Chilling effect

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Der aus dem anglo-amerikanisch-kanadischen Sprachraum stammende englische Begriff chilling effect (dt. abkühlende, entmutigende Wirkung, auch Abschreckungseffekt[1]) beschreibt ursprünglich im juristischen Sinn einen – umstrittenen – selbstregulierenden Interessenausgleich vorwiegend im Internet, der im Idealfall nach Abwägung aller Rechtsgüter im Einzelfall sowohl Schutz bieten als auch entziehen kann.

Kritiker sehen im chilling effect weniger einen juristischen Idealfall, sondern vor allem die Möglichkeit einer Selbstbeschränkung (Selbstzensur, vorauseilender Gehorsam) vor allem von Online-Diensten, um das Risiko unliebsamer juristischer Auseinandersetzungen zu vermindern bzw. zu vermeiden:[1] Häufig würden so Wahrnehmung und Schutz der Grundrechte, z. B. das des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung ausgehebelt.

Im Zusammenhang mit der anlasslosen Totalüberwachung des Internets und der damit verbundenen Datenverarbeitung sowie unter anderem der Möglichkeit zur Erstellung persönlicher Nutzerprofile („Datenschatten“) durch z. B. die amerikanische National Security Agency (NSA) und verwandte sowie befreundete Geheimdienste, aber auch durch Anbieter von (kommerziellen) Sozialen Netzwerken wie Facebook oder Internetsuchmaschinen-Anbietern wie Google, welche unkontrolliert unüberschaubare Mengen von Nutzerdaten sammeln, kommt der Begriff ebenfalls zum Tragen. In einer Studie bestätigte sich die Annahme eines durch Überwachung ausgelösten Deindividualisierung-Effekts: des zunehmenden Versuchs, sich „in der Herde zu verstecken“. Zudem entstand mehr Aggression und Unwillen sowie weniger Interesse gegenüber der Studie und den Ausführenden.[2]

Bei der Diskussion um den Abschluss des Transatlantischen Freihandelsabkommens „TTIP“ wird der Begriff in Verbindung gebracht mit der Befürchtung, Politik könnte aufgrund der Furcht vor Schadensersatzklagen vor transnationalen unabhängigen Schiedsgerichten wegen z. B. entgangener Gewinne („Enteignung“, „Investor-Staats-Klagen“) zurückhaltender werden; man spricht von einer befürchteten „Abkühlung von Demokratien“.[3]

Geschichte

In den Vereinigten Staaten wurde der Begriff schon vor 1950 verwendet. Nachweislich verwendete William J. Brennan, Richter am Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten, diesen Begriff in einem Urteil im Mai 1965. Er erklärte die Regelung der amerikanischen Bundespost für verfassungswidrig, welche die Zustellung von „kommunistischer Politpropaganda“ von der vorherigen ausdrücklichen schriftlichen Zustimmung des Empfängers innerhalb von zwanzig Tagen abhängig machte. Im konkreten Fall ging es um die Zustellung einer Ausgabe der Peking Rundschau.[4][5]

Auf psychologischer Ebene wurde der Effekt wiederum in den USA zum ersten Mal 1975 nachgewiesen: In einer Studie The Chilling Effects of Surveillance: Deindividuation and Reactance (engl., dt. etwa Die Chilling-Effekte der Überwachung: Ent-Individualisierung und Abwehrreaktion [durch wahrgenommene Beeinflussung]) zur Legalisierung von Marihuana waren die Testpersonen, je eher sie sich überwacht fühlten, desto weniger für eine Legalisierung: sie wurden konformer.[2]

Chilling Effects im europäischen Recht

Auch in Europa ist der Begriff der chilling effects durchaus bekannt. So verwendet beispielsweise der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte regelmäßig den Begriff der chilling effects, etwa bei staatlichen Beeinträchtigungen der Pressefreiheit.[6] Auch das deutsche Bundesverfassungsgericht erkennt chilling effects der Sache nach an, verwendet jedoch keine einheitliche Terminologie.[7] So spricht das Gericht etwa von „einschüchternden“ oder „abschreckenden“ Wirkungen auf Grundrechte, von „Selbstzensur“ oder „Einschüchterungseffekten“.

Amerikanische Schlichtungsstelle

Um im natürlichen Spannungsfeld widerstreitender Interessen im Internet zu forschen und allgemeine Richtlinien herauszugeben, haben sich verschiedene Rechtsschulen amerikanischer Universitäten zu Chilling Effects Clearinghouse, einer Art Ethikrat und Schlichtungsstelle, zusammengeschlossen.[8]

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b Walter Kälin, Andreas Lienhard, Pierre Tschannen: Die staatsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts in den Jahren 2008 und 2009. Hrsg.: ZBJV. Band 145, S. 752 (PDF [abgerufen am 16. Februar 2016]).
  2. a b Friedemann Karig, deutschlandfunk.de: Befallen vom Überwachungsvirus. Deutschlandfunk, Essay und Diskurs, Reihe NetzKultur!, 1/5: Suche nach Impfstoff gegen Überwachungsvirus; Vorlage:Datum – die Form mit drei unbenannten Parametern oder anderen einzelnen Zeiteinheiten ist veraltet und wird nicht mehr unterstützt. Bitte gib das Datum einfach im Klartext an.
  3. Sarah Anderson, Institute for Policy Studies, USA, in: Peter Kreysler: deutschlandfunk.de: TTIP - Transatlantischer Traum oder der Ausverkauf der Demokratie. Deutschlandfunk, Das Feature, Vorlage:Datum – die Form mit drei unbenannten Parametern oder anderen einzelnen Zeiteinheiten ist veraltet und wird nicht mehr unterstützt. Bitte gib das Datum einfach im Klartext an.; Manuskript, S. 23.
  4. Gastkommentar zur Anhörung im amerikanischen Senatsausschuß zur Einschränkung des Informantenschutz im Journalismus auf www.cfif.org (englisch)
  5. Entscheidung des Oberstes Gerichtshof der Vereinigten Staaten (englisch), am Vorlage:Datum – die Form mit drei unbenannten Parametern oder anderen einzelnen Zeiteinheiten ist veraltet und wird nicht mehr unterstützt. Bitte gib das Datum einfach im Klartext an.
  6. EGMR am Vorlage:Datum – die Form mit drei unbenannten Parametern oder anderen einzelnen Zeiteinheiten ist veraltet und wird nicht mehr unterstützt. Bitte gib das Datum einfach im Klartext an., App. no. 17488/90 Rn. 39 - Goodwin
  7. Assion, Was sagt die Rechtsprechung zu Chilling Effects? – Telemedicus am Vorlage:Datum – die Form mit drei unbenannten Parametern oder anderen einzelnen Zeiteinheiten ist veraltet und wird nicht mehr unterstützt. Bitte gib das Datum einfach im Klartext an..
  8. About. In: Lumen. Abgerufen am 19. Februar 2016.