Appenzeller Bauernhaus

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Charakteristischer Appenzeller Hof mit seiner gebänderten Fassade

Das Appenzeller Bauernhaus als traditionelle Hofform des Appenzellerlands und der angrenzenden Regionen (z. B. Toggenburg) kennt eigenständige Bautypen innerhalb der Formengruppe des Schweizer Bauernhauses. Diese geht auch in die bürgerlichen Bauformen ein, daher spricht man allgemeiner von Appenzellerhaus.

Hofanlage bei Bühler

Gemeinsame Formensprache

Horersjokelis Wohnhaus, Stilmix mit klassisch brettgetäfelter Appenzeller Fassade, barockisierenden Putzeinfassungen und bis ins Vorarlbergische heimischen kleinen Rundschindeln an der Wetterseite
Roothuus in Gonten, 1778

Die Gegend ist ein typischer Raum der Streubesiedlung, mit Gehöften in Solitärlage, die Dörfer sind eine junge Entwicklung.[1] Prinzipiell sind im Raum die Höfe gesüdet, die Stubenseite weist also nach Süden[1] (und nicht etwa nach Osten, wie im bayerisch-österreichischen Raum).

Eine charakteristische Eigenschaft sind die Fensterbänder, die Fassade gliedert sich in eng, meist in Serie beieinanderstehende relativ große Einzelfenster, die nur an den Innenwandansätzen durch Wandflächen unterbrochen sind. In der Vertikalen nehmen dann die oft holzbeschlagenen Wandflächen und die Fenzerzeilen etwa denselben Raum ein. Das Appenzellerhaus ist zwar traditionell in Blockbauweise errichtet,[2] greift aber in der für Blockhäuser unüblichen Fassendengliederung die Formen der nördlich angrenzenden Ständerbauweise und des im Bodenseeraum heimischen Fachwerkhauses auf. Der umlaufende Balkon, wie er rundum üblich ist, fehlt im Appenzellerischen aber.[3] Betont wird der querstreifige Fassendenaufbau durch durchlaufende kleine Fenstervordachbänder, und gerne durch eine abgesetzte Farbgebung.

Die breiten Fensterzeilen mit nach unten versenkten Fensterläden ermöglichen besseres Licht für die Heimwebereien nicht nur im 15. bis 17. Jahrhundert, sondern bis ins 19. Jahrhundert: In fast jedem Haus, insbesondere im Kanton Appenzell Ausserrhoden, stand ein Webstuhl zur Produktion für die Textilindustrie in der Ostschweiz. Zu diesem Zeitpunkt besassen grosse Teile der Bevölkerung keinen eigenen Boden für die Landwirtschaft mehr.

Die traditionellen Farben des Appenzeller Bauernhauses scheinen sich an Insekten auszurichten; das Wohnhaus wird in Farben gehalten, welche als nicht interessant für Holzschädlinge angesehen wurden. Verbreitet ist zeitweise etwa die rote Färbelung in Ochsenblut gewesen.

Heidenhaus

Die älteste noch erhaltene Form im Raum ist das Heidenhaus – der Name leitet sich davon ab, dass er noch aus vorchristlicher Zeit stammen sollte, er ist die auf jeden fall seit dem Hochmittelalter bekannte Bauform. Kennzeichnend ist eine geschlossene Einhof-Form und ein flaches steinbeschwertes Brettschindeldach in Traufstellung, ein Satteldach mit um die 130° Firstwinkel, das Tätschdach genannt wird. Häuser dieser Bauform sind naturgemäß selten geworden.[1]

Tätschdachhaus

Ein Haidenhaus mit «Tätschdach» und den Blitzableitern darauf

Ab etwa 1600 beginnt im Laufe der frühen Neuzeit das Tätschdach steiler zu werden und mit kleineren Legschindeln gedeckt (das Dach erreicht Mitte des 17. Jahrhunderts 90° Firstwinkel, und zunehmend findet sich genagelte Schindeln und dann Ziegeldeckung)[1]. Die Stubenfront verlagert sich an die Giebelseite, im Dachraum entsteht eine Firstkammer – die üblicherweise Wohnraum des Gesindes ist. Dieser Bautyp wird dann Tätschdachhaus genannt.[1] Hier findet sich eine frühe Datierung 1539 im Hof Lortanne in Teufen.

