„Digitale Edition“ – Versionsunterschied

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'''Digitale Editionen''' dienen dazu, kulturelles Erbe zu erschließen, zugänglich und nutzbar zu machen. Als Basis und Ergebnis wissenschaftlicher Forschung richten sie sich sowohl an Experten als auch an die allgemeine Öffentlichkeit. Durch die verwendeten Technologien sind sie im Vergleich zur traditionellen, gedruckten Edition durch eine Erweiterung der Inhalte, Methoden und Nutzungsformen charakterisiert und zeichnen sich dem digitalen Paradigma folgend insbesondere durch Datenzentriertheit, Multimedialität und Interaktivität aus. Sie stellen daher disziplinübergreifend den Normalfall der Edition dar.
Unter dem Stichwort '''Digitale Edition''' diskutiert die Fachwissenschaft ([[Computerlinguistik]], [[Editionsphilologie]], [[Historische Fachinformatik]], [[Digital Humanities]]), die Auswirkungen der neuen Medien ([[Computer]]) auf die [[kritische Edition]] von Texten (vergleiche [[Textkritik]]) beziehungsweise [[Schriftstück|Dokumenten]]. Eine der zentralen Fragen ist dabei das Verhältnis zwischen der Textvorlage beziehungsweise dem zu edierenden Dokument und der Digitalisierung zum Beispiel mittels [[Auszeichnungssprache|Textcodierung]].


Unterschiedliche Editionstypen sind in der Vielzahl möglicher Editionsgegenstände (z.B. literarische Werke, dreidimensionale Objekte, Musikalien), differierenden editorischen Ansprüchen und Positionen sowie unterschiedlichen Nutzungsszenarien begründet.
Die Diskussion um die Digitale Edition begann in den 1990er Jahren, als die [[CD-ROM]] als billiger Datenträger kommerziell verwendet wurde. Die älteren Versuche, den Computer für kritische Editionen zu verwenden, waren häufig am Vorbild der gedruckten Edition orientiert. Dieser Typus ist inzwischen unter der Bezeichnung ''elektronische Edition'' geläufig. Eine Digitale Edition versucht stattdessen, ein informationswissenschaftliches Modell der kritischen Edition zu entwickeln, das zum Beispiel in [[Extensible Markup Language|XML]]-Formaten realisiert werden kann.

Die Erstellung digitaler Editionen erfordert die Analyse, Modellierung, Transkription, Kodierung und Visualisierung des Editionsgegenstandes. Die Berücksichtigung von Standards verbessert dabei die Zugänglichkeit und Wiederverwendbarkeit der Daten und erleichtert die Langzeitarchivierung. Für den Editionsprozess stehen sowohl umfassende virtuelle Forschungsumgebungen als auch Tools für Einzelschritte zur Verfügung.

== Begriffsklärung ==
=== Edition ===
Kulturelle Artefakte wie literarische Werke können durch die Distanz zwischen ihrem Entstehungszeitpunkt und der Gegenwart einen hohen Erklärungsbedarf entwickeln. Beispielsweise können Wörter ihre Bedeutung verändern, Werkfragmente verloren gehen, unterschiedliche Werkvarianten entstehen oder soziopolitische Umstände, die den Autor und sein Werk geprägt haben, aufgrund mittlerweile veränderter Verhältnisse schwer nachvollziehbar sein. Editionen dienen dazu, diese Distanz zu überbrücken, indem sie den Editionsgegenstand erschließen und ihn aufbereitet dem wissenschaftlichen Publikum sowie der Öffentlichkeit präsentieren. Die Breite und Tiefe der editorischen Eingriffe hängt dabei vom konkreten Editionstyp ab.

=== Digitales Paradigma ===
Unter dem Begriff digitales Paradigma wird der Einfluss der verwendeten Technologien auf Methoden, Inhalte und Nutzungsformen digitaler Editionen diskutiert. Dies geschieht teils im Vergleich zum Paradigma traditioneller (gedruckter) Editionen, teils als eigenständige Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten und Herausforderungen des Digitalen. Relevante Aspekte des digitalen Paradigmas in Bezug auf digitale Editionen sind (jeweils in Abgrenzung zu gedruckten Editionen) u.a. Multimedialität, Datenzentriertheit, Offenheit, Prozesshaftigkeit und Interaktivität.

==== Multimedialität ====
Aufgrund der materiellen Ungebundenheit von digitalen Editionen kann der Editionsgegenstand nicht nur textuell, sondern u.a. auch fotografisch oder audiovisuell repräsentiert werden. So ist die Bereitstellung von [[Faksimile]]s bei digitalen Editionen üblich – anders als bei gedruckten Editionen, die aus Platz- und Kostengründen tendenziell auf viele Abbildungen verzichten. In digitalen Editionen können dadurch beispielsweise mittels Abgleich des Faksimiles und des transkribierten Textes leichter Vorgehensweisen und mögliche Fehler identifiziert werden. Durch den Fokus auf die realen Dokumente wird jedoch eine materialistischere Sicht auf den Editionsgegenstand gefördert.<ref>{{Literatur |Autor=Patrick Sahle |Titel=Digitale Edition |Hrsg=Fotis Jannidis, Hubertus Kohle, Malte Rehbein |Sammelwerk=Digital Humanities. Eine Einführung |Auflage=1 |Verlag=J.B. Metzler Verlag |Ort=Stuttgart |Datum=2017 |ISBN=978-3-476-02622-4 |Seiten=240}}</ref>

==== Datenzentriertheit ====
Die Erstellung einer digitalen Edition erfordert die [[Modell|Modellierung]] des Editionsgegenstandes, der anschließend in unterschiedlichster Weise präsentiert werden kann. Digitale Editionen folgen dabei dem Single Source-Prinzip, d.h. die gewünschten Sichten auf die Daten werden ausgehend von einer einzigen, reichen Datenbasis erstellt. So kann eine Darstellung in verschiedenen Medien generiert werden, beispielsweise als eine Webseite oder als Datensammlung an einer (Programmier-)Schnittstelle. Gleichermaßen können Präsentationen mit unterschiedlicher Erschließungstiefe aus der Datenbasis erstellt werden, etwa eine Textfassung mit normalisierter Schreibweise ohne Annotationen oder eine Textfassung mit Hervorhebung von Named Entities bei Beibehaltung des historischen Sprachbildes. Diese vielfältigen Wiedergabeformen sind im Kontext einer gedruckten Edition nicht realisierbar, die an einer einzigen Präsentationsform orientiert ist.<ref>{{Internetquelle |autor=Christiane Fritze |url=https://dhd-blog.org/?p=17563 |titel=Manifest für digitale Editionen |werk=DHd-Blog |datum=2022-03-11 |abruf=2022-09-09}} Absatz 7.</ref>

==== Offenheit ====
In gedruckten Editionen dient die Buchseite als Präsentationsgrundlage für die Editionsinhalte. Aus Gründen der Handhabbarkeit sowie aus wirtschaftlichen Überlegungen heraus ist die Anzahl dieser Seiten begrenzt. In digitalen Editionen ist diese Beschränkung deutlich abgemildert, wodurch das Einbringen weiterer Kontexte erleichtert wird. Für eine Briefedition könnten beispielsweise neben Faksimiles und Transkriptionen der Briefe umfangreiches Bild- und Textmaterial zu den Absende- und Empfangszeitpunkten und -orten eingebunden werden, um die Inhalte zu kontextualisieren. Diese Tendenz zur Inklusion kann jedoch ohne eine genaue Definition des Editionsgegenstandes in dessen Entgrenzung resultieren.<ref>{{Literatur |Autor=Patrick Sahle |Titel=Digitale Edition |Hrsg=Fotis Jannidis, Hubertus Kohle, Malte Rehbein |Sammelwerk=Digital Humanities. Eine Einführung |Auflage=1 |Verlag=J.B. Metzler Verlag |Ort=Stuttgart |Datum=2017 |ISBN=978-3-476-02622-4 |Seiten=240}}</ref>

==== Prozesshaftigkeit ====
Eine gedruckte Edition dokumentiert häufig als Ergebnis aller editorischen Arbeiten einen Endzustand. Digitale Editionen sind hingegen leicht veränderbar, wodurch die Möglichkeit besteht, bereits früh im Editionsprozess Ergebnisse zu teilen und diese Schritt für Schritt zu erweitern. Somit wird {{"|[d]ie Edition [...] vom Produkt zum Prozess}}.<ref>{{Literatur |Autor=Patrick Sahle |Titel=Digitale Edition |Hrsg=Fotis Jannidis, Hubertus Kohle, Malte Rehbein |Sammelwerk=Digital Humanities. Eine Einführung |Auflage=1 |Verlag=J.B. Metzler Verlag |Ort=Stuttgart |Datum=2017 |ISBN=978-3-476-02622-4 |Seiten=240}}</ref> Damit einhergeht der Bedarf nach adäquaten Lösungen für die Gewährleistung der Zitierbarkeit und der Nachvollziehbarkeit von Eingriffen in die digitale Edition.

