfall verschiedener sexueller Orientierung (in der amerikanischen Debatte als [[LGBT]], LGBTQ oder LGBTQQ bezeichnet) oder Menschen mit Behinderungen, das Konzept wird aber auf marginalisierte Gruppen aller Art angewendet, so auch auf religiöse Minderheiten. So zeigt sich etwa ein deutscher Schulleiter am ersten Schultag erstaunt, dass eine dunkelhäutige Schülerin fließend Deutsch spricht.<ref name="Nguyen" /> Ein anderes Beispiel kommt von einem männlichen bosnischstämmigen muslimischen Jugendlichen, dem eine Lehrerin riet, seinen Vornamen ''Muhamed'' ändern zu lassen, weil er wegen seines Namens {{"|doch später bestimmt Probleme haben}}<ref name="Nguyen" /> würde.


== Verursacher ==
== Verursacher ==
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== Kritik ==
== Kritik ==
Der Journalist Paul Rowan Brian wendet gegen die Theorie der Mikroaggression ein, dass sie triviale und zu vernachlässigende rassistische Äußerungen mit wirklichem [[Rassismus]] vermenge.<ref> Paul Rowan Brian: [http://thefederalist.com/2013/12/16/unmasking-mustachioed-menace-microaggression/ ''Unmasking The Mustachioed Menace Of Microaggression'']. In: ''The Federalist''. 16. Dezember 2013, aufgerufen am 30. August 2015.</ref> Ähnlich überlegt [[Amitai Etzioni]] in ''[[The Atlantic]]'', dass die Beschäftigung mit Mikroaggression eine Ablenkung von schwererwiegenden Handlungen darstellen könnte.<ref>Amitai Etzioni: [http://www.theatlantic.com/politics/archive/2014/04/dont-sweat-the-microaggressions/360278/ ''Don't Sweat the Microaggressions. The old pitfalls of new sensitivities in political speech'']. In: ''The Atlantic''. 8. April 2014, aufgerufen am 30. August 2015.</ref>
Der Journalist Paul Rowan Brian wendet gegen die Theorie der Mikroaggression ein, dass sie triviale und zu vernachlässigende rassistische Äußerungen mit wirklichem [[Rassismus]] vermenge.<ref> Paul Rowan Brian: [http://thefederalist.com/2013/12/16/unmasking-mustachioed-menace-microaggression/ ''Unmasking The Mustachioed Menace Of Microaggression'']. In: ''The Federalist''. 16. Dezember 2013, aufgerufen am 30. August 2015.</ref> Ähnlich überlegt [[Amitai Etzioni]] in ''[[The Atlantic]]'', dass die Beschäftigung mit Mikroaggression eine Ablenkung von schwererwiegenden Handlungen darstellen könnte.<ref>Amitai Etzioni: [http://www.theatlantic.com/politics/archive/2014/04/dont-sweat-the-microaggressions/360278/ ''Don't Sweat the Microaggressions. The old pitfalls of new sensitivities in political speech'']. In: ''The Atlantic''. 8. April 2014, aufgerufen am 30. August 2015.</ref>

In der wissenschaftlichen Debatte wird das Konzept der Mikroaggression kritisiert wegen der Probleme der empirischen Erforschbarkeit. Die Einordnung einer Aussage oder eines Verhaltensakts beruht in erster Linie auf der Art und Weise, wie die Zielperson diese wahrnimmt. Sue und Kollegen weisen bereits auf das Problem hin, dass sie in ihrer persönlichen Erfahrungswelt ein vermeintlich unschuldiges Verhalten als einen weiteren Fall in einer langen Kette ähnlicher kleiner Herabsetzungen wahrnehmen, was für den Verursacher möglicherweise psychologisch gar nicht nachvollziehbar ist, da ihm entsprechende Erfahrungen eben abgehen.<ref name="Sue" /> Ein Kritiker merkte an, es handele sich möglicherweise um eine eher tragische als moralisch zu verurteilende Form der Verstrickung, bei der keiner Seite die „Schuld“ zugesprochen werden könne.<ref>Rafael S. Harris Jr. (2008): Racial microaggression? How do you know? American Psychologist 63 (4): 275-276. {{doi|10.1037/0003-066X.63.4.275}}</ref> Methodisch werden die meisten Studien zum Thema wegen ihrer extrem beschränkten Datenbasis angegriffen. Typische Studien hatten eine Teilnehmerzahl zwischen 5 und 97, im Mittel 19<ref name="Wong" />, was ihre wissenschaftliche Aussagekraft relativiert.