Weberhöckli

Das kleine Weberhaus ist eine Entwicklung der Verlagerung auf Heimgewerbe, es ist ein Kleinhandwerkerhäuschen ohne Landwirtschaft, daher ohne Ökonomietrakt. Es ist durchwegs nur einstöckig mit Firstkammer, charakteristisch ist der Webkeller mit den bodennahen Fenster. Dieser findet sich dann in Ausserrhoden auch durchwegs bei den Bauernhöfen,[4] fehlt aber in Innerrhoden.[1]

Kreuzgiebelhaus

Typisches Appenzeller Kreuzgiebelhaus mit traufseitig angebautem Stall

Der Kreuzgiebelhof ist die heute das Landschaftsbild prägende Bauweise des Appenzellerlandes bis ins westlich davon gelegene Toggenburg.[5] Dabei wird der Wirtschaftstrakt (Ökonomiegebäude) traufständig, also längs an der Seite des Hauses, angebaut.[1] Der sich daraus ergebende T-förmige Grundriss mit dem meist firstgleichen Anfallspunkt (Kreuzgiebel) ermöglicht, Stubenfront wie auch Ökonomietrakt in die Sonne zu stellen, wie auch größere Höfe.

Diese Bauform des 19. Jahrhunderts hat die älteren Hofformen weitgehend verdrängt.[1]

Bürgerhäuser

Kaufmannshaus Gruber in Gais, 1783

Das Bürgerhaus des Appenzellerlandes bleibt der Formensprache der Bauernhäuser eng verbunden. Durch die Aufnahme der herrschaftlichen Baustile des Barock und Klassizismus entsteht so die örtliche Form des historistischen Schweizerstils, der weiterhin durch die charakteristischen Fensterbänder geprägt ist.

Rezeption der Moderne und Renovierungen

Im Appenzellerland wurden nicht nur weitere Bauten auch ohne die betriebliche Notwendigkeit eines Hofs in dieser Tradition gebaut, es werden vielmehr aus Respekt für die Bauwerkslandschaft auch neue Überbauungen in der traditionellen Form mit dem Kreuzgiebel und dem gebänderten Fassadenaufbau ausgeführt, obschon der Bauaufwand grösser ist.[6] Dabei gewinnt im Kontext der neuen Alpenarchitektur auch die Holzbauweise wieder Verbreitung.[7]

Immer häufiger verschwinden die vor Jahrzehnten allgegenwärtigen Blitzableiter, welche als hohe durch Draht verbundene Stangen über die gesamten Dachlängen verliefen. Da es generell als Einzelgehöft (Streusiedlung) abseits steht, ist das Appenzeller Bauernhaus immer vom Blitzschlag bedroht, zudem wird im Ernstfall die Anfahrt der Feuerwehr dadurch immer etwas länger dauern.

Weblinks

Commons: Appenzeller Bauernhaus – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. a b c d e f g h Das Appenzellerhaus in Teufen. Die Entwicklung des Appenzeller Bauern- und Bürgerhauses. In: Tüüfner Poscht, April 2000, S. 16 f (pdf, tposcht.ch, dort S. 11)
  2. Karin von Wietersheim Eskioglou: Der Schweizer Stil und die Entwicklung des modernen Schweizer Holzhausbaus. Dissertation Eidgenössische Technische Hochschule Zürich, ETH Nr. 15542. Zürich 2004, S. 24 (pdf, 39 MB, ethz.ch – dort S. 29; Arbeit vornehmlich zur Bautechnik).
  3. vergl. von Wietersheim Eskioglou: Der Schweizer Stil … 2004, Abb. 11 Die Vielfalt lokaltypischer Hausformen der Schweiz in ungefährer Ortsbindung und Abb. 12 Verbreitungskarte Baustoffe und der Bauweisen in der Schweiz, S. 23 (dort S. 29).
  4. vergleiche die unterste Fensterzeile des Eingangsbildes
  5. Bernhard Nievergelt, Hansruedi Wildermuth (Hrsg.): Eine Landschaft und ihr Leben: das Zürcher Oberland: vom Tierhag zum Volkiland. Band 30 von Zürcher Hochschulforum, vdf Hochschulverlag AG, 2001, ISBN 978-372812689-4, S. 333 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche)
  6. Artikel über Appenzeller Architektur in "Ostschweiz"
  7. vergl. von Wietersheim Eskioglou: Der Schweizer Stil … 2004, Abb. 108 Es zeichnen sich drei Umwälzungen im Holzbau ab. Die erste durch den Schweizer Holzstil [1830], die zweite durch die Moderne [1920] und die dritte durch eine Wiederbelebung in unserer Zeit [1980],obwohl die Menge des verbauten Holzes rapide abnimmt., S. 145 (dort S. 151; zu einer dendrochronologischen Untersuchung von Holzproben im Kanton Zürich; Jahreszahlen der Abbildung zum Beitext ergänzt).