==== Interaktivität ====
Digitale Editionen erlauben als digitale Publikationen unterschiedlichste Möglichkeiten der Interaktion, die sich von Edition zu Edition unterscheiden können. Bereits durch die Verwendung von Links können Benutzer jedoch die editionstypische Vernetzung der Editionsobjekte mit Sachkommentaren und Registern unmittelbarer als in gedruckten Editionen nutzen. Darüber hinaus können [[Paratext]]e auch als Pop-Ups erst dann erscheinen, wenn durch Bewegung des Mauszeigers über ein hervorgehobenes Wort Interesse an einer Erläuterung desselben ausgedrückt wird.

Benutzer können zudem durch ihre Eingaben Sichten auf die Editionsdaten generieren, die ihren Bedürfnissen entsprechen. Beispielsweise kann in einer Briefedition über Suchfilter bestimmt werden, dass ausschließlich Briefe des Absenders X an die Empfängerin Y im Zeitraum Z angezeigt werden. In einer digitalen [[Historisch-kritische Ausgabe|historisch-kritischen Ausgabe]] eines literarischen Werks mag es hingegen möglich sein, Transkriptionen und Faksimiles verschiedener Textvarianten je nach Bedarf einer [[Synopse#Literaturwissenschaft|synoptischen]], d.h. parallel vergleichenden Ansicht hinzuzufügen oder zu entfernen.


Aufgrund der Orientierung an diesen Leitvorstellungen ist es nicht möglich, eine digitale Edition {{"|ohne wesentliche Verluste an Inhalt oder Funktionalität in eine traditionelle (gedruckte) Edition}} zu überführen.<ref>{{Literatur |Autor=Patrick Sahle |Titel=Digitale Edition |Hrsg=Fotis Jannidis, Hubertus Kohle, Malte Rehbein |Sammelwerk=Digital Humanities. Eine Einführung |Auflage=1 |Verlag=J.B. Metzler Verlag |Ort=Stuttgart |Datum=2017 |ISBN=978-3-476-02622-4 |Seiten=239}}</ref> Aus den gleichen Gründen gilt sie disziplinübergreifend als Normalfall der Edition.<ref>{{Literatur |Autor=Patrick Sahle |Titel=Digitale Editionsformen. Zum Umgang mit der Überlieferung unter den Bedingungen des Medienwandels. Teil 2: Befunde, Theorie und Methodik |Reihe=Schriften des Instituts für Dokumentologie und Editorik |BandReihe=8 |HrsgReihe= |Verlag=Books on Demand |Ort=Norderstedt |Datum=2013 |ISBN=978-3-8482-5252-7 |Seiten=148}}</ref>

Darüber hinaus resultiert das digitale Paradigma in {{"|unmittelbare[n] Folgen für Produktion, Bearbeitung, Reproduktion, Organisation und Zirkulation des im Editionsprozess entstehenden Wissens}}<ref>{{Internetquelle |autor=Christiane Fritze |url=https://dhd-blog.org/?p=17563 |titel=Manifest für digitale Editionen |werk=DHd-Blog |datum=2022-03-11 |abruf=2022-09-09}} Absatz 3.</ref> und dementsprechend den gesamten editorischen Prozess.

=== Abgrenzung ===
==== Digitalisierte Edition ====
Eine digitalisierte Edition entsteht, wenn eine gedruckte Edition in diskrete (digitale) Werte konvertiert wird. Dies kann beispielsweise durch Scannen der Buchseiten geschehen. Durch die [[Digitalisierung]] wird u.A. die Weiterverarbeitung mit Computern und die Verbreitung in digitalen Medien erleichtert.

Eine digitalisierte Edition kann in dem Sinne als digital beschrieben werden, als dass ihre Daten diskret vorliegen. Es handelt sich im engeren Sinne jedoch (noch) nicht um eine digitale Edition, da die Möglichkeiten des digitalen Paradigmas nicht ausgeschöpft werden. Durch weitere Verarbeitungsschritte – etwa die interne und externe Verlinkung, die Einbindung multimedialer Inhalte, die [[Auszeichnungssprache|Auszeichnung]] der Texte und der genannten Entitäten für verbesserte Zugriffsmöglichkeiten auf die Inhalte – kann jedoch aus einer digitalisierten Edition eine digitale Edition hervorgehen. Die Frage, wann die Schwelle zur digitalen Edition als überschritten gilt, ist noch nicht abschließend geklärt.<ref>{{Literatur |Autor=Patrick Sahle |Titel=Digitale Editionsformen. Zum Umgang mit der Überlieferung unter den Bedingungen des Medienwandels. Teil 2: Befunde, Theorie und Methodik |Reihe=Schriften des Instituts für Dokumentologie und Editorik |BandReihe=8 |HrsgReihe= |Verlag=Books on Demand |Ort=Norderstedt |Datum=2013 |ISBN=978-3-8482-5252-7 |Seiten=152}}</ref>

==== Hybridedition ====
Eine Hybridedition liegt vor, wenn eine Edition sowohl in digitalen als auch in analogen Medien publiziert wird.<ref>{{Literatur |Autor=Patrick Sahle |Titel=Digitale Edition |Hrsg=Fotis Jannidis, Hubertus Kohle, Malte Rehbein |Sammelwerk=Digital Humanities. Eine Einführung |Auflage=1 |Verlag=J.B. Metzler Verlag |Ort=Stuttgart |Datum=2017 |ISBN=978-3-476-02622-4 |Seiten=243}}</ref>

Die gedruckte Edition zeichnet sich durch ihre materielle Gebundenheit und Linearität aus, die beispielsweise geeignet für eine sequentielle Rezeption des Editionsgegenstandes ist. Durch die stark begrenzten Zugriffsmöglichkeiten (z.B. Register und Inhaltsverzeichnis), Funktionalitäten und Sichtweisen auf den Editionsgegenstand hat sie gegenüber dem Editionsprojekt jedoch {{"|nur spin-off-Charakter}}<ref>{{Literatur |Autor=Patrick Sahle |Titel=Digitale Edition |Hrsg=Fotis Jannidis, Hubertus Kohle, Malte Rehbein |Sammelwerk=Digital Humanities. Eine Einführung |Auflage=1 |Verlag=J.B. Metzler Verlag |Ort=Stuttgart |Datum=2017 |ISBN=978-3-476-02622-4 |Seiten=243}}</ref> und kann eine digitale Edition nicht vollständig abbilden.

==== Gedächtnisinstitutionen ====
[[Digitales Archiv|Digitale Archive]], [[digitale Bibliothek]]en und [[Digitales Museum|digitale Museen]] können von digitalen Editionen insbesondere anhand der angestrebten Erschließungstiefe und Zielsetzung abgegrenzt werden. Während die genannten Gedächtnisinstitutionen eine große Menge von Objekten gleichartig erschließen, steht bei digitalen Editionen die vertiefte, kritische Durchdringung und Aufarbeitung eines thematisch begrenzten Gegenstandes im Fokus.<ref>{{Literatur |Autor=Patrick Sahle |Titel=Digitale Edition |Hrsg=Fotis Jannidis, Hubertus Kohle, Malte Rehbein |Sammelwerk=Digital Humanities. Eine Einführung |Auflage=1 |Verlag=J.B. Metzler Verlag |Ort=Stuttgart |Datum=2017 |ISBN=978-3-476-02622-4 |Seiten=239}}</ref>

== Geschichte ==
Die Diskussion um die digitale Edition begann in den 1990er Jahren, als die [[CD-ROM]] als billiger Datenträger kommerziell verwendet wurde. Die älteren Versuche, den Computer für kritische Editionen zu verwenden, waren häufig am Vorbild der gedruckten Edition orientiert. Dieser Typus ist inzwischen unter der Bezeichnung elektronische Edition geläufig und markiert damit ein frühes Entwicklungsstadium der digitalen Edition.<ref>{{Literatur |Autor=Patrick Sahle |Titel=Digitale Editionsformen. Zum Umgang mit der Überlieferung unter den Bedingungen des Medienwandels. Teil 2: Befunde, Theorie und Methodik |Reihe=Schriften des Instituts für Dokumentologie und Editorik |BandReihe=8 |HrsgReihe= |Verlag=Books on Demand |Ort=Norderstedt |Datum=2013 |ISBN=978-3-8482-5252-7 |Seiten=151}}</ref>

