Benutzer:Claus aus Leipzig/Zum Umgang mit Begriffen

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Ich führe im Folgenden einige Gedanken zum Umgang mit Begriffen in Wikipedia aus.

In Wikipedia sollen laut „Was Wikipedia nicht ist“: „in erster Linie Begriffe erläutert […] werden.“ Wie richtig diese Aufforderung für ein Lexikon auch ist, so stellt sich hier doch ein Problem:

Ausgangspunkt von Artikeln in einem Lexikon sind nun einmal reine sprachliche Ausdrücke, während ein Begriff aus einem sprachlichen Ausdruck und einer Bedeutungen besteht. Somit müssen, bevor ein Begriff zu einem Ausdruck erläutert werden kann, erst einmal die relevanten Bedeutungen des Ausdrucks geklärt werden.

Selbstredend muss ein Lexikon mit klaren Homonymen (‚Teekässelchen‘) umgehen, wie beispielsweise Regen oder Tau. Dies ist durch die Begriffsklärungsseiten und Verweise auf Lemmata mit Nebenbedeutungen gut gelöst.

Oftmals hat aber ein Wort auch dann, wenn es nicht in offensichtlicher Weise ein Homonym ist, oder sich auf (scheinbar) eine Bedeutung eines Homonyms beschränkt, bei genauerer Betrachtung unterschiedliche Bedeutungen und auch Konnotationen. Die Möglichkeit mehr oder weniger subtiler aber durchaus relevanter Bedeutungsunterschiede sollte man immer im Kopf behalten. Vom Standpunkt der Wikipedia aus stellt sich das Problem, dass die Unterschiede oftmals zu klein sind, um unterschiedliche Lemmata zu rechtfertigen, aber doch relevant genug, um substantielle Verwirrung zu stiften. Unabhängig von Wikipedia stellt sich die Frage, ab welchem Unterschied von Bedeutungen eines Wortes man von verschiedenen Begriffen sprechen sollte, und wann man noch einem (dann vielleicht vagen) Begriff sprechen sollte.

Dies zieht sich durch alle Bereiche. Auch in Naturwissenschaft und Technik ist dies der Fall. Wenn es hier zumindest meist möglich ist, klare Definitionen anzugeben, kommt es trotzdem vor, dass ein Wort auch innerhalb eines Faches unterschiedlich benutzt wird, von unterschiedlichen Bedeutungen in unterschiedlichen Fächern oder auch unterschiedlichen Bedeutungen in der Fach- und in der Umgangssprache ganz zu schweigen. In den Wirtschaftswissenschaften ist das Problem schon größer, als in den Naturwissenschaften. In den Geisteswissenschaften, insbesondere in der Politologie ist das Problem dann sehr deutlich.

Hier möchte ich dafür plädieren, sich möglichen Bedeutungsvarianten und auch Konnotationen immer bewusst zu sein und dies in die Arbeit hier einfließen zu lassen.

Dies bedeutet konkret:

  1. Artikel sollten in der Regel mit einer Begriffsklärung (im allgemeinen Sinn, nicht im Sinn einer so benannten Seite in Wikipedia) beginnen. Dies bedeutet, dass das Wort des Lemma in seinen etablierten Bedeutungen und Bedeutungsnuancen dargestellt wird. Hierbei sollten sowohl explizite Definitionen z.B. in Lehrbüchern und Standards als auch implizite Verwendungen in einschlägigen Werken erwähnt werden, und diese auch von der Verwendung im allgemeinen Sprachgebrauch abgegrenzt werden.
  2. Beim Verwenden von Wörtern sollte man sich der Bedeutungsvarianten bewusst sein. Beim Einarbeiten von Literatur sollte darauf geachtet werden, dass die Verwendung in der Literatur auch zur Verwendung im Kontext des Artikels passt. Wenn dies nicht der Fall ist, sollte auf eine abweichende Verwendung hingewiesen werden oder die Wortwahl auch angepasst werden. (Letzteres kann problematisch sein, weil es auch eine Interpretation der Literatur beinhalten kann, aber es kann auch unproblematisch sein, beispielsweise in der Mathematik.)
  3. Insbesondere sollte man Vorsicht walten lassen bei emotional aufgeladenen Wörtern mit unklarer Bedeutung, und hier insbesondere bei entsprechenden Wörtern, die im politischen Diskurs benutzt werden. Je unklarer und aufgeladener ein Wort ist, desto mehr sollte es vermieden werden. Paradebeispiele für Ausdrücke, die weitgehend vermieden werden sollten, sind „rechts“ und „links“, „fortschrittlich“ oder „modern“ als Beschreibung politischer Positionierungen (Hiervon zu unterscheiden sind Benutzungen der Wörter als Bestandteile von Ausdrücken wie beispielsweise links-liberal, die durchaus inhaltsreich sein können.) Eine inhaltlich präzisere Beschreibung ist in jedem Fall möglich. Vorsichtig umgehen sollte man auch mit den Wörtern, die im Artikel „Essentially Contested Concept“ als Beispiele aufgeführt werden.
  4. Man sollte sich bewusst sein, dass echte Synonyme (mit Identität von Begriffsinhalt, -umfang und Konnotation) sehr selten sind. In diesem Sinne sollte auch bei einem automatischen Verweis eines Lemma ABC auf ein Lemma XYZ der Artikel zu XYZ in der Regel nicht mit „XYZ oder auch ABC …“ oder etwas Ähnlichem beginnen. Vielmehr sollten die Bedeutungen der Wörter einzeln geklärt werden und voneinander abgegrenzt werden.
  5. Man sollte nicht verwandte Ausdrücke unterschiedlicher Sprachen miteinander identifizieren, auch wenn sie sehr ähnlich geschrieben werden oder klingen. Ausdrücke unterschiedlicher Sprachen sind unterschiedlich, und ob sie dieselbe oder abweichende Bedeutungen und auch Konnotationen haben, muss erst einmal geklärt werden.