== Siehe auch ==
== Siehe auch ==

Version vom 10. Dezember 2016, 13:16 Uhr

Mikroaggression (englisch microaggression) ist ein sozialpsychologischer Begriff, der 1970 von Chester Pierce geprägt wurde, um winzige, als übergriffig wahrgenommene Äußerungen in der alltäglichen Kommunikation zu beschreiben. Darunter werden kurze, alltägliche Äußerungen verstanden, die an die andere Person abwertende Botschaften senden, welche sich auf deren Gruppenzugehörigkeit beziehen.[1]

Erscheinungsformen

In der Debatte um Mikroaggressionen, insbesondere in den USA, ist der Ansatz des Psychologen Derald Wing Sue, der an der Columbia University forscht, heute am Einflussreichsten und liegt den meisten wissenschaftlichen Arbeiten zum Thema zugrunde[2]

Mikroaggressionen können nach Sues Ansatz in verschiedenen Formen auftreten:[3][4][5]

  • Mikroangriffe (microassaults). Ein Mikroangriff ist ein ausdrücklicher und vom Angreifer gewollter, verbaler oder nonverbaler Angriff, um den Angegriffenen herabzusetzen oder zu verletzen, der aber unter der Schwelle offen rassistischer Äußerungen oder Gewalttaten bleibt. Mikroangriffe ähneln dem klassischen, offenen Rassismus.[3] In der Forschung zur Mikroaggression spielen Mikroangriffe, vermutlich aus diesem Grund, keine Rolle[2].
  • Mikrobeleidigungen (microinsults). Mikrobeleidigungen sind Äußerungen, die sich durch Grobheit und mangelnde Sensibilität gegenüber der Herkunft oder Identität des Angegriffenen auszeichnen. Es sind oft subtile Formen der Herabsetzung, die dem Angreifer möglicherweise nicht einmal selbst bewusst sind, aber dessen tief sitzende Vorurteile aufdecken. Oft ergibt sich ihre Natur als Mikrobeleidigung nur aus dem Kontext, wenn etwa eine Person nichtweißer Hautfarbe für ihre gute Sprache gelobt wird (mit der unterschwelligen Botschaft, dass dies wohl als besondere Ausnahme hervorgehoben werden müsste). Mikrobeleidigungen können auch nonverbal sein, indem etwa Nichtweiße ignoriert oder nur beiläufig zur Kenntnis genommen werden.[3]
  • Mikroentwertungen (microinvalidations). Als Mikroentwertungen werden Ausdrucksformen gefasst, die die Gedanken, Gefühle oder Wahrnehmungen der dadurch Angegriffenen ignorieren, ausschließen oder kleinreden. Eine Mikroentwertung liegt beispielsweise vor, wenn ein Weißer einer Person nichtweißer Hautfarbe gegenüber aussagt, für ihn würde Rasse keine Rolle spielen, womit deren besondere Identität negiert und ihre spezifischen Erfahrungen herabgespielt werden.[3]

Betroffene

Von Mikroaggression betroffen sind in der Regel Angehörige marginalisierter gesellschaftlicher Gruppen: People Of Color, Menschen mit Migrationshintergrund, Homosexuelle oder andere Personen mit vom heterosexuellen Normalfall verschiedener sexueller Orientierung (in der amerikanischen Debatte als LGBT, LGBTQ oder LGBTQQ bezeichnet) oder Menschen mit Behinderungen, das Konzept wird aber auf marginalisierte Gruppen aller Art angewendet, so auch auf religiöse Minderheiten. So zeigt sich etwa ein deutscher Schulleiter am ersten Schultag erstaunt, dass eine dunkelhäutige Schülerin fließend Deutsch spricht.[5] Ein anderes Beispiel kommt von einem männlichen bosnischstämmigen muslimischen Jugendlichen, dem eine Lehrerin riet, seinen Vornamen Muhamed ändern zu lassen, weil er wegen seines Namens „doch später bestimmt Probleme haben“[5] würde.