== Editionstypen ==
=== Abgrenzung von Editionstypen im Allgemeinen ===
Je nach Zusammenspiel von Gegenstand, editorischem Anspruch, intendierter Nutzung sowie fachwissenschaftlichem Hintergrund einer Edition können unterschiedlichste Editionstypen voneinander abgegrenzt werden.<ref>{{Literatur |Autor=Patrick Sahle |Titel=Digitale Editionsformen. Zum Umgang mit der Überlieferung unter den Bedingungen des Medienwandels. Teil 1: Das typografische Erbe |Reihe=Schriften des Instituts für Dokumentologie und Editorik |BandReihe=7 |HrsgReihe= |Verlag=Books on Demand |Ort=Norderstedt |Datum=2013 |ISBN=978-3-8482-3970-2 |Seiten=235}}</ref>

==== Gegenstand ====
Alle kulturellen Äußerungen können editionsfähig sein und als Editionsgegenstand kritisch untersucht sowie mit Wissen angereichert werden. Gegenstände einer digitalen Edition sind z.B. Werke der Literatur, Musik und bildnerischen Künste, Dokumente wie Briefe und Tagebücher, audiovisuelle Medien, Gegenstände, Archivalien und born digital-Daten.<ref>{{Internetquelle |autor=Christiane Fritze |url=https://dhd-blog.org/?p=17563 |titel=Manifest für digitale Editionen |werk=DHd-Blog |datum=2022-03-11 |abruf=2022-09-09}} Absatz 2.</ref>

Die editorische Methode muss dabei auf den jeweiligen Gegenstand zugeschnitten sein und wird von diesem beeinflusst. Die [[Textkritik#Die stemmatologische Methode|stemmatologische Methode]] (auch Lachmannsch'scher Ansatz) wurde beispielsweise für klassische Literatur entwickelt: Vor dem Buchdruck wurden Bücher zumeist durch Abschrift verbreitet, wobei sich häufig Fehler eingeschlichen haben. Durch Klärung der Abstammungsverhältnisse aller überlieferten Varianten eines Textes wird nun versucht, den Stammbaum – und damit auch den Urtext oder einen möglichst nah an diesem angesiedelten, authentischen Text – zu rekonstruieren.<ref>{{Literatur |Autor=Patrick Sahle |Titel=Digitale Editionsformen. Zum Umgang mit der Überlieferung unter den Bedingungen des Medienwandels. Teil 1: Das typografische Erbe |Reihe=Schriften des Instituts für Dokumentologie und Editorik |BandReihe=7 |HrsgReihe= |Verlag=Books on Demand |Ort=Norderstedt |Datum=2013 |ISBN=978-3-8482-3970-2 |Seiten=236}}</ref>

==== Editorischer Anspruch ====
Der konkrete Editionstyp wird davon beeinflusst, welchen Ansprüchen die Edition genügen soll. Diese ergeben sich gemäß Sahle insbesondere aus den verfügbaren Ressourcen, der fachlichen Verortung des Editionsvorhabens sowie der wahrgenommenen Bedeutung des Textes.<ref>{{Literatur |Autor=Patrick Sahle |Titel=Digitale Editionsformen. Zum Umgang mit der Überlieferung unter den Bedingungen des Medienwandels. Teil 1: Das typografische Erbe |Reihe=Schriften des Instituts für Dokumentologie und Editorik |BandReihe=7 |HrsgReihe= |Verlag=Books on Demand |Ort=Norderstedt |Datum=2013 |ISBN=978-3-8482-3970-2 |Seiten=237}}</ref> Im deutschen Sprachraum genügt die [[historisch-kritische Ausgabe]] beispielsweise dem Maximalkatalog an editorischen Ansprüchen,<ref>{{Literatur |Autor=Patrick Sahle |Titel=Digitale Editionsformen. Zum Umgang mit der Überlieferung unter den Bedingungen des Medienwandels. Teil 1: Das typografische Erbe |Reihe=Schriften des Instituts für Dokumentologie und Editorik |BandReihe=7 |HrsgReihe= |Verlag=Books on Demand |Ort=Norderstedt |Datum=2013 |ISBN=978-3-8482-3970-2 |Seiten=236}}</ref> bindet jedoch jahrelang Ressourcen, was dem Ziel, einen unbekannten Text möglichst schnell bereitzustellen, entgegenstehen würde. Daher finden sich Abstufungen von Editionen mit sehr hohem wissenschaftlichem Anspruch (scientific edition, historisch-kritische Ausgabe) über kritische Editionen (scholarly edition) hin zu nicht-kritischen Ausgaben. Zudem stehen der historisch-kritischen Arbeitsweise im angloamerikanischen Raum beispielsweise [[:en:Textual criticism#Copy-text editing|copy-text]] und documentary editing gegenüber.<ref>{{Literatur |Autor=Patrick Sahle |Titel=Digitale Editionsformen. Zum Umgang mit der Überlieferung unter den Bedingungen des Medienwandels. Teil 1: Das typografische Erbe |Reihe=Schriften des Instituts für Dokumentologie und Editorik |BandReihe=7 |HrsgReihe= |Verlag=Books on Demand |Ort=Norderstedt |Datum=2013 |ISBN=978-3-8482-3970-2 |Seiten=236f.}}</ref>

==== Nutzung ====
Je nach intendierter Zielgruppe müssen digitale Editionen unterschiedliche Bedarfe erfüllen. Bei einer kritischen Nutzung ist ein [[textkritischer Apparat]] unerlässlich; steht hingegen die reine Lektüre des Werkes im Fokus, könnten diese Paratexte die Rezeption stören. Gleichermaßen können Eingriffe in den Text, wie z.B. die Anpassung der Orthografie, sprachwissenschaftliche Untersuchungen erschweren oder verfälschen, während sie die inhaltliche Erfassung des Textes für andere erleichtern.

==== Theoretischer Hintergrund ====
Die Edition wird zudem vom Grundverständnis zentraler Begriffe und der Grundhaltung zum Editionsgegenstand selbst beeinflusst. So wird insbesondere zwischen der idealistischen und materialistischen Herangehensweise unterschieden: Erstere versucht, den vom Autor intendierten Text zu (re-)konstruieren, während zweitere sich ausschließlich auf die materielle Überlieferung, d.h. die realen Dokumente und die darin festgehaltenen Texte stützt.<ref>{{Literatur |Autor=Patrick Sahle |Titel=Digitale Editionsformen. Zum Umgang mit der Überlieferung unter den Bedingungen des Medienwandels. Teil 1: Das typografische Erbe |Reihe=Schriften des Instituts für Dokumentologie und Editorik |BandReihe=7 |HrsgReihe= |Verlag=Books on Demand |Ort=Norderstedt |Datum=2013 |ISBN=978-3-8482-3970-2 |Seiten=242f.}}</ref> Gleichermaßen führt die konkrete Auslegung des Autor-, Werk- und Textbegriffs zu unterschiedlichen Editionen und Editionstypen.

=== Editionstypologie ===
Es existieren unterschiedliche Editionstypologien. Im deutschen Sprachraum zentral ist das Schema der historisch-kritischen Ausgabe sowie den aus ihr abgeleiteten Derivaten.<ref>{{Literatur |Autor=Patrick Sahle |Titel=Digitale Editionsformen. Zum Umgang mit der Überlieferung unter den Bedingungen des Medienwandels. Teil 1: Das typografische Erbe |Reihe=Schriften des Instituts für Dokumentologie und Editorik |BandReihe=7 |HrsgReihe= |Verlag=Books on Demand |Ort=Norderstedt |Datum=2013 |ISBN=978-3-8482-3970-2 |Seiten=239}}</ref>

Die [[historisch-kritische Ausgabe]] konstituiert aus allen vorhandenen Textträgern einen möglichst fehlerfreien, authentischen Text, der sich durch Sachstellenkommentare, die Dokumentation seiner Entstehungs- und Wirkungsgeschichte sowie den textkritischen Apparat als Grundlage für eine vertiefte wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Material eignet. Die historisch-kritische Edition richtet sich damit an ein wissenschaftliches Fachpublikum.

Die [[Studienausgabe#Wissenschaftlicher Terminus|Studienausgabe]] übernimmt diesen Leittext unter Beibehaltung des historischen Sprachstandes sowie Texterläuterungen, enthält jedoch in der Regel keine umfassenden Variantenapparate mehr. Anders als die historisch-kritische Edition dokumentiert sie also nicht alle bestehenden Textfassungen.
Die [[Leseausgabe]] ist für die Textlektüre intendiert und übernimmt ihn daher ohne Apparate oder Erläuterungen und normiert sowie modernisiert ihn zur Verbesserung der Lesefreundlichkeit. Ihren besonderen Anspruch bezieht sie aus der Verwendung eines kritisch konstituierten Textes.