Ich erläutere dies an einigen Lemmata (Stand 14.12.2022):

  • Ring (Algebra). Das Wort Ring bezeichnet in der Mathematik bestimmte algebraische Strukturen mit zwei Operationen wie beispielsweise die ganzen Zahlen. Ein Problem ist aber, dass es ihrem Begriffsumfang nach abweichende Definitionen und Verwendungen gibt. Dies ist in dem Artikel adäquat herausgearbeitet. Dies liefert dann wiederum eine gute Grundlage für mathematische Artikel, in denen das Wort Ring in einer der angegebenen Bedeutungen benutzt wird.
  • Dampf. Hier wird in der Einleitung sowohl die fachsprachliche Bedeutung in der Physik genannt, als auch die umgangssprachliche. Es wird klar, dass diese zwei Bedeutungen wirklich verschieden sind. Dies ist sehr gut.
  • Bruttowertschöpfung. Konzeptionell liegt der Verwendung des Wortes eine einzige Idee zugrunde, es gibt aber unterschiedliche Definitionen, die auch zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Dies wird klar dargestellt.
  • Vorleistungsgut. Intuitiv ist klar, dass Vorleistungsgüter eng mit Vorleistungen verwandt sind, aber bei genauerer Betrachtung stellt sich heraus: Es gibt substantiell unterschiedliche Wortverwendungen, die auch unterschiedlichen englischen Ausdrücken entsprechen. Alleine die Europäische Union verwendet das Wort in zwei verschiedenen Weisen, das Statistische Bundesamt in einer dritten. Daneben wird es wieder anders in Lehrbüchern verwendet. Dies ist (nach einer grundlegenden Überarbeitung) nun klar dargestellt. Zuvor wurden die verschiedenen Verwendungen im Text durcheinandergebracht.
  • Neoliberalismus. Dies ist anerkanntermaßen ein „wesentlich umstrittener Begriff“ (essentially contested concept), was ist in dem Artikel gut dargestellt ist. Ein Problem, das in meinen Augen noch angegangen werden sollte, ist die implizite Identifizierung der Wörter ‚Neoliberalismus‘ mit offensichtlichen Kognaten. Es sollte der Möglichkeit unterschiedlicher Bedeutungen (und Konnotationen) der unterschiedlichen Wörter in unterschiedlichen Sprachen im historischen Verlauf mehr Beachtung geschenkt werden.
  • Linksliberalismus. Dieser Artikel beginnt so:
Als Sozialliberalismus oder auch Linksliberalismus wird heute eine politische Strömung bezeichnet, die Liberalismus und Elemente sozialer Politik verbindet.
Historisch ist linker Liberalismus, auch bürgerlicher Demokratismus bzw. Radikalismus, Fortschritt oder Freisinn genannt, nicht mit sozialem Liberalismus identisch.
Dies ist für mich ein Beispiel für einen schlechten Anfang. Der Fokus sollte auf dem Lemma selbst liegen. Es sollte eine Begriffsklärung erfolgen, die hier genau wie beim Wort ‚Neoliberalismus‘ auch den historischen Verlauf aufzeigen sollte. Selbstredend kann hierbei auch auf das Wort „Sozialliberalismus“ Bezug genommen werden, wobei aber sowohl Überschneidungen als auch Unterschiede im historischen Verlauf aufgezeigt werden sollten.
  • Nationalismus. Im zentralen Abschnitt „Ideologie“ wird für den Begriff Nationalismus direkt zu Beginn auf eine Arbeit eines britischen Soziologen mit dem Titel „Theories of Nationalism“ verwiesen. Da aber gerade emotional aufgeladene Begriffe im politischen Raum in unterschiedlichen Sprachen unterschiedliche Bedeutungen und Konnotationen haben, ist dies hier (unabhängig vom Inhalt der Definition) in meinen Augen zumindest so wie sich der Text im Moment darstellt nicht vertretbar.