Verursacher

In den meisten Fällen nehmen die Verursacher von mikroaggressiv wahrgenommenem Verhalten das kritisierte Verhalten als wohlwollend und unvoreingenommen wahr.[6] Werden sie von der sich verletzt fühlenden Person oder einem anderen Beobachter darauf angesprochen, verteidigen die Verursacher ihr Verhalten damit, es sei ein Missverständnis oder ein Scherz gewesen, oder man solle doch nicht „aus der Mücke einen Elefanten machen“[7].

Kritik

Der Journalist Paul Rowan Brian wendet gegen die Theorie der Mikroaggression ein, dass sie triviale und zu vernachlässigende rassistische Äußerungen mit wirklichem Rassismus vermenge.[8] Ähnlich überlegt Amitai Etzioni in The Atlantic, dass die Beschäftigung mit Mikroaggression eine Ablenkung von schwererwiegenden Handlungen darstellen könnte.[9]

In der wissenschaftlichen Debatte wird das Konzept der Mikroaggression kritisiert wegen der Probleme der empirischen Erforschbarkeit. Die Einordnung einer Aussage oder eines Verhaltensakts beruht in erster Linie auf der Art und Weise, wie die Zielperson diese wahrnimmt. Sue und Kollegen weisen bereits auf das Problem hin, dass sie in ihrer persönlichen Erfahrungswelt ein vermeintlich unschuldiges Verhalten als einen weiteren Fall in einer langen Kette ähnlicher kleiner Herabsetzungen wahrnehmen, was für den Verursacher möglicherweise psychologisch gar nicht nachvollziehbar ist, da ihm entsprechende Erfahrungen eben abgehen.[3] Ein Kritiker merkte an, es handele sich möglicherweise um eine eher tragische als moralisch zu verurteilende Form der Verstrickung, bei der keiner Seite die „Schuld“ zugesprochen werden könne.[10] Methodisch werden die meisten Studien zum Thema wegen ihrer extrem beschränkten Datenbasis angegriffen. Typische Studien hatten eine Teilnehmerzahl zwischen 5 und 97, im Mittel 19[2], was ihre wissenschaftliche Aussagekraft relativiert.

Siehe auch

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Michele A. Paludi: Managing Diversity in Today’s Workplace: Strategies for Employees and Employers. Praeger, 2012, ISBN 0313393176.
  2. a b c Gloria Wong, Annie O. Derthick, E.J.R. David, Anne Saw, Sumie Okazaki (2014): The What, the Why, and the How: A Review of Racial Microaggressions Research in Psychology. Race and Social Problems 6(2): 181–200. doi:10.1007/s12552-013-9107-9
  3. a b c d e Derald Wing Sue et al.: Racial Microaggressions in Everyday Life: Implications for Clinical Practice. In: American Psychologist. 62 (2007) 4, S. 271–286.
  4. Derald Wing Sue: Microaggressions in Everyday Life: Race, Gender, and Sexual Orientation. John Wiley & Sons, 2010. ISBN 978-0470491409
  5. a b c Toan Quoc Nguyen: „Es gibt halt sowas wie einen Marionettentäter.“ Schulisch-institutionelle Rassismuserfahrungen, kindliche Vulnerabilität und Mikroaggression. In: ZEP – Zeitschrift für internationale Bildungsforschung und Entwicklungspädagogik. 36 (2013) 2, S. 20–24.
  6. Stephanie Y. Evans: African Americans and Community Engagement in Higher Education: Community Service, Service-learning, and Community-based Research. State University of New York Press, 2009, S. 126 f., ISBN 143842874X.
  7. Katie Lynn Love: An Emancipatory Study with African-American Women in Predominantly White Nursing Schools. Proquest, 2009, S. 221.
  8. Paul Rowan Brian: Unmasking The Mustachioed Menace Of Microaggression. In: The Federalist. 16. Dezember 2013, aufgerufen am 30. August 2015.
  9. Amitai Etzioni: Don't Sweat the Microaggressions. The old pitfalls of new sensitivities in political speech. In: The Atlantic. 8. April 2014, aufgerufen am 30. August 2015.
  10. Rafael S. Harris Jr. (2008): Racial microaggression? How do you know? American Psychologist 63 (4): 275-276. doi:10.1037/0003-066X.63.4.275