[https://www.digitale-edition.at/o:konde.83 Faksimile-] und [https://www.digitale-edition.at/o:konde.162 Regestausgaben] werden nicht als Derivat der historisch-kritischen Ausgabe betrachtet und erheben keinen kritischen Anspruch.<ref>{{Literatur |Autor=Patrick Sahle |Titel=Digitale Editionsformen. Zum Umgang mit der Überlieferung unter den Bedingungen des Medienwandels. Teil 1: Das typografische Erbe |Reihe=Schriften des Instituts für Dokumentologie und Editorik |BandReihe=7 |HrsgReihe= |Verlag=Books on Demand |Ort=Norderstedt |Datum=2013 |ISBN=978-3-8482-3970-2 |Seiten=239}}</ref>

== Erstellung digitaler Editionen ==
=== Prototypischer Arbeitsablauf ===
Das Vorgehen bei der Erstellung von digitalen Editionen textueller Daten lässt sich in die Schritte Analyse, Modellierung, Transkription, Kodierung und Visualisierung unterteilen.<ref>{{Literatur |Autor=Malte Rehbein, Christiane Fritze |Titel=2. Hands-On Teaching Digital Humanities: A Didactic Analysis of a Summer School Course on Digital Editing |Hrsg=Brett D. Hirsch |Sammelwerk=Digital Humanities Pedagogy. Practices, Principles and Politics |Verlag=Open Book Publishers |Ort=Cambridge |Datum=2012 |ISBN= |Seiten=47-78 |Online=[http://books.openedition.org/obp/1617] |Abruf=2022-09-09}}</ref> Daran schließen sich Maßnahmen zur Gewährleistung der dauerhaften Verfügbarkeit und Zitierbarkeit der erstellten Ressource an, d.h. Aspekte der [[Langzeitarchivierung]].

Zunächst wird der Editionsgegenstand eingehend gesichtet. Ausgehend von den Anforderungen und Zielsetzungen des Projektes werden dann die Eigenschaften des Materials ausgewählt, die in der digitalen Edition repräsentiert werden sollen. Das Ziel ist die Erstellung eines formalen [[Modell]]s, das für jedes Objekt des Editionsgegenstandes eine einheitlich breite und tiefe Erschließung in den folgenden Editionsschritten steuert. Beispielsweise kann bei einer Brief-Edition festgelegt werden, dass aus dem Briefkopf der Adressant als Person explizit modelliert wird, auf die Modellierung der Eigenschaften des Briefpapieres (Dicke, Größe, Opazität, Farbe, Verunreinigungen) jedoch verzichtet wird.

Anschließend oder parallel dazu werden ausgehend von den analogen Originalvorlagen oder ihren Scans [[Transkription (Editionswissenschaft)|Transkriptionen]] angefertigt, die den Text maschinenlesbar machen. Dies kann z.B. manuell im Double Keying-Verfahren geschehen, d.h. durch Abtippen des Textes vom Textträger durch mehrere Personen und die anschließende Prüfung von Abweichungen in den Transkriptionen. Gleichermaßen können [[Texterkennung|OCR]]-Verfahren zum Einsatz kommen.

Daran schließt sich die strukturelle und semantische Anreicherung der Transkriptionen an, d.h. die Kodierung. Für welche Phänomene explizite Auszeichnungen in den Transkriptionen zu ergänzen sind, hängt von dem erarbeiteten Datenmodell ab. Handelt es sich z.B. um eine digitale Edition, die verschiedene Textversionen erschließt, setzt das eine [[Kollation (Philologie)|Kollationierung]] voraus, d.h. den Vergleich dieser Versionen und die explizite Hervorhebung von Unterschieden zwischen ihnen. Dabei kann es sich etwa um hinzugefügten oder entfernten Text sowie unterschiedliche Schreibungen handeln.

Ausgehend von dieser Datenbasis können dann Modelle für unterschiedliche Präsentationsformen erstellt werden. Beispielsweise muss für die Ausgabe auf einer Webseite festgelegt werden, welche Elemente anzuzeigen sind und welche Interaktionsmöglichkeiten zur Verfügung stehen sollen. Ausgehend von diesen Modellen können dann im letzten Schritt, der Visualisierung, unterschiedliche Präsentationsformen bereitgestellt werden.

=== Standards ===
Die Einhaltung von Standards bei der Erstellung und Publikation von digitalen Editionen ist zentral. Standardisierte Formate sorgen für eine bessere Zugänglichkeit und Wiederverwendbarkeit der unter hohem Ressourceneinsatz erzeugten Daten und fördern somit eine nachhaltigere und effizientere Forschung. Zudem wird die Langzeitarchivierung erleichtert, was für die dauerhafte Auffindbarkeit und Referenzierbarkeit der digitalen Edition als wissenschaftliche Publikation auch zu Zitationszwecken unerlässlich ist.

Für die Kodierung textueller (hierarchischer) Daten dienen die Richtlinien der [[Text Encoding Initiative]] als de facto-Standard. Das Datenmodell kann dabei u.a. mittels [[Dokumenttypdefinition|DTD]], [[XML Schema]] oder [[RELAX NG]] formalisiert werden. Ist die Digitalisierung der Materialien für die Edition nötig, listet die DFG umfassende Praxisregeln hierfür auf.<ref>{{Internetquelle |url=https://www.dfg.de/formulare/12_151/12_151_de.pdf |titel=DFG-Praxisregeln "Digitalisierung". DFG-Vordruck 12.151 |hrsg=Deutsche Forschungsgemeinschaft |datum=2016-12 |format=PDF; 920 KB |abruf=2022-09-09}}</ref>

Textuelle Daten können zudem graphenbasiert modelliert werden, was z.B. bei überlappenden Analyseebenen bedeutsam ist, die aufgrund der hierarchischen Struktur von [[Extensible Markup Language|XML]] nicht oder nur umständlich in diesem Format ausgedrückt werden könnten. Ein relevanter Standard ist hierbei [[Resource Description Framework|RDF]].

Für die Kodierung gesprochener Sprache ist insbesondere [[:en:EXMARaLDA|EXMARaLDA]] von Bedeutung. Musikalien können hingegen entsprechend der Richtlinien der [[Music Encoding Initiative]] sowie mittels [[MusicXML]] kodiert werden.

Für die Metadatenerfassung stehen ebenfalls zahlreiche Standards zur Verfügung. Die DFG empfiehlt für die Erfassung deskriptiver Metadaten von gedruckten Textwerken und Archivgut [[Metadata Encoding and Transmission Standard|METS]] und [[Metadata Object Description Schema|MODS]], für Handschriften METS und [[TEI]] und für dreidimensionale und bildhafte Objekte [[Lightweight Information Describing Objects|LIDO]].<ref>{{Internetquelle |url=https://www.dfg.de/formulare/12_151/12_151_de.pdf |titel=DFG-Praxisregeln "Digitalisierung". DFG-Vordruck 12.151 |hrsg=Deutsche Forschungsgemeinschaft |datum=2016-12 |seiten=7 |format=PDF; 920 KB |abruf=2022-09-09}}</ref> Für die Sammlungsbeschreibung können neben diesen Standards u.a. auch [[Dublin Core]] und [[Encoded Archival Description#EAD(DDB)|EAD(DDB)]] genutzt werden.<ref>{{Internetquelle |url=https://www.dfg.de/formulare/12_151/12_151_de.pdf |titel=DFG-Praxisregeln "Digitalisierung". DFG-Vordruck 12.151 |hrsg=Deutsche Forschungsgemeinschaft |datum=2016-12 |seiten=33 |format=PDF; 920 KB |abruf=2022-09-09}}</ref>

Bei der Visualisierung kommen je nach Präsentationsform unterschiedliche Standards zum Einsatz. Bei Webseiten ist dies insbesondere [[Hypertext Markup Language|HTML]] in Verbindung mit [[Cascading Style Sheets|CSS]] für die Webseitengestaltung sowie [[JavaScript]] für dynamische Inhalte.