Ein weiteres Problem ist hier übrigens, dass der Inhalt der Definition mit dem später aufgezeigten breit angelegtem Begriff in der Politikwissenschaft und insbesondere mit dem spezifischeren Begriff des staatbürgerlichen Nationalismus nicht konform ist. So wie der Text im Moment gestaltet ist, wird die Aufmerksamkeit aber stark auf diese Definition gelegt und man es entsteht in gewisser Weise der Eindruck, die es sei unstrittig, dass die genannten Kriterien erfüllt sein müssten. Dies legt nahe, dass der Text auch unabhängig von dem Problem verschiedensprachiger Wörter dahingehend überarbeitet werden sollte, dass die Begriffsunklarheit klarer zum Ausdruck kommt.
  • Politisches Spektrum. Der Artikel hat zurecht einen Wartungsbaustein. Es wird aber auch so klar, dass die Wörter rechts und links hochgradig undefiniert sind und emotionalisierend gebraucht werden. In diesem Sinne sollten sie in Artikeln möglichst vermieden und durch inhaltlich klarere Umschreibungen ersetzt werden.
  • Schulabbrecher. Der Artikel beginnt so:
Als Schulabbrecher bezeichnet man einen Schulabgänger ohne Hauptschulabschluss bzw. ohne Abschlusszeugnis einer besonderen Schule.
Dieser Wortgebrauch, der sich nach (formalem) Abgang von einer Schule und dem Nicht-Erreichen eines niedrigen Abschlusses richtet, ist die häufigste Verwendung des Wortes „Schulabbrecher“ im politisch-administrativem Bereich, wobei es im Konkreten Unterschiede gibt.
Auf diverse Probleme in diesem Kontext wird von einem Mitarbeiter des Statistischen Landesamts Baden-Württemberg hingewiesen in einem Aufsatz mit dem Titel „Wer ist ein ‚Schulabbrecher‘? Anmerkungen zu einem weit verbreiteten, aber oft unzutreffenden Begriff".[1] Gleich zu Beginn wird hier angemerkt, dass ein Abgang von einer allgemeinbildenden Schule ohne Hauptschulabschluss nicht immer mit einem Schulabbruch verbunden ist. Allerdings wird auch in diesem Artikel das Wort „Schulabbrecher“ so benutzt, dass Abgänger einer allgemeinbilden Schule, die an der betrachteten Schule ihrer Schulpflicht nachgekommen sind, aber dort keinen Abschluss erreicht haben, als „Schulabbrecher“ gelten. Hier wiederum sind insbesondere solche Abgänger zu nennen, die als „überaltert“ gelten und somit gar keine „normale“ Schule mehr besuchen dürfen.
Dies ist aber offensichtlich unintuitiv. Intuitiv würde man aber eher Person als „Schulabbrecher“ bezeichnen, die die Schule bewusst verlassen haben, und in Folge davon auch keinen Abschluss erhalten haben.
Nun werden – auch in der wissenschaftlichen Literatur – die Wörter „Schulabbrecher“ und „Dropouts“ auch so verwendet, wie man es intuitiv erwarten würde. (Das Wort „Schulabbrecher“ ist in der wissenschaftlichen Literatur eine Übertragung des Wortes „dropout“ aus der amerikanischen Literatur, und dies unabhängig von der konkreten Begriffsinhalt.) Als Beispiel sei das Buch „Schulabbrecher in unserem Bildungssystem“[2] der Schweizer Pädagogin Margrit Stamm genannt, in welchem man findet: „Drop-out handelt von Schülern, welche die Schule trotz der verankerten Schulpflicht abbrechen und somit im wahrsten Sinne des Wortes aus dem Bildungssystem herausfallen“ (S.25) und dann unter der Überschrift „Das Ausmaß von Drop-out“: „Die Drop-out-Thematik wird nun auch im deutschsprachigen Europa aktuell. Laut der Bundesverfassung dürfte es in der Schweiz Jugendliche, welche die Schule vorzeitig verlassen, eigentlich gar nicht geben, denn in der Regel dauert die Schulpflicht bis zum Abschluss der Oberstufe neun Jahre“. (S.27) Im Verlauf des Buches wird auch deutlich, dass hier in der Tat nicht junge Menschen, die ihrer Schulpflicht regulär nachgekommen sind, aber aufgrund mangelnder Leistung keinen Abschluss erhalten haben, nicht zu den mit „Schulabbrechern“ oder „Dropouts“ gezählt werden.
Diese für eine Diskussion sehr relevanten Bedeutungsunterschiede werden in dem Artikel nicht thematisiert.