=== Werkzeuge ===
Digitale Editionen beschäftigen sich mit einer Vielzahl von Gegenständen und entstehen unter verschiedensten Zielsetzungen und methodischen Haltungen. Dadurch ist die Umsetzung einer einzigen Software für Editor/innen, die allen denkbaren Editionsprojekten gerecht werden kann, kaum realisierbar.<ref>{{Literatur |Autor=Patrick Sahle |Titel=Digitale Editionsformen. Zum Umgang mit der Überlieferung unter den Bedingungen des Medienwandels. Teil 2: Befunde, Theorie und Methodik |Reihe=Schriften des Instituts für Dokumentologie und Editorik |BandReihe=8 |HrsgReihe= |Verlag=Books on Demand |Ort=Norderstedt |Datum=2013 |ISBN=978-3-8482-5252-7 |Seiten=257}}</ref>

Die folgende Liste zeigt eine Auswahl von Forschungsumgebungen und Werkzeugen, die den Editionsprozesses unterstützen:

* Virtuelle Forschungs- und Publikationsumgebungen
** ediarum
** [[TextGrid]]
** FuD
** nodegoat
* Werkzeuge für den gesamten Editionsprozess
** [[TUSTEP]]
* Werkzeuge für Teilschritte des Editionsprozesses
** Modellierung
*** ROMA für die Modellierung gemäß TEI-Richtlinien
** Transkription
*** Transcribo
*** [[Transkribus]]
*** OCR4all
*** [[Tesseract (Software)|Tesseract]]
** Kodierung
*** Oxygen als XML-Editor
*** [[Neo4j]]
** Kollationierung
*** Juxta
*** CollateX
** Visualisierung
*** Reledmac

== Evaluation digitaler Editionen ==
Es existieren mehrere Handreichungen zur Besprechung und Beurteilung der Qualität digitaler Editionen. Die Zielsetzung ist dabei nicht nur die Bewertung einer einzelnen Edition, sondern auch die Herausarbeitung von Best Practices und die Anregung der Methodendiskussion. Die Rezensionszeitschrift RIDE des [[Institut für Dokumentologie und Editorik|Instituts für Dokumentologie und Editorik]] stützt sich insbesondere auf den Kriterienkatalog<ref>{{Internetquelle |autor=Patrick Sahle |url=https://www.i-d-e.de/publikationen/weitereschriften/kriterien-version-1-1/ |titel=Kriterien für die Besprechung digitaler Editionen, Version 1.1 |titelerg=Unter Mitarbeit von Georg Vogeler und den Mitgliedern des IDE |hrsg=Institut für Dokumentologie und Editorik |datum=2014-06 |abruf=2022-09-09 }}</ref> von [[Patrick Sahle]].

Sahles Katalog beinhaltet keine harte Kriterien beispielsweise zur Mindestbildpunktanzahl von Faksimiles wie sie bei der DFG vorgefunden werden können. Vielmehr werden relevante Eigenschaften von Editionen durch Fragen aufgegriffen. Diese betreffen insbesondere die Transparenz und Begründung von Editionsentscheidungen im Bereich von Datenauswahl, -modellierung, -transkription und -präsentation, die Zugänglichkeit der Daten im Sinne von Benutzerfreundlichkeit, Zitierbarkeit, Lizenzierung und Zugriffsmöglichkeiten gemäß digitalem Paradigma sowie die Verortung des Editionsvorhabens im fachwissenschaftlichen und methodischen Kontext. Die Edition wird folglich vor ihrem eigenen Hintergrund besprochen.

Andere Kriterienkataloge/Richtlinien sind u.a.:
* Guidelines for Editors of Scholarly Editions der [[Modern Language Association]]
* Förderkriterien für wissenschaftliche Editionen in der Literaturwissenschaft der [[Deutsche Forschungsgemeinschaft|Deutschen Forschungsgemeinschaft]]

== Beispiele ==
* [https://gams.uni-graz.at/context:corema CoReMA: Cooking Recipes of the Middle Ages]
* [https://weber-gesamtausgabe.de/de/Index Carl-Maria-von-Weber-Gesamtausgabe. Digitale Edition: Briefe.]

Alle hier aufgeführten digitalen Editionen haben in der Rezensionszeitschrift RIDE eine positive Beurteilung erhalten.


== Literatur ==
== Literatur ==
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* [http://www.i-d-e.de Institut für Dokumentologie und Editorik]
* [http://www.i-d-e.de Institut für Dokumentologie und Editorik]
* [http://ride.i-d-e.de/ RIDE - A review journal for digital editions and resources]
* [http://ride.i-d-e.de/ RIDE - A review journal for digital editions and resources]
* [https://www.digitale-edition.at/context:konde KONDE - Kompetenznetzwerk Digitale Edition]

== Einzelnachweise ==
<references />



[[Kategorie:Editionsphilologie]]
[[Kategorie:Editionsphilologie]]

Version vom 9. September 2022, 07:20 Uhr

Digitale Editionen dienen dazu, kulturelles Erbe zu erschließen, zugänglich und nutzbar zu machen. Als Basis und Ergebnis wissenschaftlicher Forschung richten sie sich sowohl an Experten als auch an die allgemeine Öffentlichkeit. Durch die verwendeten Technologien sind sie im Vergleich zur traditionellen, gedruckten Edition durch eine Erweiterung der Inhalte, Methoden und Nutzungsformen charakterisiert und zeichnen sich dem digitalen Paradigma folgend insbesondere durch Datenzentriertheit, Multimedialität und Interaktivität aus. Sie stellen daher disziplinübergreifend den Normalfall der Edition dar.

Unterschiedliche Editionstypen sind in der Vielzahl möglicher Editionsgegenstände (z.B. literarische Werke, dreidimensionale Objekte, Musikalien), differierenden editorischen Ansprüchen und Positionen sowie unterschiedlichen Nutzungsszenarien begründet.

Die Erstellung digitaler Editionen erfordert die Analyse, Modellierung, Transkription, Kodierung und Visualisierung des Editionsgegenstandes. Die Berücksichtigung von Standards verbessert dabei die Zugänglichkeit und Wiederverwendbarkeit der Daten und erleichtert die Langzeitarchivierung. Für den Editionsprozess stehen sowohl umfassende virtuelle Forschungsumgebungen als auch Tools für Einzelschritte zur Verfügung.

Begriffsklärung

Edition

Kulturelle Artefakte wie literarische Werke können durch die Distanz zwischen ihrem Entstehungszeitpunkt und der Gegenwart einen hohen Erklärungsbedarf entwickeln. Beispielsweise können Wörter ihre Bedeutung verändern, Werkfragmente verloren gehen, unterschiedliche Werkvarianten entstehen oder soziopolitische Umstände, die den Autor und sein Werk geprägt haben, aufgrund mittlerweile veränderter Verhältnisse schwer nachvollziehbar sein. Editionen dienen dazu, diese Distanz zu überbrücken, indem sie den Editionsgegenstand erschließen und ihn aufbereitet dem wissenschaftlichen Publikum sowie der Öffentlichkeit präsentieren. Die Breite und Tiefe der editorischen Eingriffe hängt dabei vom konkreten Editionstyp ab.

Digitales Paradigma

Unter dem Begriff digitales Paradigma wird der Einfluss der verwendeten Technologien auf Methoden, Inhalte und Nutzungsformen digitaler Editionen diskutiert. Dies geschieht teils im Vergleich zum Paradigma traditioneller (gedruckter) Editionen, teils als eigenständige Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten und Herausforderungen des Digitalen. Relevante Aspekte des digitalen Paradigmas in Bezug auf digitale Editionen sind (jeweils in Abgrenzung zu gedruckten Editionen) u.a. Multimedialität, Datenzentriertheit, Offenheit, Prozesshaftigkeit und Interaktivität.

Multimedialität

Aufgrund der materiellen Ungebundenheit von digitalen Editionen kann der Editionsgegenstand nicht nur textuell, sondern u.a. auch fotografisch oder audiovisuell repräsentiert werden. So ist die Bereitstellung von Faksimiles bei digitalen Editionen üblich – anders als bei gedruckten Editionen, die aus Platz- und Kostengründen tendenziell auf viele Abbildungen verzichten. In digitalen Editionen können dadurch beispielsweise mittels Abgleich des Faksimiles und des transkribierten Textes leichter Vorgehensweisen und mögliche Fehler identifiziert werden. Durch den Fokus auf die realen Dokumente wird jedoch eine materialistischere Sicht auf den Editionsgegenstand gefördert.[1]

Datenzentriertheit

Die Erstellung einer digitalen Edition erfordert die Modellierung des Editionsgegenstandes, der anschließend in unterschiedlichster Weise präsentiert werden kann. Digitale Editionen folgen dabei dem Single Source-Prinzip, d.h. die gewünschten Sichten auf die Daten werden ausgehend von einer einzigen, reichen Datenbasis erstellt. So kann eine Darstellung in verschiedenen Medien generiert werden, beispielsweise als eine Webseite oder als Datensammlung an einer (Programmier-)Schnittstelle. Gleichermaßen können Präsentationen mit unterschiedlicher Erschließungstiefe aus der Datenbasis erstellt werden, etwa eine Textfassung mit normalisierter Schreibweise ohne Annotationen oder eine Textfassung mit Hervorhebung von Named Entities bei Beibehaltung des historischen Sprachbildes. Diese vielfältigen Wiedergabeformen sind im Kontext einer gedruckten Edition nicht realisierbar, die an einer einzigen Präsentationsform orientiert ist.[2]

Offenheit

In gedruckten Editionen dient die Buchseite als Präsentationsgrundlage für die Editionsinhalte. Aus Gründen der Handhabbarkeit sowie aus wirtschaftlichen Überlegungen heraus ist die Anzahl dieser Seiten begrenzt. In digitalen Editionen ist diese Beschränkung deutlich abgemildert, wodurch das Einbringen weiterer Kontexte erleichtert wird. Für eine Briefedition könnten beispielsweise neben Faksimiles und Transkriptionen der Briefe umfangreiches Bild- und Textmaterial zu den Absende- und Empfangszeitpunkten und -orten eingebunden werden, um die Inhalte zu kontextualisieren. Diese Tendenz zur Inklusion kann jedoch ohne eine genaue Definition des Editionsgegenstandes in dessen Entgrenzung resultieren.[3]

Prozesshaftigkeit

Eine gedruckte Edition dokumentiert häufig als Ergebnis aller editorischen Arbeiten einen Endzustand. Digitale Editionen sind hingegen leicht veränderbar, wodurch die Möglichkeit besteht, bereits früh im Editionsprozess Ergebnisse zu teilen und diese Schritt für Schritt zu erweitern. Somit wird „[d]ie Edition [...] vom Produkt zum Prozess“.[4] Damit einhergeht der Bedarf nach adäquaten Lösungen für die Gewährleistung der Zitierbarkeit und der Nachvollziehbarkeit von Eingriffen in die digitale Edition.