  • Begriff und Begriff (Philosophie). Zunächst fällt auf, dass es diese zwei Lemmata gibt. Aber kann man überhaupt „nicht-philosoph“ etwas den Begriff des Begriffs schreiben? Ich würde sagen: nein, was übrigens auch direkt durch den ersten Einzelhinweis im Lemma „Begriff“ belegt wird (Eintrag „Concepts“ in der (jawohl!) „Stanford Encyclopedia of Philosophy“. Sodann fällt auf, dass die einleitenden Sätze der beiden Artikel unterschiedliche Bedeutungen angeben, wobei die Sätze in „Begriff (Philosophie)“ auch noch inkonsistent zueinander sind. Unter „Begriff“ heißt es klar und eindeutig:
Mit dem Wort Begriff wird der Bedeutungsinhalt einer Bezeichnung oder Vorstellung angesprochen. Ein Begriff bildet dabei eine semantische Einheit, die Teil einer Proposition oder eines Gedankens ist.[1]
Unter „Begriff (Philosophie)“ findet man hingegen:
Im weiteren Sinne bezeichnet das Wort Begriff in der Philosophie, wie ein Wort zu verstehen ist (im Sinne von „zu begreifen“). Es handelt sich somit um die Verbindung einer sprachlichen Bezeichnung mit einem Gedankeninhalt (Konzept).
Hier fällt zunächst auf, dass der erste und der zweite Satz widersprüchlich zueinander sind. Während der erste Satz in etwa dem ersten Satz aus „Begriff“ entspricht (wenn man „Bezeichnung“ mit „Wort“ identifiziert und im ersten Satz „Vorstellung“ streicht), besagt der zweite Satz etwas anderes. (Nach dem zweiten Satz ist ein „Begriff“ eine „Verbindung“, nach dem ersten Satz ist ein „Begriff“ aber (nur) ein Aspekt der Verbindung, während der andere Teil der „Verbindung“ (das Wort) als gegeben vorausgesetzt ist.)
Man beachte hier insbesondere, dass die Erklärung der Bedeutung des Wortes Begriff im Lemma „Begriff“ durch „concept“ erfolgt, während es nahe liegt, dass die intendierte Bedeutung des Wortes concept dem von Konzept entspricht, was nach dem zweiten Satz in „Begriff (Philosophie)“ nur ein Teil der genannten „Verbindung“ ist. Hier sei auch noch aus dem Artikel zu „concepts“ in der englischsprachigen Wikipedia zitiert: „Concepts are defined as abstract ideas.“
Interessanterweise vollzieht der Artikel „Begriff (Philosophie)“ dann auch noch eine recht radikale Wende, wenn unter „Unterscheidung von Begriff und Wort“ (ohne Beleg) summarisch ausgeführt wird:
Begriffe werden durch Bezeichnungen mit Wörtern oder Symbolen repräsentiert. Die Bezeichnung eines Begriffes mittels Wörtern wird auch Benennung genannt. Ein Begriff kann durch mehrere Benennungen repräsentiert werden, sowohl durch Wörter in verschiedenen Sprachen als auch in einer Sprache (Synonyme). Tragen verschiedene Begriffe gleiche Benennungen, so spricht man von Homonymie.
Hiermit ist dann die „Verbindung“, die dem Begriff des Begriffs zu Beginn eigen war, überhaupt nicht mehr vorhanden, auch nicht implizit, indem ein Wort als gegeben vorausgesetzt wird.

Dass ich die beispielhaften Erläuterungen mit den Lemmata zu „Begriff“ beendet habe, ist natürlich Absicht. Wie zu Beginn zitiert, sollen ja in Wikipedia „in erster Linie Begriffe erläutert […] werden.“ Gerade auch durch die genannten Probleme in den Erläuterungen des Begriffs des Begriffs (oder vielleicht auch der Begriffe zum Wort Begriff) wird belegt, dass noch Verbesserungspotential vorhanden ist. Dies sollte für uns alle eine Motivation sein!

Einzelnachweise

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  1. Rainer Wolf: Wer ist ein »Schulabbrecher«? In: Statistisches Landesamt Baden-Württemberg (Hrsg.): Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg. Band 4, 2016 (statistik-bw.de [PDF]).
  2. Margrit Stamm: Schulabbrecher in unserem Bildungssystem. Springer VS, 2012.