Interaktivität

Digitale Editionen erlauben als digitale Publikationen unterschiedlichste Möglichkeiten der Interaktion, die sich von Edition zu Edition unterscheiden können. Bereits durch die Verwendung von Links können Benutzer jedoch die editionstypische Vernetzung der Editionsobjekte mit Sachkommentaren und Registern unmittelbarer als in gedruckten Editionen nutzen. Darüber hinaus können Paratexte auch als Pop-Ups erst dann erscheinen, wenn durch Bewegung des Mauszeigers über ein hervorgehobenes Wort Interesse an einer Erläuterung desselben ausgedrückt wird.

Benutzer können zudem durch ihre Eingaben Sichten auf die Editionsdaten generieren, die ihren Bedürfnissen entsprechen. Beispielsweise kann in einer Briefedition über Suchfilter bestimmt werden, dass ausschließlich Briefe des Absenders X an die Empfängerin Y im Zeitraum Z angezeigt werden. In einer digitalen historisch-kritischen Ausgabe eines literarischen Werks mag es hingegen möglich sein, Transkriptionen und Faksimiles verschiedener Textvarianten je nach Bedarf einer synoptischen, d.h. parallel vergleichenden Ansicht hinzuzufügen oder zu entfernen.


Aufgrund der Orientierung an diesen Leitvorstellungen ist es nicht möglich, eine digitale Edition „ohne wesentliche Verluste an Inhalt oder Funktionalität in eine traditionelle (gedruckte) Edition“ zu überführen.[5] Aus den gleichen Gründen gilt sie disziplinübergreifend als Normalfall der Edition.[6]

Darüber hinaus resultiert das digitale Paradigma in „unmittelbare[n] Folgen für Produktion, Bearbeitung, Reproduktion, Organisation und Zirkulation des im Editionsprozess entstehenden Wissens“[7] und dementsprechend den gesamten editorischen Prozess.

Abgrenzung

Digitalisierte Edition

Eine digitalisierte Edition entsteht, wenn eine gedruckte Edition in diskrete (digitale) Werte konvertiert wird. Dies kann beispielsweise durch Scannen der Buchseiten geschehen. Durch die Digitalisierung wird u.A. die Weiterverarbeitung mit Computern und die Verbreitung in digitalen Medien erleichtert.

Eine digitalisierte Edition kann in dem Sinne als digital beschrieben werden, als dass ihre Daten diskret vorliegen. Es handelt sich im engeren Sinne jedoch (noch) nicht um eine digitale Edition, da die Möglichkeiten des digitalen Paradigmas nicht ausgeschöpft werden. Durch weitere Verarbeitungsschritte – etwa die interne und externe Verlinkung, die Einbindung multimedialer Inhalte, die Auszeichnung der Texte und der genannten Entitäten für verbesserte Zugriffsmöglichkeiten auf die Inhalte – kann jedoch aus einer digitalisierten Edition eine digitale Edition hervorgehen. Die Frage, wann die Schwelle zur digitalen Edition als überschritten gilt, ist noch nicht abschließend geklärt.[8]

Hybridedition

Eine Hybridedition liegt vor, wenn eine Edition sowohl in digitalen als auch in analogen Medien publiziert wird.[9]

Die gedruckte Edition zeichnet sich durch ihre materielle Gebundenheit und Linearität aus, die beispielsweise geeignet für eine sequentielle Rezeption des Editionsgegenstandes ist. Durch die stark begrenzten Zugriffsmöglichkeiten (z.B. Register und Inhaltsverzeichnis), Funktionalitäten und Sichtweisen auf den Editionsgegenstand hat sie gegenüber dem Editionsprojekt jedoch „nur spin-off-Charakter“[10] und kann eine digitale Edition nicht vollständig abbilden.

Gedächtnisinstitutionen

Digitale Archive, digitale Bibliotheken und digitale Museen können von digitalen Editionen insbesondere anhand der angestrebten Erschließungstiefe und Zielsetzung abgegrenzt werden. Während die genannten Gedächtnisinstitutionen eine große Menge von Objekten gleichartig erschließen, steht bei digitalen Editionen die vertiefte, kritische Durchdringung und Aufarbeitung eines thematisch begrenzten Gegenstandes im Fokus.[11]

Geschichte

Die Diskussion um die digitale Edition begann in den 1990er Jahren, als die CD-ROM als billiger Datenträger kommerziell verwendet wurde. Die älteren Versuche, den Computer für kritische Editionen zu verwenden, waren häufig am Vorbild der gedruckten Edition orientiert. Dieser Typus ist inzwischen unter der Bezeichnung elektronische Edition geläufig und markiert damit ein frühes Entwicklungsstadium der digitalen Edition.[12]

Editionstypen

Abgrenzung von Editionstypen im Allgemeinen

Je nach Zusammenspiel von Gegenstand, editorischem Anspruch, intendierter Nutzung sowie fachwissenschaftlichem Hintergrund einer Edition können unterschiedlichste Editionstypen voneinander abgegrenzt werden.[13]

Gegenstand

Alle kulturellen Äußerungen können editionsfähig sein und als Editionsgegenstand kritisch untersucht sowie mit Wissen angereichert werden. Gegenstände einer digitalen Edition sind z.B. Werke der Literatur, Musik und bildnerischen Künste, Dokumente wie Briefe und Tagebücher, audiovisuelle Medien, Gegenstände, Archivalien und born digital-Daten.[14]

Die editorische Methode muss dabei auf den jeweiligen Gegenstand zugeschnitten sein und wird von diesem beeinflusst. Die stemmatologische Methode (auch Lachmannsch'scher Ansatz) wurde beispielsweise für klassische Literatur entwickelt: Vor dem Buchdruck wurden Bücher zumeist durch Abschrift verbreitet, wobei sich häufig Fehler eingeschlichen haben. Durch Klärung der Abstammungsverhältnisse aller überlieferten Varianten eines Textes wird nun versucht, den Stammbaum – und damit auch den Urtext oder einen möglichst nah an diesem angesiedelten, authentischen Text – zu rekonstruieren.[15]

Editorischer Anspruch

Der konkrete Editionstyp wird davon beeinflusst, welchen Ansprüchen die Edition genügen soll. Diese ergeben sich gemäß Sahle insbesondere aus den verfügbaren Ressourcen, der fachlichen Verortung des Editionsvorhabens sowie der wahrgenommenen Bedeutung des Textes.[16] Im deutschen Sprachraum genügt die historisch-kritische Ausgabe beispielsweise dem Maximalkatalog an editorischen Ansprüchen,[17] bindet jedoch jahrelang Ressourcen, was dem Ziel, einen unbekannten Text möglichst schnell bereitzustellen, entgegenstehen würde. Daher finden sich Abstufungen von Editionen mit sehr hohem wissenschaftlichem Anspruch (scientific edition, historisch-kritische Ausgabe) über kritische Editionen (scholarly edition) hin zu nicht-kritischen Ausgaben. Zudem stehen der historisch-kritischen Arbeitsweise im angloamerikanischen Raum beispielsweise copy-text und documentary editing gegenüber.[18]

Nutzung

Je nach intendierter Zielgruppe müssen digitale Editionen unterschiedliche Bedarfe erfüllen. Bei einer kritischen Nutzung ist ein textkritischer Apparat unerlässlich; steht hingegen die reine Lektüre des Werkes im Fokus, könnten diese Paratexte die Rezeption stören. Gleichermaßen können Eingriffe in den Text, wie z.B. die Anpassung der Orthografie, sprachwissenschaftliche Untersuchungen erschweren oder verfälschen, während sie die inhaltliche Erfassung des Textes für andere erleichtern.

Theoretischer Hintergrund

Die Edition wird zudem vom Grundverständnis zentraler Begriffe und der Grundhaltung zum Editionsgegenstand selbst beeinflusst. So wird insbesondere zwischen der idealistischen und materialistischen Herangehensweise unterschieden: Erstere versucht, den vom Autor intendierten Text zu (re-)konstruieren, während zweitere sich ausschließlich auf die materielle Überlieferung, d.h. die realen Dokumente und die darin festgehaltenen Texte stützt.[19] Gleichermaßen führt die konkrete Auslegung des Autor-, Werk- und Textbegriffs zu unterschiedlichen Editionen und Editionstypen.

Editionstypologie

Es existieren unterschiedliche Editionstypologien. Im deutschen Sprachraum zentral ist das Schema der historisch-kritischen Ausgabe sowie den aus ihr abgeleiteten Derivaten.[20]

Die historisch-kritische Ausgabe konstituiert aus allen vorhandenen Textträgern einen möglichst fehlerfreien, authentischen Text, der sich durch Sachstellenkommentare, die Dokumentation seiner Entstehungs- und Wirkungsgeschichte sowie den textkritischen Apparat als Grundlage für eine vertiefte wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Material eignet. Die historisch-kritische Edition richtet sich damit an ein wissenschaftliches Fachpublikum.

Die Studienausgabe übernimmt diesen Leittext unter Beibehaltung des historischen Sprachstandes sowie Texterläuterungen, enthält jedoch in der Regel keine umfassenden Variantenapparate mehr. Anders als die historisch-kritische Edition dokumentiert sie also nicht alle bestehenden Textfassungen.

Die Leseausgabe ist für die Textlektüre intendiert und übernimmt ihn daher ohne Apparate oder Erläuterungen und normiert sowie modernisiert ihn zur Verbesserung der Lesefreundlichkeit. Ihren besonderen Anspruch bezieht sie aus der Verwendung eines kritisch konstituierten Textes.

Faksimile- und Regestausgaben werden nicht als Derivat der historisch-kritischen Ausgabe betrachtet und erheben keinen kritischen Anspruch.[21]

Erstellung digitaler Editionen

Prototypischer Arbeitsablauf

Das Vorgehen bei der Erstellung von digitalen Editionen textueller Daten lässt sich in die Schritte Analyse, Modellierung, Transkription, Kodierung und Visualisierung unterteilen.[22] Daran schließen sich Maßnahmen zur Gewährleistung der dauerhaften Verfügbarkeit und Zitierbarkeit der erstellten Ressource an, d.h. Aspekte der Langzeitarchivierung.

Zunächst wird der Editionsgegenstand eingehend gesichtet. Ausgehend von den Anforderungen und Zielsetzungen des Projektes werden dann die Eigenschaften des Materials ausgewählt, die in der digitalen Edition repräsentiert werden sollen. Das Ziel ist die Erstellung eines formalen Modells, das für jedes Objekt des Editionsgegenstandes eine einheitlich breite und tiefe Erschließung in den folgenden Editionsschritten steuert. Beispielsweise kann bei einer Brief-Edition festgelegt werden, dass aus dem Briefkopf der Adressant als Person explizit modelliert wird, auf die Modellierung der Eigenschaften des Briefpapieres (Dicke, Größe, Opazität, Farbe, Verunreinigungen) jedoch verzichtet wird.

Anschließend oder parallel dazu werden ausgehend von den analogen Originalvorlagen oder ihren Scans Transkriptionen angefertigt, die den Text maschinenlesbar machen. Dies kann z.B. manuell im Double Keying-Verfahren geschehen, d.h. durch Abtippen des Textes vom Textträger durch mehrere Personen und die anschließende Prüfung von Abweichungen in den Transkriptionen. Gleichermaßen können OCR-Verfahren zum Einsatz kommen.

Daran schließt sich die strukturelle und semantische Anreicherung der Transkriptionen an, d.h. die Kodierung. Für welche Phänomene explizite Auszeichnungen in den Transkriptionen zu ergänzen sind, hängt von dem erarbeiteten Datenmodell ab. Handelt es sich z.B. um eine digitale Edition, die verschiedene Textversionen erschließt, setzt das eine Kollationierung voraus, d.h. den Vergleich dieser Versionen und die explizite Hervorhebung von Unterschieden zwischen ihnen. Dabei kann es sich etwa um hinzugefügten oder entfernten Text sowie unterschiedliche Schreibungen handeln.

Ausgehend von dieser Datenbasis können dann Modelle für unterschiedliche Präsentationsformen erstellt werden. Beispielsweise muss für die Ausgabe auf einer Webseite festgelegt werden, welche Elemente anzuzeigen sind und welche Interaktionsmöglichkeiten zur Verfügung stehen sollen. Ausgehend von diesen Modellen können dann im letzten Schritt, der Visualisierung, unterschiedliche Präsentationsformen bereitgestellt werden.

Standards

Die Einhaltung von Standards bei der Erstellung und Publikation von digitalen Editionen ist zentral. Standardisierte Formate sorgen für eine bessere Zugänglichkeit und Wiederverwendbarkeit der unter hohem Ressourceneinsatz erzeugten Daten und fördern somit eine nachhaltigere und effizientere Forschung. Zudem wird die Langzeitarchivierung erleichtert, was für die dauerhafte Auffindbarkeit und Referenzierbarkeit der digitalen Edition als wissenschaftliche Publikation auch zu Zitationszwecken unerlässlich ist.

Für die Kodierung textueller (hierarchischer) Daten dienen die Richtlinien der Text Encoding Initiative als de facto-Standard. Das Datenmodell kann dabei u.a. mittels DTD, XML Schema oder RELAX NG formalisiert werden. Ist die Digitalisierung der Materialien für die Edition nötig, listet die DFG umfassende Praxisregeln hierfür auf.[23]

Textuelle Daten können zudem graphenbasiert modelliert werden, was z.B. bei überlappenden Analyseebenen bedeutsam ist, die aufgrund der hierarchischen Struktur von XML nicht oder nur umständlich in diesem Format ausgedrückt werden könnten. Ein relevanter Standard ist hierbei RDF.

Für die Kodierung gesprochener Sprache ist insbesondere EXMARaLDA von Bedeutung. Musikalien können hingegen entsprechend der Richtlinien der Music Encoding Initiative sowie mittels MusicXML kodiert werden.

Für die Metadatenerfassung stehen ebenfalls zahlreiche Standards zur Verfügung. Die DFG empfiehlt für die Erfassung deskriptiver Metadaten von gedruckten Textwerken und Archivgut METS und MODS, für Handschriften METS und TEI und für dreidimensionale und bildhafte Objekte LIDO.[24] Für die Sammlungsbeschreibung können neben diesen Standards u.a. auch Dublin Core und EAD(DDB) genutzt werden.[25]

Bei der Visualisierung kommen je nach Präsentationsform unterschiedliche Standards zum Einsatz. Bei Webseiten ist dies insbesondere HTML in Verbindung mit CSS für die Webseitengestaltung sowie JavaScript für dynamische Inhalte.

Werkzeuge

Digitale Editionen beschäftigen sich mit einer Vielzahl von Gegenständen und entstehen unter verschiedensten Zielsetzungen und methodischen Haltungen. Dadurch ist die Umsetzung einer einzigen Software für Editor/innen, die allen denkbaren Editionsprojekten gerecht werden kann, kaum realisierbar.[26]

Die folgende Liste zeigt eine Auswahl von Forschungsumgebungen und Werkzeugen, die den Editionsprozesses unterstützen:

  • Virtuelle Forschungs- und Publikationsumgebungen
  • Werkzeuge für den gesamten Editionsprozess
  • Werkzeuge für Teilschritte des Editionsprozesses
    • Modellierung
      • ROMA für die Modellierung gemäß TEI-Richtlinien
    • Transkription
    • Kodierung
      • Oxygen als XML-Editor
      • Neo4j
    • Kollationierung
      • Juxta
      • CollateX
    • Visualisierung
      • Reledmac

Evaluation digitaler Editionen

Es existieren mehrere Handreichungen zur Besprechung und Beurteilung der Qualität digitaler Editionen. Die Zielsetzung ist dabei nicht nur die Bewertung einer einzelnen Edition, sondern auch die Herausarbeitung von Best Practices und die Anregung der Methodendiskussion. Die Rezensionszeitschrift RIDE des Instituts für Dokumentologie und Editorik stützt sich insbesondere auf den Kriterienkatalog[27] von Patrick Sahle.

Sahles Katalog beinhaltet keine harte Kriterien beispielsweise zur Mindestbildpunktanzahl von Faksimiles wie sie bei der DFG vorgefunden werden können. Vielmehr werden relevante Eigenschaften von Editionen durch Fragen aufgegriffen. Diese betreffen insbesondere die Transparenz und Begründung von Editionsentscheidungen im Bereich von Datenauswahl, -modellierung, -transkription und -präsentation, die Zugänglichkeit der Daten im Sinne von Benutzerfreundlichkeit, Zitierbarkeit, Lizenzierung und Zugriffsmöglichkeiten gemäß digitalem Paradigma sowie die Verortung des Editionsvorhabens im fachwissenschaftlichen und methodischen Kontext. Die Edition wird folglich vor ihrem eigenen Hintergrund besprochen.

Andere Kriterienkataloge/Richtlinien sind u.a.:

Beispiele

Alle hier aufgeführten digitalen Editionen haben in der Rezensionszeitschrift RIDE eine positive Beurteilung erhalten.

Literatur

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Patrick Sahle: Digitale Edition. In: Fotis Jannidis, Hubertus Kohle, Malte Rehbein (Hrsg.): Digital Humanities. Eine Einführung. 1. Auflage. J.B. Metzler Verlag, Stuttgart 2017, ISBN 978-3-476-02622-4, S. 240.
  2. Christiane Fritze: Manifest für digitale Editionen. In: DHd-Blog. 11. März 2022, abgerufen am 9. September 2022. Absatz 7.
  3. Patrick Sahle: Digitale Edition. In: Fotis Jannidis, Hubertus Kohle, Malte Rehbein (Hrsg.): Digital Humanities. Eine Einführung. 1. Auflage. J.B. Metzler Verlag, Stuttgart 2017, ISBN 978-3-476-02622-4, S. 240.
  4. Patrick Sahle: Digitale Edition. In: Fotis Jannidis, Hubertus Kohle, Malte Rehbein (Hrsg.): Digital Humanities. Eine Einführung. 1. Auflage. J.B. Metzler Verlag, Stuttgart 2017, ISBN 978-3-476-02622-4, S. 240.
  5. Patrick Sahle: Digitale Edition. In: Fotis Jannidis, Hubertus Kohle, Malte Rehbein (Hrsg.): Digital Humanities. Eine Einführung. 1. Auflage. J.B. Metzler Verlag, Stuttgart 2017, ISBN 978-3-476-02622-4, S. 239.
  6. Patrick Sahle: Digitale Editionsformen. Zum Umgang mit der Überlieferung unter den Bedingungen des Medienwandels. Teil 2: Befunde, Theorie und Methodik (= Schriften des Instituts für Dokumentologie und Editorik. Band 8). Books on Demand, Norderstedt 2013, ISBN 978-3-8482-5252-7, S. 148.
  7. Christiane Fritze: Manifest für digitale Editionen. In: DHd-Blog. 11. März 2022, abgerufen am 9. September 2022. Absatz 3.
  8. Patrick Sahle: Digitale Editionsformen. Zum Umgang mit der Überlieferung unter den Bedingungen des Medienwandels. Teil 2: Befunde, Theorie und Methodik (= Schriften des Instituts für Dokumentologie und Editorik. Band 8). Books on Demand, Norderstedt 2013, ISBN 978-3-8482-5252-7, S. 152.
  9. Patrick Sahle: Digitale Edition. In: Fotis Jannidis, Hubertus Kohle, Malte Rehbein (Hrsg.): Digital Humanities. Eine Einführung. 1. Auflage. J.B. Metzler Verlag, Stuttgart 2017, ISBN 978-3-476-02622-4, S. 243.
  10. Patrick Sahle: Digitale Edition. In: Fotis Jannidis, Hubertus Kohle, Malte Rehbein (Hrsg.): Digital Humanities. Eine Einführung. 1. Auflage. J.B. Metzler Verlag, Stuttgart 2017, ISBN 978-3-476-02622-4, S. 243.
  11. Patrick Sahle: Digitale Edition. In: Fotis Jannidis, Hubertus Kohle, Malte Rehbein (Hrsg.): Digital Humanities. Eine Einführung. 1. Auflage. J.B. Metzler Verlag, Stuttgart 2017, ISBN 978-3-476-02622-4, S. 239.
  12. Patrick Sahle: Digitale Editionsformen. Zum Umgang mit der Überlieferung unter den Bedingungen des Medienwandels. Teil 2: Befunde, Theorie und Methodik (= Schriften des Instituts für Dokumentologie und Editorik. Band 8). Books on Demand, Norderstedt 2013, ISBN 978-3-8482-5252-7, S. 151.
  13. Patrick Sahle: Digitale Editionsformen. Zum Umgang mit der Überlieferung unter den Bedingungen des Medienwandels. Teil 1: Das typografische Erbe (= Schriften des Instituts für Dokumentologie und Editorik. Band 7). Books on Demand, Norderstedt 2013, ISBN 978-3-8482-3970-2, S. 235.
  14. Christiane Fritze: Manifest für digitale Editionen. In: DHd-Blog. 11. März 2022, abgerufen am 9. September 2022. Absatz 2.
  15. Patrick Sahle: Digitale Editionsformen. Zum Umgang mit der Überlieferung unter den Bedingungen des Medienwandels. Teil 1: Das typografische Erbe (= Schriften des Instituts für Dokumentologie und Editorik. Band 7). Books on Demand, Norderstedt 2013, ISBN 978-3-8482-3970-2, S. 236.
  16. Patrick Sahle: Digitale Editionsformen. Zum Umgang mit der Überlieferung unter den Bedingungen des Medienwandels. Teil 1: Das typografische Erbe (= Schriften des Instituts für Dokumentologie und Editorik. Band 7). Books on Demand, Norderstedt 2013, ISBN 978-3-8482-3970-2, S. 237.
  17. Patrick Sahle: Digitale Editionsformen. Zum Umgang mit der Überlieferung unter den Bedingungen des Medienwandels. Teil 1: Das typografische Erbe (= Schriften des Instituts für Dokumentologie und Editorik. Band 7). Books on Demand, Norderstedt 2013, ISBN 978-3-8482-3970-2, S. 236.
  18. Patrick Sahle: Digitale Editionsformen. Zum Umgang mit der Überlieferung unter den Bedingungen des Medienwandels. Teil 1: Das typografische Erbe (= Schriften des Instituts für Dokumentologie und Editorik. Band 7). Books on Demand, Norderstedt 2013, ISBN 978-3-8482-3970-2, S. 236 f.
  19. Patrick Sahle: Digitale Editionsformen. Zum Umgang mit der Überlieferung unter den Bedingungen des Medienwandels. Teil 1: Das typografische Erbe (= Schriften des Instituts für Dokumentologie und Editorik. Band 7). Books on Demand, Norderstedt 2013, ISBN 978-3-8482-3970-2, S. 242 f.
  20. Patrick Sahle: Digitale Editionsformen. Zum Umgang mit der Überlieferung unter den Bedingungen des Medienwandels. Teil 1: Das typografische Erbe (= Schriften des Instituts für Dokumentologie und Editorik. Band 7). Books on Demand, Norderstedt 2013, ISBN 978-3-8482-3970-2, S. 239.
  21. Patrick Sahle: Digitale Editionsformen. Zum Umgang mit der Überlieferung unter den Bedingungen des Medienwandels. Teil 1: Das typografische Erbe (= Schriften des Instituts für Dokumentologie und Editorik. Band 7). Books on Demand, Norderstedt 2013, ISBN 978-3-8482-3970-2, S. 239.
  22. Malte Rehbein, Christiane Fritze: 2. Hands-On Teaching Digital Humanities: A Didactic Analysis of a Summer School Course on Digital Editing. In: Brett D. Hirsch (Hrsg.): Digital Humanities Pedagogy. Practices, Principles and Politics. Open Book Publishers, Cambridge 2012, S. 47–78 ([1] [abgerufen am 9. September 2022]).
  23. DFG-Praxisregeln "Digitalisierung". DFG-Vordruck 12.151. (PDF; 920 KB) Deutsche Forschungsgemeinschaft, Dezember 2016, abgerufen am 9. September 2022.
  24. DFG-Praxisregeln "Digitalisierung". DFG-Vordruck 12.151. (PDF; 920 KB) Deutsche Forschungsgemeinschaft, Dezember 2016, S. 7, abgerufen am 9. September 2022.
  25. DFG-Praxisregeln "Digitalisierung". DFG-Vordruck 12.151. (PDF; 920 KB) Deutsche Forschungsgemeinschaft, Dezember 2016, S. 33, abgerufen am 9. September 2022.
  26. Patrick Sahle: Digitale Editionsformen. Zum Umgang mit der Überlieferung unter den Bedingungen des Medienwandels. Teil 2: Befunde, Theorie und Methodik (= Schriften des Instituts für Dokumentologie und Editorik. Band 8). Books on Demand, Norderstedt 2013, ISBN 978-3-8482-5252-7, S. 257.
  27. Patrick Sahle: Kriterien für die Besprechung digitaler Editionen, Version 1.1. Unter Mitarbeit von Georg Vogeler und den Mitgliedern des IDE. Institut für Dokumentologie und Editorik, Juni 2014, abgerufen am 9. September 2022.